Die meisten in diesem Buch beschriebenen Situationen sind keine offensichtlich rassistisch motivierten physischen Angriffe, sondern Mikroaggressionen. Die Wirkung von Mikroaggressionen lässt sich beschreiben wie die Last von Schneeflocken auf einem Baumast. Eine einzelne Schneeflocke ist verkraftbar, aber in der Masse führen sie dazu, dass der Ast irgendwann abbricht, weil die Last zu schwer wird. Genauso mögen auch Mikroaggressionen einzeln betrachtet nicht schlimm erscheinen, doch das Problem ist, dass sie ständig da sind, nie aufhören und immer mehr werden. (S.38)
Du möchtest keine Unterschiede sehen, weil du gelernt hast, diese als Grund unserer Trennung zu betrachten. Aber es sind nicht die Unterschiede, die uns trennen, sondern die Wertung, die wir diesen Unterschieden aufzwingen. (S.69)
Die meisten haben keine Ahnung davon, was der Begriff [woke] eigentlich bedeutet und weshalb sie ihn verwenden. Der englische Begriff "woke" bedeutet "aufgewacht" oder "wachsam". Seinen Ursprung hat er im frühen 20. Jahrhundert, als er von Schwarzen Menschen in afroamerikanischen Communities in den USA verwendet wurde, damit sie sich gegenseitig warnen konnten: Auch wenn das System an manchen Orten den Eindruck von Sicherheit vermittelt, bleibe wachsam und aufmerksam, denn es ist gefährlich. In der Öffentlichkeit ist der Begriff ab 2014 bekannt geworden, nachdem Michael Brown, ein 18-jähriger Afroamerikaner, von Polizisten ermodet wurde. "Stay woke" wurde zu einem wichtigen Bestandteil der Black Lives Matter-Bewegung und fand so auch den Weg nach Europa. Das Konzept weitete sich dann von anti-Schwarzem Rassismus auf weitere Diskriminierungsformen und unterdrückerische Systeme aus und wird inzwischen etwa auch im Kampf für Klimagerechtigkeit verwendet. Sehr schnell wurde der Begriff aber auch von Gegner*innen der Befreiungsbewegungen aufgenommen. Rechte Konservative in den USA, stark vertreten durch Donald Trump, begannen vom "Woke-Wahnsinn" als etwas Negatives zu sprechen, als moralisierend und übertrieben. So wurde der Begriff zu einer rhetorischen Waffe, die sich gegen Menschen richtet, die sich gegen Ungerechtigkeiten einsetzen. Das Ziel dieser Waffe ist es, diese Menschen und ihre Aktivitäten zu disqualifizieren. (S.137)
Anja Nunyola Glover setzt sich in diesem Buch mit ihrer persönlichen Geschichte und den Strukturen von Rassismus auseinander. Es ist stark autobiografisch geprägt und zeigt auf, wie tief Rassismus (auch in der Schweiz!) verankert ist. Sie ist sehr direkt und das von ihr konsequent angewendete "Du" (wenn sie über Begegnungen mit Bekannten, Lehrpersonen, Therapeutinnen, Workshop-Teilnehmenden schreibt) bewirkt, dass ihre Worte noch radikaler eindringen und zum Nachdenken anregen. Sie fordert ihre Leserinnen explizit dazu auf, ihre eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Sie beschreibt im Buch nicht, was Rassismus ist, sondern was Rassismus macht. Es ist also eher für Menschen geeignet, die sich bereits mit Rassismus auseindergesetzt haben.
Was das Buch aufzeigt: Mensch kann es gut meinen und trotzdem Rassismus reproduzieren. Die Annahme viele in der Schweiz lebenden Menschen, dass Rassismus ein rechtsextremes Phänomen sei, mit dem niemand etwas zu tun hat – ausser Nazis, ist kompletter Blödsinn.
Ein starkes Buch, welches betroffen macht und nachhallt. Ich fühlte mich darin immer wieder ertappt.
Martin Oesch war früher Metzger, heute ist er Illustrator. Im Comic behandelt er den Konsum und die Ambivalenzen in unserer globalisierten Welt. Auch thematisiert er das Auseinanderleben in langjährigen Beziehungen.
Eine kurzweilige Geschichte über den Metzger Erwin, der aufgrund seiner baldigen Pensionierung auf der Suche nach einer Nachfolge ist und immer mehr seine Tätigkeit hinterfragt. Mir haben auch die Illustrationen sehr gut gefallen.
Millie ist etwas über 30 und hat endlich die Möglichkeit, ihren bisher versäumten Schulabschluss nachzuholen. Neben dem Studium jobbt sie als Housemaid. Aufgrund ihrer Vergangenheit ist es jedoch nicht leicht, eine neue Stelle zu kriegen, als sie ihre alte verliert. Ihr neuer Arbeitgeber Douglas wirkt nett und stellt keine Fragen. Zudem verdient sie bei ihm sehr gutes Geld. Doch etwas macht Millie misstrauisch, seine Frau Wendy verbringt nämlich jeden Tag im Gästezimmer und Douglas hat ihr verboten, sie zu stören - denn sie sei sehr krank und müsse sich ausruhen. Bald hört sie aus dem Zimmer mal ein Weinen, ein ander Mal bemerkt sie Blutflecken auf Wendys Kleidung. Für Millie ist klar: sie muss ihr helfen. Damit riskiert sie aber, dass ihr eigenes Geheimnis ans Licht kommt. Ihrem Freund Brock hat sie nämlich noch immer alles verheimlicht...
Ach, ich weiss nicht... Da mir der Hype um Freida McFaddens Bücher nicht entgangen ist, wollte ich auch mal eines davon lesen. Doch überzeugt hat mich das Buch nicht. Die Sprache ist süffig und die Geschichte besticht durch mehrere Plot-Twists. Doch sie ist kaum originell und liest sich sehr seelenlos, wie ich finde. Zudem zu viel Drama, was Millies Beziehung angeht, ihre Heimlichtuerei ging mir schon bald auf die Nerven.
Ich beschloss, so lange unglücklich zu bleiben, wie es nur ging, denn das Glück brachte nichts als Trägheit und Stillstand, oder vielleicht sogar - Gott bewahre - ein Haus. Das konnte ich mir nicht leisten. (S.10)
Moskau, 2006. Die Studentin Karina ist jung, mittellos und träumt davon, nach Europa auszuwandern. Gemeinsam mit Tonya, ihrer besten Freundin, die dieselben Träume teilt wie sie, schummelt sie sich durchs arme Leben in Moskau. Sie teilen sich betrunkene Männer, ihr letztes Kleingeld, legendäre Partynächte und Familienkonflikte. Als die Möglichkeit eines Stipendiums in Berlin aufploppt, gibt sie alles - und Tonya gibt ihr schmerzhaft zu verstehen, dass sie ihren Traum wohl grösser stellt als die Freundschaft zu ihr.
In der Protagonistin Karina steckt sehr viel vom Leben der Autorin drin, auch sie studierte in Moskau politischen Journalismus und wechselte dann zu einer Uni in Berlin, wo sie seither wohnt. Da ich selbst zwischen 2001 und 2007 oft in Russland war, war mir vieles nicht unbekannt, was sie über die russische Kultur und Eigenheiten preisgab. Genau das fand ich sehr spannend und sorgte bei mir für viele Erinnerungen. Ohne diesen Bezug hätte ich das Buch aber wohl kaum beendet. Mir gefiel ihre Sprache nicht, zu plump. Zwar witzig, aber nicht in meinem Geschmack.
There was of course no way of knowing whether you were being watched at any given moment. How often, or on what system, the Thought Police plugged in on any individual wire was guesswork. It was even conceivable that they watched everybody all the time. But at any rate they could plug in your wire whenever they wanted to. You had to live - did live, from habit that became instinct - in the assumption that every sound you made was overheard, and, except in darkness, every movement scrutinized. (S.4)
He was not certain that he would use the razor blade even if he got the chance. It was more natural to exist from moment to moment, accepting another ten minutes' life even with the certainty that there was torture at the end of it. (S.165)
Es ist das Jahr 1984. In der Welt bestimmt ein totalitärer Überwachungsstaat das Leben aller Menschen. Es ist eine Welt, in der "Big Brother" ständig zusieht und die Thought Police auch die privatesten Gedanken überwacht. "War is Peace", "Freedom is Slavery", "Ignorance is Strenght" sind die Slogans der Partei. Die Partei entwickelte eine neue Sprache ("Newspeak"), um durch die reduzierten Anzahl Wörter auch die rebellischen Gedanken zu eliminieren. Winston Smith arbeitet im Ministry of Truth. Seine Aufgabe besteht darin, historische Aufzeichnungen im Sinne der Partei umzuformulieren und die wahre Vergangenheit somit auszulöschen. Trauen kann er keiner Person, Winston lebt in ständiger Angst und Unruhe. Er hinterfragt die Realität, die die Partei vorgibt und verachtet das Regime. Als er sich in Julia verliebt, träumen sie vom Ende der Unterdrückung. Auch sie verachtet das Regime. Ihre Beziehung ist ein Akt der Rebellion. Sie werden verraten und kommen in Haft, wo sie gefoltert und manipuliert werden. Im berüchtigten Raum 101 werden sie mit ihren schlimmsten Ängsten konfrontiert - was dazu führt, dass er letztlich phsysisch und psychisch gebrochen wird.
Endlich habe ich mich dem Klassiker angenommen. Erschreckend, wie die Relevanz dieses Buches bis heute anhält. Besonders das Kapitel über die Newspeak fand ich sehr spannend. Mir gefiel es, dass sich Orwell die Zeit dafür nahm, seiner erfundenen Sprache im Buch so viel Raum zu geben. Das Kapitel, welches Einblick in "The book" gibt, fand ich hingegen etwas langatmig. An gewissen Stellen fragte ich mich, wie realistisch Winstons Handeln war (als Julia ihm den Zettel zusteckt, verfliegt bei ihm jegliches Misstrauen gegen sie, das er vorgängig noch hatte - zum Beispiel). Aber das sind Details. Beeindruckend fand ich, wie brutal sich das Ende liest, ohne dass das Foltern gross detailliert beschrieben wird. Ein Buch, das noch lange nachhallen wird.
Juno ist Künstlerin, mit Theater und Tanz verdient sie ihr Geld. Ihr Mann ist schwer pflegebedürftig. Tagsüber kümmert sie sich um ihn und geht zu ihren Proben. Nachts lenkt sie sich von ihrer Schlaflosigkeit ab und chattet im Internet mit Love-Scammern. Bei jeder neuen Chat-Anfrage erfindet sie neue Lügen, die sie den Männern erzählt und entlarvt ihre Maschen, bis sie sich schnell wieder verziehen. Benu aus Nigeria bleibt länger. Mit ihm beginnt sie nach und nach eine Freundschaft via Chat und Videocalls.
Mich machte der Plot neugierig. Er klang "neu". Beeindruckend, wie Juno trotz aller Sorgen (Geld, Pflege ihres Mannes, Älterwerden, Schlafproblemen) die Lebenskraft, die Liebe und Fürsorge zu ihrem Mann nicht verliert. Die Sprache teilweise schön poetisch, ergreifend. Mehr empfand ich dann aber doch nicht, nachhaltig berührt hat es mich nicht.
Das Hörbuch ist angenehm gelesen.
74 Antworten auf Fragen rund um Kochen, Ernährung und Gesundheit. Zum Beispiel: Verdampft Alkohol wirklich beim Kochen? Warum werden Bananen so schnell braun? Helfen heisse Getränke. bei grosser Hitze? Ist Essen im Gehen wirklich ungesund? Wodurch unterscheiden sich Guide Michelin und Gault-Millau? Ist Rohkost gesünder als gegartes Gemüse? Warum essen wir im Advent Lebkuchen?
Naja, nicht alle Fragen haben mich gleichermassen interessiert. Ich habe mir vom Buch auch mehr AHA-Momente gewünscht. Aber ein (mir) grosses Geheimnis ("Wieso gibt es Arschlocheier, die sich nicht richtig schälen lassen?") wurde mithilfe des Buchs gelüftet. :) Die Frage war: Wofür dient das Abschrecken von Eiern. Die Antwort kurz und knackig = mit dem Abschrecken wird der Garprozess gestoppt. Aber weiter steht da:
Eine weit verbreitete Annahme ist, dass sich abgeschreckte Eier leichter pellen lassen. Ob man ein gekochtes Ei gut oder schlecht schälen kann, hat aber nichts mit kaltem Wasser zu tun. Die Schälbarkeit hängt vielmehr mit dem Alter des Eis zusammen. Bei gerade frisch gelegten Eiern halten Proteine an der Innenhaut Eierschale und Eiweiss zusammen. Bei älteren Eiern steigt der pH-Wert im Eiweiss an, was das Ankleben verhindert. Je älter das Ei ist, desto leichter lässt es sich also schälen. Um gekochte Eier gut schälen zu können, sollte man sie also zwei bis drei Wochen lagern. (S.50)
Lorna ist ein besonderes Mädchen, hübsch und hilfsbereit, beliebt, die Beste im Fussball. Der Erzähler der Geschichte verliebt sich in sie. Sie kommen zusammen, ziehen in eine gemeinsame WG, gehen auf Reisen und machen (Studien-)Pläne für die Zukunft. Alles scheint perfekt. Doch dann verändert sich Lorna, sie ist unruhig, wird zunehmend aggressiv. Und legt auf einmal Feuer vor der Türe ihrer gemeinsamen Mitbewohnerin Katharina. Sie kommt in die Psychiatrie, ist bald wieder zurück, muss wieder eingewiesen werden. Und so geht das weiter. Die Erkrankung beeinflusst nicht nur ihr Leben, auch seines. Er trauert der "alten" Lorna nach, seiner Liebe, die sie nicht mehr ist. Und die Lage spitzt sich zu.
Ich habe es noch so schnell-schnell vor meinen Ferien weggelesen und dadurch wahrscheinlich zu wenig Aufmerksamkeit darauf gelegt, ins Inhaltliche, ins Zwischen-den-Zeilen. Hätte es wahrscheinlich gebraucht, mich hat die Geschichte nämlich nur semi überzeugt, auch wenn ich die Thematik äusserst spannend gefunden hätte. Aber sie ging mir nach meinem Geschmack zuwenig in die Tiefe. Gewisse Dialoge missfielen mir zudem.
Sie hatten darüber gesprochen, dass man noch immer nicht wusste, was die Hitzewallungen verursacht, ist das nicht seltsam, stell dir vor, der Mensch war auf dem Mond, und man kann sein Kind auf der anderen Seit der Erdkugel sprechen und dabei sehen, man kann jedoch nicht erklären, woher dieser Hitzeschwall kommt, warum sich die oberflächlichen Blutgefässe weiten, warum das Herz zu pochen beginnt, aber so ist es eben, und ist das natürlich, soll man das einfach ertragen, überlegt Jenny Hill in ihrem Bett. (S. 31-32)
Dornröschen: Ach Jenny, du kleine, widerstandsfähige Frau! Jede Nacht ist eine Zaubernacht, solange der Mensch auf Erden sein darf, aber das bedenkt und begreift niemand. Jeder Tag ist ein Wunder, jeder Atemzug, der Mensch an sich, das Leben! Jeder funkelt wie ein Stern am Himmel der Existenz und ist wichtig, einzigartig, ganz besonders, und verdient deshalb alle Liebe, Anerkennung und Wärme der Welt. [...] Du bist vollkommen, so wie du bist, einzigartig wie eine Schneeflocke, und wie du aus der Höhe zur Erde gleitest, ist ganz allein deine Sache. (S.92-93)
Rotkäppchen: Ich hasse es, dass man aus mir ein warnendes Beispiel gemacht hat. ich hasse es, dass Angstmache ein konventioneller Weg ist, um den äussersten Enden des Binärsystems toxische Cis-Privilegien zu vermitteln. Du musst gehorchen, sonst dringt ein fremder Mann in einem unbekannte Wald in deinen unschuldigen Schlüpfer ein. Sei nicht dumm, sonst wirst du vergewaltigt. (S.185)
Jenni Mäki ist Ende 40. Ihre beiden Kinder sind ausgeflogen. Sie trennt sich von ihrem Mann, bricht aus ihrem unglücklichen Leben aus und fängt mit einem neuen Namen, Jenny Hill, von vorne an. Ihre Therapeutin rät ihr, ihre Gedanken zu verschriftlichen, weil es ihr schwer fällt, über ihr Inneres zu sprechen. Sie beginnt, Briefe an Brigitte Macron zu schreiben (die sie natürlich nicht verschickt).
Begleitet wird Jenny von weiblichen Märchenfiguren, die ich als ihre inneren Stimmen verstand. Sie brechen mit den traditionellen Verhaltensmustern, die den Frauen über Jahrhunderte auferlegt wurden und kommunizieren mit Jenny, sprechen ihr gut zu, oder rügen sie auch.
Ich brauchte etwas Zeit, um in den Roman reinzukommen. Die Kapitel von den Märchenfiguren verwirrten mich zu Beginn stark und ich empfand die Kapitelwechsel als störend, aber schon bald begrüsste ich diese Perspektivenwechsel und ab da gefiel mir die Geschichte sehr. Besonders die Briefe an Brigitte Macron fand ich schön, die Entwicklung, die sich darin bei Jenny abzeichnete, wie sie zu Beginn kaum weiss, was sie schreiben soll und wie es ihr von Brief zu Brief immer leichter fällt, ihre Gedanken festzuhalten. Wie sie der Empfehlung der Theraupeut erst gar nicht traut und eher widerwillig damit beginnt, das Schreiben ihre Therapie aber schliesslich deutlich unterstützt. Ihren Weg zur Emanzipation ist von Kapitel zu Kapitel spürbar. Schön auch, wie das Hadern mit den Wechseljahren thematisiert wurde, gar nicht aber verteufelt wird. Ich mag Minna Rytisalos Sprache. Und ich mochte es sehr, wie auch dieser Roman (wie auch "Lempi") wieder aus drei Ebenen besteht (die Erzählweise von Jenny Hill, die Briefe an Macron, die inneren Stimmen der Märchenfiguren). Auch wenn es für mich zuerst eine Angewöhnung brauchte.
Es geht um einen Mann, der gerade als Schöffe (der gemeinsam mit den Richtern ein Urteil fällt, ohne selbst Jurist zu sein) aus einem Mordprozess entlassen wurde, und nun in einer Bar sein Leben Revue passieren lässt. Er denkt nach über Verbrechen und Strafen, über die Würde des Menschen, die Einsamkeit, den Verlust und das Scheitern. Besonders die Liebe zu einer Frau steht im Fokus.
Ferdinand von Schirach benutzt eine einfache, klare Sprache. Das Hörbuch wird von ihm selbst gesprochen. Eine sehr kurze Erzählung und ich wurde nicht ganz schlau aus ihr.
Emma ist Ende 20 und lebt an der bretonischen Küste. Neun Jahre zuvor verlor sie durch einen tragischen Autounfall ihre Mutter. Sie selbst war damals am Steuer. Sie führt ein ruhiges Leben voller Schuldgefühle, stürzt sich in ihre Arbeit als Masseurin in einem angesagten Gesundheitszentrum. Nachdem der Sohn eines mächtigen Ministers aus dem Oman, Tariq, das Zentrum besucht und sich von ihr massieren lässt, offeriert er ihr eine viermonatige Stelle im Oman. Sie soll helfen, dort ein ähnliches Gesundheitszentrum aufzubauen und Einheimische Masseur:innen zu schulen. Emma und Tariq fühlen sich sofort zueinander hingezogen, beginnen eine Affäre. Doch plötzlich wird Emma von der Französischen Botschaft dazu gezwungen, für sie und gegen Tariq zu arbeiten. Der auferlegte Auftrag ist heikel und bringt Emma in tödliche Gefahr.
Als früheres Fangirl von Jean Reno konnte ich mir sein erstes Buch nicht entgehen lassen! Aber, ganz ehrlich, er gefällt mir (aktuell noch) besser als Schauspieler denn als Autor. Ich fand die Geschichte zwar schon unterhaltend, aber für einen Thriller war mir die Handlung dann doch etwas zu dünn. Dafür kamen erotische Szenen nicht zu kurz, was ja voll okay ist, aber ein spannungsgeladener Plot ist bei einem Thriller halt doch essentieller. Am spannendsten an der Geschichte fand ich, dass sie hauptsächlich im Oman spielte.
Wir haben schon von diesen Schwänzchen gehört, die Jungs von Mädchen unterscheiden. "He he he, das könnt ihr nicht!" Das Kunstück [in den Schnee pinkeln] beeindruckte uns, aber ich dachte auch "...stört das nicht, dauernd so ein Ding zwischen den Beinen baumeln zu haben?" Es sah so verletzlich aus... und unbequem. "Ha ha ha, nein!" "Mich würd's stören." Ich empfand Penismitleid. (S. 5)
Modell Schimpanse: Aggressive, konkurrenzorientierte Männer bilden wechselnde Allianzen. Frauen bewegen sich durch von Männer kontrollierte Territorien, ohne starke Bindungen zu anderen Frauen oder Männern einzugehen. Modell Bonobo: Egalitäre, weitgehend friedliche Gemeinschaften mit leichter weiblicher Dominanz. Der Status eines Mannes leitet sich vom Status seiner Mutter ab. Sex sorgt für Entspannung. [...] Sexualität und Zeugung sind [bei Menschen] weitgehend entkoppelt. Unser Sexualverhalten hat auch eine soziale Funktion übernommen. Diese Gemeinsamkeit teilen wir mit den Bonobos. Die paaren sich übrigens auch gerne mit zugewandten Gesichtern nach Menschenart. Der Zoologe Frans de Waal bemerkte: "Man stelle sich vor, wir hätten nie von Schimpansen gehört und als Erstes die Bonobos kennengelernt. Höchstwahrscheinlich würden wir dann heute davon ausgehen, dass Frauen der Mittelpunkt der frühen Hominiden-Gesellschaften waren, dass Sex damals eine wichtige Funktion hatte und es kaum Kriege gab." [...] Frans de Waal: "Schimpansen sind von Natur aus fremdenfeindlich. Sie töten ihre Nachbarn. Bonobos sind das genaue Gegenteil. Wenn sie Fremden begegnen, spielen sie zusammen, pflegen sich gegenseitig das Fell und haben Sex." "Bei den männerdominierten Schimpansen geht es ständig um Status. Wer steigt auf, wer steigt ab, wer ist der Boss. In mancher Hinsicht ähneln wir Schimpansen, in mancher Bonobos, aber Menschen sind im Vergleich zu Affen viel flexibler in ihrem Verhalten." Bonobos befrieden Konflikte oft, bevor sie entstehen. In brenzligen Situationen stimmen sie einander gutmütig, indem sie sich gegenseitig freundschaftlich die Genitalien reiben. Danach fällt es leichter, sich wohlwollend zu verhalten. Sex ist ein sozialer Tranquilizer im Leben der Bonobos. Sie kopulieren übrigens nicht ständig konvulsiv, sondern treiben es oft ganz entspannt, nur so nebenbei - wie wir Menschen eben manchmal auch. Bei vielen Menschen hat Sex den üblen Ruf eines Uhruhestifters, des ersten Auslösers von Konflikten (siehe: Trojanischer Krieg). Der Sexualtrieb wird als gefährlich und sozial destabilisierend gefürchtet und deshalb streng eingehegt. Menschen nutzen die friedensstiftenden Qualitäten von Sex nur im Privaten. Eigentlich schade. Wäre es nicht beruhigend zu wissen, dass sich die Präsidentinnen zweier Länder vor schwierigen Verhandlungen erst gegenseitig die Muschi reiben, um dann einmütig nach der fairsten Lösung für alle zu suchen? (S.40-42)
"Die Frau als Mensch" schreibt über die Geschichte der Menschheit, von den Neandertalern bis zu den Jetztmenschen, aus weiblicher Perspektive. Ein beeindruckend stark fundiert recherchierter Graphic Novel, aufwendig gestaltet, mit sehr ansprechenden Illustrationen. Wahnsinnig aufschlussreich, überraschend, manchmal etwas langatmig (ging mir dann persönlich ein paar Mal doch zu sehr in die Tiefe). Nichtsdestotrotz sehr lesenswert!
Inzwischen habe ich begriffen, es grenzt an ein Wunder, wenn man geliebte Menschen um sich hat und sie nicht zu früh verliert. Ein noch grösseres Wunder ist es, wenn es einem mehrmals im Leben gelingt, jemanden zu finden, der es gut mit einem meint. (S.50)
Mein Ärger würde uns beide nicht weiterbringen, aber ich hatte keine Lust mehr, mich zurückzuhalten. Ich wollte mich nicht länger so ratlos fühlen. Mir war klar, das dies ein denkbar ungünstiger Moment war, hier, in der Wohnung, in der wir jetzt einpacken sollten, statt zu streiten. Aber so ist es, beides ist gleichzeitig möglich, die Erkenntnis über das eigene destruktive Verhalten und die Tatsache, dass man es trotzdem weitertreibt. (S.98)
"Zum ersten Mal, zum allerersten Mal ist es so, dass ich nicht weiterkomme. Dass ich nicht zurechtkomme. Und du erträgst das nicht. Schon nach einer Woche hast du es kaum ausgehalten, das habe ich gespürt", sagte sie. "Mir ist klar, dass es so nicht bleiben kann, und natürlich frage ich mich, was mit mir los ist. Aber kannst du nicht ein wenig Vertrauen haben, dass ich das herausfinde? Dass ich mir in meinem eigenen Tempo selbst zu helfen weiss?" Sie klang so besonnen, so viel reflektierter als ich. "Lass mir diese Ruhe doch. Was sind schon einige Wochen, in denen alles etwas langsamer läuft? Zwei, drei Monate in einem ganzen Leben?" (S.100)
Annett ist Ende 40 und lebt seit vielen Jahren auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer an der Nordsee. Ihr Mann ist sehr früh und plötzlich gestorben, als ihre gemeinsame Tochter Linn gerade mal 5 Jahre alt war. Linn studierte Umwelttechnik, war als Umweltvolontärin in verschiedenen Wäldern Europas unterwegs und arbeitet für ein Aufforstungsprojekt. Sie hat beruflich vieles erreicht, Annett ist stolz auf sie. An einer Tagung, wo Linn einen Vortrag hält, bricht sie aus Erschöpfung zusammen. Annett nimmt sie zu sich auf die Halbinsel. Aus einer Woche werden mehrere Monate, Linn kündigt ihre Stelle und Wohnung und nimmt sich sehr viel Zeit, herauszufinden, was sie möchte. Annett ist zwar voller Sorge und ringt doch mit Linns Entscheid, sie will nur das Beste für sie, aber was ist das schon? Es entstehen Konflikte, Ungeduld zeigt sich, Unverständnis.
Mir hat das Buch und besonders dessen melancholische Melodie, die sich durch die gesamte Geschichte zieht, sehr gefallen. Es wird in der Ich-Perspektive von Annett in einer sehr ruhigen Stimme erzählt. Annett gibt im Laufe der Geschichte immer mehr Preis von ihrer Vergangenheit, vom Tod ihres Mannes, dem Weiterleben als Witwe und Alleinerziehende. Nicht jede Entscheidung, die Annett trifft, konnte ich nachvollziehen (beispielsweise der Besuch des Gemälderestaurators), aber das ist nur ein Detail.
LKA-Ermittlerin Obalski hat ganz besondere Fähigkeiten, sie kann Menschen und ihre Verhaltensweisen lesen. Sie hat Gender Studies und Forensik studiert und wird Teil einer Sonderermittlung, für die sie in eine Jugendamt eingeschleust wird, wo sie heimlich Informationen über eine Protestbewegung aus jungen Mädchen/Frauen, die zu gefährlichen Aktionen auf Social Media aufrufen, sammeln soll. Bald gibt es auch eine erste Leiche und Obalski erkennt die Dringlichkeit, denn einige Mädchen scheinen in Gefahr zu sein.
Das Buch wird als feministischen Krimi angepriesen, was mich sehr neugierig machte. Ich fand aber leider keinen grossen Gefallen daran. Obalskis teilweise doch sehr unprofessionelles Handeln fand ich sehr unglaubwürdig (z.B. wie sie dem Barmann von ihren Fällen erzählt), der ganze Plot schien mir zu unrealistisch. Die Geschichte war zu bemüht woke, unnatürlich und oft auch sehr moralisierend. Was mir aber sehr gefiel: Die Idee, dass sich die jungen Mädchen zusammentun und wehren.
In den Kurzgeschichten, die auch sicherlich unabhängig voneinander zu lesen wären, aber trotzdem miteinander verbunden sind, geht es um Frauen, die genug haben und sich nichts mehr gefallen lassen. Von der Gesellschaft und ihrem Druck, die sie auf Frauen ausübt. Und vor allem von den Männern. Die Frauen sind wütend und haben genug. Sie rächen sich. Anna geht hochschwanger fremd, Simone fotografiert heimlich den schlaffen Penis ihres schlafenden Mannes, Gabi rührt ihren One-Night-Stands morgens Salz in den Kaffee. Moni rächt sich stellvertretend an fremden Männern, den grauenvollen Fall von Giséle Pélicot vor Augen.
Die Geschichten sind böse, provokativ, kompromisslos und oft sehr sehr lustig. Nicht alle haben mir gleich gut gefallen, aber das ist egal. Es fühlt sich befreiend an, den Handlungen der Frauen zu folgen. Vieles mag pauschalisierend daherkommen und Männer kommen in diesem Buch nicht gut weg. Aber natürlich sind die Geschichten mit einem Augenzwinkern zu lesen, sie sollen provozieren und doch steckt auch so viel Wahres in ihnen. Vieles davon ist aber auch einfach nur erschütternd (ich sage nur: Giséle Pélicot, als ein Beispiel).