„Unser eigentliches Hobby war das Ausmalen eines Lebens, das hier nicht möglich schien.“ (S.8)
„Die Leerstellen zwischen dem, was wir wollten, und dem, was wir bekamen, füllten wir mit einer höflichen Scham dem Leben gegenüber, wie bei einem Geschenk, das uns eigentlich gefallen müsste, es aber nicht tat.“ (S.59)
„Das erste Jahr in der grossen Stadt war achtlos an uns vorbeigelatscht wie eine Passantin, während wir in der Spiegelung eines Ladenfensters überprüften, ob wir gut aussahen (nein).“ (S.183)
Die Ich-Erzählerin zieht mit zwei Freund:innen und grosser Erwartung nach dem Gymnasium von der Kleinstadt in die Grossstadt, um dort zu studieren. Doch es kommt nicht so, wie erhofft. Die Partys bleiben aus, ihre Unsicherheiten haften hartnäckig an ihnen. Jedes Kapitel, mal nur einen Satz kurz, mal etwas länger, erzählt eine kleine Episode aus dem Versuch dieser drei Personen, ihren Platz im neuen Leben zu finden. Es sind Momentaufnahmen, die beschrieben werden. Sehr erfrischend zu lesen, sehr ehrlich, irgendwie tröstlich.
"Im HOME erfahren auch cis Männer und alle, die als solche gelesen werden, Gewalt. Doch wenn sie die Polizei anrufen, sind sie es selbst, die festgehalten werden. Denn einen MANN der Hilfe braucht, gibt es a) nicht, b) erst recht nicht, wenn die Gewalt von einer FRAU ausgeht, c) auch in den Augen der Polizei nicht, und das ist Teil des Problems." (S.21)
"Im 'rape script' steht nur eine Storyline: ein vaginal penetrativer Akt, durch eine massive Gewalt anwendende, fremde, cis männliche Person. Ein cis weibliches, meist weisses, 'unschuldiges' Opfer, das sich keinem 'Risiko' ausgesetzt hat. Das sich wehrt (möglichst stark) und dadurch von Strafverfolgungsbehörden feststellbare körperliche Verletzungen davonträgt. Das schwer traumatisiert und beschämt ist und trotzdem sofort nach der Tag zur Polizei geht. Das sich erinnern kann (kohärent und korrekt, auch bei Wiederholung). Das fortan Angst hat vor Sex, Nacht, Männern (mindestens). Diese Storyline nagelt Identitäten fest: ewiges Opfer, für immer Täter. [...] Diese Storyline macht alle unsichtbar, die nicht ins Schema passen." (S.36-37)
"Auch wenn gewisse Personengruppen das eine mehr tun und das andere weniger sind: Sexualisierte Gewalt hat kein Geschlecht. Doch die strukturelle Gewalt, die sie ermöglicht, ist gegendert. Sie wird gestützt durch Rassismus, Ableismus, Klassismus, Ageismus, Adultismus, Transmisogynie, Antisemitismus , Heterosexismus, Kapitalismus, ismus, ismus, ismus, ismus, ismus, ismus, ismus, ismus." (S.91)
" 'Das Alphabet der sexualisierten Gewalt' ist eine autofiktionale Spurensuche", wie es der Klappentext beschreibt. "Es versammelt Begriffe, fantastische Geschichten und politische Zaubersprüche, die als Ausgangspunkt dienen, um über sexualisierte Gewalt und ihre Auswirkungen nachzudenken. Es ist ein Versuch, der prekären Erinnerung ein Gefäss zu geben - und an eine selbstbestimmte Zukunft zu denken."
Die Autorin versucht, eine Sprache zu finden, um über (ihre) Vergewaltigung zu sprechen. Sehr differenziert und durch verschiedene Stilmittel greift sie das Thema auf, zeigt Problematiken aus der Politik/Gesetzgebung auf sowie auch unserer Sozialisierung, was wir welchem Geschlecht zuordnen. Sexualisierte Gewalt hat jedoch kein Geschlecht. Sehr ergreifend, beklemmend, lehrreich, zum Nachdenken anregend.
„Kein Respekt für Scheisse!“ (Kapitel 39)
Sehr sehr lustig, immer mal wieder sozialkritisch, meist mein Humor, sehr unterhaltsam und vor allem als Hörbuch perfekt, weil super gelesen. Ich freue mich jetzt auf Band 2, das Känguru-Manifest. :)
Das Theaterstück erzählt von einem Gerichtsfall. Eine bekannte TV-Moderatorin klagt einen ehemaligen Kollegen und erfolgreichen Geschäftsmann, mit dem sie über längere Zeit eine Affäre hatte, an, sie vergewaltigt zu haben. Es steht Aussage gegen Aussage. Sie sagt. Er sagt.
Der Autor unterlegt sein Stück mit vielen sachlichen und fachlichen Informationen. Er zeigt auf, mit welchen Hürden Frauen* konfrontiert werden, entschliessen sie sich, einen Vergewaltigungsfall anzuzeigen.
Ein mitreissendes Buch, welches mir sehr nahe ging. Stark erzählt durch die Dialoge. Fein gezeichnete Personen. Das Ende lässt einem mit vielen Fragezeichen zurück. Es erschüttert mich immer wieder zu lesen, wie viel Opfer sexueller Gewalt über sich ergehen lassen müssen, wenn sie den Schritt einer Anzeige machen.
"Es gibt offensichtlich zwei Kategorien von Frauen: die Frauen in der Schauma-Shampoo-Welt und man selbst. Die Frauen in der Schauma-Shampoo-Welt erleben nach der Haarwäsche einen herrlichen Tag am See. Die anderen sehen am Flughafen zu, wie die Toten in den Rumpf des Flugzeugs gerollt weden. Selbst in der Pril-Werbung sucht man vergebens eine schwarzhaarige Frau am Spülbecken, die vom Geschirrwaschen samtweiche Hände bekommt und anschliessend ihren Talenten folgt. Das Verrückte ist, dass man selber auch nicht auf die Idee kommt, eine Schauma-Shampoo-Frau sein zu können." (S.30-31)
"Auf die ehrlich an mich selbst gestellte Frage, womit ich am zufriedensten und ruhigsten war, lautet die Antwort: mit mir. Einfach nur mit mir." (S.110)
Mely Kiyak erzählt in ihrem Buch über ihren Weg bzw. ihr Aufwachsen von der Migrantentochter zwischen zwei Kulturen bis zur Autorin, dazwischen ganz viel über das Frausein, über ihre Familie und ihre Rolle in dieser. Ein sehr ehrliches, aufrichtiges, verletzliches, manchmal bedrückendes und dennoch sehr positives Buch. Ich liebte es!
"Wenn dir also jemand mitteilt, dass du etwas Rassistisches gesagt oder getan hast, dann atme gern erst einmal tief ein und aus. Geh einmal um den Block und trink ein Glas Wasser. Arbeite gegen die Abwehrgefühle in dir an. Lenke nicht vom Thema ab, sondern setze dich ehrlich mit der Kritik auseinander." (S.27)
"Farbignorante Aussagen [Ich sehe keine Hautfarben, alle Menschen sind für mich gleich o.ä.] tun so, als gäbe es diese Unterschiede nicht. Und das ist natürlich fatal, denn wie können wir Ungerechtigkeiten erkennen oder sogar abbauen, wenn wir sie bewusst ignorieren? Gar nicht! Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass wir zwar natürlich alle Menschen sind. Wir alle haben die gleichen Rechte und wollen eigentlich gern einfach Individuen sein. Aber wir leben momentan in einer Welt, in der wir anhand unterschiedlicher Kategorien ungleich behandelt werden. Um dagegen kämpfen zu können, müssen wir die Unterschiede wahrnehmen und benennen lernen." (S. 35)
"Rassismuskritisch denken und leben zu lernen, bedeutet, Happyland [Zustand, in dem weisse Menschen leben, bevor sie sich bewusst und aktiv mit Rassismus beschäftigen] so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Sich bewusst zu werden, dass wir alle rassistisch sozialisiert sind und täglich weiterhin werden. Weil wir in eine Welt hineingeboren wurden, in der Rassismus schon lange vor uns da war." (S.43)
"Wir alle müssen verstehen lernen, wie rassistische Sozialisierung in unserem Leben und unserer Gesellschaft wirkt. Wir tun dies allerdings mit verschiedenen Erfahrungen und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen heraus, je nachdem, ob wir weiss oder BIPoC sind." (S.83)
"Keiner von uns ist frei von Vorurteilen. Wir alle haben sie, weil wir täglich mit Bildern und Erzählungen über bestimmte Gruppen konfrontiert werden. In der Werbung, in Filmen und Serien, in Magazinen. Ein erster Schritt ist, anzuerkennen, dass wir alle Vorurteile haben. Als Zweites müssen wir lernen, sie wahrzunehmen, und uns klarzumachen, dass es tatsächlich VORurteile sind." (S.99)
Auf kompakten 128 Seiten erklärt die Autorin die wichtigsten Begriffe zum Thema Rassismus, dies sehr verständlich formuliert und mit weiterführenden Lesetipps und Übungen ergänzt. Ich habe sehr viel gelernt und finde, dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre für alle sein! Herzensempfehlung!
Max ist seit 25 Jahren mit seiner Frau verheiratet und zum ersten Mal ist seine Frau beruflich ohne ihn unterwegs. Er betreibt eine kleine Bar, wo sich der grösste Teil der Geschichte abspielt.
Von all den Büchern des Autors, die ich bisher schon gelesen habe, überzeugt mich dieses am wenigsten. Mir fehlte eine Handlung, die packend und/oder berührend, ergreifend ist. Ich baute keinen Bezug zu den einzelnen Figuren auf, mich liessen alle kalt.
"Doch obwohl er also weiterhin den Ton angab und ich lediglich als Dolmetscherin fungierte, wurde mir dabei zum ersten Mal bewusst, dass mein Vater nicht nur der Mensch war, der innerhalb unserer sicheren vier Wände existierte. Es gab eine Welt, in der er nicht nur das Vorbild war, das ich von zu Hause kannte, der Mensch, der mir beigebracht hatte, wie man liest, schreibt und sich vor nichts fürchtete. Sobald er die Türschwelle unseres Hauses überschritt und einen Fuss auf die Strasse setzte, liess er diesen Teil von sich zurück." (S.54)
Das Buch erzählt die Geschichte der Autorin, wie sie als kleines Kind mit ihren Eltern vor Kriegsausbruch in Ex-Jugoslawien nach Wien flüchtet und dort ein neues Leben aufbaut. Es erzählt davon, wie sie alles dafür unternimmt, eine perfekte Migrantin zu werden. Es erzählt von der Beziehung zu ihren Eltern bzw. zu ihrem Vater (die ich als sehr herzlich, wenn auch nicht ganz konfliktfrei wahrnahm).
Ein sehr unterhaltsames und ehrliches Buch mit viel Humor und interessantem Einblick in die jugoslawische Welt (besonders auf sprachlicher Ebene).
Fungirl ist vulgär, laut, unkonventionell, tolpatschig - und das alles macht sie doch sehr liebenswert. Sie trinkt zuviel, eckt an, hat im Berufsleben Mühe, Fuss zu fassen. sie wohnt mit ihrer Exfreundin und deren Freund zusammen. Und gemeinsam erleben sie so einige abgefahrene Geschichten.
Der Comic ist gespickt mit abgedrehtem Humor und makabren Situationen. Er ist erfrischend, wild, überspitzt und doch sehr menschlich. Ich habe mich sehr gut unterhalten. :)
" 'Was mir immer klar, obwohl ich sonst gar keine Verbindung zu irgendetwas Jüdischem habe, ist, dass trotz allem, was meine Familie geleistet hat, trotz allem, was ich selbst geleistet habe, Hitler heute genauso an meine Tür anklopfen würde wie damals... und diese Tatsache, das habe ich schon immer verstanden, ist das, was mich zum Juden macht.' " (S.23)
Deborah Feldman wuchs in einer ultraorthodoxen chassidischen Gemeinde New Yorks auf, bis sie sich davon befreien und nach Deutschland fliehen konnte. Ihre bewegende Geschichte hielt sie im Buch Unorthodox fest, welche auf Netflix auch als Miniserie verfilmt wurde. In diesem Buch schreibt sie über das Jüdischsein in Deutschland, über Identitätsuche, über ihre Reise nach Israel, über das Judentum in der heutigen Zeit.
Ein schweres Buch, nicht leicht zu folgen (so war es mir zumindest ergangen), spannende Ansätze.
Jane Mumford hat ihr Bühnenprogramm „Reptil“ als „kaltblütiges Libretto“ verschriftlicht und wunderbar illustriert. Sehr gern gelesen, mich sehr gut unterhalten. Feministisch, kritisch, gut!
Angela Merkel ist frisch in Rente und mit ihrem Mann Achim und Mops Putin in die Uckermart gezogen. Bald darauf wird der Freiherr Philipp von Baugenwitz tot aufgefunden. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus, Angela Merkel hingegen ist sich sicher, dass es Mord war und macht sich daran, den Fall zu lösen.
Manchmal tatsächlich etwas lustig, meist empfand ich den Humor in diesem Buch aber nur als plumpe/billige Blödelei. Wie die Geschichte endet, wollte ich dann aber trotzdem wissen, auch wenn mich die Art des Schreibens zunehmend nervte und langweilte. Einen weiteren Band werde ich mir aber definitiv ersparen.
" 'Nothing stays forgotten for long, Elly. Sometimes we simply have to remind the world that we're special and that we're still here.' " (S. 115)
"I looked at my body in the mirror, a body I'd once disowned with the currency of scorn. It had never been good enough - not for me, not for others - but that night, it looked beautiful, it looked strong, and that was enough." (S.214)
Winman erzählt die Geschichte von Elly aus der Ich-Perspektive, vom Zeitpunkt ihrer Geburt bis weit ins Erwachsenenalter. Sie erzählt die Geschichte von der Beziehung zwischen Elly und ihrem Bruder (die mich zutiefst berührte). Sie schreibt über den liebevollen und berührenden Umgang ihrer Familie untereinander, über tiefe Freundschaften und Verluste, über tragische Ereignisse, die ihr oder nahestehenden Personen widerfahren. Vor allem aber geht es um die Liebe verschiedenster Art.
Ein hochberührendes, wunderschön erzähltes, oft sehr trauriges, aber auch hoffnungsvolles Buch, ich durchlebte eine Achterbahnfahrt der Gefühle, lachte und vergoss Tränen. Sehr zu empfehlen!
1953, ein Mordfall im Valsertal, Graubünden. Eine junge Frau wird frühmorgens tot in der Tuchfabrik aufgefunden. Einige Jahre zuvor wurde bereits ihr Vater auf dieselbe Weise umgebracht...
Der Krimigeschichte wegen hätte ich dieses Buch glaub's nicht lesen müssen, auch wenn sie durchaus lesenswert ist. Was mich aber sehr fesselte war, wie der Autor im Buch ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte aufgriff. Und zwar thematisiert er, wie Pro Juventute Anfang des 20. Jahrhundert gegen das jenische Volk vorging und wie sich der damalige Leiter der Pro Juventute gegen zahlreiche Minderjährige vergehen konnte, und dabei ungeschoren davon kam. Unglaublich...