Ich war nach Mängelexemplar skeptisch. Skeptisch, ob ich Kurt - ebenso gehypt wie der Erstling - wirklich eine Chance geben sollte. Einen Roman, der den Tod eines Kindes thematisiert, zu schreiben ist ein gewaltiges Stück. Mir fallen wenige AutorInnen ein, die das mit dem nötigen Feingefühl hinbekommen. Sarah Kuttner gehört nach Kurt auf jeden Fall zu ihnen.
Nach dem ersten Teil war ich fest davon überzeugt, dass sich dieses Buch in die Reihe meiner Lieblingsbücher gesellen dürfte. Das im Fokus stehende Trio - Lena, ihr Freund Kurt und dessen Sohn Kurt - sind unglaublich liebenswürdig. Die ersten Seiten waren wunderschön zu lesen, Dialoge und die so erzeugte Atmosphäre haben mich in ihren Bann gezogen und vermutlich hätte ich noch viele Seiten ihrer Geschichte lesen können. Dann kippt es aber. Das, wovon man wusste, es würde passieren, tritt ein: Der Tod des kleinen Kurt. Die Art und Weise, wie Sarah Kuttner das Geschehen beschreibt, fühlt sich echt an: Sie findet die richtigen Worte, weiß, wie sie die Gefühle möglichst gut transportiert, ohne zu überzeichnen. Trauer in ihrer Vielfalt, in ihrer Individualität, das alles so glaubhaft, dass ich mir eigentlich gewünscht hätte, von dieser Darstellung wirklich zutiefst berührt zu werden. Aber so ganz gelang es am Ende eben nicht. Einiges kratzte mir zu sehr an der Oberfläche, verlor sich in Banalitäten, mir fehlte für das ein oder andere Gefühl - und von denen gibt es im Laufe des Romans unglaublich viele - einfach ein bisschen Raum. Nichtsdestotrotz hat Sarah Kuttner mit Kurt einen lesenswerten Roman geschrieben, der nicht ohne Grund von vielen gelobt wird.
Frühling der Barbaren ist Jonas Lüschers Debütnovelle, auf die ich vermutlich nie gestoßen wäre, wenn ich sie nicht letzten Sommer aus einer Bücherkiste am Straßenrand gefischt hätte. Nach mehreren gescheiterten Anläufen las ich es jetzt in einem Rutsch und musste mich fragen, wieso nicht schon früher.
Nur weil man etwas erlebt hatte, hieß das noch lange nicht, dass man wusste, was es bedeutete. Und ich hatte nicht vor, es in Erfahrung zu bringen. Es gibt Dinge, die so sinnlos sind, dass es sich nicht lohnt, ihnen eine Bedeutung zu geben.
Auch, wenn das Werk inhaltlich an einigen Stellen Schwächen zeigt, ist es durchaus klug konstruiert: Zu Beginn noch eine Art Milieustudie von im Finanzwesen tätigen Menschen, ein Spiel mit vorherrschenden Klischees, entwickelt sich das Ganze aufgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu einer Ausnahmesituation, die in einem sehr kuriosen Finale mündet - und dem Titel alle Ehre macht. Stilistisch und sprachlich sehr schön zu lesen, allein die Wahl der Erzählweise - Erzähler erzählt das, was ihm ein anderer Erzähler währenddessen erzählt - erschloss sich mir nicht so ganz. Die knapp 125 Seiten haben aber auf jeden Fall Spaß gemacht und die ein oder andere Szene behalte ich wohl noch ein paar Tage im Kopf.
Fiona Maye ist eine angesehene Familienrichterin am Londoner High Court. Als ihr der Fall des 17-jährigen Adam auf den Tisch kommt, der aus religiösen Gründen die medizinische Behandlung verweigert, die ihm das Leben retten könnte, ist sie es, die eine Entscheidung über Leben und Tod treffen muss.
Mich hat dieses Buch sowohl überrascht als auch enttäuscht. Nach dem Lesen des Klappentextes hatte ich einen Roman erwartet, der sich mehr dem juristischen Fall widmet und nicht so sehr auf die Charaktere abstellt wie hier geschehen. Der Fall, der eigentlich das Hauptgeschehen ist, verliert sich etwas hinter den persönlichen Problemen der Protagonistin. Bei deren Ausgestaltung bedient sich McEwan leider für meinen Geschmack sehr vielen Klischees und einem überholten Bild, was meine Empathie für ebenjene nicht wecken konnte.
Allerdings geht das irgendwie auf. Zumindest aus meiner Perspektive. Was mich nämlich positiv überrascht hat, war, wie sehr mir Ian McEwans Erzählstil gefällt. Das klinische, distanzierte, was vielen vor den Kopf stoßen mag, hat für mich perfekt gepasst, denn der Fokus sollte auf den ethischen und juristischen Fragen liegen, die in direktem Zusammenhang zu dem Fall stehen, und für mich eigentlich den Kern des doch eher schmalen Buches bilden.
Homo Sapiens have not yet failed. Yes, we are failing, but there is still time to turn everything around. We can still fix this. We still have everything in our own hands.
Eine Sammlung von Greta Thunbergs Reden. Gut für einen ersten Überblick über die sehr relevante Thematik Klimakrise und - sofern noch nicht geschehen - ein Anreiz, sich damit tiefergehend (und persönlich) auseinanderzusetzen.
Ich habe noch nie ein Buch über einen so langen Zeitraum gelesen, wie Siri Hustvedts Essay-Sammlung A Woman Looking At Men Looking At Women: Essays on Art, Sex and the Mind und vermutlich war ich am Ende auch noch nie so hin- und hergerissen wie jetzt. Die Annäherung an das Menschsein, das Exerzieren, der Versuch, die Brücke zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu schlagen. Das ist unglaublich spannend und lehrreich, einige der Essays waren auch wirklich großartig, andere dagegen waren so akademisch, forderten so viel Fachwissen auf gewissen Gebieten, dass es schwer bis fast unmöglich war, zu folgen. Ich dachte mehrfach, ich müsste dieses Buch mehr genießen, am Ende ist es so wie es ist aber auch in Ordnung.
Breaking News war lang, sehr lang sogar, und ich gebe zu, es hat gerade zu Beginn einige Überwindung gekostet, es nicht einfach zur Seite zu legen. Sprachlich setzt Frank Schätzing gerade in seinem Haupterzählstrang um den Journalisten Tom Hagen auf abgehackte, unvollständige Sätze. Wenn man dieses erste Aufeinandertreffen überstanden hat, landet man in einem weitaus interessanter und sprachlich ansprecherendem Nebenstrang: Eine Familiengeschichte im Kontext des Nahost-Konflikts, die mich tatsächlich dazu bewegt hat, weiterzulesen. Bis zum Ende. Dass viel Zeit und Aufwand in der Recherche steckt, merkt man dem Buch an. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sich Schätzing doch ganz gerne in Details verliert. Der Roman hätte mit 200-300 Seiten weniger auch noch funktioniert und vielleicht hätte es dann auch eher nach dem Thriller, als der er umworben wird, angefühlt. So konnte er allerdings nicht wirklich überzeugen.
Mit Broken House bekommt man genau das, was man erwartet, wenn Gillian Flynn auf dem Buchdeckel steht: Flüssiger Schreibstil, eine manipulierende Protagonistin und eine Story, die mit überraschenden Wendungen punkten kann. Gerade der Mittelteil war unglaublich stark und ich mochte die übernatürliche Note, die die Kurzgeschichte trug. Das Ende war dann mehr als ernüchternd. Selbst mir als Leserin, die offene Enden zu schätzen weiß, war das doch etwas zu viel des Guten.
Verpackt in einen spannenden Roadtrip mit wunderbar skurrilen Figuren erzählt Benedict Wells mit Becks letzter Sommer eine Geschichte über Liebe, Freundschaft und Musik, die sich mit wichtigen Fragen des Lebens auseinandersetzt: Was macht mich zu dem, was ich bin? Wo liegt meine Aufgabe? Ist das wirklich alles? Bin ich zufrieden? Habe ich Träume und falls ja, wie wichtig sind sie mir?
Es ist eine Art Suche nach sich selbst. Ein Prozess, den jeder im Laufe seines Lebens durchlaufen muss. Genau an diesem Punkt hat mich das Buch vor einigen Jahren beim ersten Lesen abgeholt, war mir ein stückweit vielleicht sogar Wegweiser und ist es auch heute noch.
Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt ist die fiktive Doppelbiografie des Mathematikers Carl Friedrich Gauß sowie des Naturforschers Alexander von Humboldt, die beide im 19. Jahrhundert lebten und wirkten. Die für Biografien typische Ausarbeitung von Daten bleibt aus, der Fokus liegt vielmehr auf dem wissenschaftlichem Wirken der beiden Protagonisten. Der Roman hangelt sich von einer Entdeckung zur nächsten und die Menschen hinter dem wissenschaftlichen Genie bleiben außen vor. Der Roman lebt stark von dem Kontrast, in dem die beiden Figuren zueinander stehen: Gauß ist eher der Denker, sein Schaffen spielt sich im Wesentlichen im Inneren ab, wohingegen die Forschung Humboldts physisch wesentlich greifbarer ist; der Wunsch, die Welt zu vermessen, eint die beiden. Obwohl einige Episoden stark überzeichnet sind, schafft Kehlmann mit einfachen Mitteln eine spannende Geschichte, die sich zu lesen (oder zu hören) lohnt.
Didier Eribon nimmt den Tod seines Vaters zum Anlass, nach mehreren Jahrzehnten an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurückzukehren: Eine Rückkehr in das französische Arbeitermilieu, von dem er sich aufgrund seiner Kultur- und Bildungsorientierung sowie seiner Homosexualität in der Vergangenheit abgegrenzt hat. Rückkehr nach Reims ist eine Mischung aus emotional-biografischer Erzählung und soziologischer Auseinandersetzung. Die Art und Weise, in der Eribon seine Autobiografie seziert, hat auf der einen Seite (für mich als Soziologie-Laiin) etwas befremdliches, auf der anderen Seite erscheint der Großteil dessen, was er aus der Reflexion und der damit einhergehenden Einbettung in sein Herkunftsmilieu zieht, sinnvoll. Und die Referenzen, die er liefert, haben mein Interesse auf jeden Fall geweckt.
Ich habe in letzter Zeit einige Interviews mit Sarah Kuttner gesehen und gehört und bekam irgendwie Lust, mal eines ihrer Bücher zu lesen. Ich begann also mit ihrem Erstling Mängelexemplar in der von ihr selbst eingelesenen Hörbuchfassung. Das Buch hätte ich vermutlich nach einigen Kapiteln weggelegt, aber irgendwas hat Sarah Kuttners Vorlesen an sich, dass man doch dabei bleiben möchte.
Thematisch stehen Depressionen im Mittelpunkt. An sich ein wichtiges Thema, allerdings hatte ich tatsächlich Probleme mit der Aufarbeitung. Insgesamt war mir der Ton des Romans zu überdreht. Die Wahl von Referenzen, Metaphern und Bildern empfand ich stellenweise als unpassend und mit der Protagonistin - vielleicht fehlt mir da einfach der gemeinsame Nenner? - wurde ich absolut nicht warm. Vielleicht ist mir die Aufmerksamkeit abhanden gekommen, aber am Ende wirkte es auf mich unvollständig.
Wieder ein Re-Read.
Dieses Mal zog ich den ersten (und bisher einzigen von mir gelesenen) Band der Harry Hole-Reihe aus dem Regal und laß ihm zum zweiten Mal. Was mich persönlich überrascht hat: Obwohl ich noch eine grobe Ahnung hatte, was letztlich passieren würde, fand ich das Buch spannend bis zur letzten Seite. Charaktere und Atmosphäre waren überzeugend, die überraschenden Wendungen funktionieren auch beim zweiten Lesen noch und die ausführlichen Informationen über die Geschichte der Aborigines, die im Buch eine tragende Rolle haben, empfand ich als weniger zäh als beim ersten Kontakt. Was allerdings manchmal im Fluss stört, sind die ausführlichen Episoden aus Holes Vergangenheit, die sich teils doch nur schwer in den Kontext einbinden lassen. Vielleicht ist das die Charakterbildung, die im ersten Band stattfindet, vielleicht gehört das aber auch zu Nesbøs Stil. So oder so werde ich die Reihe um Harry Hole jetzt im Auge behalten.
Yann Martels Life of Pi ist mehr als der Schiffbruch mit Tiger, den ich dank des Trailers zur Verfilmung immer im Hinterkopf hatte. Der Roman bietet eine fast philosophische Auseinandersetzung mit Religion(en), Unmengen an zoologischen Fakten und eine nette Abenteuergeschichte, die es in sich hat. Die Schilderungen sind phasenweise sehr explizit, blutig, nicht unbedingt für jeden Geschmack, aber es passte zur Atmosphäre und zum Geschehen. Ich konnte dem Buch bis kurz vor Ende wirklich viel abgewinnen, mir fehlte einzig zwischendurch die Erzählstimme von außen, aber der dritte Teil hat es für mich, wenngleich ich die Intention dahinter verstehe, doch ziemlich abgewertet. Trotzdem eine gut erzählte, nette Geschichte.
Im Fokus dieser Memoiren steht Chopins Ballade No. 1, ein anspruchsvolles Klavierstück, welches Alan Rusbridger binnen eines Jahres erlernen will. Mit Play It Again: An Amateur Against The Impossible dokumentiert er diesen Prozess, schreibt über Fort- und Rückschritte im Lernprozess, führt interessante Gespräche mit ExpertInnen und spricht über seinen Arbeitsalltag als Guardian-Chefredakteur zu Zeiten von WikiLeaksund Assange, dem arabischen Frühling und Ausschreitungen in Großbritannien. Insgesamt ist die Mischung angenehm, auch als Musiktheorie-Laiin - der Grundkurs Musik hat endlich Sinn - konnte ich den meisten seiner Ausführungen gut folgen, lediglich die etlichen Ausführungen im Bezug auf Griffweisen empfand ich als sehr langatmig und auch manche Aufeinandertreffen mit namhaften Persönlichkeiten hatten doch einen etwas prahlerischen Unterton und keinen wirklichen Zweck im Kontext. Die Erkenntnis, die er am Ende gewinnt, lässt sich ohne Weiteres auf andere Bereiche abseits der Musik übertragen und so kam auch ich auf meine Kosten - und ein bisschen Spaß hat es auch gemacht.