"Man fällt in ein Loch oder die Decke einem auf den Kopf, sagt der Volksmund. Aber es ist ein Hund, ein schwarzer. Er lief dir schon in der Kindheit zu. Wenn er kommt, ist es Zeit, dich ins Bett zu legen und zu warten, denn er lässt sich nicht aufscheuchen, wegjagen, verbannen. Du nimmst an, der Hund hat mehrere Meister, da er genauso plötzlich verschwindet, wie er auftaucht. Aber wenn er kommt, bleibt er meistens lange. Das Einzige, was du an ihm magst - dass du ihn kennst. Und vielleicht, wie sein Fell riecht, an besseren Tagen." (S. 58)
Der Konzeptkünstler Dürrst leidet an einer Bipolaren Affektstörung. Sein Leiden, seine Suche nach Liebe und Anerkennung, die grosse Erschöpfung, sein Kampf im Leben werden ungeschönt erzählt. Ein schweres, heftiges und wichtiges Buch, das unter die Haut geht und offen über die leider noch immer sehr tabuisierten psychischen Krankheiten spricht.
Die Geschichte wird in der zweiten Person erzählt, was ich sehr schön fand, es schaffte etwas Distanz, ohne unpersönlich zu werden. Sehr schöne Sprache.
"Oft habe ich es auch mit Menschen zu tun, die nicht einverstanden sind mit gleichgeschlechtlicher Liebe. Was unfreiwillig lustig ist: Wie kann man nicht einverstanden sein mit etwas, das existiert? Das ist, als wäre man nicht einverstanden mit Zucchetti oder Abendsonne oder Ellbogen. Das sind keine Erfindungen, sie existieren einfach." (S. 201)
"Ich finde, das Bild mit dem Tempel passt sehr gut: Dein Körper ist ein Tempel, und du bestimmst die Öffnungszeiten. Vielleicht sogar einen Tag der offenen Tür. Und sein Schutzkonzept. Du bestimmst all das, was im Tempel, am Tempel und um den Tempel herum passiert. Dein Tempel, deine Gartenbepflanzung." (S.112)
Anna Rosenwasser ist LGBTQ-Aktivistin und Politinfluencerin. Sie schreibt für die queere Community und ihre Mitmenschen, sie schreibt über Menschenrechte, (Queer-)Feminismus und Anziehung. Sie klärt auf, ist hässig (über Ungerechtigkeiten), macht Mut und leistet Widerstand gegen festgefahrene Normen. Sie plädiert für die Liebe - und dies immer wieder mit viel Humor.
Ich liebe ihre Kolumnen, im Magazin Saiten ist ihr Text immer das erste, was ich im neuen Heft lese. Dank ihr habe ich sehr viel gelernt über die Vielfalt der Geschlechter, über die gendergerechte Sprache und dass wir leider immer noch sehr weit davon weg sind, alle Menschen gleich zu behandeln.
"Es gelang ihm nicht, sich einzureden, dass diese Bäume in einer anderen Welt ständen als die Bäume von Dachau, je tiefer er in den Wald ging und je länger er allein war, desto stärker empfand er im Gegenteil, dass alles Gleichzeitige ebenso gegenwärtig war wie das Vergangene und das Zukünftige."
"Ein toter Held ist auch nur eine Leiche."
"Man müsste tot sein können, ohne vorher sterben zu müssen. Das wäre eine Alternative."
Die Geschichte über Kurt Gerron, Jude, in Berlin aufgewachsen. Im ersten Weltkrieg noch als Feldsoldat im Krieg, keine 18 Jahre alt und verwundet, darf er zurück. Entdeckt die Schauspielerei, den Film. Wird berühmt und verpasst die Flucht vor den Nationalsozialisten. Mit seiner Frau verbringt er eine leidvolle Zeit in diversen Lagern. 1944 wird ihm befohlen, einen Film über die eingesperrten Juden in Theresienstadt zu drehen, völlig verfälscht soll er das Leben dort als Paradies zeigen. Um seinen Transport nach Ausschwitz zu verhindern, beginnt er mit den Dreharbeiten.
Die Geschichte lässt einem nicht mehr los. Teilweise etwas langatmig und zäh.
Thomas, Familienvater und Ehemann, sitzt mit seiner Frau vor dem Haus, liest Zeitung und trinkt Wein. Als seine Frau nach den Kindern sieht und schliesslich ins Bett geht, steht Thomas auf, zögert kurz und geht. Er streift durch den Wald, an Dörfern vorbei, schläft unter freiem Himmel. Derzeit bangt seine Frau mit den Fragen, wo er ist, ob er wiederkommt, ob er noch lebt. Was ist Wunsch, was ist real? Vieles der Geschichte bleibt offen, demder Leserin selber überlassen. Ein Buch, wunderschön erzählt, mit einer ganz eigenen, melancholischen Melodie. Sanft und traurig, ruhig und hoffnungsfroh. Ab der ersten Seite packend. Sehr empfehlenswert!
Meine Erkenntnis nach diesem Buch: Ich liebe Hazel Brugger, aber ich sehe sie lieber vor mir und lasse mir ihre Texte vortragen, als dass ich sie lese.
"Der Himmel war weiter, die Luft war frischer, die Zukunft strahlend, und es schien Léon, als sei er zum ersten Mal im Leben richtig wach, als sei er müde zur Welt gekommen und hätte sich sein ganzes bisheriges Leben müde von Tag zu Tag geschleppt bis zu ebendiesem Wochenende, an dem er nun endlich aufgewacht war." (S. 79)
Ein Buch über die Liebe, über die Zeit der beiden Weltkriege, über eine tiefe und treue Seelenverbundenheit zweier Menschen. Sehr schön zu lesen. Trotz kitschig anmutendem Inhalt wirkt die Geschichte nicht abgedroschen.
"Weisst du, ich habe in meinen guten und gesunden Tagen selten besonders gern gelebt, und ebenso selten habe ich ungern gelebt, ich habe einfach gelebt, weitgehend fraglos und flach wie die meisten, und wie die meisten hat mich das Gefühl begleitet, das Leben, das andere, das eigentliche, komme noch. Es ist kein lautes, störendes Gefühl gewesen, es hat nicht sagen wollen: du lebst verfehlt, es hat nur sagen wollen, dass es noch andere Wege gebe, und es beweist, so glaube ich, nichts weiter, als dass man dazu neigt, im jeweils Unverwirklichten das Eigentliche zu vermuten."
Unglaublich schön geschriebenes Buch, ein Buch über den Tod, das Warten - und besonders auch über das Leben.
Ein Buch, welches sich nicht klar einordnen lässt. Einerseits die Hauptfigur Zündel, die abstosst, nervt, aneckt. Andererseits löst sie Mitleid aus, Verständnis und Bewunderung. Der Schreibstil des Buches einerseits wirr, holprig, befremdlich. Andererseits ein unkonventioneller Stil mit viel Humor, der Lust macht zum Weiterlesen. Schlussendlich überzeugte mich das Buch dann doch. :)
"Ich war in Sicherheit, ich laug auf dem Bett und kehrte in Gedanken noch einmal zurück in die Geschichte, die jetzt mir gehörte, die nie zu Ende sein würde, die wuchs und zu einer eigenen Welt wurde. Es war eine von vielen Welten, in denen ich damals lebte, bevor ich anfing, mir meine eigene zu bauen und all die anderen zu verlieren."
Der zentrale Gedanke dieses Romans: Ein Mensch, der liebt, hat immer schon gewonnen, einerlei, ob seine Liebe erfüllt wird oder nicht.
Ein Einblick in die blühenden Jahre der Schweizer Textilindustrie und das dunkle Kapitel der Kinderarbeit in den Spinnereien.
Die Recherchen der Autorin werden begleitet von Textausschnitten des Buches «Anneli kämpft um Sonne und Freiheit» von Olga Meyer aus dem Jahr 1927 sowie Schabzeichnungen von Rahel Henn.
Ein kurzes, leicht und schnell zu lesendes Buch, welches sehr anschaulich aufzeigt, wie Kinder im 19. Jahrhundert um ihre Kindheit (und Gesundheit) betrogen wurden, indem sie sich durch 15-stündige Arbeitstage kämpfen mussten. Leider stammen viele Quellennachweise aus Wikipedia, was die Qualität des Buches mindert.