"Du sollst wissen, wer ich gewesen bin. Damit du niemals die Erleichterung fühlst, von der ich so oft heimlich träumte: von einem Toten angeschwiegen zu werden. Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war." (S.19)
Öziri schreibt mit Vatermal eine berührende, bedrückende Familiengeschichte über einen abwesenden Vater, die Alkoholsucht der Mutter, über die Schwester, die irgendwann abhaut, über Fremdenfeindlichkeit, die Angst vor dem Ausländeramt und die Jugendjahre des Protagonisten im Ruhrgebiet.
In einer wunderschönen, eingängigen Sprache geschrieben. Sehr zu empfehlen!
" 'Gab es nie einen bestimmten Moment, in dem Sie alles verstanden, definitiv verstanden?', frage ich Stella. 'Das ist eine Frage aus dieser Welt, Michael, nicht aus jener Welt. Es gab nicht nur keinen präzisen Moment, in dem ich alles verstand, es gab auch sehr lange keinen Moment, in dem ich oder eine von uns zuliess, etwas zu fühlen. Wir waren zu sehr mit dem Überleben beschäftigt.' Sie hält inne. 'Aber es war natürlich da, überall, die ganze Zeit. Dieses Wissen. Wie eine Flamme. Zu brutal, um ihr nahe zu kommen. Wenn wir sie berührt hätten, wären wir vielleicht selbst gestorben.' " (S.206)
Während hundert Samstagen besucht Michael Frank die Holocaust-Überlebende Stella Levi, um ihre Geschichte kennenzulernen. Geboren 1923 im jüdischen Viertel in Rhodos, wird sie 1943 nach Ausschwitz deportiert. Sie überlebt und beginnt ihr neues Leben in New York.
Eine sehr berührende Geschichte einer beeindruckenden Frau mit grausamster Vergangenheit.
War eine okaye Unterhaltung, der rote Faden mit den Achtsamkeitsübungen/-methoden, der sich durch das ganze Buch zieht, hat mir gefallen und fand ich originell. Der Schreibstil war hingegen gar nicht meins, teilweise sehr billige Komik.
"Dieser Mensch hat alle Zitronen gegessen, die er jemals irgendwo liegengelassen hat, während ich an meinen bis zum letzten Tropfen sauge, und dann auch noch an denen, die mir gar nicht gehören." (S.126-127)
"Was gewinnst du, wenn du gewinnst? Wie viel verlierst du , wenn du verlierst? Die Frage des Städters: Warum hast du nie Kinder gehabt? Meine Antwort im Stillen: Ich war damit beschäftigt, Eltern zu haben. Wahrheit oder Lüge, und zu wie vielen Teilen?" (S.147)
Das Buch erzählt die Geschichte einer Krankenschwester, die aufgrund eines Kunstfehlers ihre Stelle verliert und in ihr Heimatdorft flüchtet. Selbst krank, hofft sie darauf, dort von ihren Eltern unterstützt zu werden. Was sie antrifft: einen Hypochonder als Vater, auf den sie nun zu schauen hat, einen pflegebedürftigen Bruder, eine kranke Ziege, Arbeitslosigkeit, Auswegslosigkeit, Alkohol. Die Mutter hat den Vater inzwischen verlassen.
Ein einnehmendes Buch mit einer wunderschönen Bildsprache.
"Alles Leben wird enden. Es wird immer heisser werden. Die Hitze wird unerträglich sein für alles Lebende. Es wird immer heisser werden, und schnell wird alles sterben. Und trotzdem, noch sieht man nichts. Noch hört man nichts: Sogar die Botschaft selber ist verstummt. Was zu sagen war, ist gesagt; Stille." (S. 6)
Das Buch, geschrieben 1922, stützt sich auf den Hitzesommer von 1921, als die Temperaturen in Genf auf 38.3 Grad stiegen. Anders als in unserer heutigen Situation, ist die Ausgangslage der steigenden Hitze aber eine andere: Aufgrund eines Gravitationsfehlers stürzt die Erde der Sonne entgegen. Anders als heute trägt die Menschheit keine Schuld. Im Buch geht es darum, wie die verschiedenen Personen mit dieser Situation umgehen und wie sich der Blick auf die Welt, auf das Leben ändert.
Eine spannende Geschichte, herausfordernd zu lesen. Die einzelnen Kapitel stehen für sich, sind eigene Geschichten, die Sprache war für mich teilweise sehr anspruchsvoll, der Wechsel von einem zum anderen Kapitel zu sprunghaft. Ich konnte nicht immer folgen (war aber ehrlicherweise auch nicht immer bei der Sache...).
"Kinsella nimmt meine Hand in seine. Sobald er sie nimmt, merke ich, dass mein Vater kein einziges Mal meine Hand gehalten hat, und ein Teil von mir will, dass Kinsella mich loslässt, damit dieses Gefühl vergeht." (S.70)
" 'Du brauchst nichts zu sagen, nie', sagt er. 'Denk immer daran: Das ist etwas, was du nie zu tun brauchst. So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.' " (S.74)
Eine irische Familiengeschichte aus den Achzigern. Ein Mädchen wird über den Sommer zu fernen Verwandten gebracht und lernt dort eine neue Form von Familie kennen.
Ein wunderschönes Buch, in einer sehr feinen, poetischen Sprache geschrieben. Aus der Erzählperspektive dieses Mädchens. Der Schluss liess mich mit vielen Fragezeichen zurück.
Eine Herzensempfehlung!
"Die Decke dämpft Körperschichten,
Da liegen Baumwolle
über Daunenfedern
über Baumwolle
über nackter Haut.
Darunter die Seele im Schlummer." (S.180)
Eine Familiengeschichte über drei Generationen. Die Geschichte erzählt, wie die Frauen dieser Familie die Herausforderungen der dystopischen Verhältnisse ihres Alltags (Bürgerkrieg, Unruhen) angehen bzw. überstehen.
Das Buch zeigt ein sehr ungewöhnliches "Schriftbild" für einen Roman, die Sprache ist äusserst poetisch. Ich fand sie zu Beginn gewöhnungsbedürftig, fand mich dann aber doch relativ schnell zurecht in diesen speziellen Rhythmus. Auf die Länge überzeugte mich ihr Stil aber trotzdem nicht, er lenkte mich zu fest von der Geschichte ab.
Sinnkrisen, Selbstzweifel, Sehnsüchte. Dies die drei Kapitel, in die die Autorin ihre Kolumnentexte einordnet.
Ich habe mir mehr von diesen Texten erhofft, sie drangen nicht zu mir durch. Schade.
"Ich: Ist das ein Abschied? Viktor schüttelt den Kopf. Viktor: Nein, das Gegenteil. Ich: Was ist denn das Gegenteil von Abschied? Er überlegt. Viktor: Ankunft?" (S.194)
Eine tiefberührende, herzergreifende Geschichte. So traurig und doch voller Hoffnung, in einer wunderschönen, zarten Sprache. Die Seiten lasen sich wie von selbst. Und viel zu schnell war sie zu Ende.
"Erinnerst du dich daran, wie du das erste Mal in deiner eigenen Wohnung, es war nicht mehr als ein Zimmer, etwas kochen wolltest und dir erst mittendrin aufgefallen ist, dass du noch Salz würdest kaufen müssen? Du besassest nicht einmal einen Salzstreuer. Woran man nicht alles denken musste in einem Erwachsenenleben! Dein erstes Salz, wie würde es schmecken?" (S.5)
Eine Einladung zum Essen in der neuen Wohnung der Gastgeberin, vier Gäste, Jazzmusik im Hintergrund, angeregte Gespräche, durchbrochen von Erinnerungen in die Vergangenheit und kulinarischen Exkursen. Und immer wieder kleine Verschiebungen...
Ich fand die Geschichte durchaus unterhaltsam, aber zunehmend auch etwas (zu) wirr und gleichzeitig auch langatmig und banal. Mir ist sie nicht nachhaltig hängengeblieben. Bzw. sie hat mich nicht abgeholt.
"Die Sache mit der Liebe konnte man also nicht selbst bestimmen. Sie kam und ging wie ein Keuchhusten." (S.96)
"Then, as he went shooting up to the surface of the sea, desperate for a breath of air, two new trends of thought dominated his brain. One was that he must instantly apprise the Arabella of his predicament. The other was that it was all hilariously funny - a man of his age falling off a ship." (S.26)
" 'A pity a man can't live like this forever, just feeling happy without having to think for a reason,' Standish had said slowly, gazing at the setting sun." (S.99)
Ein Geschäftsmann geht nach einer mentalen Krise alleine auf Schiffreise, um sich zu erholen. Dies gelingt ihm gut, bis er eines Morgens durch ein Missgeschick in den Pazifik fällt. Er ist sich sicher, dass seine Abwesenheit auf dem Schiff bald bemerkt wird und das Schiff umkehrt, um ihn zu retten. Anfänglich noch zuversichtlich, schwappt sein hoffnungsvolles Denken langsam in leise Panik über.
Die Story ist tragisch, die aber mit viel Komik einhergeht. Sie nimmt einem beim Lesen fast den Atem. Als Leserin war ich hautnah mit dabei, fühlte mich beim Protagonisten im Wasser und hoffte bis auf die letzte Seite auf seine Rettung. Noch Tage später hingen mir die Bilder der hohen See nach, die Hilfeschreie, die Gedanken des Protagonisten.
Eine ergreifende Geschichte, ein grandioses Buch. WOW!
"War eine Geschichte zu Papier gebracht, schienen die Blätter vor lauter Leben in ihrer Hand zu beben. Selbst ihrer Ordnungsliebe konnte sie frönen, liess sich mit Worten doch jedes Chaos in geregelte Bahnen lenken." (S.15)
"Diesmal hielt sie kurz inne, schaute aus dem Fenster in die Dämmerung hinaus und fragte sich, wo ihre Schwester sein mochte. Im See ertrunken, von Zigeunern vergewaltigt, von einem Auto angefahren, dachte sie ganz routiniert, war es doch ein verlässlicher Grundsatz, dass nichts je so geschah, wie man es sich vorstellte, weshalb ihr dies als wirksame Methode galt, das Allerschlimmste schon einmal auszuschliessen." (S.146)
Den Film bereits länger her gesehen, nun endlich das Buch gelesen. Ein grandioses Buch, ich konnte es kaum auf die Seite legen.
"Erst als ich nach dem Abitur das Dorf verlassen hatte und in die Stadt gezogen war, hatte ich gelernt, wie weit die Welt war und wie unsicher. Vielleicht hatte ich deshalb zu schreiben begonnen, um die Landschaft, die Sicherheit meiner Kindheit wiederzugewinnen, aus der ich mich selbst vertrieben hatte." (S.19)
"Ich habe keine Angst vor Ihnen, sagte sie. Erst will ich das Ende der Geschichte hören. Das Ende der Geschichte kann ich Ihnen nicht erzählen, sagte ich, ein Ende haben Geschichten nur in Büchern. Aber ich kann Ihnen erzählen, was weiter geschah." (S.38)
"Aber trotz der Fotos und der Plüschtiere wirkten die Räume unbelebt, als seien sie seit Monaten von keinem Menschen betreten worden. Vielleicht fühlte ich mich gerade deshalb wohl darin, auch mein Leben war ein leerer Raum, in dem nur die Schatten an den Wänden verrieten, dass er einmal bewohnt gewesen war." (S. 106)
Christoph begegnet der jungen Lena und erzählt ihr die Geschichte von seiner Liebe zu einer Magdalena, die 16 Jahre her ist. Er erzählt von Magdalena, die Lena sehr gleicht, Lena ist. Er erzählt von Lenas Leben. Wirklichkeit und Fantasie scheinen sich zu vermischen. Kann das Schicksal manipuliert werden?
Ich mag Stamms ruhige, feine Schreibweise. Über alle Seiten hinweg schwebt eine sanfte Melancholie.