Akikos stilles Glück
384 Seiten

Als Akiko hört, dass ihre beste Freundin eine Solo-Hochzeit feiert, ist sie überrascht. Davor war ihr das Prinzip gänzlich unvertraut und nun überlegt sie, ob so etwas auch für sie in Frage kommen könnte. Doch als sie auf ihren ehemaligen Klassenkameraden Kento trifft, bekommt sie Zweifel, denn er stellt ihr zwei zentrale Fragen: Kennt sie sich? Mag sie sich? Diese Fragen sollten vor einer Solo-Hochzeit doch geklärt werden, meint Kento. Er selbst ist inzwischen ein Hikikomori geworden und lebt als solcher abseits der Gesellschaft, hat keinen Kontakt zu Menschen und geht nur nachts raus. Nur Akiko findet Zugang zu ihm und zwischen ihnen startet eine zögerliche Freundschaft. Diese hilft Akiko nicht nur, über den Tod ihrer Mutter hinwegzukommen und das Mysterium ihres Vaters zu lösen, sondern auch, sich selbst immer besser kennenzulernen: Kennt sie sich? Mag sie sich? Und was will sie mit ihrem Leben anfangen?

Dieser ruhige Roman hat viele inspirierende und emotionale Szenen, die sowohl Akikos als auch Kentos Leben und die Schwierigkeiten, denen sie sich stellen müssen, sehr gut beschreiben. Am liebsten gefielen mir die Erzählungen aus ihrer jeweiligen Vergangenheit, weil diese so gut erklärten, warum sie zu den Personen wurden, die sie in der Gegenwart waren. Zusätzlich liebte ich Akikos Geschichtsideen und Kentos vorgelesene Haikus, weil beides so inspirierend war. Allgemein lernt man die beiden Charaktere überraschend gut kennen, obwohl speziell Kento sehr verschlossen ist. Eine Charakterentwicklung findet zwar eher bei Akiko als bei Kento statt, aber auch so mochte ich beide.

Doch neben den schönen Szenen, philosophischen Gedankengängen und sympathischen Hauptcharakteren hat der Roman trotzdem eine Schwäche: Das Pacing. An sich genieße ich es durchaus, ab und an langsamere Geschichten zu lesen, doch in diesem Fall war sie mir ein wenig ZU langsam. Ich habe mich zwar nicht unbedingt gelangweilt, mich aber doch gefragt, wann es wieder richtig weitergeht. Vor allem, weil es Handlungsstränge gibt, die letztendlich offen gelassen werden – darunter die Solo-Hochzeit, die Akiko irgendwann wieder verwarf, ohne dass ich es als Leserin bewusst mitbekommen hätte. Im Nachhinein waren die verworfenen Handlungsstränge wahrscheinlich Akikos Ideen für ihre Zukunft, bevor sie schließlich die fand, die sie glücklich machte, aber zumindest während des Lesens ist es verwirrend, wenn wichtige Plotpunkte später nicht mehr erwähnt werden.

Von daher empfehle ich den Roman denjenigen, die ruhige Geschichten mit offenen Fragen mögen, während andere den Roman als zu langsam empfinden könnten.

Die Assistentin
368 Seiten

In leichter und jugendhafter Sprache führt uns Wahls dritter Roman in die Arbeitswelt. Hauptfigur ist eine junge Frau, Charlotte, die sich nicht lange nach Studienabschluss in einem Verlag als Assistentin bewirbt. Dort hat sie Kolleginnen mit ähnlichen Jobprofilen und schnell wird klar, dass ihr Chef ein launischer Machtmensch ist, der am Laufmeter Grenzen überschreitet. Dementsprechend gibt es oft personelle Wechsel und Charlotte, frisch und relativ einsam in München, versucht mit Privat- und Arbeitsleben, die immer mehr verschmelzen, klarzukommen und nicht unterzugehen. Ein Lichtblick tut sich gegen Schluss auf. Dem Roman fehlt die Dringlichkeit und auch die ausserordentliche Intensität ihrer letzten zwei Bücher. Trotzdem ein sehr gelungenes Stück.

Ginsterburg
432 Seiten

Drei Teile mit je vier Kapiteln in den Jahren 1935, 1940 und 1945. Die Erzählung ist in einer fiktiven kleinen deutschen Gemeinde lokalisiert und ihr Hauptdarsteller sind die Bewohnerinnen und Bewohner. Ein grossartig geschriebenes Buch über die Wahrnehmung, die Auswirkung und die Meinungen zum Krieg.

& Zwischen Welten
448 Seiten

Deutschland 2022, eine Erzählung, die sich einzig in E-Mails und Chat-Nachrichten zwischen Theresa, Landwirtin in Brandenburg, und Stefan, Journalist in Hamburg, entwickelt. Die beiden kennen sich aus dem Studium, waren eine WG und sind sich vertraut. Die Kraft der Geschichte liegt aber in den Differenzen zwischen den beiden und in den weit voneinander entfernten Realitäten. Die schonungslose Ehrlichkeit von Theresa und Stefan, das Erzähltempo und die Heftigkeit der Ereignisse führt uns viele hässliche Seiten unserer eigenen Gegenwart vor Augen.

Verschwörung gegen Amerika
434 Seiten

Ein Buch von 2004, das nichts an Dringlichkeit und Aktualität verloren hat. Roth nimmt uns mit auf ein dunkles Gedankenexperiment Anfang der 1940er Jahre. Schauplatz sind die USA, im Zentrum der Geschichte eine jüdische Familie in einfachen Verhältnissen. Die Erzählung führt uns ein paar wenige Jahre durch die amerikanische Geschichte mit dem Unterschied, dass nicht Roosevelt ein drittes Mal Präsident wird, sondern Lindbergh. Dieser verfolgt eine isolationistische Haltung der USA gegenüber einem Kriegseintritt gegen D, It und Jp, ausserdem wird ihm, nicht ungerechtfertigt, eine starke antisemitische Einstellung vorgeworfen. Was Roths Erzählung auch für die heutige Zeit so relevant macht, zeigt sich stark in zwei Aspekten: erstens zeigt er, wie wichtig es ist, dass Politik und Gesellschaft nicht müde werden dürfen, das Überschreiten roter Linien und das Brechen von Tabus immer und auch in der unwichtigsten Kommentarspalte scharf zu kritisieren. Es sind viele kleine Schritte, mit denen die Grenzen hin zu Diskriminierung, Rassismus und Schutz von Minderheiten jeden Tag auszudehnen versucht werden. Zweitens führt uns die Geschichte vor Augen, dass auch das Schweigen von mächtigen Menschen eine Meinungsäusserung darstellt und im schlimmsten Fall zu Gefahr für Leib und Leben führen kann. Eine düstere Geschichte, die uns lehrt, wachsam zu sein, sei es gegenüber Hass oder sei es gegenüber Falschinformation.

Tarlan
220 Seiten

Fariba Vafi schildert in schnörkelloser Sprache das Erwachsenwerden zweier Freundinnen und wie sie die Polizeischule absolvieren. Sie erlaubt durch diese zwei Figuren einen Augenschein auf das Leben im Iran, auf die Realität, der junge Frauen begegnen müssen und zeigt den Graben zwischen strenger Disziplin und der Fantasie darüber, was die Zukunft bringen wird.

Die Knochenuhren
811 Seiten

Mitchell ist ein grossartiger Geschichtenerzähler. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise, reiht Geschichten an verschiedensten Orten und in weit auseinanderliegenden Zeitabschnitten aneinander und verknüpft sie miteinander. Die Verbindungen zwischen den so unterschiedlichen Schauplätzen stellen „überzeitliche Geistwesen“ her, die von einem menschlichen Wirt zum nächten wandern und so auf ein Leben von Jahrhunderten oder Jahrtausenden zurückblicken können. Diese fantastische Erzählweise mündet zum Schluss in eine Dystopie in der Zukunft. Schönes Detail ist, dass Mitchell Figuren aus seinen anderen Büchern immer wieder auftauchen lässt.

Der Berg, der Menschen frisst
280 Seiten

Der baskische Journalist Ander Izagirre schaut in seinem Buch über die Minenarbeiter Boliviens, mit Fokus auf die Kinder, die unter Tage arbeiten, tief in die Seele der Andenbewohner. Nebst der Kritik an den sozialen Missständen, schreibt er, wie nebenbei, noch eine kurze Geschichte des Andenstaates. Ausgehend von den reichen Rohstoffen des Cerro Rico in Potosí, dessen Silber das Rückgrat des Spanischen Kolonialismus bildete, über die Zinnvorkommen in Llallagua, die einen bolivianischen Glücksritter namens Simon Patiño zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum fünftreichsten Menschen des Planeten machte, bis hin zur Verstaatlichung der Minen in den 1950er-Jahren und deren erneute Privatisierung in den 1980er-Jahren, ist die Geschichte des Bergbaus eng mit der des Staates verwoben.

Dass man den Gipfel des Cerro Rico in jüngster Vergangenheit stabilisieren musste, damit Erdrutsche nicht die darunterliegende Stadt zerstören und die Rohstoffe des Berges, der mittlerweile mehr einem Schweizer Käse gleicht, weiterhin ausgebeutet werden, trotz unzähliger Gefahren beim Abbau und der gesundheitsschädigenden Staubluft in den Stollen, zeugen von der Verzweiflung der indigenen Bevölkerung.

Die Darstellung eines Staates, der zuerst von europäischen Imperialisten, dann von der eigenen Elite geplündert wurde und seither wegen den Launen des Welt-Rohstoffmarktes immer wieder in prekäre Situationen trudelt, kontrastiert mit der ergreifenden Geschichte der vierzehnjährigen Alicia Quispe, die in der schulfreien Zeit Loren aus den Stollen schiebt, um für die Familie ein wenig Geld zu verdienen. Eine lesenswerte Dokumentation!

Blutbuch
336 Seiten

Ein Buch in neuer Sprache und zeitweise unkonventioneller Form. Trotzdem liest es sich flüssig. Ein Selbstfindungstrip der schreibenden Person, spannend zu verfolgen. Teil 3 hatte seine Längen und Ausschweifungen, im Grossen und Ganze ein sehr gutes Buch.