Bücherregal lädt …
Für Polina
304 Seiten

Polina schaute hinter jede Tür, steckte ihren Kopf in die Tümpel im Moor, um zu prüfen, was darin war, fasste jeden Käfer an und nahm die meisten davon in den Mund. Hätte sie Ungeheuer gefunden, hätte Polina mit ihnen getanzt. (S.34)

Er wollte, dass sie ihn hörte. Nicht aus Selbstlosigkeit, aber wann war Liebe je selbstlos gewesen? (S.218)

Hannes' und Polinas Mütter lernen sich bei ihrer Geburt im Spital kennen, es entsteht eine Freundschaft, die beiden Kinder wachsen gemeinsam auf. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, Polina sehr wild und abenteuerlich, Hannes hingegen träge und langsam. Seine Faszination gilt der klassischen Musik und dem Klavierspielen. Mit 14 verliebt sich Hannes in Polina. Er komponiert ihr eine eigene Melodie. Doch die Liebe scheint nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen, als junge Erwachsene trennen sich ihre Wege. Er hört mit dem Klavierspielen auf, wird trotz seiner schmächtigen Figur Klavierschlepper, seine Gedanken bleiben aber bei Polina. Bis er sich nach Jahren eingesteht, dass er Polina wiederfinden muss. Und zwar mithilfe ihrer Melodie...

Ab der ersten Seite hat das Buch einen einnehmenden Rhythmus. Es liest sich wie eine wunderschöne Melodie. Manche mögen die Geschichte schnulzig und/oder kitschig finden, ich sehe es aber anders. Würger schaffte es, mich mit seiner Sprache leichtfüssig durch die Geschichte zu tragen, die Musik immer im Ohr. Über einen allfälligen Kitsch konnte ich gut hinwegsehen. Ein Herzerwärmendes Buch.

Walzer für Niemand
182 Seiten

Selbst nach langem Betrachten war es unmöglich, von den Hüllen der Platten auf die darin enthaltenen Töne zu schliessen. Wir glaubten ohnehin nicht, dass es möglich war, sich ein Bild von Tönen zu machen. Das, was wir sahen, wenn wir die Töne hörten, war ganz gewiss und doch unbeschreiblich. (S.9)

Unter Liedermachern kursiert das schöne Gerücht, dass sich in jedem neuen Stück eine wahrsagerische Spur befindet. Wir können an dem, was wir schreiben, entziffern, was als Nächstes in unserem Leben passiert. Die Heuchelei beginnt da, wo wir genau das schreiben, von dem wir wollen, dass es geschieht. Strategischer Missbrauch bringt den prophetischen Brand zum Ersticken. (S. 75)

Ein Mädchen und ihr bester Freund "Niemand" wachsen als Kinder von Diplomateneltern auf. Ihre Kindheit ist geprägt von regelmässigen Umzügen in andere Städte und Länder. Musik spielt bei beiden eine sehr grosse Rolle. Im Älterwerden verändert sich ihre Freundschaft.

Jedem Kapitel folgt ein Einschub über das Bergvolk der Walserinnen, von dem auch Sophie Hunger und die Mädchenfigur im Roman abstammt. Meistens ist auch noch eine Illustration einer Frauenfigur abgebildet (ich nehme an, von Sophie Hunger gezeichnet), bevor das neue Kapitel beginnt.

Ein sprachlich anspruchsvoller, sehr poetischer Roman, melodiös, voller Musik. Oft verwirrend. Ist Niemand eine wirkliche Person oder ein fiktiver Freund? Diese Frage stellte ich mir immer wieder. Die Exkurse über das Volk der Walserinnen waren zwar spannend, mich störten sie aber sehr, sie hemmten den Erzählfluss des Romans, warfen mich jedes Mal aufs Neue aus der Geschichte.