Gender Queer
240 Seiten

Ich will kein Mädchen sein. Ich will auch kein Junge sein. Ich will nur ich selbst sein. (S.71)

Ein berührender und sehr ansprechend illustrierter Graphic Novel, welcher das Aufwachsen, die Identitiätsfindung, das Coming-Out von Maia Kobabe, Autor*in des Buches, darstellt.

Ich bin mir sicher, dieser Graphic Novel kann vielen jungen Menschen helfen, die auf der Suche nach sich selbst sind und sich in ihrer Rolle, in die sie von der Gesellschaft von Kleinauf reingedrückt werden, verloren und fehl am Platz fühlen.

WIR KOMMEN
224 Seiten

Viele Jahre lang habe ich jeden Monat aufs Neue die erste Periode bekommen, weil ich nach jeder Blutung verdrängt habe, dass mein Körper das kann. (S.16)

Seitdem ich denken kann, wird mein Körper bewertet. Ich habe diese Stimmen verinnerlicht, und ich werde sie nicht los, auch heute nicht. Es schmerzt mich, wie viel Zeit ich damit zugebracht habe und zubringe, darüber nachzudenken, was an meinem Körper alles nicht richtig ist. (S.60)

Eine wenig ältere Kollegin [...] äusserte neulich ihr Unverständnis dafür, dass viele Frauen mit ihrem Aussehen und dem Altern hadern. Die Fixierung auf den eigenen Körper finde sie eindimensional und uninteressant. Als wäre das selbst gewählt, als wäre das etwas, das wir uns im Kapitalismus aussuchen könnten, denke ich, und dass es wenig gibt, was ich mehr verachte als das Beschämtwerden durch eine andere Frau. (S.62-63)

Denn ich feiere zwar die Frauen, die auf Instagram ihre nicht normschönen Körper zeigen, aber ich denke auch immer wieder, wenn ich besipsielsweise einen von Schwangerschaftsstreifen marmorierten Bauchlappen über das Bündchen eines Stringtangas hängen sehe: Hey, ja, cool, ja, das ist irgendwie empowernd, dass du das machst, aber ICH will nicht so aussehen. Und dann sehe ich die Frauen mit den haarigen Beinen und den haarigen Oberlippen und der Cellulitis unter der Radlerhose und denke, hey, ja, cool, ABER ICH WILL NICHT SO AUSSEHEN. Und dann komme ich mir wie ein Arschloch vor, weil ich das denke. Und dann komme ich mir wie ein Loser vor, weil ich es immer noch nicht geschafft habe, diesen ganzen Mist zu überwinden und meinen Körper zu lieben, wie er ist. (S.64-65)

18 Autor*innen schreiben anonym in Form eines Kollektivromans über die Weiblichkeit, über das sexuelle Begehren, die Beziehung zum eigenen Körper, das Altern, aber auch über sexuelle Gewalt und Suizidversuche.

Mit sehr viel Neugier und Interesse habe ich mich durch diesen Roman, diese verschiedenen Kapitel, gelesen. Erschütternd, von wie vielen Autorinnen sexuelle Gewalt thematisiert wurde, von wie vielen Autorinnen die Selbstbeziehung als schwierig dargestellt wurde und welche Kindheitsereignisse zu dieser angeknackten Selbstbeziehung führten. Einerseits tröstlich zu lesen, dass das eigene Erlebte auch das Erlebte vieler anderen Frauen* ist. Aber eben auch erschütternd. Klingt jetzt sehr destruktiv, aber der Roman hält auch sehr viel Lustiges, Anregendes bereit. Nicht alle Kapitel haben mich aber gleichermassen angesprochen, manchmal war es mir auch etwas zu langatmig.

Polifon Pervers
224 Seiten

Wobii si dem jo nie so gsäit het: Konscht. D Sabin het emmer gsäit, me söli dem Onderhaltig säge. Wel Onderhaltig: Do verschtöchid alli öppis dronder. Konscht sig komplizierter, het d Sabin gsäit, aso nome scho s Wort sig komplizierter. Das häig e theroetische Rocksack, das Wort. Das sig huere vag, do chönn me nächtelang dröber schtriite, was das öberhaupt bedüüti: Konscht. Ond so Wörter wod Filosof*inne scho set es paar tuusig Johr dröber schtriitid, was si äigentlech bedüütid, die sött me am beschte gar ned ersch is Muul näh, het d Sabin gsäit. Und Kultur au grad. Velecht sogar no schlemmer, het sie gfonde. Wemme dem Kultur sägi, was me macht, häig me näb dene Definizionsproblem au grad no Abgränzigsproblem e alli Rechtige. (S. 10)

Was, gloge? Lüge chasch nomen öber d Vergangehäit oder öber d Gägewart. Wennd öber d Zuekonft Züügs erfendsch, de esch das ned lüge, denn esch das Storitelling. (S. 28)

Zwei junge Frauen gründen einen Verein, den "Polifon Pervers" und steigen damit in die Unterhaltungszene ein. Auf eine Theatervorführung folgt die nächste, mit dem Erfolg wachsen die Ideen, ihre Vereinsarbeit weiter auszubauen und so wächst auch ihr Team. Und plötzlich arbeiten sie mit Drogendealern zusammen, eignen sich die Kunst der Geldwäsche an und kommen damit erstaunlich weit...

Schon lange habe ich keinen Roman mehr in Mundart gelesen, entsprechend schwer fiel es mir zunächst, dem Luzernerdialekt zu folgen. Aber, daran gewöhnt es sich schnell. :) Ich konnte das Buch kaum auf die Seite legen, die Geschichte ist so unterhaltsam und mitreisssend erzählt. Ich musste immer wieder schmunzelnd oder gar laut auflachen ab dem sehr originellen Plot. Eine sehr erfrischende Lektüre!

Hallo
250 Seiten

3:15 Uhr. Seit vier Stunden liege ich wach im Bett und übe schlafen und werde nicht besser darin. Manchmal kann das Anstrengendste eines Tages das Einschlafen sein. (S.122)

Vier Stunden, was hätte man nicht alles in vier Stunden machen können. Ein Ei legen zum Beispiel, vorausgesetzt man ist ein Huhn, wenn nicht, könnte man achtzig Drei-Minuten-Eier kochen oder vierzig Sechs-Minuten-Eier, oder mit dem Fahrrad von Berlin nach Potsdam fahren und Alexander Gauland in die Eier treten oder man könnte auch einfach vier Stunden schlafen, wenn man vier Stunden zur Verfügung hat, die zusätzlich auch noch zum Schlafen gedacht wären. (S.122)

Lara Stoll ist super, ich liebe ihr Schaffen! Texte von ihr zu lesen macht zwar auch Spass, aber noch lieber höre und sehe ich ihr zu, wie sie die Texte selbst performt.

The Queue
224 Seiten

He was filled with despair and a desire to hide away, but at the same time was infused with a yearning to survive, to start life anew and experience again every moment of sadness and joy and absurdity. (S. 94)

In einem Land im Nahen Osten herrscht seit den Disgraceful Events eine menschenunwürdige Diktaktur. Die Bevölkerung braucht für jede Kleinigkeit (sei es ein Arztbesuch oder gar Einkäufe) eine Bewilligung. Die Anträge müssen die Menschen beim Tor stellen, die Schlange davor ist gross und wird von Tag zu Tag grösser. Denn: das Tor öffnet nie, um die Anträge entgegenzunehmen. Es vergehen Monate, die Menschen verzweifeln und der Gesundheitszustand einiger verschlechtert sich dramatisch. Die Hoffnung unter ihnen wird aber nicht aufgegeben, dass das Tor nicht doch einmal aufgehen wird.

Ein dystopischer Roman über ein Militärregime, die Unterdrückung einer gesamten Bevölkerung, über Hoffnung und Widerstand. Mir hat das Buch sehr gefallen, es gab aber einige Punkte darin, die ich unglaubwürdig fand (z.B. ein Mensch mit einer Kugel im Becken, der monatelang blutet und nicht stirbt?). Das Ende war mir zudem ein Rätsel, das kann aber auch daran liegen, dass ich es sprachlich nicht verstand. Ich müsste die letzten Seiten vielleicht nochmals in der deutschen Übersetzung lesen.

WEG
120 Seiten

Ein Graphic Novel über das Thema Depression. Malins Schwester Sibyl verwandelt sich in einen Stein und verschwindet. Malin macht sich daraufhin auf die Suche nach ihrer Schwester, um sie zurückzuholen.

In dieser Geschichte liegt der Fokus bei den Angehörigen von psychisch Erkrankten. Eine berührende, ergreifende Geschichte, wunderbar illustriert.

BLACK BOX BLUES
80 Seiten

Ja es ist da, nein es hat sich nicht einfach so aufgelöst. Es ist da, aber man selbst kann bestimmen, was man damit macht, vielleicht ist es irgendwann so lange im Schrank, dass man es vergisst, vielleicht muss man immer mal dran denken und vielleicht geht es ja auch irgendwann verloren und man merkt es nicht einmal. (letzte Seite)

Ein wunderbares, tiefergreifendes und mutmachendes Buch über die psychische Gesundheit. Die Autorin thematisiert schreibend bzw. zeichnend ihre Depression und ihren Umgang damit. Sie schafft es, Worte und Bilder zu finden für Dinge/Gefühle, die so oft so schwer in Worte zu fassen sind.

Am Rande mittendrin
139 Seiten

So ist es oft im Leben. Man rechnet mit dem Schlimmsten, und nichts davon geschieht. Es wird einfach gut. (S. 20)

Viele aus meinen ersten Jahren bei Surprise sind nicht mehr da. Pensioniert. Weggezogen. Die Arbeitsstelle gewechselt. Nicht mehr mobil. Bettlägerig. Und nicht Wenige weilen nicht mehr unter uns. Wieviel Abschied erträgt ein Mensch? (S. 28)

Urs Habegger verkauft seit 15 Jahren das CH-Strassenmagazin Surprise in der Bahnhofunterführung Rapperswil. Nach einer missglückten Augenoperation konnte er seinen Beruf als Grafiker nicht mehr ausüben, mit dem Verkauf des Strassenmagazins kann er für seinen Lebensunterhalt selbstständig aufkommen.

Im Magazin erschienen immer wieder kleine Texte von Urs Habegger, nun hat er ein ganzes Buch geschrieben. Er ist ein guter Beobachter und schreibt im Buch von seinen Begegnungen, von lustigen und traurigen und berührenden Anekdoten, von seinen täglichen Beobachtungen, die er tagtäglich in dieser Bahnhofsunterführung macht. Mir hat es sehr gefallen.

Krähenmädchen
480 Seiten

Jeanette Kihlberg ist Kommissarin und ermittelt in einer brutalen Mordserie. Mehrere Jungen werden tot gefunden, die alle schwerste Misshandlungen aufweisen. Ein Opfer war bei der Psychotherapeutin Sofia Zetterlund in Behandlung, ein ehemaliger Kindersoldat aus Sierra Leone. Jeanette bittet Sofia zur Hilfe. Derweilen passieren weitere Morde...

Der erste Teil der Victoria Bergmann-Trilogie. Das Buch ist meines Erachtens nur für Hartgesottene geeignet, heftige Dinge geschehen, was der Autor alles im Detail beschreibt. Phuu...

Windstärke 17
256 Seiten

Ich weiss nicht, was ich machen soll. Rausgehen, rennen, schwimmen. Hier drinnen ist es mir zu laut, zu gefährlich, die Gedanken zerschneiden mein Inneres messerscharf zu ungleich grossen Gulaschklumpen. (S. 202)

Nachfolgeroman von "22 Bahnen", diesmal aus dem Leben von Ida, Tildas kleiner Schwester. Wer diesen Roman mochte, wird mit "Windstärke 17" ebenfalls happy.

Nach Mutters Tod möchte Tilda, dass Ida zu ihr nach Hamburg kommt. Ida landet jedoch nicht in Hamburg, sondern reist ohne ein bestimmtes Ziel weiter nach Rügen. Dort lernt sie Marianne und Knut, ein älteres Ehepaar, kennen, die sie bei sich aufnehmen. In Rügen kämpft Ida gegen ihre Schuldgefühle an, die sie seit dem Tod ihrer Mutter quälen. Sie lernt Leif, ein junger DJ und Surfer, kennen und eine Liebesgeschichte bahnt sich an. Als bei Marianne Krebs diagnostiziert wird, droht Idas Leben erneut aus den Fugen zu geraten.

Wie "22 Bahnen" hat mich das Buch tief berührt und ergriffen. Idas Trauer und Wut waren zeitweise kaum auszuhalten, ich habe Seite für Seite mitgelitten. Und immer wieder sehr viel Liebe und Geborgenheit, die Ida durch das ältere Ehepaar, aber auch durch Leif und Tilda, erfährt. Wunderschön!

Im Krieg – zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St.Petersburg
129 Seiten

Es gibt einen alten Witz aus der Zeit des Euromaidan-Aufstands von 2014: "Wenn es aussieht wie ein Pferd, klingt wie ein Pferd und sich verhält wie ein Pferd, ist es sehr wahrscheinlich ein Pferd. Und wenn es sagt, es sei kein Pferd, dann ist es mit Sicherheit ein russisches Pferd." (S. 114)

Nora Krug fragte nach dem 24. Februar 2022 eine in Kiew lebende Journalistin und einen in St.Petersburg lebenden Künstler an, ob sie sie zu ihren Erfahrungen interviewen und ein illustriertes Tagebuch gestalten dürfe. Ein Jahr begleitet Krug die beiden. Pro Woche ist je eine Seite entstanden, die sich einander gegenüberstehen. In den beiden Tagebüchern geht es um die Gedanken und Ängste der beiden, wie sie die Kriegs-Ereignisse erleben und damit umgehen, mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen haben.

Ein sehr schön gestalteter Graphic Novel mit erschütterndem, bedrückendem Inhalt. Das Buch erlaubt einen sehr privaten Einblick dieser beiden Menschen, die Geschichten nimmt einem richtiggehend ein.

Live aus der Ukraine
214 Seiten

"Einer der Polizisten zieht dem Toten das blau-weiss gestreite T-Shirt nach oben. Der massive Bauch ist blutverschmiert und wackelt hin und her. Der Polizist hält die Kamera mit der rechten Hand, die linke Hand vergräbt er in seiner Jackentasche. Er wird die Bilder später auf die Festplatte eines Computers laden und mit Datum und Ort beschriften: Butscha, 10. April 2022. Und wo speichern wir die Bilder in unseren Köpfen? Nach wie vielen Toten stumpfen der Polizist, mein Kameramann oder ich als Journalistin ab?" (S. 168)

"Die Gesichter aller sind müde, die Hände von Russ und Dreck verfärbt. Sergei erzählt: 'Die Russen sind einfach auf Jagd gegangen. Säuberungen haben die gemacht.' Säuberungen von was? Vom Leben? Der Hausmüll der Anwohner türmt sich. Die russischen Soldaten haben nur den Tod, aber keine Müllabfuhr gebracht." (S.169)

"Ein Kollege von der SRF-Bundeshausredaktion begleitet die Parlamentarier auf ihrer Reise in die Ukraine. 'Luzia, wie gehst du mit der Realität in der Ukraine, mit diesen Bildern um?' Ehrliche Antwort: 'Gar nicht. Dafür bleibt keine Zeit.' " (S.178)

Luzia Tschirky war während 5 Jahren Korrespondentin des Schweizer Fernsehens (SRF) für Russland, Belarus und der Ukraine. Am 24. Februar 2022, als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, war sie in Kiev. Ab da war sie täglich im SRF zu sehen mit ihren Berichterstattungen. Im Buch verarbeitet sie ungeschönt ihr Erlebtes aus der Zeit von März 2019 bis September 2022.

Beim Lesen fiel mir auf, dass ich immer wieder durch die Kapitel "hetze" und etwas unaufmerksam lese. Ich glaube, das liegt daran, dass mich das Thema zu fest bedrückt und ich so versuchte, das Ganze nicht zu nah an mich heranzulassen. Das Buch richtet unter anderem die Aufmerksamkeit auf die ukrainische Bevölkerung, wie es ihr im/mit dem Krieg bisher erging und immer noch ergeht und welche fürchterlichen Dinge sie tagtäglich erlebt.