Lázár
336 Seiten

Ilona beneidete Lajos darum, dass er im kleinen Salon seinen Milchgriess essen durfte. Nicht nur, weil sie beim Essen der Innereien ständig daran denken musste, wie die Köchin ihre fleischigen Hände in den dunklen, blutigen Bauch des Tiers gegraben, wie es in der Küche gestunken und wie sich die fetten, glänzenden Schmeissfliegen auf die Fleischklumpen niedergelassen hatten, sondern auch, weil sie Erwachsene nicht ausstehen konnte. Sie verstand nicht, wie man dem Leben so stumpf gegenübertreten, wie man sich einfach von den Jahren überrollen lassen konnte, bis eines der Räder zu schwer war und einen erdrückte. (S.30)

Vielleicht ist man gar nicht sein Leben lang derselbe Mensch, hatte sie gedacht. Vielleicht ist man verschiedene Menschen, die anders denken, fühlen und aussehen und nur durch denselben Namen zusammengehalten werden. (S.157)

All dies waren Menschen mit eigenen Augen, die Dinge gesehen hatten, die den seinen fremd waren, mit eigenen Händen, die nachts nach anderen Schultern griffen, mit eigenen Gedanken, die er kannte oder nie gedacht hatte, mit eigenen Leben, die dem seinen trotz allem im Grunde glichen. Dennoch hatte immer nur sein eigenes gezählt. (S.198)

Eine ungarische Adels-Familiengeschichte, die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckt und drei Generationen begleitet. Die Geschichte beginnt 1900 mit der Geburt von Lajos von Lázár. Seinem Vater Sándor ist der Junge von Beginn an nicht geheuer, unbewusst scheint er zu ahnen, dass er nicht von ihm ist. Lajos' Mutter ist depressiv, sein Onkel geisteskrank, seine Schwester erfährt im Wald Traumatisches. Sein Vater verfällt dem Alkohol, die einst adlige Familie verliert an Glanz. Auch Lajos's Sohn Pista fällt es schwer, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Die Geschichte führt durch beide Weltkriege und den Volksauftand in Ungarn, sie beginnt im Budapester Waldschloss als wohlhabende Adelsfamilie und endet mittellos auf der Flucht in die Schweiz.

Ein Generationenroman einer ungarischen Adelsfamilie, der mich ab der ersten Seite gefesselt hatte. Nelio Biedermann ist ein sehr spannender und dichter Roman gelungen (auf der eigenen Familiengeschichte beruhend), in einer grossartigen Sprache geschrieben. Was mir besonders gefiel: Es geht auch sehr viel um die Frage nach Männlichkeit, um Feminismus, um psychische Krankheiten. Die Geschichte mag vielleicht nach der Hälfte etwas abflachen. Und das Ende fand ich jetzt ein wenig zu kitschig und platt. Aber nichtsdestotrotz ein tolles Buch, welches ich ratzfatz durchgelesen hatte.

Lázár
336 Seiten

Mit sprachlicher Wucht legt der Autor eine ungarische Familiengeschichte zwischen 1850 und 1960 vor. Er erzählt vom grossen Gefälle zwischen dem Adel, der Familie im Zentrum der Geschichte, und den einfachen Leuten sowie von den Grausamkeiten der Kriege und der Wirren sich verändernder Machtstrukturen.

Lázár
336 Seiten

Lajos von Lázár wird als blasses Kind mit blonden Haaren und wasserblauen Augen geboren. Sein Vater Sándor ahnt nur unbewusst, dass dieses Kind nicht sein Sohn ist, während seine Mutter Mária in Depressionen versinkt. Lajos‘ Schwester Ilona erlebt ein Trauma im Wald, Onkel Imre gilt als geisteskrank und später hat auch Lajos‘ Sohn Pista Probleme damit, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Die Familie, die einst als adlig galt, verliert im Lauf der Jahrzehnte an Glanz – denn während den Geschehnissen des zwanzigsten Jahrhunderts suchen sie vor allem eins: Freiheit …

Ich hatte mich durchaus auf diesen literarischen Roman gefreut und am Anfang war er auch äußerst vielversprechend, doch zu meinem Bedauern blieb es nicht dabei.

Das erste Drittel war wirklich gut: Ich mochte den wunderschönen Schreibstil, der eine faszinierende Atmosphäre schuf und den Glanz der Lázárs fantastisch einfing; die teils sehr langen Sätze verwirrten mich zunächst, doch gewöhnte ich mich bald an sie und nahm sie als Teil des Stils an. Hier hat Nelio Biedermann die Gefühle der Familienmitglieder mühelos eingefangen, ich fieberte überraschend stark mit ihnen mit und wollte wissen, wie es mit der Familie weitergeht.

Doch ab dem Tod des Vaters, der auch das Ende des Familienglanzes einleitet, fiel die Geschichte für mich stark ab. Obwohl natürlich gerade in der Nazizeit einige Dinge passieren, fühlte es sich größtenteils so an, als würde die Geschichte vor sich hinplätschern; sie las sich sehr langwierig und nur Pistas kurze Romanze mit Matilda konnte mich einnehmen. Zudem wurde ab diesem Zeitpunkt noch deutlicher, wie viele Sexszenen es gibt.

Sie tauchen bereits im ersten Drittel auf und obwohl sie meistens recht kurz sind, hat mich ihre pure Anzahl überrascht. Im ersten Drittel störten sie mich noch nicht, weil es genug andere Szenen gab, die mich packten, doch danach fand ich sie nur noch unnötig. Ich glaube, ich habe noch nie einen Roman mit so vielen Sexszenen gelesen (die auch Vergewaltigung mit einschließen), was mir persönlich nicht gefallen hat. So kurz sie größtenteils auch waren – sie haben mich viel zu oft von der eigentlichen Handlung abgelenkt.

Natürlich muss ich erwähnen, dass ich nicht unbedingt die Zielgruppe des Romans bin und er dafür umso mehr etwas für andere Leser:innen sein könnte, aber mich selbst hat er nur im ersten Drittel begeistert – und danach leider enttäuscht.