"Und wenn Ihre Beziehung Ihnen Kummer bereitet, so ist das kein unabänderliches Detail, mit dem Sie sich eben zu arrangieren haben, und schon gar keine spirituelle Duldsamkeitsübung, die Sie irgendwann ins Paradies emporheben wird, sondern ein ernsthaftes Problem. Denn für jeden Tag, an dem Sie es aufgrund diffuser Pflichtgefühle zulassen, nicht glücklich zu sein, geben Sie ein Stück Ihrer Würde und Selbstachtung her. Und dieser Preis ist zu hoch; was auch immer Sie dafür erhalten oder zu erhalten glauben." (S.30)
"Wenn die Lehre, die wir aus einer leidvollen Erfahrung ziehen, einzig besagt, dass weitere solche Erfahrungen erforderlich seien, um endlich Glück zu erlangen, unterliegen wir einem grundlegenden Missverständnis. Leid ist nicht der Preis für Glück und verwandelt sich auch nicht plötzlich in dieses. Wieso sollte es auch? Leid ist lediglich die Summe wiederholter schlechter Entscheidungen; und mit jemandem zusammenzubleiben, der Ihnen nicht guttut, weil er nicht zu Ihnen passt, ist genau dies: ein täglich repetierter Fehler." (S.46)
"Einen guten Moment für die Trennung gibt es nicht. Aber vielleicht die richtigen Worte: 'Unsere Beziehung tut mir nicht gut, darum beende ich sie.' Mehr gibt es nicht zu sagen, denn um etwas anderes geht es nicht." (S.87)
Es gibt unzählige Ratgeber, die einem Tipps geben zur Erhaltung einer schwierigen Beziehung. Meyer sieht das anders. Zu viele Paare seien unglücklich und sollten sich besser trennen. Das Leben sei zu kurz fürs Unglücklichsein. Manchmal sind seine Ansichten meines Erachtens ein bisschen zu einfach gestrickt, oft sind seine Worte sehr provokativ gewählt. In vielem teile ich aber seine Meinung.
"Der Kapitalismus war ein Fortschritt, hat aber leider eine fundamentale Schwäche: Er erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen." (S.11)
"Eine Kreislaufwirtschaft könnte schön sein. Die 'Share Economy' hat betörende Visionen entwickelt, wie ein angenehmes Leben aussehen könnte, das nur so viel verbraucht, wie sich recyceln lässt. Das Ziel ist klar, nur der Weg fehlt. Bisher gibt es keinen Plan, wie sich der dynamisch wachsende Kapitalismus beenden liesse, ohne dass eine schwere Wirtschaftskrise droht. Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann - und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt." (S. 241-242)
"Rationierung klingt unschön. Aber vielleicht wäre das Leben sogar angenehmer als heute, denn Gerechtigkeit macht glücklich. Gesellschaften sind entspannter, gesünder und toleranter, wenn der Abstand zwischen Arm und Reich gering ist. Von dieser guten Stimmung profitieren nicht nur die unteren Schichten, wie globale Erhebungen zeigen: Auch die Elliten leben länger, wenn sie einer fairen Gesellschaft angehören." (S.253)
Aufrüttelnd, lehrreich, radikal. Jede*r sollte dieses Buch lesen. Die nach Ansicht von Hermann nötigen Massnahmen zur Eindämmung der Klimakrise scheinen der letzte Ausweg zu sein.
Super recherchiert, faktenreich und leicht verständlich. Manchmal etwas redundant.
"Mein Leben war bereits vor seiner Tat kein einfaches. Wegen all der Dinge, die mir früher schon angetan wurden. Arvins Anwältin hat vor Gericht übrigens fein säuberlich ausgebreitet, dass ich schon als Kind missbraucht wurde, und fragte sich, ob ich vielleicht deshalb sensibler als andere auf solche Übergriffe reagieren würde und sie nicht richtig einordnen könnte. Das muss man sich einmal vorstellen." (S. 36)
"Ich begriff aber auch: 'Nein heisst Nein' hilft dir wenig, wenn du in dem Moment, in dem der Übergriff passiert, kein Wort herausbringst." (S.93)
"Hochgerechnet haben in der Schweiz bereits 430'000 Frauen mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfahren. Nur rund acht Prozent der Fälle werden angezeigt, die Verurteilungen der Täterschaft liegt im einstelligen Prozentbereich. Nichtsdestotrotz bedeutet dies, dass hinter diesen 430'000 Übergriffen auch Täter stehen. Wenn jede und jeder von uns ein Vergewaltigungsopfer kennt, wie viele Täter kennen wir?" (S.140)
"Das Gesetz muss anerkennen, dass wir das Recht auf unseren Körper nicht vor Übergriffen verteidigen müssen. Sondern dass uns das Recht auf unseren Körper zusteht - einfach so." (S.143)
"Unser Körper ist kein Selbstbedienungsladen, in dem man sich bedienen kann, bis wir uns wehren oder Nein sagen." (S.144)
Die Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla behandeln das Sexualstrafgesetz in der Schweiz und schauen sich die Praxis unserer Polizei, die Beratungsstellen und das Recht an. Drei Frauen teilen des Weiteren im Buch ihre Erlebnisse von sexualisierter Gewalt und zeigen auf, welchen Hürden Betroffene ausgesetzt sind. Die Autorinnen führten zudem Interviews mit Politikerinnen, Opferberatungsexpertinnen, Polizist:innen, Polizeischuldirektoren.
Das Buch zeigt auf, welche Veränderungen es in der Schweiz braucht, im Strafrecht, aber auch institutionell.
Das Buch macht wütend, es schockiert, es macht betroffen und traurig. Aber es macht auch Hoffnung, denn, wie es scheint, kommt, was das Sexualstrafrecht anbelangt, endlich etwas in Gang.
Ein Einblick in die blühenden Jahre der Schweizer Textilindustrie und das dunkle Kapitel der Kinderarbeit in den Spinnereien.
Die Recherchen der Autorin werden begleitet von Textausschnitten des Buches «Anneli kämpft um Sonne und Freiheit» von Olga Meyer aus dem Jahr 1927 sowie Schabzeichnungen von Rahel Henn.
Ein kurzes, leicht und schnell zu lesendes Buch, welches sehr anschaulich aufzeigt, wie Kinder im 19. Jahrhundert um ihre Kindheit (und Gesundheit) betrogen wurden, indem sie sich durch 15-stündige Arbeitstage kämpfen mussten. Leider stammen viele Quellennachweise aus Wikipedia, was die Qualität des Buches mindert.
"Man fällt in ein Loch oder die Decke einem auf den Kopf, sagt der Volksmund. Aber es ist ein Hund, ein schwarzer. Er lief dir schon in der Kindheit zu. Wenn er kommt, ist es Zeit, dich ins Bett zu legen und zu warten, denn er lässt sich nicht aufscheuchen, wegjagen, verbannen. Du nimmst an, der Hund hat mehrere Meister, da er genauso plötzlich verschwindet, wie er auftaucht. Aber wenn er kommt, bleibt er meistens lange. Das Einzige, was du an ihm magst - dass du ihn kennst. Und vielleicht, wie sein Fell riecht, an besseren Tagen." (S. 58)
Der Konzeptkünstler Dürrst leidet an einer Bipolaren Affektstörung. Sein Leiden, seine Suche nach Liebe und Anerkennung, die grosse Erschöpfung, sein Kampf im Leben werden ungeschönt erzählt. Ein schweres, heftiges und wichtiges Buch, das unter die Haut geht und offen über die leider noch immer sehr tabuisierten psychischen Krankheiten spricht.
Die Geschichte wird in der zweiten Person erzählt, was ich sehr schön fand, es schaffte etwas Distanz, ohne unpersönlich zu werden. Sehr schöne Sprache.
"Früher hat er gedacht, dass es viel mehr braucht, um sich einer Gesellschaft verbunden zu fühlen. Wie die meisten anderen ging er davon aus, dass er als Aussenstehender miteinbezogen werden möchte. Jetzt merkt er, was das für ein Unsinn ist. Manchmal reicht es, wenn die Gesellschaft sich von den Aussenstehenden nicht sichtlich die Laune verderben lässt. Es muss kein Miteinander geben, wenn das Nebeneinander friedlich ist." (S. 238)
Ein Buch über drei Teenager, die irgendwie nicht dazugehören, jede*r auf eine andere Weise. Ein Buch über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Entfremdung von Jugendlichen. Die Geschichte spielt mit aussergewöhnlich gezeichneten Figuren, was mir sehr gefiel. Nicht zu jeder (Neben-)Charaktere fand ich jedoch Zugang. Schöne, bildhafte Sprache. Das Ende habe ich irgendwie nicht begriffen.
"Oft habe ich es auch mit Menschen zu tun, die nicht einverstanden sind mit gleichgeschlechtlicher Liebe. Was unfreiwillig lustig ist: Wie kann man nicht einverstanden sein mit etwas, das existiert? Das ist, als wäre man nicht einverstanden mit Zucchetti oder Abendsonne oder Ellbogen. Das sind keine Erfindungen, sie existieren einfach." (S. 201)
"Ich finde, das Bild mit dem Tempel passt sehr gut: Dein Körper ist ein Tempel, und du bestimmst die Öffnungszeiten. Vielleicht sogar einen Tag der offenen Tür. Und sein Schutzkonzept. Du bestimmst all das, was im Tempel, am Tempel und um den Tempel herum passiert. Dein Tempel, deine Gartenbepflanzung." (S.112)
Anna Rosenwasser ist LGBTQ-Aktivistin und Politinfluencerin. Sie schreibt für die queere Community und ihre Mitmenschen, sie schreibt über Menschenrechte, (Queer-)Feminismus und Anziehung. Sie klärt auf, ist hässig (über Ungerechtigkeiten), macht Mut und leistet Widerstand gegen festgefahrene Normen. Sie plädiert für die Liebe - und dies immer wieder mit viel Humor.
Ich liebe ihre Kolumnen, im Magazin Saiten ist ihr Text immer das erste, was ich im neuen Heft lese. Dank ihr habe ich sehr viel gelernt über die Vielfalt der Geschlechter, über die gendergerechte Sprache und dass wir leider immer noch sehr weit davon weg sind, alle Menschen gleich zu behandeln.
"Solidarisch und für andere da sein kannst du auf die nachhaltigste und beste Art und Weise, wenn du nicht selbst schon am Ende deiner Kräfte angekommen bist. Wenn du zwischendurch innehältst und dir selbst genau diese Fragen stellst: 'Was brauche ICH? Was kann ich tun, um MICH zu unterstützen?' Und dich hin und wieder daran erinnerst, dass du nicht und niemals ALLEIN dafür verantwortlich bist, die Welt zu retten." (S.25)
Gräfen schreibt über ihre Erfahrung und Strategien, die sie mit Selbstfürsorge gemacht hat. Sie erklärt die Wichtigkeit der Selbstfürsorge und erklärt, inwiefern sie mit Feminismus zusammenhängt. Sie gibt Denkanstösse, aber keine Anleitungen, was wie gemacht werden muss - und dies stets auf Augenhöhe mit der lesenden Person. Die Illustrationen sind sehr erheiternd. Mir hat das Buch gut getan.
"Geschlechtlichkeit ist biologisch nicht zu erklären, sondern kulturell seit Jahrtausenden gewebt, eine symbolisch bewegte und bewegende Kraft." (S. 17)
Barbara Vinken analysiert Mode als das Spiel zwischen den Geschlechtern und Identitäten und ermöglicht immer wieder einen spannenden Einblick in die historische Modegeschichte. Leider oft viel zu kompliziert geschrieben, ich konnte der Autorin nicht wirklich folgen und bin mir auch nach Ende des Buches noch immer nicht über ihren Standpunkt sicher.
"Aber Bastian wollte ein einzelner sein, ein Jemand, nicht bloss einer wie alle anderen. Er wollte gerade dafür geliebt werden, dass er so war, wie er war. [...] Er wollte nicht mehr der Grösste, der Stärkste oder der Klügste sein. Das alles hatte er hinter sich. Er sehnte sich danach, so geliebt zu werden, wie er war, gut ode schlecht, schön oder hässlich, klug oder dumm, mit all seinen Fehlern - oder sogar gerade wegen ihnen."
Ein phantastisches Buch! Bereits als Kind geliebt, aber auch jetzt als Erwachsene hat es mich verzaubert.
"Von wie vielen Menschen müssen wir geliebt werden, um glücklich zu sein? Zwei? Fünf? Zehn? Oder nur von einem? Diesem einen, der uns zum Sehenden macht. Der uns die Angst nimmt. Der unserem Sein einen Sinn einhaucht."
"Es gelang ihm nicht, sich einzureden, dass diese Bäume in einer anderen Welt ständen als die Bäume von Dachau, je tiefer er in den Wald ging und je länger er allein war, desto stärker empfand er im Gegenteil, dass alles Gleichzeitige ebenso gegenwärtig war wie das Vergangene und das Zukünftige."
"Eben weil sie in Sprache getaucht ist, wirkt die Vergangenheit so perfekt, eine Zeit der Proportion und Ordnung. Für Tiere mag Erinnerung ein Gefühl sein, eine Resonanz der Nerven, mag vom Rückgrat ausgehen, für Menschen aber gibt es die Vergangenheit nur in Worten. Sie existiert nirgendwo sonst."
Ein Wissenschaftsfanatiker führt ein fragwürdiges Experiment mit Kindern durch, um die Sprachentwicklung erklären zu können.
Sehr spannend, teilweise richtiggehend ekelerregend, packend geschrieben.
"Marine hat nie hinter diesen verschlossenen Türen gelebt, sie durchschaut die Anzeichen nicht. Ich kenne die Tricks, mit denen man die Worte und Gesten vorsichtig verpacken muss. Es ist wie bei einem brodelnden Vulkan, Lava wird austreten, man weiss nicht genau wann, aber früher oder später wird das Magma überquellen, die Gedanken, jede Rationalität mit sich fortreissen, bis nur noch blanke Angst zurückbleibt." (S. 114)
Jeanne wächst mit ihrer Schwester und Eltern in einem Walliser Bergdorf auf. Der Vater gewalttätig gegen Frau und Kinder, die Mutter und Kinder verängstigt, eingeschüchtert. Das Dorf weiss, was in dieser Familie passiert, doch alle schauen weg. Ihre traumatischen Erlebnisse nimmt sie ins Erwachsenenalter mit, ihr Trauma bestimmt ihr Leben, sie kämpft dagegen an, versucht, sich von ihren schmerzvollen Erinnerungen zu lösen, sich von ihrem Vater zu distanzieren.
Das Buch ist zornig, roh, ungeschönt und heftig. Es erschütterte mich, ging mir nahe, machte mich wütend und betroffen.