Bücherregal lädt …
Die Wahrheiten meiner Mutter
400 Seiten

Johanna verlässt in jungen Jahren ihren Ehemann, Eltern und Heimatort, um in den USA eine Kunstausbildung zu machen und ihre neue Liebe zu heiraten. In der Beziehung zu ihren Eltern und Schwester löst dieser Wegzug einen ersten Bruch aus. Als sie nach dem Tod ihres Vaters nicht zur Beerdigung auftaucht, brechen ihre Mutter und Schwester den Kontakt ganz ab. Mit 60 Jahren kehrt Johanna in ihre Heimatstadt zurück. Sie sucht den Kontakt zu ihrer Mutter, die aber jegliche Kontaktaufnahme verweigert. Auch ihre Schwester gibt ihr klar zu verstehen, dass sie nicht erwünscht sei. Doch Johanna hat Fragen. In ihren aufkommenden Erinnerungen an ihre Kindheit entdeckt sie das eine oder andere, was ihr als Kind noch nicht aufgefallen war. Dinge, die ihre Mutter in ein anderes Licht rücken. Sie erzwingt den Kontakt mit ihr, auf der Suche nach Antworten.

Vigdis Hjorth schreibt sehr berührend und authentisch, ich fragte mich immer, ob es sich hier wohl um einen autofiktionalen Roman handele. Die Geschichte geht sehr tief und ist psychologisch sehr spannend (Mutter-Tochter-Beziehung). Ihre Sprache (bzw. die Sprache der Übersetzung) gefiel mir sehr. Zudem hat die Sprecherin es auch toll gelesen.

Die Nulllinie
254 Seiten

<"Drug, wir brauchen solche Leute wie dich", sagte Schabla damals, und du wusstest, das sind keine leeren Komplimente, und du wusstest auch, es geht ihm nicht darum, dass du für den Kriegsdienst besonders geeignet wärst. Aber du kannst drei Sprachen, darunter Ukrainisch, du kannst einen Geländewagen steuern, sogar im Gelände, du weisst, wei ein Reduktionsgetriebe funktioniert und wozu man die Achsblockierung braucht, du kannst schiessen, obwohl diese Fähigkeit hier nicht so entscheidend ist, du bist körperlich einigermassen in Form, läufst immer noch zehn Kilometer in der Stunde und schaffst fünf Klimmzüge, bist entscheidungsstark, gerätst nicht in Panik, bist ein guter Organisator, mehr braucht man für so einen Krieg nicht. (S.94)

Das warst du und bist es weiterhin, der Mensch, den man nicht töten kann, weil er schon ohne Leben ist. [...] einer, der den Tod sucht und jetzt plötzlich festgestellt hat, dass er doch leben will, einer, der im Chaos der Welt wenigsten ein paar Spuren von Sinn finden wollte und mitten in der Brandung begann, die Sandkörner am Strand zu ordnen. (S.100)

"Warum hast du gesagt, wir leben nicht mehr?", fragst du Jagoda erneut. "So muss man denken", antwortet Jagoda. "Damit man vor Angst nicht durchdreht. Wenn du glaubst, du bist schon tot, hast du zwar weiter Angst, klar, Angst muss man haben, wer keine Angst hat, der ist verrückt, der zieht sich und den Kameraden Probleme auf den Hals. Am schlimmsten sind die, die keine Angst haben, Idioten. Aber wenn du glaubst, du könntest leben, wenn du glaubst, es gibt etwas nach dem Krieg, irgendeine Art von Leben, [...] dann kriegt die Angst dich zu packen; wenn du an eine Leben nach dem Krieg glaubst, willst du unbedingt bis dahin leben, du wirst schliesslich die Maschinenepistole auf Dauerfeuer stellen und sie dir unters Kinn setzen, denn wenn jemand das Kriegsende erleben will, dann wird der Krieg unerträglich, und besser nicht zu leben, als auf ein Leben nach dem Krieg zu warten." (S.129)

Die Hauptfiguer, der Soldat Kón, kommt aus einer ukrainisch-polnischen Familie, aufgewachsen in Polen. Als Freiwilliger ist er in den Krieg gezogen und harrt nun als Drohnenflieger nahe der Nulllinie aus. Es geht brutal zu und her, Twardoch beschönigt nichts. Die Sprache der Soldaten ist derb, die Hoffnung auf ein Überleben gleich Null.

Ein Buch, welches erschüttert und ein grausames Bild zeigt, was in der Ukraine gerade passiert. Ein Buch nahe der Soldaten. Die einzelnen Exkurse zu antiker Literatur hätten mich etwas durchatmen lassen, interessierten mich jetzt aber nicht so. Viele technische Ausführungen des Krieges verstand ich nicht.

Auf jeden Fall ein schwer verdauliches Buch, aber eines, das sich lohnt.

Butter
442 Seiten

Rika ist eine junge Journalistin. Sie recherchiert über Manako Kajii, eine verurteilte Serienmörderin, die alte ledige Männer erst verführt (sexuell und vor allem auch mit ihren Kochkünsten) und dann umgebracht haben. Sie gilt mit etwas mehr als 70Kg als fett. Ihre grosse Leidenschaft ist der kulinarische Genuss und vor allem Butter (Margarine verabscheut sie). Rika darf sie regelmässig im Gefängnis besuchen, aber nur, um über ihre Kochkünste zu reden. Rika hat bislang nie gekocht, ihre Neugierde ist jedoch geweckt und sie beginnt, den Kochempfehlungen der Serienmörderin zu folgen und tastet sich ans Kochen heran. Mit dem Kochen nimmt Rika zu, ursprünglich noch 49 Kg, ist sie nach wenigen Monaten 7 Kg schwerer. Das bleibt nicht unerkannt, dumme Sprüche und Ablehnung muss sie aushalten.

Im Buch geht es sehr viel um Kulinarik, aber auch um gesellschaftliche Erwartungshaltungen Frauen gegenüber. Es geht um die Emanzipierung und das Gegenhalten patriarchaler Strukturen. Stark japanisch geprägt, sowohl gesellschaftlich, als auch kulinarisch.

Eine sehr humoristische (gar satirische) und teilweise ziemlich absurde Geschichte, die einem immer wieder Lust aufs Essen machte. Wobei ich Butter ja gar nicht mag, und diese doch omnipräsent ist im Buch. :)

Ich fühlte mich durchgehend sehr unterhalten.

Fucking fucking schön
176 Seiten

10 verschiedene Geschichten erzählen differenziert über diverse erste Male: den ersten Kuss, das erste Masturbieren, den ersten Kontakt mit einem Porno, die ersten ungewollten Berührungen, den ersten Sex etc.

Die Autorin schafft es, sehr authentisch und auf Augenhöhe der Jugendlichen zu schreiben. Die Geschichten sind packend und lesen sich schnell. Ich hätte mir ein solches Buch gewünscht, als ich selbst ein Teenager war. Das hätte mir sicherlich bei vielen Unsicherheiten geholfen. Es ermutigt, den eigenen Gefühlen zu vertrauen.

Santa Tereza
144 Seiten

Am liebsten sagte sie aber, dass er noch besser darin gewesen sei, Witze zu. machen. Und auch wenn ich nicht der war, der fand, dass alle in allem die Besten sein mussten, fand ich es schön, was sie über ihn sagte. (S.30)

Ich ging ins Haus, um mich umzuziehen, und dachte, dass ich mir selbst auch leidtun würde, wenn ich mich im Spiegel sähe. Weil es halt komisch ist, wenn man Badehosen von gestern anhat, während man selbst schon komplett so aussieht wie heute. (S. 110)

Luchs ist Mitte 30 und kognitiv leicht beeinträchtigt. Er ist ein Aussenseiter, ohne Ausbildung. Er arbeitet als Nachtwächter auf einem Friedhof. Eines Nachts lernt er die 13-jährige Teresa kennen. Nach einem holprigen Start freunden sie sich an. Und Teresa gibt ihm Selbstvertrauen, Neues zu lernen und seinem Traum, seine Geschichte zu schreiben, doch noch nachzugehen.

Flurin Jecker findet eine sehr einfache, authentische Sprache für seine Romanfigur. Luchs ist eine sehr liebenswürdige Figur, die Freundschaft mit Teresa sehr berührend. Eine schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Denn die kognitiv Nicht-Beeinträchtigten können eine Menge davon lernen. Im Moment zu leben und die kleinen Dinge zu geniessen, beispielsweise. Mir hat das Buch sehr gefallen.

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft
208 Seiten

Als wir später nebeneinanderliegen und in diese viel zu heisse Sonne starren, reden wir miteinander. Über die Vögel und den Himmel und die Schule und die Eltern und so. Es ist alles recht grundlegend, wir tauschen einmal unsere Haltungen zur Welt und so aus und das, was man mit sechzehn halt so denkt, was wichtig sein könnte, wenn man anfängt, miteinander zu knutschen. (S.67)

Vielleicht bin ich auch sauer, aber habe keinen Kanal dafür. [...] Ich check die Angst, erwischt zu werden. Die Angst löst bei mir was Körperliches aus. Was ich schwerer benennen kann, ist das Wütendsein. Es hat keinen Ort in meinem Körper. (S.132)

Die Reduktion der Stadttaubenpopulation ist mal langfristig missglückt. Mir taten sie immer leid. Die Fäkalien der Taube, die immer ein bisschen zu flüssig sind, sind das Resultat einer chronischen Magen-Darm-Erkrankung, die andere Vögel, andere Tauben so nicht haben. Dieses Tier ist komplett auf die kapitalistischen Heilsversprechen reingefallen, ist in die Stadt gezogen, weil es da Arbeit gab, und dann kein Wohnraum mehr, schwupps, die Hand, die dich füttert, schiesst dich tot. (S.165)

Die 15jährige Era lebt mit ihrer Mutter in einem Tiny House am Waldrand. Die Klimakrise ist fortgeschritten, die Wälder brennen, die meisten Vögel sind bereits ausgestorben. Era dokumentiert das Aussterben der Vögel. Und sie lernt die beiden Schwestern Merle und Maja kennen, Töchter zweier Momfluencerinnen. Die Geschwister gehen jeden Samstag in den Wald und jagen Festplatten in die Luft. Sie möchten ihre Spuren, die ihre Mütter im Netz mit ihren Vlogs ungefragt hinterlassen haben, vernichten. Era beginnt, mitzumachen. Era und Maja verlieben sich ineinander. Als die jüngere Schwester irgendwann den Müttern beichtet, was sie jeweils im Wald zerstören, taucht Maja unter - und ermutigt Era, zu ihr zu kommen.

Die Autorin beschreibt ein dystopisches, aber realistisches Zukunftsszenario. Die Folgen der Klimaerwärmung werden nebenher deutlich aufgezeigt, ohne dass sie den Fokus darauf legt (hätte sie aber durchaus machen können). Sie schreibt in einer sehr jugendlichen Sprache, angepasst auf die Hauptfigur Era. Vögel sind ein wichtiges Thema und irgendwie auch der einzige rote Faden in diesem Buch. Die restliche Geschichte mit den Explosionen empfinde ich als zu gesucht und erschliesst sich mir nicht.

Ungebetene Gäste
315 Seiten

Wenn jemand um Verzeihung bittet, nimmt er dir das einzig Verbliebene - die Erlaubnis, wütend über sein Verhalten zu sein. (S.155-156)

Die Geschichte beginnt mit einem dramatischen Unfall. Naomi hat einen Arbeiter bei sich in der Whg. In einem unbeaufsichtigten Moment spielt Naomis Kind mit seinem Hammer und lässt ihn vom Balkon fallen. Ein Teenager verunglückt dabei tödlich. Der Arbeiter wird beschuldigt und Naomi, obwohl sie von seiner Unschuld weiss, schweigt. Die Schuldgefühle lässt sie nicht los, auch ein temporärer Umzug nach Nigeria hilft nicht.

Es geht um Schuld, Verantwortung, Moral, hartnäckige Vorurteile und Rassismus. Ein spannungsreicher, vielschichtiger Roman, der mir eigentlich sehr gefiel. Ich ertappte mich aber immer dabei, wie ich das Buch mit Gundar-Goshens Roman "Die Lügnerin" verglich, was diesem Buch nicht gut tat. Auch fand ich gewisse Sequenzen im Buch ein bisschen zu weit hergeholt bzw. gewisse Handlungen etwas unnatürlich. Ich befürchte, "Ungebetene Gäste" wird (bei mir) immer im Schatten von "Die Lügnerin" stehen und keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Ich hatte wohl leider einfach auch zu viele Erwartungen an Gundar-Goshens neuen Roman.

Russische Spezialitäten
192 Seiten

ich kann entweder fühlen, dass sie meine liebende Mutter ist. Oder daran denken, dass sie die russischen Mörder unterstützt. Beides gleichzeitig fühlen und denken kann ich nicht. (S.33)

Kapitelman (in Kiew geboren, mit 8 Jahren nach Leipzig gekommen) beschreibt in seinem Roman, was der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit ihm macht. Vor allem aber beschreibt er, wie sich der Krieg auf die Beziehung zu seiner Mutter auswirkt. Sie steht nämlich auf Putins Seite. Plötzlich ist die russische Sprache noch das scheinbar einzig Verbindende zwischen ihr und ihm. Kapitelman schafft es gut, diese Ambivalenz von der Liebe zu seiner Mutter und seiner Verzweiflung bzw. Unverständlichkeit, dass sie Putins Propaganda verfällt, darzustellen.

Trotz der Schwere des Themas ist das Buch sehr humorvoll geschrieben, was der Geschichte etwas Leichtigkeit verschafft und die Brutalität des Krieges erträglicher macht, ohne sie in Abrede zu stellen. Das Buch schafft einen persönlichen Einblick in den Alltag Einheimischer in einem Kriegsgebiet. Ich hätte mir von Seiten des Autors aber mehr Konfrontation/Auseinandersetzung gewünscht, mehr Gespräche mit seiner Mutter.

Daily Soap
281 Seiten

Thor Obioye Osayoghoghowemwen fällt in die Kategorie "reife Kaffeekirsche, gepflückt in einem von lauwarmem Nieselregen geküssten Feld in Brasilien". Verantwortlich für die Einteilung von Schweizer Bürgern mit Hautfarben ausserhalb des eidgenössischen Hautfarbenspektrums ist das Bundesamt für die Rationalisierung Andersfarbiger anhand von Cappuccino beziehungsweise Kaffee, kurz BARACK - eines von acht Schweizer Verwaltungsdepartements. Sollte in der Schweiz a) jemand geboren werden oder b) jemand Asyl beantragen oder c) jemand mit Visum einreisen der nicht in das Spektrum zwischen "Leiche" und "Südländer" fällt, zückt ein BARACK-Beamter seinen Caran d'Ache und notiert die Auffälligkeiten der fraglichen Person. [...]. Erst dann werden die Erkenntnisse - gesammelt als Akte - in das Schweizerische Hautfarbenregister eingetragen, eine Datenbank, die sowohl analog als auch digital einsehbar ist. (S.10-11)

Während sich Herrn Banals Haaransatz immer mehr zurückzieht, wölbt sich sein Blähbauch immer weiter hervor, fast so, als würde ihn jemand aufblasen wie einen Luftballon. Doch für Ballone gibt es meistens einen fröhlichen Anlass, wovon in Herrn Banals Situation nicht die Rede sein kann. (S.128-129)

Eine Satire um zwei Schweizer Familien, aufgebaut wie eine Seifenoper. Es geht um Liebe, Sex, Affären - und Rassismus. Dazu Verschwörungstheorien, medizinische Sonderfälle und Mord.

Eine (Schweizer) Gesellschaftskritik, ganz schön provokativ und mit viel Humor. Eine erfrischende Lektüre, die ein ernstes Thema - den Rassismus - aufgreift. Die vielen Fussnoten sind einfach grandios!

Für Polina
304 Seiten

Polina schaute hinter jede Tür, steckte ihren Kopf in die Tümpel im Moor, um zu prüfen, was darin war, fasste jeden Käfer an und nahm die meisten davon in den Mund. Hätte sie Ungeheuer gefunden, hätte Polina mit ihnen getanzt. (S.34)

Er wollte, dass sie ihn hörte. Nicht aus Selbstlosigkeit, aber wann war Liebe je selbstlos gewesen? (S.218)

Hannes' und Polinas Mütter lernen sich bei ihrer Geburt im Spital kennen, es entsteht eine Freundschaft, die beiden Kinder wachsen gemeinsam auf. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, Polina sehr wild und abenteuerlich, Hannes hingegen träge und langsam. Seine Faszination gilt der klassischen Musik und dem Klavierspielen. Mit 14 verliebt sich Hannes in Polina. Er komponiert ihr eine eigene Melodie. Doch die Liebe scheint nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen, als junge Erwachsene trennen sich ihre Wege. Er hört mit dem Klavierspielen auf, wird trotz seiner schmächtigen Figur Klavierschlepper, seine Gedanken bleiben aber bei Polina. Bis er sich nach Jahren eingesteht, dass er Polina wiederfinden muss. Und zwar mithilfe ihrer Melodie...

Ab der ersten Seite hat das Buch einen einnehmenden Rhythmus. Es liest sich wie eine wunderschöne Melodie. Manche mögen die Geschichte schnulzig und/oder kitschig finden, ich sehe es aber anders. Würger schaffte es, mich mit seiner Sprache leichtfüssig durch die Geschichte zu tragen, die Musik immer im Ohr. Über einen allfälligen Kitsch konnte ich gut hinwegsehen. Ein Herzerwärmendes Buch.

Erdbeeren und Zigarettenqualm
256 Seiten

Sie wirft einen Blick auf den Bildschirm und dann wieder auf dich und fährt fort: Was ich hier sehe, ist ein konsequentes Fehlen von Schmerzmanagement und Unterstützung. Das hier - sie zeigt auf den Bildschirm - nennt mir alle Fakten über ihre Endometriose, aber ich musste von ihnen selbst erfahren, wie Sie sich dabei gefühlt haben und wie es Ihr Leben beeinflusst hat. Du holst tief Luft und antwortest mit wackliger Stimme: Manchmal kommt es mir vor, als würde mein ganzes Leben daraus bestehen. (S.189)

Genau so fühlte ich mich mit dieser Krankheit auch. Und gleichzeitig fühlte ich mich damit so alleine, weil es Jahrzehnte dauerte, bis endlich eine Diagnose im Raum stand, ich bis dahin dachte, dass nur mein Körper kaputt ist und darüber reden nie eine Option war. Endlich ein Buch, in dem Endometriose und Menstruieren im Allgemeinen thematisiert werden. Ein Buch, mit dem ich mich so oft identifizieren konnte und ich genau wusste, wie gross der Leidensdruck der Hauptfigur ist. Es geht aber noch um viel mehr, um eine tiefe Freundschaft, die langsam zu bröckeln beginnt, über Beziehungen, eine unerwiderte Liebe, das Hadern mit der Erwachsenenwelt, Alkoholmissbrauch. Mir hat sehr gut gefallen, wie schonungslos die Autorin über all das berichtet, in einer ansprechenden Sprache.

Und später für immer
207 Seiten

Wie bei jedem seiner Besuche seit dem vergangenen Frühjahr - seitdem sie durchs Watt spaziert waren, seitdem sie einander alles erzählt hatten, worüber sie sonst zu keinem sprachen - sagte Johann im Dunkeln, wie um ihr Zusammensein zu beschwören: "Jetzt noch acht Tage und später für immer." (S.25)

Johann Meinert, Soldat bei der Luftwaffe, desertiert Anfang 1945 und versteckt sich bei seiner Tante und seinem Onkel in einem Heuschuppen und wartet und hofft auf das Ende des Krieges. In Gedanken ist er stets bei seiner Frau Emmy, die mittlerweile ihr gemeinsames Kind auf die Welt gebracht haben sollte. Plötzlich steht Frieda, ein 17jähriges Mädchen aus der Nachbarschaft, im Heuschuppen. Wenn sie ihn verrät, ist es mit ihm vorbei.

Eine fast wahre Geschichte über den Grossvaters des Autors. Ein berührender Roman. Und doch hat er mich nicht genug eingenommen.

Walzer für Niemand
182 Seiten

Selbst nach langem Betrachten war es unmöglich, von den Hüllen der Platten auf die darin enthaltenen Töne zu schliessen. Wir glaubten ohnehin nicht, dass es möglich war, sich ein Bild von Tönen zu machen. Das, was wir sahen, wenn wir die Töne hörten, war ganz gewiss und doch unbeschreiblich. (S.9)

Unter Liedermachern kursiert das schöne Gerücht, dass sich in jedem neuen Stück eine wahrsagerische Spur befindet. Wir können an dem, was wir schreiben, entziffern, was als Nächstes in unserem Leben passiert. Die Heuchelei beginnt da, wo wir genau das schreiben, von dem wir wollen, dass es geschieht. Strategischer Missbrauch bringt den prophetischen Brand zum Ersticken. (S. 75)

Ein Mädchen und ihr bester Freund "Niemand" wachsen als Kinder von Diplomateneltern auf. Ihre Kindheit ist geprägt von regelmässigen Umzügen in andere Städte und Länder. Musik spielt bei beiden eine sehr grosse Rolle. Im Älterwerden verändert sich ihre Freundschaft.

Jedem Kapitel folgt ein Einschub über das Bergvolk der Walserinnen, von dem auch Sophie Hunger und die Mädchenfigur im Roman abstammt. Meistens ist auch noch eine Illustration einer Frauenfigur abgebildet (ich nehme an, von Sophie Hunger gezeichnet), bevor das neue Kapitel beginnt.

Ein sprachlich anspruchsvoller, sehr poetischer Roman, melodiös, voller Musik. Oft verwirrend. Ist Niemand eine wirkliche Person oder ein fiktiver Freund? Diese Frage stellte ich mir immer wieder. Die Exkurse über das Volk der Walserinnen waren zwar spannend, mich störten sie aber sehr, sie hemmten den Erzählfluss des Romans, warfen mich jedes Mal aufs Neue aus der Geschichte.

Wenn es Nacht wird in Frau Yeoms kleinem Laden
384 Seiten

Die Fortsetzung von "Frau Yeoms kleiner Laden der grossen Hoffnungen".

Die Supermarktleiterin des 24-Stundenladen "Always" sucht eine Person für die Nachtschicht. Guen-bae wirkt zwar sehr komisch, doch sie kann nicht wählerisch sein und stellt ihn ein. Er eckt bei allen Menschen an, aber auf Dauer entdecken diese sein Feingefühl und seine Gabe, anderen zu helfen.

In jedem Kapitel spielt eine andere Rolle die Hauptrolle. Die Personen aus dem 1. Band tauchen auch auf, wenn auch nur noch nebenher. Der 1. Band hatte für mich noch so seinen Reiz, dieser Band konnte mich leider gar nicht überzeugen. Zu viele Figuren, zu denen ich keine Beziehung aufbauen konnte. Und oft langweilte mich die Geschichte. Die Figuren handelten mir teilweise auch sehr unglaubwürdig. Schade.

Klapper
240 Seiten

Sie schlenderte um die hufeisenförmige Sitzordnung herum, und als sie an Klapper vorbeikam, warf sie ihm einen prüfenden Blick zu, bevor sie die Atlanten anhob und mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden abstellte, ihren Eastpak auf den Tisch legte und sich neben ihn setzte. Ein leises Raunen ging durch die Reihen. Klapper erstarrte. Das war alles viel zu sozial. (S.29)

Trauerkarten hatte er noch nie geschrieben. Das ist eine Verantwortung, die man in seinem Alter eigentlich nicht haben sollte. Sterben, das war eigentlich was für Erwachsene. (S.224)

Klapper ist 16. Er hat keine Freunde und verbrachte die gesamten Sommerferien alleine vor seinem PC. Am ersten Schultag nach den Ferien bekommt die Klasse Zuwachs von Bär, einem Mädchen, das gross und stark und selbstbewusst ist - und so das pure Gegenteil von Klapper darstellt. Sie behandelt ihn nicht als Aussenseiter, sondern setzt sich gleich neben ihn - da wissen beide noch nicht, dass sie beide eine Gemeinsamkeit haben: die Leidenschaft des Zockens. Ab da beginnt langsam eine Freundschaft zwischen ihnen.

Ein berührendes, lustiges wie auch trauriges Buch. Der Autor fängt die Zeit der Jugendlichen, der Suche nach sich selbst, der Überforderung des Erwachsenwerdens, die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, sehr schön auf, wie ich finde. Prödel gibt der Freundschaft zwischen Klapper und Bär die Zeit, die sie braucht, prescht nicht vor.