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Bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
252 Seiten

sie hat gewalt und schläge gehasst, und ich meine wirklich gehasst, und trotzdem hat sie stundenlang mit mir trainiert, hat gelacht, gegrinst, ihr warmes lachen ist zwischen den wänden hin und her, ich war sechs, dann sieben, dann acht, und sie meinte, wart nur ab, mein junge, du wirst sie auf die bretter schicken, und deshalb hat es ein bisschen zu krass wehgetan, als sie krank wurde, denn sie war immer die starke (S.43)

[...] ich hatte bestimmt zwanzig [arme ritter], vielleicht mehr und ich spür die immer noch in meinem bauch, wenn es windig ist oder wenn ich zum bus laufe, sie hat gefragt, willst du noch einen, und ich hab ja gesagt, und dann hat sie nochmal gefragt, unendliche male, denn aus irgendeinem grund wurden die armen ritter nicht weniger und ich bekam nicht genug, und das war ein ziemlich guter moment, der hat sich in meinem hirn festgesetzt und in meinem herz und ich weiss bis heute nicht, was sie in die matsche reingemacht hat, ob das zucker war oder kardamom oder ecstasy oder liebe (S.50)

aber ich komm schon klar bruder, das weisst du, es ist nur so, mama ist eigentlich die stärkste, die ich kenne, ich schwöre, aber vielleicht hat sie ein bisschen mehr baggage abgekriegt als sie tragen kann (S.59)

[...] wenn ich kinder krieg, ich schwöre, dann wird alles anders, die werden niemals in so einer scheisse aufwachsen wie wir, ich werd ne richtige wifey haben, versteht ihr, eine richtig gute seele, und dann sag ich, ich werd aufpassen, dass vorher alles geregelt ist, dass meine kids ein haus erben, versteht ihr, keine narben (S.151)

was ist schlimmer, langsam sterben, wie eine blume, die verwelkt, oder plötzlich ohne vorwarnung, wie ne bombe, die die welt in chaos sprengt, scherben und staub und klingeln in den ohren (S.214)

Oliver Lovrenski schreibt in seinem autobiografischen Roman über vier Jungs mit Migrationshintergrund, die in Oslo aufwachsen und auf die schiefe Bahn geraten. Drogen, Gewalt, Kriminalität.

In einer rastlosen, getriebenen (Slang-)Sprache zeigt der Autor eine ebensolche Jugend, von vermeintlich sehr harten Jungs, die sich aber überraschend oft auch sehr verletzlich und zart zeigen, gerade wenn es um ihre Familie, besonders ihre Grossmütter, geht. Es ist eine brutale Welt, die gezeigt wird, sie erschüttert.

Das Buch ist in kleinen bis sehr kleinen Kapiteln verfasst, ausschliesslich in Kleinbuchstaben, die Sätze werden nicht mit Satzzeichen beendet, manchmal aber mit Emojis. Aussergewöhnlich, neu, manchmal befremdlich und dennoch durchgehend sehr poetisch. Der Glossar am Ende des Buches hilft nur begrenzt, alle Slang-Ausdrücke zu verstehen, er hätte durchaus umfangreicher sein können.

Mir hat das Buch sehr gefallen, auch wenn ich es zunehmend anstrengend fand zu lesen (besonders die Kleinschrift, die fehlenden Satzzeichen). Mein Auge ist dies nicht gewöhnt. :)

Abschiede von Mutter
112 Seiten

Gian-Marco Schmid (bekannt als Rapper Gimma) schrieb nach dem Tod seiner Mutter dieses Buch als Abschied. Und er gewährt damit einen schonungslosen Einblick in seine Familie. Er erzählt vom Aufwachsen mit einer alkoholsüchtigen Mutter, von sozialer Verwahrlosung, ständiger Enttäuschungen, Wut, Abgrenzung.

Ich bin sehr zwiegespalten. Die Geschichte hat mich sehr berührt, erschüttert und traurig gestimmt. Ich finde es toll, konnte Gimma durch den Tod seiner Mutter, durch das Schreiben dieser Zeilen seine Vergangenheit aufarbeiten. Literarisch hat mich das Buch aber gar nicht abgeholt. Ich fand es sehr schwach in der Sprache.

Hässlichkeit
224 Seiten

Selbst die als schön markierten Körper sind nicht unbedingt die signifikanten Profiteure dieser Ökonomie. Eher sind es damals wie heute jene, die die Standards setzen, regulieren, verkaufen. Es sind jene, die profitieren von "den Hässlichen", indem sie die Angst vor und den Spott über Hässlichkeit aufrechterhalten, sodass Menschen alles tun würden, um "dem Hässlichen" nicht zu nahe zu kommen. (S.94)

Wenn "hässlich" bedeutet, alt, krank und ungeliebt zu sein, dann hassen wir nicht wirklich die Hässlichen, sondern fürchten unsere eigene Vergänglichkeit, Zerbrechlichkeit und Einsamkeit. (S. 175)

Hässlichkeit ist ein Instrument gegen jene, die existieren, aber aus denen das System keinen gewünschten Nutzen zu gewinnen glaubt, ausser in ihrer Ablehnung. (S.201)

Die Autorin setzt sich mit diversen Schönheitsidealen und Körperbilder auseinander, die oft auch kolonial und rassistisch geprägt sind, sie setzt sich mit ihrem eigenen Aussehen auseinander, mit dem Altern und Tod. Und sie gibt einen sehr intimen Einblick in ihren Umgang mit ihrem Körper, unter dem sie aufgrund ihrer grossen Nase und starker Körperbehaarung als Kind sehr litt. Manchmal poetisch, manchmal essayistisch, biografisch, mit Bildern und eigenen Zeichnungen angereichert: Ein wichtiges Buch, das zum Nachdenken anregt.

Gender Queer
240 Seiten

Ich will kein Mädchen sein. Ich will auch kein Junge sein. Ich will nur ich selbst sein. (S.71)

Ein berührender und sehr ansprechend illustrierter Graphic Novel, welcher das Aufwachsen, die Identitiätsfindung, das Coming-Out von Maia Kobabe, Autor*in des Buches, darstellt.

Ich bin mir sicher, dieser Graphic Novel kann vielen jungen Menschen helfen, die auf der Suche nach sich selbst sind und sich in ihrer Rolle, in die sie von der Gesellschaft von Kleinauf reingedrückt werden, verloren und fehl am Platz fühlen.

Life Rebel
208 Seiten

"Die Ideologie meiner Eltern beruht auf der Antwort meines Vaters: Zeit ist das höchste Gut. Nichts ist so kostbar, wie Zeit zu haben. Nichts so wertvoll, wie Zeit zu schenken." (S.33)

Yvonne Eisenring lebt ein Leben abseits der gesellschaftlichen Normen. Sie beginnt beispielsweise nicht vor 12 Uhr mit ihrer Arbeit. Sie wählt sich ihre Arbeit bewusst aus und lehnt Aufträge auch mal ab - auch wenn sie finanziell gesehen sehr lukrativ wären. Sie priorisiert ihre Familie und Freund:innen, nimmt sich Zeit für das, was ihr wichtig ist: Ihre Freundschaften, ihre Familie und das Erleben neuer Orte. Sie lebte ein paar Monate in Paris, dann in Berlin, in Mexico City, in Buenos Aires, in New York. Mittlerweile bewegt sie sich alternierend zwischen Zürich, Paris und New York. Sie lebt ein nicht der Norm entsprechendes Lebensmodell. Im Buch schreibt sie über die Hürden und Herausforderungen, aber auch über all ihre Erkenntnisse, die sie in den letzten Jahren gesammelt hat. Sie nimmt die Leser:innen an jeden ihrer besuchten Orte mit, teilt ihre Beweggründe und Erlebnisse.

Ich mochte das Buch, es nahm mich mit auf eine kleine Weltreise und liess mein Fernweh neu erwachen. Ich finde es toll, wie sie ihr Leben lebt, auch wenn - oder gerade weil - es nicht meinem Lebensmodell entspricht.