Toll. Und das Ende sensationell.
Ein guter Roman, sehr gut geschrieben. Bisschen schwer reinzukommen und eine sympathische Figur hätte auch nicht geschadet aber alles in allem top. Am besten fand ich, dass selbst bei den Kapiteln, die aus der Sicht der verrücktesten Figuren geschrieben sind, man ihre Sicht der Dinge irgendwie nachvollziehen kann. Zeh hat sehr gut dargestellt, dass sich eigentlich jeder Mensch im Recht wähnt und für jeden die anderen die Verrückten sind.
Anfänglich etwas zäh und ganz schön viele Beteiligte mit ihren individuellen Einzelschicksalen. Aber es reißt einen dann doch in den Bann.
Sicher ein kluges Buch voll guter Beobachtungen, präziser Formulierungen u kritischer Gedanken. Aber irgendwie bin ich innerlich distanziert geblieben und konnte nicht mit den ProtagonistInnen mitfühlen. „...verwandelte sich das Dorf in einen Dostojewski-Roman, bei dem jede Figur von der Frage begleitet wurde: Wer war das denn nochmal?“ schade, ich hatte mir mehr davon versprochen.
“Wenn ich in Unterleuten eins gelernt habe, dann dass jeder Mensch ein eigenes Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends recht hat.”
Unterleuten, ein kleines Dorf in Brandenburg, eingebettet in unberührte Natur, wegen seltener Vogelarten Anlaufstelle für Ornithologen, vielleicht ein bisschen aus der Zeit gefallen. Das Leben dort könnte harmonisch sein, wären da nicht die Dorfbewohner, eine Mischung aus Alteingesessenen und Zugezogenen, die alle ihren eigenen Kopf haben. Eine Mischung, bei der auf derart engem Raum der große Knall kaum abwendbar ist.
Die Geschichte, die Juli Zeh erzählt, ist nicht die spannendste, aber vielleicht muss sie das auch gar nicht sein. Denn das, wovon der Roman lebt, ist Juli Zehs Hand für schöne Formulierungen, mit denen sie eine nicht ganz so schöne Welt beschreibt, für eine Erzählweise, die Charaktere lebendig und aus dem Leben gegriffen erscheinen lässt. Dass sie dabei noch wichtige Themen der Gegenwart abhandelt, ist ein großes Plus und versöhnt mich auch ein bisschen mit dem ernüchternden Ende. Unterleuten ist ein Zeugnis gescheiterter Kommunikation, von Wut und Hass, von Resignation und dem Gefühl, von der Politik im Stich gelassen worden zu sein. Unterleuten könnte überall sein, in uns allen steckt vielleicht ein Stück von Unterleuten und genau deshalb ist dieser Roman so lesens- und empfehlenswert.
Wenn in Unterleuten, einem kleinen Dorf in Brandenburg, überwiegend Kopien der eigenen Person leben würden, dann, ja dann wäre das Leben dort vermutlich sehr idyllisch und harmonisch. So aber treffen Menschen aufeinander, von denen sich jede/r im Besitz der alleinglückseligmachenden Wahrheit meint, während der Rest nur Stuß verzapft. Darüberhinaus pflegen praktisch Alle ihre Vermutungen und Erwartungen über die Anderen, die im seltensten Fall positiv sind. Jede/r traut jeder/m das Schlechteste zu und fast wie eine Art selbsterfüllender Prophezeiung geschehen Dinge, die die eigene Meinung noch bestätigen. Statt miteinander wird mehr übereinander geredet und so verbreiten sich Mutmaßungen und Argwohn in Windesweile im Dorf. Stadtbewohner (junge Frau, alter Mann) gegen grobschlächtigen Einheimischen - die Frau nennt diesen nur 'das Tier'. Naturschützer gegen Unternehmen - man schreibt Briefe. Kommunist gegen Kapitalist - eine Feindschaft, die keinerlei sachliche Grundlage hat. Ehemann gegen Ehefrau in unterschiedlichen Konstellationen - Erwartungen und Vermutungen werden nicht ausgesprochen, stattdessen schweigt man bis zum bitteren Ende. Als dann im Dorf ein Streit über die Errichtung eines Windparks beginnt, werden diese Beziehungsgeflechte auf's Äußerste strapaziert, wobei die alten Konflikte mit einer ungeheuren Heftigkeit wieder aufbrechen und die NeubürgerInnen direkt miteinbeziehen.
Obwohl das Buch mehr als 600 Seiten hat, lässt es sich weglesen wie ein Unterhaltungsroman. Die Figuren, die erst recht klischeehaft daherkommen, entwickeln sich ziemlich schnell zu eigenständigen Persönlichkeiten, sodass von der ursprünglichen Schablonenhaftigkeit nicht mehr viel bleibt. Gombrowski beispielsweise, der massige, ungeschlachte und auch brutale Wendegewinner hat eine überaus sensible Seite, von der aber nur die Wenigsten wissen - was ihn dennoch nicht von seinem Verhalten Anderen gegenüber freispricht. Schaller, sein ehemaliger Angestellter und Handlanger ist ähnlich ungeschlacht, wenn auch nicht so schlau wie dieser. Sein Schicksal ist derart unvorstellbar, dass ich mehr Mitgefühl als alles andere für ihn empfand. Und so ist es bei fast allen Figuren in diesem Roman, so eindimensional zu Beginn sie auch daherkommen mögen: Jeder/r von ihnen hat eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Von Juli Zeh habe ich kürzlich in einem Interview gelesen, dass Jonathan Franzen einer ihrer Lieblingsschriftsteller ist. "Mit seinem Roman 'Freiheit' kam ich mir wieder vor wie als Kind, als ich mit der Taschenlampe unter der Decke Seite um Seite verschlungen und alles andere vergessen habe. Es gibt nicht viele, die es beherrschen, so realistisch zu erzählen, ohne dass es dröge wird. Franzen schafft es, die Welt in der wir leben, anschaulich zu machen." Liebe Juli Zeh, Sie schaffen das auch! Danke dafür!
Großartig.
Juli Zeh schafft es für mich einmal mehr, die Unterschiede und Unvereinbarkeiten von Menschen und ihren Perspektiven auf das Geschehen aufzuzeigen. Die Innenperspektive der Protagonisten schafft Verständnis für die jeweils eigenen Sichtweisen und Beweggründe. Das führt mich als Leserin über den Punkt von Sympathie und Antipathie gegenüber den beschriebenen Menschen hinaus und schafft Verständnis dafür, dass in mehr oder minder komplexen Angelegenheiten alle Beteiligten ihre für sich nachvollziehbaren Handlungsmotive haben und sich schlussendlich jede*r im Recht glaubt. Mit den Themen Stadt- und Land bzw. Vorstellungen davon, erneuerbarer Energie und die Rolle der Politik in Bezug auf diese (und viele anderen) Herausforderungen zeichnet Juli Zeh für mich ein brandaktuelles Bild von Ostdeutschland, das zugleich weit über diesen geografischen Raum hinaus relevant ist.