Nachtzugtage
238 Seiten

Eine Reise ohne Beschwerlichkeiten ist gar keine. (S.25)

[...], und dann ist da plötzlich das Schwarze Meer. In mir sprüht eine Konfettikanone. (S.57)

Und das sind nur die Ländergrenzen. Was zwischen und an ihnen passiert, die Tönungen und Schattierungen, die Höhenunterschiede und Kontraste des Terrains, der gebauten Welt, der gesellschaftlichen Realitäten, der kulturellen Erzählungen - diese zuerst grob und nach und nach immer feiner nachzuzeichnen, damit sie in der Psychogeographie meiner inneren Landkarte lebendig werden: Darum setze ich mich in den Zug. (S.64)

Es ist der Schwellenschlaf, der im Nachtzug so viel Spass macht, diese besondere Art der bewussten Bewusstlosigkeit, die es nur hier gibt. Von der rauschenden Bewegung betäubt zu werden, in einen taumelnden Schlaf zu fallen, der sich aber als Schlaf wahrnimmt, der unentwegt dem Rattern der Räder auf den Schienen lauscht, die flüstern: Du schläfst und bist im Zug, ist das nicht irre schön? (S.67)

Manchmal sieht man sowieso nur die eigenen Gedanken, wenn man aus dem Zugfenster schaut, egal was dort draussen geboten wird. Kilometerlang das Gesicht dem Fenster zugewandt, aber in Wahrheit ist das Auge nach innen gekehrt, nach aussen blind. (S.81)

Das Buch ist eine Liebeserklärung an das Verreisen mit dem Zug. Die Autorin reist an jedes noch so weit entfernte Reiseziel mit dem Zug. Sie schreibt über all die Beschwerlichkeiten, aber noch viel mehr über all den Mehrwert, den eine Zugreise gegenüber einer Anreise mit dem Flugzeug hat. Mit ihren Geschichten macht sie richtig Lust auf eigene neue Reiseabenteuer mit dem Zug. Manchmal waren mir die Berichte aber dann doch etwas zu langfädig. Im Grossen und Ganzen aber eine Freude! :)

Fluchtnovelle
121 Seiten

Hin und her auch in der Nacht: Wenn das Kissen nie so liegt, wie es liegen soll. Die Unruhe, die Ängste, die Ungewissheit. Und dazu die Träume, in denen alle vorkamen, die nicht eingeweiht waren, aber dennoch betroffen sein würden, Mutter, Freundinnen, Freunde. Träume, in denen sich die Bilder von hüben und drüben vermischten, Träume, in denen wiederkehrte, was noch gar nicht geschehen war. (S.34)

1965 lernen sich die Mutter des Autoren (eine Studentin aus der DDR) und sein Vater (Student aus der Schweiz) in der DDR kennen. Sie verlieben sich und entscheiden schon bald, dass sie ihr Leben gemeinsam in der Schweiz verbringen wollen. Als klar ist, dass es keinen legalen Weg gibt, wie sie ihm in die Schweiz folgen könnte, schmieden sie einen filmreifen Fluchtplan.

Völlig gebannt habe ich die Geschichte regelrecht verschlungen. Es ist sowohl Krimi als auch Liebesgeschichte, unglaublich berührend, wie Strässle die Geschichte seiner Eltern erzählt. Eine Fluchtgeschichte, die sich auch auf der Kinoleinwand gut machen würde! Fasziniert und beeindruckt zugleich bin ich von dieser Geschichte, von diesem Mut und Einfallsreichtum, die die beiden jungen Verliebten an den Tag legten. Wie schön, dass alles gut ging! Und das ist kein Spoiler, denn von einem Happy-End war ja auszugehen, immerhin war es ja der Sohn, der dieses Buch schrieb! :) Sehr zu empfehlen! Sehr interessant natürlich auch den historischen Aspekt.

Mein Mann
272 Seiten

Wir unterhalten uns ein paar Minuten. Dann kommt der Augenblick, auf den ich gewartet habe. Er erkundigt sich nach meinem Mann. Ich antworte ihm, meinem Mann gehe es gut. Dieser Ausdruck hat immer noch die gleiche Wirkung auf mich, selbst nach 13 Jahren Ehe. [... ] Mein Mann hat keinen Vornamen. Er ist mein Mann. Er gehört mir. (ab 04:03)

Der Roman erzählt in der Ich-Person von einer verheirateten Frau, die ein scheinbar perfektes Leben führt mit einem scheinbar perfekten Mann. Nach 15 Jahren Beziehung liebt sie ihn immer noch so fest wie am ersten Tag. Das Buch umfasst eine Woche (Montag-Sonntag) und es zeigt jeden Tag mehr, wie regelrecht besessen sie von ihrem Mann ist. Und mit jedem Tag wird sie unsicherer, ob ihr Mann sie denn auch immer noch so liebt wie zu Beginn ihrer Beziehung. Sie bestraft ihn für jede seiner Gesten, Taten und Worte, die ihr an ihm missfallen. Und sie treibt es immer weiter.

Ein sehr packendes Buch, mit einem überraschendem Ende. Teilweise hielt ich ihre Spielchen kaum aus. Ich empfand ihr gegenüber abwechselnd Mitleid und Unverständnis (wie kann sie ihr eigenes Leben so radikal für einen Mann aufgeben?), Wut (was fällt ihr eigentlich ein?!) und Angst (kann jemensch wirklich so denken und handeln?). Sehr gut gemacht! Auch die Sprecherin hat überzeugt.

Weiter nach Osten
90 Seiten

Er muss sich in Geduld üben. [...] Geduld, Aljoscha, Geduld! Der junge Mann tritt an die Scheibe, sein Blick reicht über sein Spiegelbild hinaus: da draussen ist, kompakt und schattig, ozeanisch, der sibirische Wald, und in ihn vorzudringen wäre, wie mit Steinen in den Taschen ins schwarze Wasser einzutauchen, aber Aljoscha will leben. (S.27-28)

Hélène sucht ihre Sachen zusammen, Aljoscha trödelt, sie vermeiden, sich anzusehen, verlassen das Abteil, ohne einen Blick zurückzuwerfen, steigen aus der Transsibirischen aus, die Luft ist feucht, es ist mild, sie sind überrascht, stehen schwankend voreinander, wissen nicht mehr, was sie tun, was sie sich sagen oder geben sollen - als würde allein die Fortbewegung ihre Sprache aktivieren, als gäbe es ausserhalb des Zugs, ausserhalb der Flucht keine Geste, kein Lied mehr und alles müsste aufhören. (S.90)

Zwei Menschen begegnen sich in der Transsibirischen Eisenbahn. Da ist Aljoscha aus Moskau, der zwangsrekrutiert wurde und am Ende des Zuges in der dritten Klassen mit anderen Rekruten auf dem Weg nach Sibirien ist. Er möchte desertieren und bei jeder Haltestelle stellt er sich die Frage, ob und wie er flüchten kann. Und da ist Hélène, eine Französin, die mit ihrem Partner in Krasnojarsk war. Auch sie ist gewissermassen auf der Flucht. Während ihr Freund arbeitet, buchte sie kurzentschlossen ein Ticket nach Wladiwostok, hinterliess ihm keine Nachricht. Sie steigt in denselben Zug, wie Aljoscha schon Tage drin sitzt, doch in die erste Klasse am anderen Ende des Zuges. Und doch begegnen sie sich bald. Sie sprechen keine gemeinsame Sprache und doch versteht sie schnell seine eindringliche Bitte, ihm zu helfen. Sie nimmt ihn mit in ihr Abteil, versteckt ihn dort und wird zu seiner Komplizin.

Sehr poetisch, berührend und doch nicht kitschig, schreibt die Autorin über eine besondere Begegnung zweier verschiedenen Menschen, die beide vor etwas flüchten. Ich fühlte mich den Protagonist:innen von Anfang an sehr nahe. Selbst vor Jahren ein paar Mal mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs, wurde ich zurück katapultiert in meine eigenen Reiseerlebnisse. Die Autorin liess alle meine Erinnerungen wieder aufleben. Ich bangte ab der ersten Seite mit Aljoscha um seine Flucht. Ein tolles Buch, welches im Original übrigens bereits im 2012 erschienen ist.

& Du und ich und der Sommer
512 Seiten

Jura (16) und Wolodja (18) lernen sich 1986 in einem Sommer-Pionierlager in Charkiv, im ehemaligen Sowjetunion, kennen. Schnell freunden sie sich an und bald merken sie auch, dass sie mehr füreinander empfinden als nur Freundschaft. Im Geheimen nähern sie sich an, wohlwissend, dass ihre Liebe in der sowjetischen Gesellschaft nicht akzeptiert ist und es ihr Geheimnis bleiben muss. Nach diesem Sommer versprechen sie sich, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Ein paar Jahre schreiben sie sich fleissig Briefe, doch dann verlieren sie sich dennoch aus den Augen. 20 Jahre nach ihrem gemeinsamen Sommer beschliesst Jura endlich, Wolodja wiederzufinden...

Mich hat die Geschichte sehr berührt. Da ich vor 25 Jahren selbst längere Zeit in Russland verbrachte, fand ich es sehr spannend, der Geschichte im geschichtlichen Kontext zu folgen, welche in der Sowjetunion begann, die Perestrojka und den Zerfall der Sowjetunion durchlebte. Besonders Wolodjas Hadern mit seiner Homosexualität, die vor allem der homofeindlichen Gesellschaft geschuldet war, hat mich sehr ergriffen. Ich bangte all die Seiten um die Liebe der beiden Männer und wünschte mir nichts mehr, als dass sie endlich wieder zueinanderfinden und ihre Liebe ausleben können. Dass dieses Buch in Russland verboten ist, überrascht mich zwar nicht, macht mich aber dennoch sehr traurig und wütend.

Gewisse Teile der Geschichte fand ich sehr langatmig, und zwar all die Theaterproben im Sommerlager, insbesondere die finale Theateraufführung. Da hätten ruhig ein paar Seiten zusammengekürzt werden können. Ich bin schon sehr gespannt auf den 2. Teil.

Die scheusslichsten Länder der Welt - Mrs. Mortimers übellauniger Reiseführer
243 Seiten

Favell Lee Mortimer war eine englische, streng gläubige Autorin von Kindersachbüchern und lebte von 1802-1878. Zwischen 1849 und 1854 veröffentlichte sie übellaunige Reiseberichte, die voller Fremdenfeindlichkeit sind - und damals kaum Beachtung fand. Todd Pruzan stiess per Zufall auf diese und stellte sie zu einem Buch zusammen, welches 2005 herauskam.

Mortimer kommentiert die Essgewohnheiten, die Wohnsituationen, das Aussehen und die kulturellen Unterschiede der Bevölkerung verschiedener Länder. Alle, die nicht protestantisch leben, verurteilt sie als gottlos. An kaum einem Land und seiner Bevölkerung findet sie wirklich Gefallen. Das Besondere: Mortimer hat England nur zweimal verlassen, einmal als sie Schottland besuchte (und einmal, da bin ich mir nicht mehr ganz sicher, Belgien?). Die Länder, von denen sie schrieb, kannte sie daher nur aus anderen Erzählungen. Ihre Beschreibungen stecken voller Vorurteile und politischer Inkorrektheit.

Besonders interessiert hat mich natürlich ihren Bericht über die Schweiz. Sie kommt in ihrem Buch sehr gut weg, so positiv schreibt sie über kaum ein anderes Land. Über die Schweiz schreibt sie u.a. folgendes:

Es gibt in Europa kein so schönes Land wie die Schweiz; es ist ein Land der hohen Berge und tiefen Täler, der reissenden Flüsse und rauschenden Wasserfälle. [... ] Wenn man durch die Dörfer wandert, wird man oft arme Kinder erblicken, die mit gesenkten Köpfen, rollenden Augen und offenem Mund am Strassenrand sitzen. Was ist los mit ihnen? Das sind Dorftrottel. Sie haben kaum ein Fünkchen Verstand. [...] Man sollte sie nicht verhöhnen oder verachten, denn auch sie haben eine unsterbliche Seele, und manche von ihnen können zu Gott beten, auch wenn sie nicht arbeiten oder lesen können. [...] Die Protestanten haben eine der schlechten Angewohnheiten der Katholiken übernommen; sie amüsieren sich am Sonntag. Sogar die armen Leute aus den Bergen gehen am Sonntagabend zu den Gaststätten hinunter und trinken Wein; und auch wenn sie sich nicht betrinken, so sollten sie überhaupt nicht dort sein. (S.95-97)

Zu Beginn fand ich es sehr spannend, über verschiedene Länder zu lesen, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts von der Autorin beschrieben werden, wie über die einzelnen Nationen geurteilt wird. An Fremdenfeindlichkeit sind die Texte nicht zu überbieten. Ungläubig, dass sowas früher nicht nur gedacht, sondern auch ohne Konsequenzen vertextet werden konnte, las ich die einzelnen Reiseberichte. Es ist irgendwie so absurd, dass ich nur darüber lachen konnte - das Lachen blieb mir aber oft beinahe im Hals stecken. Mit der Zeit wurde das Buch aber ziemlich langatmig. Ihre Verurteilungen wiederholen sich, überall die Bettler und Gottlosen, die Taugenichten und Faulen. Frau Mortimer war sicherlich eine sehr verbitterte Frau. :)

Orbital
144 Seiten

The thoughts you have in orbit are so grandious and old. Think a new one, a completely fresh unthought one. But there are no new thoughts. They‘re just old thoughts born into new moments - and in these moments is the thought: without that earth we are all finished. We couldn’t survive a second without its grace, we are sailors on a ship on a deep, dark unswimmable sea. (S. 8-9)

Up here, "nice" feels such an alien word. It's brutal, inhuman, overwhelming, lonely, extraordinary and magnificent. There isn't one single thing that is nice. (S.17)

Our lives here are inexpressibly trivial and momentous at once [...]. Both repetitice and unprecedented. We matter greatly and not at all. To reach some pinnacle of human achievement only to discover that your achievements are next to nothing and that to understand this is the greatest achievement of any life, which itself is nothing, and also much more than everything. Some metal separates us from the void; death is so close. Life is everywhere, everywhere. (S.121)

Zwei Austronautinnen und vier Astronauten schweben in einer Raumstation durchs All und umkreisen in 24 Stunden die Erde sechzehnmal, alle 90 Minuten. Das Buch dauert genau 16 Umlaufbahnen, 24 Stunden. Die Autorin lässt die Lesenden in diesen 24 Stunden teilhaben am Alltag dieser Astronaut:innen. Wie sie auf engstem Raum schlafen, essen, arbeiten - und immer wieder die Erde von oben beobachten. Im Laufe der Geschichte wird auch immer wieder ein bisschen aus dem "erdischen" Leben von den Astronaut:innen erwähnt. Doch meist bleibt die Autorin in der Raumstation, bei den sechs Astronaut:innen, die sich für uns in einem absolut unvorstellbaren Alltag bewegen, fernab ihrem Zuhause und fernab jeglichem Zeitgefühl - und sich kleinen und grossen Fragen stellen, mit einer ganz speziellen Sichtweise auf unseren Planeten.

Wie unglaublich poetisch dieser Roman ist! Ich war ganz fasziniert davon, wie Samantha Harvey es schafft, mich als Leserin ins All mitzunehmen, mich ganz nah bei ihren Protagonist:innen zu lassen. Und wie sie ihre philosophischen Gedanken in wunderschöne Sätze bettet. Wie faszinierend der Blick von oben auf unseren Planeten ist - und das nur anhand ihren Beschreibungen. Der Roman lässt einem wieder ganz bewusst werden, wie wir unserem Planeten unbedingt Sorge tragen müssen. Das Buch hat mich ganz verzaubert, und das, obwohl mich die Raumfahrt bislang nicht begeistern konnte.

Der Wald
464 Seiten

Eine bisher unbekannte, äusserst invasive Pflanze breitet sich auf der ganzen Welt plötzlich rasant aus. Die Pflanze ist aggressiv. Ihre Pollen, ihre Dornen, ihr Saft - alles an ihr ist hoch gefährlich, so dass sie weltweit Menschen krank macht und für viele Todesfälle sorgt. Ausbreiten konnte sie sich, da tausende Menschen weltweit anonyme Post mit Pflanzensamen erhalten - und bei sich zuhause eingepflanzt haben. Auch wenn die Behörden schnell reagieren und davor warnen, diese Samen einzupflanzen, ist es bereits zu spät. Die Pflanzen wuchern und kein Mittel scheint das Wachstum dieser zu stoppen. Der Botaniker und Autor Marcus Holland hört das erste Mal von dieser besorgniserregenden Pflanze an einer seiner Bücherlesungen. Die junge Frau, die ihn auf diese anbahnende Katastrophe anspricht, wird nach der Lesung vor seinen Augen verschossen. Er geht der Sache nach und bringt sich dabei selber in grosse Gefahr...

Fundiert recherchierter Wissenschafts- und What-If-Thriller. Mich hat die Geschichte von Anfang an gepackt und die Spannung hat bis zum Schluss angehalten. Viel gelernt über die Pflanzenwelt und sogar über Johann von Goethe! Nicht zuletzt regt die Geschichte sehr zum Nachdenken an. Kleiner Wehrmutstropfen: Der Schluss fand ich doch etwas zu theatralisch.

Nicht zuletzt ein toller Sprecher mit angenehmer Stimme und schauspielerischer Professionalität.

Do Re Mi Fa So
192 Seiten

Franz ist im perfekten Alter. Wäre er ein Brot, müsste man ihn jetzt aus dem Ofen nehmen. (S.21)

Auch kleine Probleme schreibt man mit grossem P. (S.74)

Von der Badewanne aus kann niemand die Welt retten. (S.143)

Sebastian Saum ist ein erfolgreicher Opernsänger, er lebt mit seinem besten Freund Franz in seinem Elternhaus. Am Tag nach seines 40. Geburtstages nimmt er ein Vollbad und beschliesst, in der Wanne zu bleiben. Er trocknet sie aus und belegt sie mit Decken und Kissen. Während mehr als zwei Wochen bleibt er im Badezimmer, in der Wanne. Franz versorgt ihn derweilen mit Essen und Gesellschaft. Je mehr Tage vergehen, desto mehr distanziert er sich von seinem Leben, seinen Aufgaben und Rollen. Auch Franz distanziert sich nach einigen Tagen von ihm, sein Verständnis lässt nach, er macht sich Sorgen um die mentale Gesundheit seines Freundes.

Mich hat der Plot sehr neugierig gemacht. Er klang sehr originell und komisch. Die Geschichte hat mich aber leider dann doch nicht überzeugt. Sebastians Gedanken driften teilweise so arg ab, was ich nur anstrengend und wenig interessant fand. Die Autorin verfügt über einen grossen Wortwitz, was ich mochte.

Letzte Lügen
560 Seiten

Will hat für sich und seine frischgebackene Ehefau Sara eine Woche in einer Lodge der Familie McAlpine in den Bergen gebucht. Es soll ihre Hochzeitsreise werden. Schon in der ersten Nacht jedoch wird ihre Auszeit durch einen Mord getrübt. Sie finden Mercy, die Tochter der McAlpines und Managerin der Lodge, schwerverletzt beim See und noch bevor sie sagen kann, wer auf sie mehrmals eingestochen hat, stirbt sie. Will und Sara, die beide bei der Polizei arbeiten (Sara als Gerichtsmedizinerin), versuchen alles, den Fall zu lösen. Fast alle in der Familie von Mercy haben ein Motiv...

Oft etwas langatmig, manchmal handelten die einzelnen Charakteren, meiner Meinung nach, unglaubwürdig, was mich störte. Im Grossen und Ganzen war ich aber unterhalten ab der Geschichte.

All the Little Bird-Hearts
304 Seiten

I felt silent that day, as I frequently do, and unnecessary conversation seems then like an exertion that, while possible, will leave me compromised afterwards. Like running an unnecessary mile when you are terribly unfit but technically able. (S.144)

"Congratulations", that word that covers so man situations and that I cannot use in conversation, because it requires both substantial consideration and in-depth prior knowledge. People seem thrilled to hear it in the proper context, but this term demands an understanding of their very private desires. How can you always know that they even want the outcome for which you are congratulating them? What if they are embarrassed by the specific change and you draw uncomfortable attention to them by celebrating it? It is impossible to know another person's unspoken wants, and, conversely, to guess at their secret horrors, too. (S.252)

If loud noise and artificial light do not pain you, you cannot know the sublime relief of silence, of dullness. I intimately know both states; I have learned to live through the chaos and wait for the reward of stillness, knowing it will eventually come for me. (S.281)

Sunday lebt mit ihrer 16-jähriger Tochter Dolly in ihrem Elternhaus. Sunday ist autistisch, sie fühlt sich oft verloren in sozialen Situationen. Ein Ratgeber aus den 50er Jahren gibt ihr Halt, er zeigt ihr, wie man sich in den verschiedensten Situationen "richtig" verhält. Ihr Leben verändert sich, als Vita und ihr Mann nebenan einziehen. Sie freunden sich schnell an und Sunday fühlt sich geliebt wie selten zuvor. Auch Dolly freundet sich mit Vita an. Als Leser:in ist schnell spürbar, dass sich mit dieser Freundschaft etwas Unheilvolles anbahnt.

Mich hat die Geschichte sehr berührt. Die Geschichte gibt einen intimen Einblick in ein Leben einer autistischen Person (die Autorin ist selbst Autistin). Die Ausführungen über diese Mutter-Tochter-Beziehung, die durch Dollys Freundschaft mit Vita zunehmend ins Wanken gerät, nahmen mich sehr mit. Auch wenn sich das Ende schon bald abzeichnete, überraschte mich dann doch sehr, wie genau sich das Ende abspielte.

Kalt und still
512 Seiten

Nachdem die Polizistin Hanna Ahlander ihre Stelle in Stockholm verliert und sie auch gleich noch von ihrem langjährigen Freund aus ihrer gemeinsamen Wohnung geworfen wird, sucht sie Ruhe im Ferienhaus ihrer Schwester im Norden Schwedens. Doch kaum ist sie in Åre, wird dort die 18-jährige Amanda vermisst. Nach einer Party ist sie nicht mehr nachhause gekommen. Nachdem Hanna auf interessante Infos stösst, bietet sie der Polizeit ihre Hilfe an.

Okayer Krimi, die Auflösung war vorhersehbar, viele Entscheidungen waren nicht nachvollziehbar. Ich hatte mir von Viveca Sten mehr erhofft, es war mein erstes Buch von ihr.

& Der Mann, der kein Mörder war
592 Seiten

Kinder entdecken in einem Weiher in Västerås eine Leiche eines seit Tagen vermissten Jugendlichen. Wie sich herausstellt, wurde mehrmals auf ihn eingestochen und sein Herz herausgerissen. Die Ortspolizei kommt in der Ermittlung nicht weiter und holt sich Hilfe von Stockholm. Und auch Sebastian Bergman, ein früher erfolgreicher Kriminalpsychologe, der seit dem Tod seiner Frau und Tochter jedoch nicht mehr gearbeitet hat, drängt sich dem Team auf - aus nicht selbstlosen Hintergedanken. Er eckt mit seiner schwierigen Art bei allen an, aber sie merken im Team schnell, dass sie Bergman dringend benötigen, um den Fall zu klären.

Der erste Band der Reihe um den Kriminalpsychologen Sebastian Bergman. Bergman ist arrogant, überheblich, sexsüchtig, traumatisiert von schweren Schicksalsschlägen. Und er ist gut in seiner Arbeit. Eine spannende Figur, die in mir ambivalente Gefühle auslöste. Eine gelungene Geschichte, die für mich bis zum Schluss nicht durchschaubar war. Ich kann mir durchaus vorstellen, einen weiteren Bergman-Fall anzuhören.

Muskeln aus Plastik
240 Seiten

Chronische Erkrankungen haben im Gegensatz zu Unfällen meiner Meinung nach vor allem ein dramaturgisches Problem: Care und Empathie halten maximal so lange wie ein Gips, und man weiss doch genau, wie das ist, wenn der Gips irgendwann gräulich und muffig wird und alle schon unterschrieben haben. (S.99)

Autorin Selma Kay Matter gibt in diesem Buch Einblick, mit welchen Herausforderungen they zu kämpfen hat als Long COVID-Erkrankter und their Transidentität(-ssuche). Es ist ein dichtes Buch mit Matters eigenen Erfahrungsberichten, mit Bezügen zu anderer Literatur, mit medizinischen Terminologien, Definitionen und vielen (für mich) neuen (queerfeministischen) Begrifflichkeiten. Erläuterungen und Übersetzungen finden sich in zahleichen Fussnoten. Ich habe viel gelernt, aber gefühlt noch viel mehr (noch immer) nicht verstanden. Ich konnte nie ganz richtig in die Erzählungen eintauchen, die vielen Zitate, Querverweise und Erläuterungen holten mich jedes Mal wieder raus. Ich war oft kognitiv nicht auf der Höhe für diese doch sehr anspruchsvolle Literatur. Trotzdem bin ich froh, es gelesen zu haben. Ein wichtiges Buch!