"Einer der Polizisten zieht dem Toten das blau-weiss gestreite T-Shirt nach oben. Der massive Bauch ist blutverschmiert und wackelt hin und her. Der Polizist hält die Kamera mit der rechten Hand, die linke Hand vergräbt er in seiner Jackentasche. Er wird die Bilder später auf die Festplatte eines Computers laden und mit Datum und Ort beschriften: Butscha, 10. April 2022. Und wo speichern wir die Bilder in unseren Köpfen? Nach wie vielen Toten stumpfen der Polizist, mein Kameramann oder ich als Journalistin ab?" (S. 168)
"Die Gesichter aller sind müde, die Hände von Russ und Dreck verfärbt. Sergei erzählt: 'Die Russen sind einfach auf Jagd gegangen. Säuberungen haben die gemacht.' Säuberungen von was? Vom Leben? Der Hausmüll der Anwohner türmt sich. Die russischen Soldaten haben nur den Tod, aber keine Müllabfuhr gebracht." (S.169)
"Ein Kollege von der SRF-Bundeshausredaktion begleitet die Parlamentarier auf ihrer Reise in die Ukraine. 'Luzia, wie gehst du mit der Realität in der Ukraine, mit diesen Bildern um?' Ehrliche Antwort: 'Gar nicht. Dafür bleibt keine Zeit.' " (S.178)
Luzia Tschirky war während 5 Jahren Korrespondentin des Schweizer Fernsehens (SRF) für Russland, Belarus und der Ukraine. Am 24. Februar 2022, als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, war sie in Kiev. Ab da war sie täglich im SRF zu sehen mit ihren Berichterstattungen. Im Buch verarbeitet sie ungeschönt ihr Erlebtes aus der Zeit von März 2019 bis September 2022.
Beim Lesen fiel mir auf, dass ich immer wieder durch die Kapitel "hetze" und etwas unaufmerksam lese. Ich glaube, das liegt daran, dass mich das Thema zu fest bedrückt und ich so versuchte, das Ganze nicht zu nah an mich heranzulassen. Das Buch richtet unter anderem die Aufmerksamkeit auf die ukrainische Bevölkerung, wie es ihr im/mit dem Krieg bisher erging und immer noch ergeht und welche fürchterlichen Dinge sie tagtäglich erlebt.
"Die Menschen glauben, dass Pflanzen nichts wehtut. Aber Wachstum ist generell nur selten frei von Schmerz." (S.23)
"Wir sitzen eine ganze Weile still nebeneinander. Es ist eine gute Stille, wie zwischen zwei Menschen, die einander genug vertrauen, um sich nicht vor dem Schweigen zu fürchten." (S.126)
Philipp wünscht sich nichts sehnlicher als einen Freund. Als Faina aus der Ukraine nach Deutschland in seine Schule kommt, wird sie diesen Freund. "Er macht sie zu seiner Faina". Als Erwachsene verlieren sie sich aus den Augen, bis Faina, verschuldet und schwanger, sich wieder bei ihm meldet. Er nimmt sie auf, sie ziehen das Kind gemeinsam auf. Philipp wird immer obsessiver und gewaltttätig, sie ist ihm ausgeliefert.
Ein packendes, erschütterndes Buch über eine toxische Beziehung, die furchtbar endet. Die Autorin wechselt zwischen der Ichperspektive von Opfer und Täter. Ich konnte das Buch kaum weglegen.
"Iwan ist ein freier Mann. Er macht das, was ihm sein Gewissen sagt und was seine Seele will. Wir tun immer nur, was wir müssen." (S.67)
Die Geschichte beginnt mit der erwachsenen Darina. Sie lebt in der Bukowina, redet nicht (nur am Grab seines Vaters) und leidet immer wieder unter schrecklichen Kopfschmerzen. Besonders, wenn ihr Süssigkeiten angeboten werden. Um die Schmerzen zu lindern, sitzt sie in ein Erdloch oder steigt ins eiskalte Wasser. Die Leute im Dorf nennen sie "Darina, die Süsse", meinen aber damit eigentlich "die Dumme". Als sie sich mit dem Iwan "Zwytschok" anfreundet, finden die Dorfbewohner:innen erneut Grund, über sie zu lästern. Iwan ist ein nicht sesshafter Taglöhner, der bislang bei keiner Frau lange blieb. Er weiss, dass Darina alles andere als dumm, sondern hochtraumatisiert ist und Iwan kümmert sich liebevoll um sie. Im zweiten Teil des Buches wird die Zeit zurückgedreht, in die Jahre des 2.Weltkrieges, es wird von Mychajlo und Matronka erzählt. Lange war mir nicht klar, wie ihre Geschichte mit Darinas zusammenhängt. Zu lange hing ich während dem Lesen noch immer bei Darina und ärgerte mich ein bisschen, wieso die Geschichte eine, für mich fälschlicherweise angenommen, neuen Weg einschlug. Bukowinas Geschichte zu Kriegszeiten ist mit den historischen (politischen) Ereignissen sehr bewegt, ich verlor teilweise etwas die Übersicht. Gegen Ende des Buches wurde mir dann endlich klar, wie die beiden Teile miteinander verbunden sind, die Geschichte führt schliesslich zurück zu Darina und ich war wieder versöhnt.
Es ist ein trauriges, bedrückendes Buch über ein Dorf und ihre Bewohner:innen in einer entlegenen und (mir) unbekannten Region der Ukraine. Das Buch nimmt einem mit auf eine Zeit- wie auch geographische Reise. Darinas Geschichte hat mich von Beginn in ihren Bann gezogen, so dass ich lange grosse Mühe hatte, im zweiten Teil des Buches plötzlich mit einer vermeintlich neuen Geschichte konfrontiert zu werden.
Nora Krug fragte nach dem 24. Februar 2022 eine in Kiew lebende Journalistin und einen in St.Petersburg lebenden Künstler an, ob sie sie zu ihren Erfahrungen interviewen und ein illustriertes Tagebuch gestalten dürfe. Ein Jahr begleitet Krug die beiden. Pro Woche ist je eine Seite entstanden, die sich einander gegenüberstehen. In den beiden Tagebüchern geht es um die Gedanken und Ängste der beiden, wie sie die Kriegs-Ereignisse erleben und damit umgehen, mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen haben.
Ein sehr schön gestalteter Graphic Novel mit erschütterndem, bedrückendem Inhalt. Das Buch erlaubt einen sehr privaten Einblick dieser beiden Menschen, die Geschichten nimmt einem richtiggehend ein.