Bücherregal lädt …
Im Krieg – zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St.Petersburg
129 Seiten

Es gibt einen alten Witz aus der Zeit des Euromaidan-Aufstands von 2014: "Wenn es aussieht wie ein Pferd, klingt wie ein Pferd und sich verhält wie ein Pferd, ist es sehr wahrscheinlich ein Pferd. Und wenn es sagt, es sei kein Pferd, dann ist es mit Sicherheit ein russisches Pferd." (S. 114)

Nora Krug fragte nach dem 24. Februar 2022 eine in Kiew lebende Journalistin und einen in St.Petersburg lebenden Künstler an, ob sie sie zu ihren Erfahrungen interviewen und ein illustriertes Tagebuch gestalten dürfe. Ein Jahr begleitet Krug die beiden. Pro Woche ist je eine Seite entstanden, die sich einander gegenüberstehen. In den beiden Tagebüchern geht es um die Gedanken und Ängste der beiden, wie sie die Kriegs-Ereignisse erleben und damit umgehen, mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen haben.

Ein sehr schön gestalteter Graphic Novel mit erschütterndem, bedrückendem Inhalt. Das Buch erlaubt einen sehr privaten Einblick dieser beiden Menschen, die Geschichten nimmt einem richtiggehend ein.

Live aus der Ukraine
214 Seiten

"Einer der Polizisten zieht dem Toten das blau-weiss gestreite T-Shirt nach oben. Der massive Bauch ist blutverschmiert und wackelt hin und her. Der Polizist hält die Kamera mit der rechten Hand, die linke Hand vergräbt er in seiner Jackentasche. Er wird die Bilder später auf die Festplatte eines Computers laden und mit Datum und Ort beschriften: Butscha, 10. April 2022. Und wo speichern wir die Bilder in unseren Köpfen? Nach wie vielen Toten stumpfen der Polizist, mein Kameramann oder ich als Journalistin ab?" (S. 168)

"Die Gesichter aller sind müde, die Hände von Russ und Dreck verfärbt. Sergei erzählt: 'Die Russen sind einfach auf Jagd gegangen. Säuberungen haben die gemacht.' Säuberungen von was? Vom Leben? Der Hausmüll der Anwohner türmt sich. Die russischen Soldaten haben nur den Tod, aber keine Müllabfuhr gebracht." (S.169)

"Ein Kollege von der SRF-Bundeshausredaktion begleitet die Parlamentarier auf ihrer Reise in die Ukraine. 'Luzia, wie gehst du mit der Realität in der Ukraine, mit diesen Bildern um?' Ehrliche Antwort: 'Gar nicht. Dafür bleibt keine Zeit.' " (S.178)

Luzia Tschirky war während 5 Jahren Korrespondentin des Schweizer Fernsehens (SRF) für Russland, Belarus und der Ukraine. Am 24. Februar 2022, als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, war sie in Kiev. Ab da war sie täglich im SRF zu sehen mit ihren Berichterstattungen. Im Buch verarbeitet sie ungeschönt ihr Erlebtes aus der Zeit von März 2019 bis September 2022.

Beim Lesen fiel mir auf, dass ich immer wieder durch die Kapitel "hetze" und etwas unaufmerksam lese. Ich glaube, das liegt daran, dass mich das Thema zu fest bedrückt und ich so versuchte, das Ganze nicht zu nah an mich heranzulassen. Das Buch richtet unter anderem die Aufmerksamkeit auf die ukrainische Bevölkerung, wie es ihr im/mit dem Krieg bisher erging und immer noch ergeht und welche fürchterlichen Dinge sie tagtäglich erlebt.