Unter dem Motto „Bereise nie ein Land ohne seine Bewohner“ durchstreift Anne Weber, beziehungsweise die Protagonistin des Buches, die Banlieues von Paris. Begleitet wird sie dabei von Thierry, dessen Vater Algerier ist und der in den Banlieues aufgewachsen ist. Inwieweit hinter Thierry der Fotograf Bruno Boudjelal steht, dem das Buch gewidmet ist, und inwieweit Anne Weber identisch ist mit der Protagonistin des Buchs, bleibt unklar. Das Buch liest sich jedoch eher wie eine Reiseerzählung und weniger als Roman, als das es offiziell bezeichnet wird.
Zitat: „Gehen, wo niemand geht. Wo niemand geht, weil nur Autos fahren, oder wo niemand geht, weil es nichts zu sehen und zu holen gibt. In verlorenen Ecken, an gehsteiglosen Schnellstrassen: Immer stossen wir auf Menschen, nie sind wir ganz allein. Die abgelegenen, vergessenen Ecken sind nur von uns vergessen, von anderen werden sie bewohnt.“
Thierry und die Ich-Erzählerin durchstreifen gemeinsam die Banlieues, die vordergründig nichts zu bieten haben ausser Schnellstrassen und Autobahnen, riesigen Wohnblocks, Lagerhallen und Supermärkten. Das Buch ist besonders aktuell, da es das Gebiet beschreibt, in dem die Olympischen Spiele stattfinden sollen.
Während Thierry für einen Dokumentarfilm über die Olympischen Spiele nach Drehorten sucht, macht die Ich-Erzählerin in seiner Begleitung Begegnungen, die ihre persönliche Sichtweise verändern. In einem kleinen Café, in dem ganz selbstverständlich (im Gegensatz zu anderen Cafés in dieser Gegend) auch Frauen verkehren, finden die beiden einen Ort der Ruhe und Erkenntnis. Das Café ist eine kleine Welt für sich.
Anne Weber eröffnet durch diese Begegnungen einen weiten Kosmos, in dem grundlegende Themen wie Reichtum, Armut, Krieg, Schuld sowie die Geschichte Frankreichs und insbesondere Frankreichs Beziehung zu Algerien eindrucksvoll geschildert werden. Das Buch ist ein eindrucksvolles Werk für alle, die sich für das andere Paris interessieren oder die gerade die Olympischen Spiele verfolgen.
Grosse Leseempfehlung! Auch wenn das Buch mir mit seinen ineinander verwobenen Erzählsträngen viel abgefordert hat und ich immer wieder die Personen nachschlagen musste - grosser Dank an dieser Stelle an die französischsprachigen Wikipedia-Seite - haben mich die Handlung und Sarrs Erzählkunst beeindruckt und von Anfang bis zum Schluss gefesselt.
Das Buch handelt von den Brüdern Jules und Edmond Goncourt, auf die der bekannte Prix Goncourt zurückgeht. Die beiden wohlhabenden Brüder tun alles gemeinsam. Sie schreiben nicht nur ihre Bücher zusammen (den ersten naturalistischen Roman), sie teilen sogar ihre Geliebten. Die dritte Hauptperson im Buch ist ihre Haushälterin Rose. Sie ist eine schlechte Köchin, umsorgt die beiden Männer aber liebevoll und fürsorglich. Was die beiden nicht wissen, Rose führt ein Doppelleben. Nachdem sie sich in einen Mann verliebt hat, verfällt sie diesem und wird von ihm in jeder Beziehung ausgenutzt. Dies geht so weit, dass Rose die Brüder Goncourt bestiehlt. Nach dem Tod von Rose, entdecken die Brüder das Geheimnis. Ihre Trauer um Rose ist jedoch grösser, als die Enttäuschung über sie. Die Geschichte von Rose verarbeiten sie schliesslich in einem Roman. Alain Claude Sulzer wiederum macht die Brüder Goncourt zum Gegenstand seines Romans. Ein sehr lesenswertes Buch, das die Leser:innen in das Paris des 19. Jahrhundert eintauchen lässt
In diesem Buch, ausgezeichnet mit dem Prix Femina 2022, erzählt Claudie Hunzinger im Stile des Nature Writings von einem älteren Paar, das abgeschieden in einem Wald lebt. Sophie, eine Schriftstellerin, und Grieg, ihr Lebensgefährte, verbringen ihre Tage inmitten von Büchern und Natur, zurückgezogen von der modernen Gesellschaft.
Eines Abends taucht eine kleine, verletzte Hündin auf, die den Namen Yes bekommt. Yes bringt Änderungen in den gewohnten Alltag und wird zum Auslöser für Erinnerungen, Gedanken und Gespräche über das Älterwerden, das Schreiben, die Literatur und die Welt im Wandel.
Der Roman thematisiert den Zustand einer bedrohten Welt und erzählt von der Zerstörungskraft und Gewalttätigkeit des Menschen, die im Roman stets präsent sind, zwar nicht offen, aber immer bedrohlich im Hintergrund. Und trotzdem finden sich immer wieder Momente des Glücks in der Natur, in der Literatur, im Schreiben aber auch im Zusammenleben zwischen Sophie, Grieg und Yes.
Einerseits hat mich das Buch vor allem sprachlich überzeugt. Andererseits hatte ich etwas Mühe mit dieser Rückzugs-Geschichte, in der Trost nicht von den Menschen draussen kommt, sondern einzig in der Literatur oder in der Beziehung zu einem kleinen Hund zu finden ist - und selten vielleicht auch beim Lebensgefährten.