In einer dunkelblauen Stunde
256 Seiten

Die Dokumentarfilmerin Andrea soll mit ihrem Partner Tom einen Film über den Schriftststeller Richard Wechsler drehen. Dazu besuchen sie Richard Wechsler in Paris, wo dieser lebt, und drehen einige Szenen. Nun wollen sie im Heimatort von Richard Wechsler weitere Szenen drehen, doch Richard Wechsler erscheint nicht zum Termin und lässt das ganze Projekt scheitern. Damit ist auch Andreas Karriere als Filmemacherin zu Ende wie auch ihre Beziehung zu Tom. Kurze Zeit darauf stirbt Richard Wechsler. An der Beerdigung trifft Andrea die Pfarrerin Judith, die über viele Jahre eine heimlich Liebesbeziehung mit Richard Wechsler pflegte, und freundet sich mit ihr an. Gemeinsam fahren sie nach Paris in die Wohnung von Richard Wechsler. Beim Lesen stellt sich immer wieder die Frage, wer dieser Richard Wechsler ist. Ist es gar Peter Stamm? Die Kritiker sprechen von einem Spiegelkabinett, das Peter Stamm kunstvoll aufbaut und das zusätzlich verstärkt wird, indem auf dem Buchumschlag ein gemaltes Bild von Peter Stamm zu finden ist. Zudem ist tatsächlich ein Dokumentarfilm über Peter Stamm gedreht worden (auf Play SRF zu finden), der eine zusätzliche Dimension dieses Vexierbildes eröffnet. Ich empfehle unbedingt, diesen Film zum Buch zu schauen. Übrigens: Natürlich ist Richard Wechsler nicht Peter Stamm. Peter Stamm erschafft zusammen mit dem Dokumentarfilm von Arne Kohlmeyer ein Kunstwerk, über das sich trefflich rätseln und das sich leicht und flüssig lesen lässt. Das ist alles sehr schön, für mich persönlich stellte sich aber beim Lesen bald die Frage, ob mich das Thema des Buches interessiert, was nur beschränkt der Fall ist. Zudem finde ich, das Buch ist manchmal gar locker geschrieben ist, was sicher daran geschuldet ist, dass es aus der Perspektive von Andrea geschrieben ist. Und so kam es, dass ich mich an kleinen Dingen störte. Ich finde es befremdlich, dass sich die Filmemacherin nach Recherchen über den Autor an der Beerdigung fragt, ob Richard Wechsler wohl Geschwister habe. Muss wirklich eine sehr schlechte Filmemacherin sein, die zudem auch nicht weiss, dass der Schauspieler „mit Knollennase“, der im Heidi-Film den Grossvater spielt, Heinrich Gretler heisst. Fazit: Wer sich auf das Wechselspiel einlässt wird sicher viel Freude haben, denn wie sagt Richard Wechsler: „Das ist Ihre Geschichte, nicht meine.“

Unsre verschwundenen Herzen
400 Seiten

Ein dystopischer Roman, der in naher Zukunft in den USA spielt. China wird als Staatsfeind bekämpft und damit auch alle asiatisch aussehenden Menschen, deren Kinder weggenommen werden. Um ihren Sohn zu schützen, geht Birds Mutter (ihre Eltern sind aus China eingewandert) deshalb in den Untergrund. Sie hofft, dass Bird auf diese Weise bei seinem Vater bleiben kann. Bird macht sich aber auf die Suche nach seiner Mutter. Auch wenn es mich natürlich sehr freut, dass es Bibliotheken im Verbund mit der Poesie sind, die den Hort des Widerstands gegen die Diktatur bilden, konnte das Buch meine Erwartungen nicht ganz erfüllen. Insgesamt ist mir die Geschichte zu stereotyp und schablonenhaft.

Die leuchtende Republik
218 Seiten

In einer südamerikanischen Stadt taucht eines Tages eine Gruppe von Kindern auf. Diese verständigen sich in einer eigenen, unverständlichen Sprache, stehlen und greifen, zuerst eher harmlos, zuletzt aber in brutaler Weise die Bewohner der Stadt an. Die Geschichte wird rückblickend von einem Mitarbeiter der Sozialhilfebehörde erzählt. Die Erzählung schwankt zwischen Faszination für diese Kinder und Hilflosigkeit und Angst angesichts des rücksichtslosen Vorgehen dieser Kinderbande. Vergeblich versucht der Erzähler eine Erklärung für die Vorkommnisse zu finden. Als Leser bin ich mit unerklärlichen, z.T. fast magischen Ereignissen konfrontiert, z.B. dann, wenn die wohlbehüteten Stadtkinder mit den Kindern des Urwalds über Klopfzeichen über die Erde versuchen Kontakt aufzunehmen. Mit dem Schluss der Geschichte gibt es jedoch genau dafür eine Erklärung. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ich das Buch in die Tradition des südamerikanischen Realismus stellen soll. Es bleibt ein Bild von Kindern, das sehr vielschichtig ist und auf jeden Fall zum Nachdenken anregt.

Die Kinder sind Könige
320 Seiten

Christine Diore und ihr Mann betreiben einen erfolgreichen YouTube-Kanal, mit dem sie sehr viel Geld verdienen. Stars dieses Kanals sind ihre beiden Kinder Sammy und Kimmy, die von ihrer Mutter rund um die Uhr inszeniert werden. Eines Tages verschwindet Kimmy. Christiane Diore gegenüber steht Clara, die Polizistin, die die verschwundene Kimmy suchen muss. Ein Buch, das ich fast nicht zur Seite legen konnte und verschlungen habe. Im Kern geht es im Buch um die Frage nach Freundschaft, Liebe und Anerkennung in unserer Zeit, in der die Sozialen Medien eine (zu) grossen Platz einnehmen: Zitat aus dem Buch: „Big Brother hatte es gar nicht nötig gehabt, sich durchzusetzen. Big Brother war mit offenen Armen und nach Likes dürstenden Herzen empfangen worden, und jeder war bereit gewesen, sein eigener Henker zu sein. Die Grenzen des Privaten hatten sich verschoben. Die sozialen Netze zensierten Bilder von Brüsten und Pos. Aber für einen Klick, ein Herz oder einen hochgereckten Daumen zeigte man seine Kinder und seine Familie, erzählte man sein Leben. Jeder war zum Administrator seiner Selbstdarstellung geworden und diese ein unverzichtbares Element der Selbstverwirklichung.“

Der Rote Diamant
320 Seiten

Ich habe den Zugang zum Buch nicht gefunden. Die vordergründige Jagd nach dem roten Diamanten, die in einem Internat der 60er Jahre spielt, hat mich nicht gepackt und den in vielen Kritiken lobend erwähnte „philosophischen Kern“ der Geschichte habe ich nicht entdeckt. Es mag vielleicht an meinen fehlenden Sinn für Humor liegen, aber Sätze wie: ‚„Er glotzte mich an, als hätte er einen Pfosten vor sich, stampfte mit dem Fuß und rief: »Auf der Zacke steckt der ganze Diamant!“‘ oder „Er grimassierte wieder und wackelte so erregt mit dem Kopf, dass er den Turban zu verlieren drohte.“ erinnern mich zu sehr an Jugendbücher früherer Tage.

Doppelleben
292 Seiten

Das Buch handelt von den Brüdern Jules und Edmond Goncourt, auf die der bekannte Prix Goncourt zurückgeht. Die beiden wohlhabenden Brüder tun alles gemeinsam. Sie schreiben nicht nur ihre Bücher zusammen (den ersten naturalistischen Roman), sie teilen sogar ihre Geliebten. Die dritte Hauptperson im Buch ist ihre Haushälterin Rose. Sie ist eine schlechte Köchin, umsorgt die beiden Männer aber liebevoll und fürsorglich. Was die beiden nicht wissen, Rose führt ein Doppelleben. Nachdem sie sich in einen Mann verliebt hat, verfällt sie diesem und wird von ihm in jeder Beziehung ausgenutzt. Dies geht so weit, dass Rose die Brüder Goncourt bestiehlt. Nach dem Tod von Rose, entdecken die Brüder das Geheimnis. Ihre Trauer um Rose ist jedoch grösser, als die Enttäuschung über sie. Die Geschichte von Rose verarbeiten sie schliesslich in einem Roman. Alain Claude Sulzer wiederum macht die Brüder Goncourt zum Gegenstand seines Romans. Ein sehr lesenswertes Buch, das die Leser:innen in das Paris des 19. Jahrhundert eintauchen lässt

Eine Liebe
192 Seiten

Nat zieht aufs Land in die spanische Provinz. Alles (Menschen Hund, Garten) dort bleibt rätselhaft. Mal gibt es Annäherung, dann aber wieder offene Feindschaften. Auch die Beziehung zu Andreas (Sex gegen Handwerksarbeit) lässt mich als Leser verstört zurück. Ein atemlos und distanziert erzähltes Buch.

Tomás Nevinson
736 Seiten

Zuerst beeindruckt von der fulminanten Sprache, dann etwas irritiert von der Vermengung von fiktiver Geschichte mit den realen Attentaten der ETA in Spanien (inkl. Zeitungsausschnitt). Auch wenn alle Besprechungen in den Zeitungen von einem Meisterwerk sprechen, mich hat Javiers Geschichte des Geheimdienst-Agents Nevinson, insbesondere seine Beziehung zu den Frauen, nicht überzeugt. Vielleicht klug, aber für mich ziemlich konstruiert und antiquiert.