Als wir später nebeneinanderliegen und in diese viel zu heisse Sonne starren, reden wir miteinander. Über die Vögel und den Himmel und die Schule und die Eltern und so. Es ist alles recht grundlegend, wir tauschen einmal unsere Haltungen zur Welt und so aus und das, was man mit sechzehn halt so denkt, was wichtig sein könnte, wenn man anfängt, miteinander zu knutschen. (S.67)
Vielleicht bin ich auch sauer, aber habe keinen Kanal dafür. [...] Ich check die Angst, erwischt zu werden. Die Angst löst bei mir was Körperliches aus. Was ich schwerer benennen kann, ist das Wütendsein. Es hat keinen Ort in meinem Körper. (S.132)
Die Reduktion der Stadttaubenpopulation ist mal langfristig missglückt. Mir taten sie immer leid. Die Fäkalien der Taube, die immer ein bisschen zu flüssig sind, sind das Resultat einer chronischen Magen-Darm-Erkrankung, die andere Vögel, andere Tauben so nicht haben. Dieses Tier ist komplett auf die kapitalistischen Heilsversprechen reingefallen, ist in die Stadt gezogen, weil es da Arbeit gab, und dann kein Wohnraum mehr, schwupps, die Hand, die dich füttert, schiesst dich tot. (S.165)
Die 15jährige Era lebt mit ihrer Mutter in einem Tiny House am Waldrand. Die Klimakrise ist fortgeschritten, die Wälder brennen, die meisten Vögel sind bereits ausgestorben. Era dokumentiert das Aussterben der Vögel. Und sie lernt die beiden Schwestern Merle und Maja kennen, Töchter zweier Momfluencerinnen. Die Geschwister gehen jeden Samstag in den Wald und jagen Festplatten in die Luft. Sie möchten ihre Spuren, die ihre Mütter im Netz mit ihren Vlogs ungefragt hinterlassen haben, vernichten. Era beginnt, mitzumachen. Era und Maja verlieben sich ineinander. Als die jüngere Schwester irgendwann den Müttern beichtet, was sie jeweils im Wald zerstören, taucht Maja unter - und ermutigt Era, zu ihr zu kommen.
Die Autorin beschreibt ein dystopisches, aber realistisches Zukunftsszenario. Die Folgen der Klimaerwärmung werden nebenher deutlich aufgezeigt, ohne dass sie den Fokus darauf legt (hätte sie aber durchaus machen können). Sie schreibt in einer sehr jugendlichen Sprache, angepasst auf die Hauptfigur Era. Vögel sind ein wichtiges Thema und irgendwie auch der einzige rote Faden in diesem Buch. Die restliche Geschichte mit den Explosionen empfinde ich als zu gesucht und erschliesst sich mir nicht.
sie hat gewalt und schläge gehasst, und ich meine wirklich gehasst, und trotzdem hat sie stundenlang mit mir trainiert, hat gelacht, gegrinst, ihr warmes lachen ist zwischen den wänden hin und her, ich war sechs, dann sieben, dann acht, und sie meinte, wart nur ab, mein junge, du wirst sie auf die bretter schicken, und deshalb hat es ein bisschen zu krass wehgetan, als sie krank wurde, denn sie war immer die starke (S.43)
[...] ich hatte bestimmt zwanzig [arme ritter], vielleicht mehr und ich spür die immer noch in meinem bauch, wenn es windig ist oder wenn ich zum bus laufe, sie hat gefragt, willst du noch einen, und ich hab ja gesagt, und dann hat sie nochmal gefragt, unendliche male, denn aus irgendeinem grund wurden die armen ritter nicht weniger und ich bekam nicht genug, und das war ein ziemlich guter moment, der hat sich in meinem hirn festgesetzt und in meinem herz und ich weiss bis heute nicht, was sie in die matsche reingemacht hat, ob das zucker war oder kardamom oder ecstasy oder liebe (S.50)
aber ich komm schon klar bruder, das weisst du, es ist nur so, mama ist eigentlich die stärkste, die ich kenne, ich schwöre, aber vielleicht hat sie ein bisschen mehr baggage abgekriegt als sie tragen kann (S.59)
[...] wenn ich kinder krieg, ich schwöre, dann wird alles anders, die werden niemals in so einer scheisse aufwachsen wie wir, ich werd ne richtige wifey haben, versteht ihr, eine richtig gute seele, und dann sag ich, ich werd aufpassen, dass vorher alles geregelt ist, dass meine kids ein haus erben, versteht ihr, keine narben (S.151)
was ist schlimmer, langsam sterben, wie eine blume, die verwelkt, oder plötzlich ohne vorwarnung, wie ne bombe, die die welt in chaos sprengt, scherben und staub und klingeln in den ohren (S.214)
Oliver Lovrenski schreibt in seinem autobiografischen Roman über vier Jungs mit Migrationshintergrund, die in Oslo aufwachsen und auf die schiefe Bahn geraten. Drogen, Gewalt, Kriminalität.
In einer rastlosen, getriebenen (Slang-)Sprache zeigt der Autor eine ebensolche Jugend, von vermeintlich sehr harten Jungs, die sich aber überraschend oft auch sehr verletzlich und zart zeigen, gerade wenn es um ihre Familie, besonders ihre Grossmütter, geht. Es ist eine brutale Welt, die gezeigt wird, sie erschüttert.
Das Buch ist in kleinen bis sehr kleinen Kapiteln verfasst, ausschliesslich in Kleinbuchstaben, die Sätze werden nicht mit Satzzeichen beendet, manchmal aber mit Emojis. Aussergewöhnlich, neu, manchmal befremdlich und dennoch durchgehend sehr poetisch. Der Glossar am Ende des Buches hilft nur begrenzt, alle Slang-Ausdrücke zu verstehen, er hätte durchaus umfangreicher sein können.
Mir hat das Buch sehr gefallen, auch wenn ich es zunehmend anstrengend fand zu lesen (besonders die Kleinschrift, die fehlenden Satzzeichen). Mein Auge ist dies nicht gewöhnt. :)
Ich weiss nicht, was ich machen soll. Rausgehen, rennen, schwimmen. Hier drinnen ist es mir zu laut, zu gefährlich, die Gedanken zerschneiden mein Inneres messerscharf zu ungleich grossen Gulaschklumpen. (S. 202)
Nachfolgeroman von "22 Bahnen", diesmal aus dem Leben von Ida, Tildas kleiner Schwester. Wer diesen Roman mochte, wird mit "Windstärke 17" ebenfalls happy.
Nach Mutters Tod möchte Tilda, dass Ida zu ihr nach Hamburg kommt. Ida landet jedoch nicht in Hamburg, sondern reist ohne ein bestimmtes Ziel weiter nach Rügen. Dort lernt sie Marianne und Knut, ein älteres Ehepaar, kennen, die sie bei sich aufnehmen. In Rügen kämpft Ida gegen ihre Schuldgefühle an, die sie seit dem Tod ihrer Mutter quälen. Sie lernt Leif, ein junger DJ und Surfer, kennen und eine Liebesgeschichte bahnt sich an. Als bei Marianne Krebs diagnostiziert wird, droht Idas Leben erneut aus den Fugen zu geraten.
Wie "22 Bahnen" hat mich das Buch tief berührt und ergriffen. Idas Trauer und Wut waren zeitweise kaum auszuhalten, ich habe Seite für Seite mitgelitten. Und immer wieder sehr viel Liebe und Geborgenheit, die Ida durch das ältere Ehepaar, aber auch durch Leif und Tilda, erfährt. Wunderschön!
"Was ist Glück? Ein Zustand? Eine Masseinheit? Ein Begriff, den jeder für sich selber definieren muss? Kann man Glück anstreben und erreichen, oder geschieht Glück nach dem Zufallsprinzip? Wenn sich Glück häuft, wird daraus Zufriedenheit?" (S.65)
"Angenommen, wir könnten jetzt zusammen an einem Tisch beim Mittagessen sitzen und reden: Was würdest du mich fragen?" (S.125)
Yvonne Eisenring war 14 Jahre alt, als ihr Vater plötzlich starb. Sie hatte viele Fragen, die sie nicht beantworten konnte und die niemand beantworten wollte. Ein Jahr später begann sie, diese Fragen in einem Notizheft zu sammeln. Es sind Fragen über das Leben, über den Tod. Es sind Fragen, die auch die Leser:innen zum Nachdenken anregen. Ein sehr persönliches, intimes Buch über den Verlust eines geliebten Menschen.
Das Buch ist mit Illustrationen von Nicole Kim ergänzt.
"Geschlechtlichkeit ist biologisch nicht zu erklären, sondern kulturell seit Jahrtausenden gewebt, eine symbolisch bewegte und bewegende Kraft." (S. 17)
Barbara Vinken analysiert Mode als das Spiel zwischen den Geschlechtern und Identitäten und ermöglicht immer wieder einen spannenden Einblick in die historische Modegeschichte. Leider oft viel zu kompliziert geschrieben, ich konnte der Autorin nicht wirklich folgen und bin mir auch nach Ende des Buches noch immer nicht über ihren Standpunkt sicher.
"Aber Bastian wollte ein einzelner sein, ein Jemand, nicht bloss einer wie alle anderen. Er wollte gerade dafür geliebt werden, dass er so war, wie er war. [...] Er wollte nicht mehr der Grösste, der Stärkste oder der Klügste sein. Das alles hatte er hinter sich. Er sehnte sich danach, so geliebt zu werden, wie er war, gut ode schlecht, schön oder hässlich, klug oder dumm, mit all seinen Fehlern - oder sogar gerade wegen ihnen."
Ein phantastisches Buch! Bereits als Kind geliebt, aber auch jetzt als Erwachsene hat es mich verzaubert.
"Es war nicht still darunter [Gehörschutz], es war nie still, wenn man alles andere aussperrte."
Drei Geschichten über Bienen erzählen von Verlust und Hoffnung und lassen einen über unsere Zukunft nachdenken. Was haben wir alles angerichtet, welche Konsequenzen tragen wir davon? Die Geschichten stehen in Verbindung zueiander, das Buch ist schlau konstruiert und auch packend geschrieben. Die Sprache war mir zu holprig, oft zu "ungelenk" und ich störte mich an komischen, realitätsfremden Dialogen.
Johanna verlässt in jungen Jahren ihren Ehemann, Eltern und Heimatort, um in den USA eine Kunstausbildung zu machen und ihre neue Liebe zu heiraten. In der Beziehung zu ihren Eltern und Schwester löst dieser Wegzug einen ersten Bruch aus. Als sie nach dem Tod ihres Vaters nicht zur Beerdigung auftaucht, brechen ihre Mutter und Schwester den Kontakt ganz ab. Mit 60 Jahren kehrt Johanna in ihre Heimatstadt zurück. Sie sucht den Kontakt zu ihrer Mutter, die aber jegliche Kontaktaufnahme verweigert. Auch ihre Schwester gibt ihr klar zu verstehen, dass sie nicht erwünscht sei. Doch Johanna hat Fragen. In ihren aufkommenden Erinnerungen an ihre Kindheit entdeckt sie das eine oder andere, was ihr als Kind noch nicht aufgefallen war. Dinge, die ihre Mutter in ein anderes Licht rücken. Sie erzwingt den Kontakt mit ihr, auf der Suche nach Antworten.
Vigdis Hjorth schreibt sehr berührend und authentisch, ich fragte mich immer, ob es sich hier wohl um einen autofiktionalen Roman handele. Die Geschichte geht sehr tief und ist psychologisch sehr spannend (Mutter-Tochter-Beziehung). Ihre Sprache (bzw. die Sprache der Übersetzung) gefiel mir sehr. Zudem hat die Sprecherin es auch toll gelesen.