Bild ohne Mädchen
208 Seiten

"In diesem Gefühl lebt ein zweites Gefühl. Leicht ist es, traurig und schön. Wie die Bilder im Fernseher bei den Nachbarn. Da und doch nicht da. Das Kind kann das Gefühl nicht festhalten, es weht hinter einem Atemzug her aus der Brust heraus. Durch den Schnorchel entweicht es und findet nicht zurück." (S.17)

Ein fünfjähriges Mädchen darf bei seinem Nachbarn fernsehen, weil sie zuhause keinen Fernseher haben, und verbringt viel Zeit bei ihm. Nach und nach, das Mädchen wird langsam eine junge Frau, erfährt man zwischen den Zeilen, welches dunkle Geheimnis diese Familie begleitet. Eine Geschichte, die in Bildern erzählt wird, so scheint es.

Ich erkenne die grossartige Sprache der Autorin, ich fand es aber sehr schwierig zum Lesen, mich in der Geschichte zurechtzufinden, anzukommen. Ich fand es sehr anstrengend, wirr. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt für mich, vielleicht hat das Buch von mir eine zweite Chance verdient.

Echtzeitalter
432 Seiten

„Die Kunst des Nichtauffallens besteht darin, sich nicht an die eigene Individualität zu klammern und alles, was man mag oder wovon man glaubt, es sei einem wichtig, als austauschbar zu begreifen.“ (S.21)

"Eine Scheidung ist wie eine Schachtel Pralinen, nur kann man bei Pralinen meist relativ gut abschätzen, welche einem schmecken werden und welche nicht, während bei Scheidungen immer die Chance besteht, Pech zu haben, Pech ist zum Beispiel, dass Tills Mutter am Tag vor der Unterzeichnung des Scheidungsvertrags mit ihrem um einige Jahr jüngeren Arbeitskollegen Händchen haltend auf der Praterstrasse gesehen wird und Tills Vater ihr daraufhin die einvernehmliche Scheidung verweigert, was zu vielen weiteren Komplikationen führt, denn eine Scheidung, die vor Gericht ausgefochten wird, ist, wie gemeinsam um eine Schachtel Pralinen herumzusitzen und zuzusehen, wie jede einzelne von Anwälten in der Mitte durchgeschnitten und einer Seite zugeteilt wird, heisst: sich darüber streiten, wie man Marzipan in Karamell umrechnet, Verpflichtungen in Urlaubswochen, Geld in Zeit." (S.33)

"Tills Leben ist so schlimm geworden, dass er nicht mehr von schönen Dingen träumt, sondern von Dingen, die nicht vollständig schlecht sind." (S.298)

"Es liegt eine Freiheit darin, seine Ängste wahr werden zu sehen, denn Ängste, die wahr werden, hören auf, Ängste zu sein." (S.322)

Eine Coming-of-Age-Geschichte, die sich hauptsächlich in einer Wiener Schule abspielt, mit Hauptprotagonisten Till. Ein Buch über die Jugend, das Verhältnis zu den Eltern, das Älterwerden, die Liebe, die Leiden der Schule - und über die Flucht in die Onlinewelt des "Empire of Age".

Sehr humorvoll, unterhaltsam und lebensnah geschrieben. Ich habe es sehr gerne gelesen.

Glitsch
296 Seiten

"Das ungezeugte Kind lag zwischen ihnen, wenn sie schliefen, es brüllte in der Nacht und riss ihn aus seinen Träumen. Es verhedderte sich in seinen Gedankenfäden und verdorrte ihm die Zunge." (S.25)

Wir befinden uns in der Zukunft, der Klimawandel schon weit fortgeschritten, ein Paar auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff in der Arktis auf dem Weg nach Tokyo. Erst ein Streit des Paares, dann das Verschwinden der Frau und damit beginnt die Welt des Protagonisten auch immer mehr zu bröckeln. Wie in einem Computerspiel, welches er immer wieder spielt, scheinen auch in seinem Leben Glitches aufzutauchen. Er verwahrlost immer mehr auf diesem Schiff, seine Spuren scheinen langsam zu verwischen, er scheint zu entgleiten, die Crew behandelt ihn wie einen Hochstapler, einen blinden Passagier. Nebenher plötzlich das Auftauchen einer sektiererischen Gruppe.

Hat das Buch für mich sehr spannend und vielversprechend begonnen, verlor ich spätestens ab der ersten Erwähnung dieser Sektengruppe zunehmend das Interesse. Zu vollgepackt, zu wirr. Nebenher störten mich auch die vielen Fehler, das mangelhafte Lektorat.

Sankt Galler Spitzen
320 Seiten

Für mich, die in St.Gallen wohnt, war es sehr unterhaltsam, den mir bekannten Schauplätzen des Krimis zu folgen. Für mich, die beruflich mit der Textilbranche der Ostschweiz verknüpft ist, war es zudem sehr interessant zu lesen, wie sich die Geschichte um eine fiktionale St.Galler Textilfirma dreht.

Ansonsten hat mich der Krimi nicht überzeugt. Aber ich bin auch keine enthusiastische Krimileserin.

Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt
160 Seiten

"Erst als ich nach dem Abitur das Dorf verlassen hatte und in die Stadt gezogen war, hatte ich gelernt, wie weit die Welt war und wie unsicher. Vielleicht hatte ich deshalb zu schreiben begonnen, um die Landschaft, die Sicherheit meiner Kindheit wiederzugewinnen, aus der ich mich selbst vertrieben hatte." (S.19)

"Ich habe keine Angst vor Ihnen, sagte sie. Erst will ich das Ende der Geschichte hören. Das Ende der Geschichte kann ich Ihnen nicht erzählen, sagte ich, ein Ende haben Geschichten nur in Büchern. Aber ich kann Ihnen erzählen, was weiter geschah." (S.38)

"Aber trotz der Fotos und der Plüschtiere wirkten die Räume unbelebt, als seien sie seit Monaten von keinem Menschen betreten worden. Vielleicht fühlte ich mich gerade deshalb wohl darin, auch mein Leben war ein leerer Raum, in dem nur die Schatten an den Wänden verrieten, dass er einmal bewohnt gewesen war." (S. 106)

Christoph begegnet der jungen Lena und erzählt ihr die Geschichte von seiner Liebe zu einer Magdalena, die 16 Jahre her ist. Er erzählt von Magdalena, die Lena sehr gleicht, Lena ist. Er erzählt von Lenas Leben. Wirklichkeit und Fantasie scheinen sich zu vermischen. Kann das Schicksal manipuliert werden?

Ich mag Stamms ruhige, feine Schreibweise. Über alle Seiten hinweg schwebt eine sanfte Melancholie.

Vatermal
241 Seiten

"Du sollst wissen, wer ich gewesen bin. Damit du niemals die Erleichterung fühlst, von der ich so oft heimlich träumte: von einem Toten angeschwiegen zu werden. Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war." (S.19)

Öziri schreibt mit Vatermal eine berührende, bedrückende Familiengeschichte über einen abwesenden Vater, die Alkoholsucht der Mutter, über die Schwester, die irgendwann abhaut, über Fremdenfeindlichkeit, die Angst vor dem Ausländeramt und die Jugendjahre des Protagonisten im Ruhrgebiet.

In einer wunderschönen, eingängigen Sprache geschrieben. Sehr zu empfehlen!

Einhundert Samstage
336 Seiten

" 'Gab es nie einen bestimmten Moment, in dem Sie alles verstanden, definitiv verstanden?', frage ich Stella. 'Das ist eine Frage aus dieser Welt, Michael, nicht aus jener Welt. Es gab nicht nur keinen präzisen Moment, in dem ich alles verstand, es gab auch sehr lange keinen Moment, in dem ich oder eine von uns zuliess, etwas zu fühlen. Wir waren zu sehr mit dem Überleben beschäftigt.' Sie hält inne. 'Aber es war natürlich da, überall, die ganze Zeit. Dieses Wissen. Wie eine Flamme. Zu brutal, um ihr nahe zu kommen. Wenn wir sie berührt hätten, wären wir vielleicht selbst gestorben.' " (S.206)

Während hundert Samstagen besucht Michael Frank die Holocaust-Überlebende Stella Levi, um ihre Geschichte kennenzulernen. Geboren 1923 im jüdischen Viertel in Rhodos, wird sie 1943 nach Ausschwitz deportiert. Sie überlebt und beginnt ihr neues Leben in New York.

Eine sehr berührende Geschichte einer beeindruckenden Frau mit grausamster Vergangenheit.

Wovon wir leben
192 Seiten

"Dieser Mensch hat alle Zitronen gegessen, die er jemals irgendwo liegengelassen hat, während ich an meinen bis zum letzten Tropfen sauge, und dann auch noch an denen, die mir gar nicht gehören." (S.126-127)

"Was gewinnst du, wenn du gewinnst? Wie viel verlierst du , wenn du verlierst? Die Frage des Städters: Warum hast du nie Kinder gehabt? Meine Antwort im Stillen: Ich war damit beschäftigt, Eltern zu haben. Wahrheit oder Lüge, und zu wie vielen Teilen?" (S.147)

Das Buch erzählt die Geschichte einer Krankenschwester, die aufgrund eines Kunstfehlers ihre Stelle verliert und in ihr Heimatdorft flüchtet. Selbst krank, hofft sie darauf, dort von ihren Eltern unterstützt zu werden. Was sie antrifft: einen Hypochonder als Vater, auf den sie nun zu schauen hat, einen pflegebedürftigen Bruder, eine kranke Ziege, Arbeitslosigkeit, Auswegslosigkeit, Alkohol. Die Mutter hat den Vater inzwischen verlassen.

Ein einnehmendes Buch mit einer wunderschönen Bildsprache.

Sturz in die Sonne
200 Seiten

"Alles Leben wird enden. Es wird immer heisser werden. Die Hitze wird unerträglich sein für alles Lebende. Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben. Und trotzdem, noch sieht man nichts. Noch hört man nichts: Sogar die Botschaft selber ist verstummt. Was zu sagen war, ist gesagt; Stille." (S. 6)

Das Buch, geschrieben 1922, stützt sich auf den Hitzesommer von 1921, als die Temperaturen in Genf auf 38.3 Grad stiegen. Anders als in unserer heutigen Situation, ist die Ausgangslage der steigenden Hitze aber eine andere: Aufgrund eines Gravitationsfehlers stürzt die Erde der Sonne entgegen. Anders als heute trägt die Menschheit keine Schuld. Im Buch geht es darum, wie die verschiedenen Personen mit dieser Situation umgehen und wie sich der Blick auf die Welt, auf das Leben ändert.

Eine spannende Geschichte, herausfordernd zu lesen. Die einzelnen Kapitel stehen für sich, sind eigene Geschichten, die Sprache war für mich teilweise sehr anspruchsvoll, der Wechsel von einem zum anderen Kapitel zu sprunghaft. Ich konnte nicht immer folgen (war aber ehrlicherweise auch nicht immer bei der Sache...).

Das dritte Licht
95 Seiten

"Kinsella nimmt meine Hand in seine. Sobald er sie nimmt, merke ich, dass mein Vater kein einziges Mal meine Hand gehalten hat, und ein Teil von mir will, dass Kinsella mich loslässt, damit dieses Gefühl vergeht." (S.70)

" 'Du brauchst nichts zu sagen, nie', sagt er. 'Denk immer daran: Das ist etwas, was du nie zu tun brauchst. So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.' " (S.74)

Eine irische Familiengeschichte aus den Achzigern. Ein Mädchen wird über den Sommer zu fernen Verwandten gebracht und lernt dort eine neue Form von Familie kennen.

Ein wunderschönes Buch, in einer sehr feinen, poetischen Sprache geschrieben. Aus der Erzählperspektive dieses Mädchens. Der Schluss liess mich mit vielen Fragezeichen zurück.

Eine Herzensempfehlung!

Knochenlieder
301 Seiten

"Die Decke dämpft Körperschichten,

Da liegen Baumwolle

über Daunenfedern

über Baumwolle

über nackter Haut.

Darunter die Seele im Schlummer." (S.180)

Eine Familiengeschichte über drei Generationen. Die Geschichte erzählt, wie die Frauen dieser Familie die Herausforderungen der dystopischen Verhältnisse ihres Alltags (Bürgerkrieg, Unruhen) angehen bzw. überstehen.

Das Buch zeigt ein sehr ungewöhnliches "Schriftbild" für einen Roman, die Sprache ist äusserst poetisch. Ich fand sie zu Beginn gewöhnungsbedürftig, fand mich dann aber doch relativ schnell zurecht in diesen speziellen Rhythmus. Auf die Länge überzeugte mich ihr Stil aber trotzdem nicht, er lenkte mich zu fest von der Geschichte ab.

22 Bahnen
208 Seiten

"Ich: Ist das ein Abschied? Viktor schüttelt den Kopf. Viktor: Nein, das Gegenteil. Ich: Was ist denn das Gegenteil von Abschied? Er überlegt. Viktor: Ankunft?" (S.194)

Eine tiefberührende, herzergreifende Geschichte. So traurig und doch voller Hoffnung, in einer wunderschönen, zarten Sprache. Die Seiten lasen sich wie von selbst. Und viel zu schnell war sie zu Ende.

Kochen im falschen Jahrhundert
198 Seiten

"Erinnerst du dich daran, wie du das erste Mal in deiner eigenen Wohnung, es war nicht mehr als ein Zimmer, etwas kochen wolltest und dir erst mittendrin aufgefallen ist, dass du noch Salz würdest kaufen müssen? Du besassest nicht einmal einen Salzstreuer. Woran man nicht alles denken musste in einem Erwachsenenleben! Dein erstes Salz, wie würde es schmecken?" (S.5)

Eine Einladung zum Essen in der neuen Wohnung der Gastgeberin, vier Gäste, Jazzmusik im Hintergrund, angeregte Gespräche, durchbrochen von Erinnerungen in die Vergangenheit und kulinarischen Exkursen. Und immer wieder kleine Verschiebungen...

Ich fand die Geschichte durchaus unterhaltsam, aber zunehmend auch etwas (zu) wirr und gleichzeitig auch langatmig und banal. Mir ist sie nicht nachhaltig hängengeblieben. Bzw. sie hat mich nicht abgeholt.