Zehn
167 Seiten

Ich bin etwas hin- und hergerissen, was diese Sammlung an Erzählungen betrifft. In zehn Erzählungen bildet Franka Potente das Alltagsleben in Japan und die dortige Kultur ab. Auf der einen Seite ist der Einblick in diese Kultur unglaublich interessant und wird durch diese Form gut zum Ausdruck gebracht, auf der anderen Seite ist aber einiges so vorhersehbar, dass der Großteil der Geschichten abseits von der kulturellen Perspektive nicht wirklich viel zu bieten hatte. Es plätschert so vor sich hin, nach etwa der Hälfte hatte ich ein wenig den Eindruck, da würde nicht mehr wirklich viel Neues kommen. Mit der vorletzten Erzählung "Tamago" hat mich Franka Potente dann allerdings doch von ihrem Können überzeugt. Die Geschichte hat mich sehr berührt und wirkte auch sprachlich wesentlich ausgereifter als der Rest. Kurzweilig und nett zu lesen, aber keine Sensation.

Verbrechen
205 Seiten

Ich hörte die Episode des Podcasts "Hotel Matze", in der Ferdinand von Schirach zu Gast war. Die fand ich so interessant, dass ich danach mal was von ihm lesen wollte.

Verbrechen ist eine Kurzgeschichtensammlung, die sich an wahre Fälle aus Ferdinand von Schirachs Praxis als Strafverteidiger anlehnen. So ganz neu waren mir die Geschichten nicht, denn ich kannte die Serienadaption mit Josef Bierbichler, die schon vor einigen Jahren im ZDF lief - aktuell auch in der Mediathek. Aber die Form, in der der Autor seine Geschichten erzählt, gefiel mir sehr. Die Sprache war unglaublich präzise und klar, ohne Schnörkel und wirkte vielleicht gerade deshalb an vielen Stellen fast schon distanziert. Es ist vielleicht keine Sammlung, die einen sehr lang beschäftigt, aber sie lädt dazu ein, das eigene Verständnis von Schuld und Gerechtigkeit zu reflektieren.

Der Aufstand der Ungenießbaren
192 Seiten

Pointierte Sozialkritik mit durchaus dystopischen Zügen. Edo Popović entwirft eine Gesellschaft, in deren Fokus das Streben nach Macht, Reichtum und Ressourcen steht. Die Ungenießbaren bilden den Zusammenschluss derer, die in dem System keinen Platz finden wollen. Ihr Widerstand ist zunächst gewaltlos, mit der Zeit eskaliert der Konflikt zwischen den Lagern jedoch. Der Roman trägt einen wütenden Unterton, der Autor öffnete mehrere Erzählstränge, die sich zum einen mit dem vorherrschenden System, zum anderen aber auch mit den Auswirkungen der Jugoslawienkriege auf die Bevölkerung auseinandersetzen. Der rote Faden ist an manchen Stellen nicht ganz ersichtlich, im Gesamten fügt sich das aber ganz gut zusammen. Stilistisch wechselt Popović viel zwischen Präsens und Präteritum, provokante Passagen treffen auf philosophische Auseinandersetzungen, die ich für sehr gelungen halte. Durchaus lesenswerter Roman und ich glaube, dass Leser/innen, die über etwas mehr geschichtlichen Hintergrund verfügen als das bei mir der Fall ist, hier nochmal wesentlich mehr rausziehen können.

Educated
352 Seiten

Intensive Lektüre, die mich auf mehreren Ebenen mitgenommen hat. Ich verstehe, weshalb das Buch durchweg sehr gute Bewertungen bekommt. Tara Westovers Geschichte hat mich beeindruckt, allerdings ließ mich der doch eher nüchterne Stil an einigen Stellen etwas ratlos zurück. Das erste Drittel empfand ich als relativ langatmig und über den Verlauf des Buches wirkt vieles doch etwas redundant. Mir fehlte an einigen Stellen eine Auseinandersetzung und Reflexion, nichtsdestotrotz ist dieses Buch aber das beeindruckende Memoir einer jungen Frau, die sich aus den Zwängen ihrer Kindheit und Jugend befreit hat.

& Die Springflut
592 Seiten

Insgesamt ein klassischer Schwedenkrimi, der sich in wenigen Punkten doch etwas von den anderen Vertretern seines Genres abgrenzt. Das Autor/innen-Duo bedient sich den genre-typischen Stereotypen, bei einigen Charakteren gelingt das besser als bei anderen, das Duo, was im Fokus stand, und auch deren Entwicklung im Laufe des Romans gefiel mir aber erstaunlich gut. Der Plot war phasenweise etwas zäh, erst nach einem guten Drittel hatte ich den Punkt erreicht, an dem ich die Geschichte wirklich spannend fand. Nicht alles ist glaubhaft, manches erschien dann doch etwas konstruiert und ich fand die Auflösung einiger Nebenplots etwas zu kurz geraten, aber einige Wendungen haben mir dann doch im positiven Sinne die Sprache verschlagen. Sprachlich und stilistisch merkt man dem Roman leider phasenweise an, dass das Autor/innen-Duo vorher eher auf Drehbücher spezialisiert war, gerade die sehr kurzen Sätze, die vermeintlich Spannung erzeugen sollten, waren dann doch etwas zu inflationär genutzt. Als Auftakt einer Reihe auf jeden Fall interessant und hier lohnt sich wohl, gerade wegen der beiden Hauptcharaktere, ein Blick auf die weitere Reihe.

exit RACISM
131 Seiten

Als Einstieg in die Thematik sehr gut und auch, wenn man Noah Sows Deutschland Schwarz Weiß und Alice Hasters Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen bereits gelesen hat, eröffnet Tupoka Ogettes Herangehensweise eine andere und mir neue Perspektive. Als Ergänzung dazu lohnt sich auf jeden Fall der Blick in diese von der Autorin zusammengestellte und zu Beginn des Buches genannte Linksammlung. Gerade in aktuellen Zeiten eine Lektüre, die insbesondere weiße Menschen gelesen (oder gehört) haben sollten.

Gegen den Hass
240 Seiten

Gutes und sprachlich anspruchsvolles Plädoyer gegen Hass jeglicher Art. Es bietet einen guten Überblick über die Problematik, mir persönlich fehlte es allerdings an neuen Denkanstößen. An einigen Stellen hätte ich mir tatsächlich eine etwas differenziertere Auseinandersetzung gewünscht, dennoch eine klare Leseempfehlung.

Das größere Wunder
523 Seiten

Denn jede Geschichte, die man erzählte, gehörte einem nicht mehr ganz. Man musste darauf achten, was man teilte. Die wichtigsten Geschichten behielt man besser für sich.

Im Fokus von Das größere Wunder steht Jonas, ein junger Mann, der sich am Mount Everest befindet und den Gipfel erklimmen will. Während seiner Zeit am größten Berg der Welt hängt er seinen Erinnerungen nach. In deren Verlauf begleiten die Leser/innen Jonas durch Kindheit, Jugend und zurückliegenden Jahre seines Erwachsenenlebens und lernen Wegbegleiter/innen, mit denen prägende Erlebnisse verknüpft sind, kennen. Man muss (oder kann) Jonas' Charakter nicht mögen, allerdings entwickelt sich hier eine Idee dafür, was die wirre Reise, die ihn über den Kontinent führen wird, angestoßen hat. Erzählerisch ist das über weite Abschnitte stark, gerade die Szenen am Berg empfand ich - ohne die Authentizität beurteilen zu können - als sehr eindrücklich und intensiv. Allerdings entpuppt sich Thomas Glavinic in seiner Erzählweise als wahrer Geheimniskrämer, einige tragende und für Leser/innen durchaus interessante Punkte bleiben hier offen. Das mag auf den ersten Blick unbefriedigend sein, auf den zweiten Blick zeigt sich aber hier die Stärke des Autors, denn genau dieser Kniff unterstreicht die Grundaussage seiner Erzählung. Ein wirklich interessanter und lesenswerter Roman.

Opfer 2117
608 Seiten

Vielleicht der bisher schwächste Teil der Sonderdezernat Q-Reihe. Statt sich eines ungelösten Mordfalls anzunehmen, ermittelt der Trupp aus dem Kopenhagener Keller dieses Mal in eigener Sache. Und vielleicht ist es das, was diesem Teil etwas zum Verhängnis wird. Konkret arbeitet dieser Band die Geschichte von Assad auf. Fans der Reihe könnten sich freuen, allerdings ist es dazu an vielen Seiten leider zu konstruiert. Der Verwebung der einzelnen Plots ineinander, was Adler-Olsen normalerweise immer ganz gut gelingt, hat hier etwas zwanghaftes. Überhaupt hatte ich den Eindruck, vieles wäre nur passiert, um die Seiten zu füllen, nicht unbedingt, um den Plot voranzubringen. Schade eigentlich, denn der Hauptplot hatte doch - bis auf einige Logikfehler - ziemliches Potential. Man kann nur hoffen, dass Jussi Adler-Olsen mal wieder einen Teil schreibt, der an die Anfänge der Reihe anknüpft.

Vielleicht noch ein wichtiger Punkt für die, die mit der Reihe nicht vertraut sind: Im Gegensatz zu den anderen Bänden funktioniert dieser achte Fall in meinen Augen tatsächlich nicht als alleinstehender Roman.

The Kiss Quotient
336 Seiten

Manchmal (und gerade auf Empfehlung) darf es bei mir auch mal ein Liebesroman sein. In den meisten Fällen sind meine Erwartungen nicht hoch, Helen Hoang hat mich mit The Kiss Quotient allerdings wirklich positiv überrascht und ich mochte den Roman am Ende mehr als ich es erwartet hatte. Der Plot ist zwar, wie so oft, vorhersehbar und an einigen Stellen nicht wirklich glaubhaft, aber gerade bei der Repräsentation von Autismus - die Autorin ist selbst diagnostiziert - und dem Bruch mit gängigen Genderklischees konnte Hoang in meinen Augen punkten. Das gelingt vielleicht nicht an jeder Stelle perfekt, war aber deutlich angenehmer zu lesen als viele Bücher gleichen Genres. Größter Kritikpunkt für mich: Die sehr grafischen und sehr ausufernden Sexszenen. Für meinen Geschmack hat es dann doch etwas überhand genommen.

Böses Mädchen
138 Seiten

Starkes Buch. Ich weiß nicht, was mich an dieser kurzen Erzählung am meisten fasziniert hat. Amélie Nothomb schafft es, eine doch recht komplexe Sache wie eine toxische Beziehung in stark konzentrierter Form auf Papier zu bringen, ohne das ich das Gefühl hatte, es fehle etwas. Gerade der Charakter der manipulativen Christa war sehr überzeugend dargestellt, mit Blanche hatte ich an einigen Stellen meine Probleme, aber es war rund. Von der Auflösung am Ende hätte ich vielleicht ein bisschen mehr erwartet. Ein Buch so böse und schön zugleich.

Zusammen ist man weniger allein
560 Seiten

Ich glaube, der Roman war gut gemeint. Anna Gavalda wählt für ihr Ensemble vier Figuren, die auf den ersten Blick grundverschieden, aber allesamt nicht so ganz glücklich mit ihrem Leben sind. Es hätte Potential zu einem guten Roman über Freundschaft, auch über Generationen hinaus, werden können, aber dafür waren leider sowohl Handlung als auch Charaktere etwas zu klischeebeladen. Gavaldas Umgang mit psychischen Erkrankung halte ich für problematisch, gerade im Hinblick auf die Auflösung ist das viel zu einfach gedacht, ist aber in der Form in Literatur leider keine Seltenheit. Erzählerisch ist das alles etwas gewöhnungsbedürftig. Gerade den Beginn empfand ich als sehr holprig, das Buch ist über weite Teile dialoglastig, gerne auch mal diffus, und wirklich viel Handlung hält sie nicht bereit. Es gibt einige nette Szenen, aber mehr auch nicht. Mir gefiel die filmische Umsetzung, die ich vor einiger Zeit sah, doch deutlich besser.

Tyll
480 Seiten

Daniel Kehlmanns Tyll überzeugt gerade durch starke Episoden, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs beschäftigen und ein weitestgehend authentisches Bild zeichnen. Der Roman ist sprachlich und handwerklich ausgereift, die Vermischung zwischen historischem Erzählen und einer oft ins fantastische gleitenden Fiktion gelingt gut. In meinen Augen liegt die größte Schwäche jedoch in der Rahmenhandlung, dem vermeintlichen Eulenspiegel-Roman. Die Figur des Tyll Uhlenspiegel, angelehnt an den bereits fiktiven Stoff um den Schalk Till Eulenspiegel, tritt eher als Randfigur auf und bleibt so über weite Teile unglaublich fremd. Im Vergleich zu Kehlmanns anderen Romanen fehlte es mir hier leider etwas an Tiefe. Insgesamt ein gut konstruiertes Buch, das mir speziell aber in seiner Form nicht zusagen konnte.