Geordnete Verhältnisse
288 Seiten

"Die Menschen glauben, dass Pflanzen nichts wehtut. Aber Wachstum ist generell nur selten frei von Schmerz." (S.23)

"Wir sitzen eine ganze Weile still nebeneinander. Es ist eine gute Stille, wie zwischen zwei Menschen, die einander genug vertrauen, um sich nicht vor dem Schweigen zu fürchten." (S.126)

Philipp wünscht sich nichts sehnlicher als einen Freund. Als Faina aus der Ukraine nach Deutschland in seine Schule kommt, wird sie diesen Freund. "Er macht sie zu seiner Faina". Als Erwachsene verlieren sie sich aus den Augen, bis Faina, verschuldet und schwanger, sich wieder bei ihm meldet. Er nimmt sie auf, sie ziehen das Kind gemeinsam auf. Philipp wird immer obsessiver und gewaltttätig, sie ist ihm ausgeliefert.

Ein packendes, erschütterndes Buch über eine toxische Beziehung, die furchtbar endet. Die Autorin wechselt zwischen der Ichperspektive von Opfer und Täter. Ich konnte das Buch kaum weglegen.

Paradise Garden
352 Seiten

"Meine Mutter starb diesen Sommer. Ein Lied im Radio war nur noch Geräusch und keine Einladung mehr mitzusingen, obwohl keine von uns den Text kannte. Ein Regenguss war nur noch Wetter und keine Gelegenheit mehr, nach draussen zu laufen und barfuss in einer Pfütze zu tanzen. Das klingt vielleich poetisch, aber das ist es nur auf dem Papier."

Billie ist 14 Jahre alt, als ihre Mutter starb. Sie begibt sich dann alleine auf die Suche nach ihrem Vater, von dem sie kaum etwas weiss. Wie die Autorin die liebevolle Mutter-Tochter-Beziehung beschreibt, hat mir sehr gut gefallen. Die Fantasie der Mutter, wie sie trotz sehr armen Verhältnissen ihrer Tochter doch ein sehr behütetes und warmes Zuhause geben konnte. Die Suche nach ihrem Vater fand ich aber etwas unrealistisch. Ab da hat mein Interesse an der Geschichte auch abgenommen.

Das späte Leben
240 Seiten

Der 76 jährige Martin bekommt bei einem Arztbesuch die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er wird nur noch wenige Wochen zu leben haben. Das Buch begleitet ihn durch seine letzten Wochen, in denen er sich besonders um seine 30 Jahre jüngere Frau und seinen 6 jährigen Sohn sorgt. Was soll er seinem Sohn hinterlassen? Er schreibt ihm auf Anraten seiner Frau hin einen Brief, schreibt darin über die Liebe, den Glauben, die Arbeit und Herkunft. Er geht mit dem Sohn wandern, legt mit ihm einen Kompost an. Und er erfährt, dass seine Frau ihn betrügt.

Das Buch hat mich vor allem selber über den Tod nachdenken lassen. Wie würde ich nach einer solchen Diagnose meine letzten Wochen ausfüllen wollen, was wäre mir wichtig?

Die Rassistin
224 Seiten

"Trotz seiner blauen Hautfarbe ist Papa Schlumpf eigentlich der prototypische alte weisse Mann, denkt Rischer, er berät, erklärt, lobt, straft, hat immer Recht, seine Herrschaft wirkt ganz natürlich, bleibt stets unhinterfragt, Oberschlumpf wird er ja auch nicht umsonst genannt [...]." (S.48)

Nora sitzt in der Kinderwunschpraxis, als sie über einen rassistischen Vorfall, der an ihrer Universität stattgefunden hat, informiert wird. Sie fragt sich, ob ihr Seminar gemeint ist, ob sie sich rassistisch verhalten hatte. Sie fragt sich, ob und wenn ja, wie sie sich entschuldigen soll, aus welchen Motiven heraus.

Amüsant, temporeich, originell geschrieben. Beeindruckend, wie sie den grundsätzlich schnell erzählte Plot auf 200 Seiten ausdehnen konnte, ohne dass das Buch langatmig wurde. Oder zumindest bis kurz vor Schluss ist ihr das gut gelungen.

Vatermal
241 Seiten

"Du sollst wissen, wer ich gewesen bin. Damit du niemals die Erleichterung fühlst, von der ich so oft heimlich träumte: von einem Toten angeschwiegen zu werden. Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war." (S.19)

Öziri schreibt mit Vatermal eine berührende, bedrückende Familiengeschichte über einen abwesenden Vater, die Alkoholsucht der Mutter, über die Schwester, die irgendwann abhaut, über Fremdenfeindlichkeit, die Angst vor dem Ausländeramt und die Jugendjahre des Protagonisten im Ruhrgebiet.

In einer wunderschönen, eingängigen Sprache geschrieben. Sehr zu empfehlen!

22 Bahnen
208 Seiten

"Ich: Ist das ein Abschied? Viktor schüttelt den Kopf. Viktor: Nein, das Gegenteil. Ich: Was ist denn das Gegenteil von Abschied? Er überlegt. Viktor: Ankunft?" (S.194)

Eine tiefberührende, herzergreifende Geschichte. So traurig und doch voller Hoffnung, in einer wunderschönen, zarten Sprache. Die Seiten lasen sich wie von selbst. Und viel zu schnell war sie zu Ende.

Unangepasst
140 Seiten

Das Buch gibt spannende Einblicke in das (Mode-)Leben sieben feministischer Frauen, die ihren eigenen Stil entwickelten und sich nicht einer vorgesetzten Mode unterwarfen. Jeder Künstlerin (Josephine Baker, Helen Hessel, Frida Kahlo, Tamara de Lempicka, Louise Nevelson, Georgia O’Keeffe, Sophie Taeuber-Arp) wird ein Kapitel gewidmet, die Kurzbiografien werden ergänzt mit Fotos.

Ich habe alle Kapitel sehr gerne gelesen, auch wenn ich persönlich wenig an Mode interessiert bin. Im Buch geht es aber um weit mehr.

Das Ende des Kapitalismus
352 Seiten

"Der Kapitalismus war ein Fortschritt, hat aber leider eine fundamentale Schwäche: Er erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen." (S.11)

"Eine Kreislaufwirtschaft könnte schön sein. Die 'Share Economy' hat betörende Visionen entwickelt, wie ein angenehmes Leben aussehen könnte, das nur so viel verbraucht, wie sich recyceln lässt. Das Ziel ist klar, nur der Weg fehlt. Bisher gibt es keinen Plan, wie sich der dynamisch wachsende Kapitalismus beenden liesse, ohne dass eine schwere Wirtschaftskrise droht. Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann - und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt." (S. 241-242)

"Rationierung klingt unschön. Aber vielleicht wäre das Leben sogar angenehmer als heute, denn Gerechtigkeit macht glücklich. Gesellschaften sind entspannter, gesünder und toleranter, wenn der Abstand zwischen Arm und Reich gering ist. Von dieser guten Stimmung profitieren nicht nur die unteren Schichten, wie globale Erhebungen zeigen: Auch die Elliten leben länger, wenn sie einer fairen Gesellschaft angehören." (S.253)

Aufrüttelnd, lehrreich, radikal. Jede*r sollte dieses Buch lesen. Die nach Ansicht von Hermann nötigen Massnahmen zur Eindämmung der Klimakrise scheinen der letzte Ausweg zu sein.

Super recherchiert, faktenreich und leicht verständlich. Manchmal etwas redundant.

Draußen feiern die Leute
339 Seiten

"Früher hat er gedacht, dass es viel mehr braucht, um sich einer Gesellschaft verbunden zu fühlen. Wie die meisten anderen ging er davon aus, dass er als Aussenstehender miteinbezogen werden möchte. Jetzt merkt er, was das für ein Unsinn ist. Manchmal reicht es, wenn die Gesellschaft sich von den Aussenstehenden nicht sichtlich die Laune verderben lässt. Es muss kein Miteinander geben, wenn das Nebeneinander friedlich ist." (S. 238)

Ein Buch über drei Teenager, die irgendwie nicht dazugehören, jede*r auf eine andere Weise. Ein Buch über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Entfremdung von Jugendlichen. Die Geschichte spielt mit aussergewöhnlich gezeichneten Figuren, was mir sehr gefiel. Nicht zu jeder (Neben-)Charaktere fand ich jedoch Zugang. Schöne, bildhafte Sprache. Das Ende habe ich irgendwie nicht begriffen.

Radikale Selbstfürsorge. Jetzt!
208 Seiten

"Solidarisch und für andere da sein kannst du auf die nachhaltigste und beste Art und Weise, wenn du nicht selbst schon am Ende deiner Kräfte angekommen bist. Wenn du zwischendurch innehältst und dir selbst genau diese Fragen stellst: 'Was brauche ICH? Was kann ich tun, um MICH zu unterstützen?' Und dich hin und wieder daran erinnerst, dass du nicht und niemals ALLEIN dafür verantwortlich bist, die Welt zu retten." (S.25)

Gräfen schreibt über ihre Erfahrung und Strategien, die sie mit Selbstfürsorge gemacht hat. Sie erklärt die Wichtigkeit der Selbstfürsorge und erklärt, inwiefern sie mit Feminismus zusammenhängt. Sie gibt Denkanstösse, aber keine Anleitungen, was wie gemacht werden muss - und dies stets auf Augenhöhe mit der lesenden Person. Die Illustrationen sind sehr erheiternd. Mir hat das Buch gut getan.

Ver-kleiden
93 Seiten

"Geschlechtlichkeit ist biologisch nicht zu erklären, sondern kulturell seit Jahrtausenden gewebt, eine symbolisch bewegte und bewegende Kraft." (S. 17)

Barbara Vinken analysiert Mode als das Spiel zwischen den Geschlechtern und Identitäten und ermöglicht immer wieder einen spannenden Einblick in die historische Modegeschichte. Leider oft viel zu kompliziert geschrieben, ich konnte der Autorin nicht wirklich folgen und bin mir auch nach Ende des Buches noch immer nicht über ihren Standpunkt sicher.

Die unendliche Geschichte
396 Seiten

"Aber Bastian wollte ein einzelner sein, ein Jemand, nicht bloss einer wie alle anderen. Er wollte gerade dafür geliebt werden, dass er so war, wie er war. [...] Er wollte nicht mehr der Grösste, der Stärkste oder der Klügste sein. Das alles hatte er hinter sich. Er sehnte sich danach, so geliebt zu werden, wie er war, gut ode schlecht, schön oder hässlich, klug oder dumm, mit all seinen Fehlern - oder sogar gerade wegen ihnen."

Ein phantastisches Buch! Bereits als Kind geliebt, aber auch jetzt als Erwachsene hat es mich verzaubert.