Die Wut, die bleibt
384 Seiten

Die Müdigkeit ist zu einem Hintergrundgeräusch geworden, einem Dauerbrummen. [...] Und wer zu den Schlafenden gehört, weiss gar nicht, wie lang die Nächte in Wahrheit sind. Das ist Wissen, das die Schlaflosen teilen (bei ca. 1:17:00)

Helene ist Mutter von drei Kindern. Eines Abends steht sie während dem Abendessen mit der Familie auf, geht zum Balkon und springt. Der Schock, die Trauer, die Überforderung ist gross. Sarah, Helenes beste Freundin, springt für sie ein und übernimmt die Kinderbetreuung, den Haushalt. Johannes, Helenes Mann, nimmt Sarahs Hilfe dankbar an und entzieht sich seiner Verantwortung, selbst für die Familie zu sorgen. Die 15 jährige Lola, Helenes älteste Tochter, versucht durch Kampfsport, mit ihren Emotionen, ihrer Wut - die nicht nur gegen den Suizid ihrer Mutter, sondern besonders auch gegen das Patriarchat gerichtet ist - zurechtzukommen. Mit drei feministischen Freundinnen zusammen beginnt sie, sich bei Männern, die Frauen jemals unrecht getan haben, zu rächen.

Die Autorin kritisiert mit dem Buch ganz klar die patriarchalischen Strukturen, die sich hartnäckig in unserer Gesellschaft halten. Die unbezahlte Care-Arbeit, die noch immer hauptsächlich von Frauen verrichtet wird und kaum eine Wertschätzung erhält. Die Gefahren, denen Frauen noch immer ausgesetzt sind und die so oft von Männern ausgehen. Die Wut, die in diesem Buch steckt, schwappt beim Lesen über. Ein wichtiges Thema in eine tolle, packende Geschichte verpackt. Manches mag vielleicht überzeichnet sein, aber darum geht's nicht. Auch wenn Lolas Racheakt mit ihrer Frauengruppe realitätsfremd scheinen mag, der Gedanke daran gefällt.

What Women Want
366 Seiten

Großartig bewegendes Buch über eine Psychotherapeutin und die wertschätzenden Portraits von sieben ihrer Patientinnen. „Lang lebe unser Einsatz füreinander. Ein hoch auf unser Verlangen, unsere Kraft, unsere Liebe und unser Wachstum. Und lang lebe unsere fortwährende Reise als begehrende Frauen, die wir unsere Herzen weit öffnen und voller Mut laut aussprechen:“

Die Bücherdiebin
592 Seiten

Eines der schönsten traurigen und traurig schönsten Bücher, die ich je gelesen habe. Am Ende habe ich Rotz und Wasser geheult, konnte kaum weiterlesen, weil mein Blick so verschwommen war und man muss dazu sagen, dass ich selten bis nie bei Büchern weine.

Windstärke 17
256 Seiten

Ich weiss nicht, was ich machen soll. Rausgehen, rennen, schwimmen. Hier drinnen ist es mir zu laut, zu gefährlich, die Gedanken zerschneiden mein Inneres messerscharf zu ungleich grossen Gulaschklumpen. (S. 202)

Nachfolgeroman von "22 Bahnen", diesmal aus dem Leben von Ida, Tildas kleiner Schwester. Wer diesen Roman mochte, wird mit "Windstärke 17" ebenfalls happy.

Nach Mutters Tod möchte Tilda, dass Ida zu ihr nach Hamburg kommt. Ida landet jedoch nicht in Hamburg, sondern reist ohne ein bestimmtes Ziel weiter nach Rügen. Dort lernt sie Marianne und Knut, ein älteres Ehepaar, kennen, die sie bei sich aufnehmen. In Rügen kämpft Ida gegen ihre Schuldgefühle an, die sie seit dem Tod ihrer Mutter quälen. Sie lernt Leif, ein junger DJ und Surfer, kennen und eine Liebesgeschichte bahnt sich an. Als bei Marianne Krebs diagnostiziert wird, droht Idas Leben erneut aus den Fugen zu geraten.

Wie "22 Bahnen" hat mich das Buch tief berührt und ergriffen. Idas Trauer und Wut waren zeitweise kaum auszuhalten, ich habe Seite für Seite mitgelitten. Und immer wieder sehr viel Liebe und Geborgenheit, die Ida durch das ältere Ehepaar, aber auch durch Leif und Tilda, erfährt. Wunderschön!

Und alle so still
368 Seiten

"In ihrem ableistischen Denken gehen sie davon aus, dass willkürlich festgelegte Normierungen zu Gesundheit, Mobilität und Sprachfähigkeit bestimmen, ob ein Leben lebenswert ist. Wenn ein Kind stirbt, gibt es in der kollektiven Trauer viel Verständnis. Wenn ein behindertes Kind stirbt, ist das nicht so. 'Betrachte es als Befreiung, das war ja kein Leben', sagen sie und meinen eigentlich sich selbst. Dass sie froh sind, dass dieses Leben beendet ist und sie befreit sind davon. Arschlöcher." (S. 80)

" 'Es ist längst zu spät', hat Marta auch gesagt, 'das Gesundheitswesen ist ein hohes Gebäude, das in die Luft gesprengt wurde. Wir sind im dreissigsten Stock, wir haben noch nicht bemerkt, dass wir uns im freien Fall befinden.' " (S.160)

"[...] und ist es nicht interessant, denkt sie, dass die Menschen ein Wort haben für Kuss und eins für Umarmung, mit dem einen meinen sie Liebe, mit dem anderen Freundschaft, wenn es doch oft genug beides gleichzeitig gibt und so viel dazwischen." (S. 243)

Elin, Ruth und Nuri sind die drei Hauptprotagonist:innen des Buches. Sie werden Zeug:innen eines stillen Protest von Frauen, die reglos vor dem Krankenhaus liegen. Dieser Protest ist der Startschuss eines flächendeckenden Streiks, die Frauen legen ihre Arbeit ab und das gesamte System droht auseinanderzufallen. Elin, Ruth und Nuri werden Teil dieses Protests.

Ein sehr spannender Ansatz, den die Autorin mit ihrem Buch aufgreift: Was wäre, wenn die Frauen ihre (Care-) Arbeit niederlegen würden? In provokativen Worten kämpft sie gegen die patriarchalen Strukturen an und zeichnet ein Bild davon, was passieren würde, wenn alle Frauen streiken würden. Während des Lesens, besonders bei den Parts um Ruth, der Krankenpflegerin, legte sich eine grosse Schwere über mich, die mir manchmal sogar das Atmen schwer machte. Sehr bedrückend die Darstellung, wie viel im Gesundheitswesen momentan falsch läuft.

Ihr Schreibstil: unkonventionell, den ich aber mochte. Zwischendurch immer wieder kleine Kapitel aus Sicht einer Gebärmutter, einer Pistole sowie Kapitel mit Berichterstattungen. Ich kann mir vorstellen, dass das Buch sehr polarisiert. Ich mochte es.

Ein rassismuskritisches Alphabet
128 Seiten

"Wenn dir also jemand mitteilt, dass du etwas Rassistisches gesagt oder getan hast, dann atme gern erst einmal tief ein und aus. Geh einmal um den Block und trink ein Glas Wasser. Arbeite gegen die Abwehrgefühle in dir an. Lenke nicht vom Thema ab, sondern setze dich ehrlich mit der Kritik auseinander." (S.27)

"Farbignorante Aussagen [Ich sehe keine Hautfarben, alle Menschen sind für mich gleich o.ä.] tun so, als gäbe es diese Unterschiede nicht. Und das ist natürlich fatal, denn wie können wir Ungerechtigkeiten erkennen oder sogar abbauen, wenn wir sie bewusst ignorieren? Gar nicht! Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass wir zwar natürlich alle Menschen sind. Wir alle haben die gleichen Rechte und wollen eigentlich gern einfach Individuen sein. Aber wir leben momentan in einer Welt, in der wir anhand unterschiedlicher Kategorien ungleich behandelt werden. Um dagegen kämpfen zu können, müssen wir die Unterschiede wahrnehmen und benennen lernen." (S. 35)

"Rassismuskritisch denken und leben zu lernen, bedeutet, Happyland [Zustand, in dem weisse Menschen leben, bevor sie sich bewusst und aktiv mit Rassismus beschäftigen] so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Sich bewusst zu werden, dass wir alle rassistisch sozialisiert sind und täglich weiterhin werden. Weil wir in eine Welt hineingeboren wurden, in der Rassismus schon lange vor uns da war." (S.43)

"Wir alle müssen verstehen lernen, wie rassistische Sozialisierung in unserem Leben und unserer Gesellschaft wirkt. Wir tun dies allerdings mit verschiedenen Erfahrungen und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen heraus, je nachdem, ob wir weiss oder BIPoC sind." (S.83)

"Keiner von uns ist frei von Vorurteilen. Wir alle haben sie, weil wir täglich mit Bildern und Erzählungen über bestimmte Gruppen konfrontiert werden. In der Werbung, in Filmen und Serien, in Magazinen. Ein erster Schritt ist, anzuerkennen, dass wir alle Vorurteile haben. Als Zweites müssen wir lernen, sie wahrzunehmen, und uns klarzumachen, dass es tatsächlich VORurteile sind." (S.99)

Auf kompakten 128 Seiten erklärt die Autorin die wichtigsten Begriffe zum Thema Rassismus, dies sehr verständlich formuliert und mit weiterführenden Lesetipps und Übungen ergänzt. Ich habe sehr viel gelernt und finde, dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre für alle sein! Herzensempfehlung!