"Kairos" von Jenny Erpenbeck erzählt die Geschichte der neunzehnjährigen Katharina und des Mitte fünfzigjährigen Hans, die sich Ende der achtziger Jahre in Ostberlin begegnen. Trotz der Unterschiede und Hindernisse, die zwischen ihnen stehen, können sie sich nicht voneinander lösen. Vor dem Hintergrund der untergehenden DDR und der Umbrüche nach 1989 wird die toxische Liebesbeziehung der beiden Hauptfiguren beschrieben.
Erpenbeck schafft es, die komplexen Gefühle von Glück, Obsession, Gewalt, Hass und Hoffnung meisterhaft zu schildern. Die Sprache ist dabei besonders beeindruckend.
Lesenswertes Buch über Kit Armstrong, ein Künstler und Wissenschaftler, der die Bereiche Musik und Naturwissenschaften meisterhaft miteinander verbindet. Als Wunderkind zeigte er außergewöhnliche Fähigkeiten und hat sich sowohl als Musiker als auch als Wissenschaftler kontinuierlich weiterentwickelt. Sein Interesse an künstlicher Intelligenz unterstreicht seine Vielseitigkeit und seinen Forschergeist. Trotz seiner aussergewöhnlichen Fähigkeiten ist Armstrong stets er selbst geblieben und seine Gedanken über Musik, Wissenschaften und über das Menschliche allgemein sind lesenswert. Ein Buch besonders für Menschen, die sich für Musik interessieren.
Jimmy ist ein Einzelkind, sein Vater hat Geld veruntreut und ist verschwunden. Als Klassenprimus hat er keine Freunde. Seine Freizeit verbringt er damit, Flippos zu sammeln, die in Chips-Packungen aus dem Supermarkt zu finden sind. Eines Tages kommt Tristan in seine Klasse, der mit seiner Familie aus dem Kosovo geflüchtet ist. Die beiden freunden sich an und unterstützen sich gegenseitig, auch wenn sie in völlig unterschiedlichen Welten leben, denn Tristan hat eine traumatische Flucht mit seiner Familie aus dem Kosovo hinter sich. Als nun die Familie einen Wegweisungsentscheid erhält, schmieden die beiden zusammen mit Tristans älterer Schwester einen gewagten und gefährlichen Plan, um die Wegweisung zu verhindern. In vielen Rezensionen wird das Tröstliche und Schöne der Freundschaft dieser Jungen betont. Für mich war es eher eine traurige Geschichte. Die beiden Lebenswelten der beiden Jungen sind zu unterschiedlich, als dass sie wirklich zusammenkommen und sich verstehen können (so habe ich auf jeden Fall die Geschichte gelesen). Trotzdem oder aber gerade deswegen ein lesenswertes Buch, das zum Denken und Diskutieren anregt.
Matrix von Lauren Groff hat mich sehr beeindruckt. Groff taucht tief in das mittelalterliche Leben ein, verleiht ihm durch ihren unverwechselbaren Stil eine "plastische Präsenz" und belebt die Geschichte Maries, einer unangepassten Heldin, die im Kloster ungeahnte Stärke findet. Die historische Genauigkeit und die sprachliche Brillanz machen das Buch zu einem beeindruckenden Leseerlebnis. Ein Roman, der nicht nur gefällt, sondern auch in Erinnerung bleibt und zum Nachdenken anregt.
Mit “Februar 33” schreibt Uwe Wittstock eine Chronik der Ereignisse um Hitlers Machtergreifung aus Sicht von Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Hautnah schildert Wittstock aus der Perspektive von Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und vielen mehr, wie das kulturelle Leben der Weimarer Republik innerhalb weniger Wochen einem repressiven, brutalen Regime weicht. Um dem Tod zu ergehen bleibt nur noch die Flucht ins Ausland.
Mit diesem Fantasy-Roman, in dessen Zentrum eine in Ausbildung befindliche junge Drachenreiterin steht, habe ich mal was ganz anderes gelesen als üblich. Ja, die Geschichte ist spannend und man kann abtauchen in eine fremde Welt. Trotzdem wird es wohl wieder ein paar Jahre dauern, bis ich den nächsten Fantasy-Roman lesen werde.
Eine 14-Jährige verliert ihre Mutter und begibt sich auf die Suche nach ihrem Vater, von dem sie fast nichts weiss. Eine unterhaltsame und rasant erzählte Coming-of-Age-Geschichte, die auch ihre traurigen und komischen Momente hat. Nicht unbedingt mein Genre, aber definitiv ein gefühlvolles und lesenswertes Buch. Für den deutschen Buchpreis nominiert.
Das Buch erzählt die Geschichte von Seka, der Tochter bosnischer Eltern, die vor dem Krieg in ihrer Heimat in die Schweiz geflohen sind. Die Familie ist traumatisiert und der Vater gewalttätig. Seka versucht, die Geschichte ihrer Familie zu verstehen und sie aufzuschreiben. Als Ausgangspunkt ihrer Nachforschungen dienen ihr Familienfotos. Schnell erkennt sie, dass ihre persönliche Geschichte eng mit der allgemeinen Geschichte verwoben ist. Über Raum und Zeit hinweg sind alle Ereignisse miteinander verknüpft. Seka beginnt, in ihrer Geschichte und in den Archiven zu graben.
- Sie erzählt von dem Bergwerk in Omarska, das im Bosnienkrieg als Gefangenenlager genutzt wurde und von zarten, verzweifelten Liebesbriefen aus dem Lager.
- Sie beleuchtet die Geschichte anderer Bergwerke, wie z.B. Cerro Rico, in dem die Spanier Silber förderten – ein Symbol für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die Zerstörung der Natur. Der Bergbau steht in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung von Wissenschaft, Handel und Kriegen.
- Sie thematisiert, wie die Schweiz mit MigrantInnen umgeht, und wie diese versuchen, sich zu integrieren – oder eben oft nicht. Viele wenden sich der Religion zu, insbesondere einem fundamentalistischen Islam. Das Buch übt damit auch Kritik an der bosnischen Community.
- Sie berichtet von einem gewalttätigen Vater, vor dem sich die Familie versteckt.
- Aber vor allem erzählt sie von Seka, einer jungen Seconda in der Schweiz. Zwischen popkulturellen Referenzen und einem Studium in Leipzig sucht Seka, im fleissig und angepasst, Antworten in den Werken von Novalis, W.G. Sebald, Joseph Conrad und der ganzen Garde der Frauenliteratur, die sie alle auch zitiert
Es handelt sich um ein komplexes Thema, das in Montagetechnik dargestellt wird. Dennoch schafft es Mina Hava, authentisch zu bleiben und die Handlungsstränge gekonnt zu verweben. Dies erzeugt einen Sog beim Lesen. Es ist ein tief literarisches Werk, das den Lesern, die sich darauf einlassen, einen frischen Blick auf die Welt ermöglicht und in einer präzisen sowie wunderschönen Sprache verfasst ist. Das Buch hat mich zutiefst beeindruckt und fasziniert zurückgelassen. Ein absolutes Lieblingsbuch!
Unter dem Motto „Bereise nie ein Land ohne seine Bewohner“ durchstreift Anne Weber, beziehungsweise die Protagonistin des Buches, die Banlieues von Paris. Begleitet wird sie dabei von Thierry, dessen Vater Algerier ist und der in den Banlieues aufgewachsen ist. Inwieweit hinter Thierry der Fotograf Bruno Boudjelal steht, dem das Buch gewidmet ist, und inwieweit Anne Weber identisch ist mit der Protagonistin des Buchs, bleibt unklar. Das Buch liest sich jedoch eher wie eine Reiseerzählung und weniger als Roman, als das es offiziell bezeichnet wird.
Zitat: „Gehen, wo niemand geht. Wo niemand geht, weil nur Autos fahren, oder wo niemand geht, weil es nichts zu sehen und zu holen gibt. In verlorenen Ecken, an gehsteiglosen Schnellstrassen: Immer stossen wir auf Menschen, nie sind wir ganz allein. Die abgelegenen, vergessenen Ecken sind nur von uns vergessen, von anderen werden sie bewohnt.“
Thierry und die Ich-Erzählerin durchstreifen gemeinsam die Banlieues, die vordergründig nichts zu bieten haben ausser Schnellstrassen und Autobahnen, riesigen Wohnblocks, Lagerhallen und Supermärkten. Das Buch ist besonders aktuell, da es das Gebiet beschreibt, in dem die Olympischen Spiele stattfinden sollen.
Während Thierry für einen Dokumentarfilm über die Olympischen Spiele nach Drehorten sucht, macht die Ich-Erzählerin in seiner Begleitung Begegnungen, die ihre persönliche Sichtweise verändern. In einem kleinen Café, in dem ganz selbstverständlich (im Gegensatz zu anderen Cafés in dieser Gegend) auch Frauen verkehren, finden die beiden einen Ort der Ruhe und Erkenntnis. Das Café ist eine kleine Welt für sich.
Anne Weber eröffnet durch diese Begegnungen einen weiten Kosmos, in dem grundlegende Themen wie Reichtum, Armut, Krieg, Schuld sowie die Geschichte Frankreichs und insbesondere Frankreichs Beziehung zu Algerien eindrucksvoll geschildert werden. Das Buch ist ein eindrucksvolles Werk für alle, die sich für das andere Paris interessieren oder die gerade die Olympischen Spiele verfolgen.