Sokrates
176 Seiten

Diese Einführung, die ich vor vielen Jahren in einem Klosterladen gekauft habe (warum haben die das da drin liegen, frage ich mich rückwirkend) besteht eher aus: "Ja, also; schriftliche, wahre Aussagen gibt es von Sokrates nicht, bloß die Dialoge von Platon und er hatte sicher im Interesse, dass sein Lehrer cool dargestellt wird, Aristoteles kannte ihn gar nicht persönlich und hatte bestimmt einen besseren Blick auf ihn und seine Bildnisse stimmen wahrscheinlich auch nicht, weil man seine Physiognomie mit der des Silen vermischt hat, weil die Griechen sehr seltsame Physiognomielehren hatten, hahaha Sokrates". Die biographischen Eckdaten kannte ich schon, sie wurden ein wenig angereichert. Nicht schlecht, nicht herausragend. Es kommt ohnehin keiner an Diogenes von Sinope ran.

Der menschliche Makel
399 Seiten

Wow, wow, wow. Das war ein wahres Erlebnis. Das Schicksal verschiedener Menschen, die sich durch das auszeichnen, was der Titel verrät. Im Buch selbst wird der menschliche Makel den Tieren zugeschrieben, die den Menschen zu zutraulich wurden und sich dann nicht mehr mit den eigenen Artgenossen unterhalten können. Dass das natürlich EXTREM metaphorisch ist, tut dem keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Dass dies am Beispiel eines Raben gezeigt wird, hat im Hinblick auf das amerikanische Gedicht schlechthin eine noch größere Bedeutung.

An sich geht es um das Ich und die Verleugnung dessen und der Vergangenheit.

Sei es der Protagonist Coleman Silk (71), der als Professor "gecancelt" wurde, wie man so schön sagt (er sagte in einem Seminar über zwei schwarze Studentinnen, die er noch nicht sah und von denen er nicht wusste, dass sie schwarz sind, dass sie "dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen" seien. Dieter Nuhr hätte das sicher aufgegriffen), jedoch sein Leben auf der Lüge aufbaute, ein Jude zu sein. Er selbst ist Afroamerikaner, doch hierbei mit einem "Teint versehen, mit dem er auch als arabischer Jude hätte durchgehen können".

Die junge und aufstrebende Professorin Delphine Roux hingegen ist eine feministisch denkende und im gedankenreich prosperierenden Frankreich aufwuchs. Sie spinnt Intrigen gegen Silk; jedoch wird für den Leser ersichtlich, dass sie auf der (metaphorischen) Flucht (/Abgrenzung) vor ihrem sehr privilegierten Elternhaus (bzw ihrer Mutter) zu sehr in Paradoxa lebt. Dieses erkannte der ehemalige Dekan auch, dass sie intelligent sei, doch emotional noch nicht gefestigt genug und überdies zu blasiert. Aufgrund dieser Abneigung, die sie verspürte, weil er sie nicht in ihrem Schaffen akzeptierte (und das war das einzige, was sie an sich hatte, es war ihre Identität) oder auch aufgrund weiter zurückliegender Ereignisse gab es einen beinahe schon sehr Freud'schen Moment, bei dem Roux nach Stunden des Formulierens einer Anzeige (für einen Liebespartner, so wie man es von früher kennt) (und im Übrigen dachte sie sehr lange darüber nach, dass es nur jemand der white race sein solle) wie im Brainstorm viele Eigenschaften, innerlich und äußerlich, aufschreibt, die in Gänze nur auf eine Person zutreffen: Coleman Silk. Großes Hoppla, dass sie das dann als Rundmail schickt, in der Nacht des Todes von ihm (sie faked es dann so, dass sie einen Einbruch Silks faked, den alle gerne glauben). Wie er starb? Er hatte ein Verhältnis mit

Faunia Farley, einer 34-jährigen Putzfrau und Angestellten in einem Milchkuhbetrieb. Dieses Verhältnis aus Analphabetin und Prof. em. war natürlich ein leichter Skandal. Die Beschreibungen dieses Verhältnisses jedoch, die waren für mich ein wahres """"Literatur""" ist schon was Tolles"-Erlebnis. Farley war keine Analphabetin, wie sich nach ihrem Tod herausstellte, denn sie führte Tagebuch.

Ich will es dabei belassen. Dieser Roman war einfach großartig. Ich werde noch weiter darüber nachdenken. Könnte ich sechs Sterne geben, würde ich sechs Sterne geben.

David Copperfield
876 Seiten

Nachdem ich dieses Buch auf einem Weihnachtsmarktbücherflohmarkt gekauft hatte und 4 Kapitel gelesen hatte, habe ich nach 2 oder 3 Jahren Unterbrechung das Buch über Spotify gehört. Mehr gibt es darüber nicht zu sagen. Es ist eher etwas, um sich berieseln zu lassen.

Ein bisschen schlechter
200 Seiten

Ich bin ohnehin ein Freund der französischen Literaten, von Houellebecq erst recht und bei dieser Essay-/Interviewsammlung ist es nicht anders. Besonders sticht einem der Titel "Donald Trump ist ein guter Präsident" ins Auge. Amüsanterweise ist einer der ersten Sätze, wie sehr er ihn verachtet und als Mensch nicht leiden kann (dass er sich Nutten (sic!) bestelle sei in Ordnung, doch nicht, dass er sich über Behinderte lustig machte. Ich denke, dass hier ein gewisser common ground gefunden werden kann). Im Prinzip geht es im Essay dann eher darum, dass es Houellebecq begrüßt, dass Amerika die Welt "in Ruhe lässt" (etwas, was mit Joe Bidens "America is back" nicht mehr der Fall sein dürfte. Menschen, die Putin, Erdogan, Bolsonaro und Orban für ihr Machogebahren kritisierten und Biden zujubelten sind mir ein Rätsel). Der Essay hätte also auch "Es ist gut, dass sich die USA aus dem Weltgeschehen zurückziehen", doch das hätte sicher für weniger Aufmerksamkeit gesorgt. Interessant fand ich, dass im selben Text die These aufgestellt wurde, dass Europa, bzw die EU gar nicht funktionieren könne, weil es keine europäisches Volk geben könne, da dieses keine Willensbildung zum Volk hätte (und demnach eine Demokratie im Wortsinn nicht stattfinden kann).

Solche Gedanken sind es, die mich MH schätzen lassen. Bei ihm ergibt sich aus der Antithese (er ist ein Atheist, der seit "Unterwerfung" zum Agnostiker wurde, jedoch wie ein christlicher Moralist schreibt) etwas völlig neues, er ist gewissermaßen durch sein Denken und/oder Schreiben jemand, der vianesk neue Perspektiven aufzeigen kann. Derlei ist selten und begrüßenswert.

Hegel im verdrahteten Gehirn
288 Seiten

Mein erster Berührungspunkt mit Hegel (außer dem kleinen Abschnitt in den Känguru-Chroniken, dass laut ihm kognitive Potenzen eine extraordinäre Relevanz für die Dialektik hätten) und mein erster Berührungspunkt mit dem guten Slavoj (seine Debatte über Marxismus mit Jordan Peterson habe ich nicht gesehen).

Ich fand das Buch sehr seltsam, weil es so wirkte, als hätte es einen Lektor gebraucht, doch weil sich seine Bücher gut verkaufen, hat man sich das gespart (ähnlich wie beim späten Sartre). Mir kommt es so vor, als hätte sich Zizek zu sehr verzettelt und komplett vergessen, von was er eigentlich schreibt. Dass er den Joker komplett missversteht und den Todd-Philipps-Joker für den Christopher-Nolan-Joker hält ist da noch ein amüsanterer Fehler. Egal. An sich habe ich ein paar gute Inputs mitnehmen können.

Arme Leute
181 Seiten

Dostojewskis erster Roman, mir gefiel er eher semi. Das liegt eher daran, dass es an manchen Stellen etwas unrund ist und mir der männliche Protagonist so leidgetan hat. Dieses durchaus armselige Verhalten schmerzte in der Seele. Eigentlich sei diese Geschichte auf bilateralen Liebesgefühlen aufbauend, doch diesen Eindruck hatte ich nicht. Vielleicht war es auch nur ein Meisterbeispiel an Misskommunikation, wer weiß.

& Coriolan / Coriolanus
336 Seiten

Das ist ein Band aus einer tollen Gesamtausgabe, die die Werke Shakespeares zweisprachig aufführt und Begleitwerk am Ende hat, in diesem Fall Anmerkungen zu nicht ganz übersetzbaren englischen Kunstgriffen und zwei sehr lesenswerte Essays (auch wenn ich den Verfassern nicht ganz zustimme).

Die altgriechische Aufteilung des menschlichen Geistes in Eros (ist klar), Logos (ist auch klar) und Thymos (im weitesten Sinne Stolz) zeigt beim Titelhelden ein klares Verschieben in Richtung "Nur Thymos allein". Der Kriegsheld Caius Martius erwirbt sich den Beinamen "Coriolanus" dadurch, dass er allein (!) wie ein Berserker die Stadt der Volsker, Corioli, heimsucht, trotz deren Überzahl. Seine Rede, dass er die feigen Hunde an seiner Seite auch zu seinen Feinden zählen wird, die war beeindruckend. Danach soll er Konsul werden, doch dafür muss er dem einfachen Volk (den Plebejern) a) Demut zeigen (ist so vorgeschrieben) und b) seine Kriegsnarben zeigen. Dass das mit seinem Thymos in Konflikt gerät, dürfte klar sein. Er wird verbannt und schließt sich den kurz zuvor von ihm geschlagenen Volskern und damit seinem Todfeind Tullus Aufidius an. Man kann sich vorstellen, dass die beiden wie ein Mähdrescher in Richtung Rom ziehen. Die letzte Chance, ihn umzustimmen, ist seine Mutter Volumnia. In einem sehr langen Monolog zieht sie die Fäden ihrer Erziehung, die sie ihm all die Jahre indoktrinierte (Römer hatten gewisse Werte, an die sie sich ums Verrecken hielten), sodass Coriolanus schweigt (tatsächlich eine wahrlich beeindruckende Regieanweisung) und sich dann für Frieden entscheidet. Das war alles Aufidius' Plan, denn nun kann er beide Seiten gegen ihn ausspielen, die geschlagenen Volsker und die gerade zu Witwen und Kinderlosen gemachten Römer. Sie wollen Caius Martius' Tod und bekommen ihn. Dem Frieden in Rom tut das aber keinen Abbruch. Er ist sogar eher der Kitt. Die Rede Martius' im Angesicht seines Todes (Seinem gewissermaßen als Henker zu bezeichnenden Opponenten mehrfach ein vor Verachtung triefendes "Boy!" ins Gesicht zu geifern, das verlangt durchaus Wahnwitz) hält, die ging echt unter die Haut. Ich kann mir vorstellen, dass dann im Theater ein kollektives Gefühl des "Uff, das war ein Drama!" durch den Raum ging

QualityLand 2.0
304 Seiten

Der 2. Teil ist, ähnlich wie bei Star Wars, zumindest der Original-Trilogie, besser als der Erste. Jeder Nebenstrang gefiel mir, die Roboterkämpfe und die Massenunterhaltung: Prädikat grandios. Vielleicht war es aber ein wenig zu viel des Guten, i.S.d. Quantität der Nebenstränge. Da wäre Kiki, Martyn Vorstand, Peters diverse Dilemmata, der Alte, Tony und Aisha, der Dritte Weltkrieg und zusätzlich zu all dem kommt M.-U. Klings wie immer sehr präzise Sozialkritik dazu, sowie Probleme der Code-/Robotikethik.

Das beste an diesem Band ist: Es wird ziemlich sicher ein 3. Teil folgen. Hoffentlich wird er eher wie "Die Rache der Sith"/"Rückkehr der Jedi-Ritter" und nicht wie "Der Aufstieg Skywalkers" (oder, noch schlimmer: "Die letzten Jedi")