Erlebnisbericht eines Holocaustüberlebenden. Leseempfehlung für jeden. Das kurze Kapitelchen "Wenn einem nichts mehr bleibt" gehört zum menschlich Dichtesten, was ich jemals gelesen habe. Es sollte in jedem Poesiealbum stehen und in jedem Herzen brennen.
Wenn der sympathischste Unsympath, die fleischgewordene Definition eines Salonbolschewisten (im guten Sinne), der Kritik-Kritiker, der Haarölnutzer Wolfgang M. Schmitt, sich anschickt, ein Buch über Influencer zu veröffentlichen, so will ich es natürlich lesen. Dass dieses Buch mit seinem Podcast-Kollegen Ole Nymoen ("Wohlstand für alle", empfehlenswert) verfasst wurde, merkt man kaum. Man findet viele Formulierungen und Essays, die Schmitt ansonsten in seinen Filmanalysen benutzt, allen voran Siegfried Kracauer und sein lustiges Gebashe gegen Friedman und Hayek.
Das Buch besticht durch scharfe Analysen, die etwas zu nischig sind, um sie hier zu beschreiben.
Aufgelockert wird das Ganze durch Zwischenkommentare, die auf Boomertum oder den letzten Rest intellektueller Würde schließen lassen, zum Beispiel kommt der Nebensatz vor: "Das Herzchen ersetzt den Schlusspunkt und beschließt somit den Satz". Amüsant. Lustiger war nur noch dieses hier: "Einzig der Stuhlgang bleibt der Community bislang verborgen, während das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm mit Werbespots für Produkte zur Verdauungsförderung und gegen Inkontinenz durchsetzt ist. Es bleibt spannend, ob die Influencer diesen demografischen Wandel bald auch vollziehen werden."
Ich habe das Buch über Cassirer, Heidegger, Wittgenstein und Benjamin sehr gemocht und war freudig überrascht, als ich bei Denis Schecks literarischem Quartett gesehen habe, dass Eilenberger ein neues Buch geschrieben hat. Dieses Mal über vier PhilosophINNEN (ohne Genderpause). Diese waren Ayn Rand, Hannah Arendt, Simone Weil und Simone de Beauvoir. Das Jahrzehnt war 1933-1943. Man ahnt, dass das Denken der Damen durchaus von Hitler und dem Zweiten Weltkrieg geprägt war (bis auf vielleicht Ayn Rand).
Simone de Beauvoir: Sie war mir schon zuvor bekannt, unter anderem vom ebenfalls sehr guten Buch "Cafe der Existenzialisten". Es war aber erfrischend zu sehen, wie sie ihre Gedanken im Lauf der Jahre entwickelte und wie wichtig die Emanzipation von Sartre war. Hannah Arendt: Ich fand es interessant, wie sehr sie T. Wiesengrund Adorno nicht mochte und wie allein sie gegen die zionistischen Juden stand, sie wollte nämlich keinen jüdischen Nationalstaat auf palästinensischem Gebiet, bei dem die Mehrheitsbevölkerung der Araber nur Minderheitenrechte bekommen sollte und auf die Hilfe externer Länder angewiesen sein muss, weil die arabischen Länder darum herum aufkommen antisemitisch wurden und sicherlich not amused sein würden; vielmehr schlug sie eine Art Föderalismus vor i.S.v. den Vereinigten Staaten, in denen sie auch zunehmend isoliert wurde. Im Prinzip wird sie auch heute, trotz ihrer wichtigen antitotalitaristischen Forschung von der akademischen Philosophie übergangen. Schade. Ayn Rand: kannte ich bisher nur als "Rechsradikale, die aber auch den Libertarismus irgendwie gemacht hat, was an sich minimal widersprüchlich ist". Es war interessant, wie sehr ihre Philosophie die des Egos ist. Ich hätte gerne eine Analyse von "Coriolan" von ihr gelesen. Tatsächlich steht sie mit ihrem Schaffen mMn in der Tradition von Nietzsche, ihr Romanheld hat viel von Zarathustra und dem Gedankengut des "Übermenschen" (nicht so, wie die Nazis ihn definierten, sie wären laut Nietzsche der letzte Mensch gewesen, der Erdenfloh). Sehr spannend war die Info, dass einer ihrer "Schüler" Alan Greenspan war, der fast 20 Jahre Chef der amerikanischen Notenbank war. Ziemlich neutral also und gar nicht "Don't tread on me". Heutzutage ist Rand aktueller denn je, nach der Bibel ist ihr Werk das meistgekaufte in den Staaten und die Tea Party Bewegung hat nach der Wirtschaftskrise neuen Schwung bekommen. Simone Weil: war mir völlig unbekannt. Sie hat kein wirkliches Corpus an Ideen, sondern war Situationsphilosophin. Ich möchte mich trotz dessen, dass sie tw "esoterisch" drauf war, bzw viel mit Buddhismus verknüpfte und recht viel Theologie machte, näher mit ihr beschäftigen. Vor allem, weil Albert Camus den Hinterbliebenen in einem Brief schrieb, dass sie die Philosophin, die einzige, des 20. Jahrhunderts sei und er nur seinen winzigen Teil leisten könne, sie bei Gallimard zu verlegen. Wenn der King das sagt, dann muss dem Folge geleistet werden. Ich meine, das Buch endet auch mit dem Appell, dass es gelte, ihr Werk zu entdecken.
Oft nennt man "1984" und ebendieses Werk in einem Atemzug und ich frage mich, warum das geschieht. Es ist eher ein Armutszeugnis, das die Autoren bestätigt, denn nur oberflächlich haben sie etwas gemein; in sich unterscheiden sie sich sehr.
In diesem Werk finden sich viele Dinge, die in mir (der Dostojewski ("Lieber erhabenes Leid als leichtes Glück) et al. schätzt) das absolute Grauen auslösen. Masse statt Klasse; der letzte Mensch nach Nietzsche (der Erdenfloh, der alles niedertrampelt; nicht subtil in der Exilszene John Savages zu sehen); Hedonismus (und damit Nihilismus, den man entmanteln muss und der sich in aller Grausamkeit offenbart), der nach nichts strebt; alle sind auf Drogen ("Soma"). Und dies alles vor der Konditionierung, die die "Zivilisierten" von der Wiege ab erhalten. Die Figur des Controllers fand ich seltsam, dem "Warum schießt Meursault und warum schießt er dann noch ein paar mal" ähnlich. Ein intelligenter Mann, der alles durchblickt und vor die Wahl gestellt wird, zu den frei denkenden Menschen zu kommen oder in dem zu verachtenden System Karriere zu machen und er wählt Zweiteres? Da kann man lange überlegen, warum er das so machte.
Wenn man dieses Buch gelesen hat, dann kann man nicht mehr "Imagine" hören.
In Lachen gegossenes Denken
Ich las sehr lange an dieser Essaysammlung, manche Essays wegen ihrer Schlagkraft mehrmals. Ich tat es aus genießerischen Gründen. Denn die Formulierung im Vorwort, dass DFW ein "Hirnschrittmacher" sei, die kann man allenthalben als überaus passend bewerten. Sprachlich sind die 1038 Seiten eine derartige Liebeserklärung an das geschriebene Wort, dass einem die Tränen kommen können. Stilistisch, Stichwort seitenlange Fußnoten, ebenso. Inhaltlich ebenso. Diese Lektüre hat mich nachhaltig verzaubert und verändert. So zu sehen wie DFW, das sollte ein Ziel sein; eine thalamische Fehlregulation bei gleichzeitig hoher corticaler Dichte im Frontalhirn. Der letzte Essay "Das hier ist Wasser" war der perfekte Schluss, weil er die Person hinter den Essays in ein anderes Licht rückte. Diese Erfahrung war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Sein in Lachen gegossenes Denken erhielt eine distanzierte Traurigkeitsnote als Beilage. Das für mich Wichtigste war aber das Überwinden der Ironie. Für mich sind Ironiker, die das unironisch tun und das u.U. sogar noch für intellektuell halten, arme Würstchen.
"Einzelkritiken" "Tennis" (n=5, 144 Seiten): Allesamt spannend zu lesen, es geht um sehr vieles. Vor allem die Beschreibung R. Federers war im Nachblick amüsant, da DFW seinen Körper genauer zu kennen scheint als Mrs Federer. "Ästhetik, Sprache und Literatur" (n=16, 340 Seiten): Der Highlight-Teil. Wittgenstein, Dostojewski, Kafkas Komik, Der Spaß an der Sache, Autorität und amerikanischer Sprachgebrauch (!!) waren die besten daraus und diese las ich auch dreimal. Allein eine wittgensteinsche Fußnote vermag alles zu sprengen. "Politik" (n=3, 106 Seiten): In "Hoch, Simba" wird John McCain III bei den GOP-Vorwahlen 2000 begleitet (also vs Bush). DFW ist hier Rolling-Stones-Reporter, begleitet einen Politiker, den er nicht leiden kann, den er aber mit einem solchen nuancierten Blick betrachtet, dass es einem graust. In einer Paralleldimension hätte er vllt Trump begleitet, das hätte ich spannend gefunden, da mich der Berater McCains an einen energiegeladeneren Steve Bannon erinnerte. Werte Leseerfahrung. "Von Mrs Thompsons Warte" behandelt 9/11 und das war spannend, wegen der Fragen "Wo kommen eigentlich all die Flaggen her?" und der Erkenntnis, dass er die Einstellung i.S.v. Ablehnung gegenüber Amerika eher mit den Terroristen teilt als mit den Hausfrauen, bei denen er die Nachrichten verfolgte. Die Fragen in "Ich frag ja bloß" wurden dann 2007 gestellt und behandeln die Nachwirkungen 9/11s. Es geht um die Franklinsche Frage von Freiheit vs Sicherheit; bei gleichzeitiger Frage, ob die USA noch demokratiedenkfähig sind. "Film, Fernsehen und Radio" (n=3, 160 Seiten). Nicht ganz so spannend. David Lynch behandelt zu wissen (mit Blue Velvet etc) war aber das beste davon. "Moderator" war auch nicht schlecht. "Unterhaltungsindustrie" (n=4, 256 Seiten): Der Besuch bei der Landwirtschaftsmesse (1) in Illinois machte DFW als "Reporter" berühmt, sodass das Harper's Magazine ihn auch auf Kreuzfahrt schickte (2). Beide Berichte sind derart lang, dass sie Buchform erreichten. Die Kreuzfahrtsache sollte jeder mal gelesen haben. Zwischen Traurigkeit, Zwang zum Entspannen und neurotischem Beschreiben findet sich viel mehr. "Der große rote Sohn" (3) ist ein Besuch der Porno-Oscars. Dies war mehr amüsant als denkwert. "Am Beispiel des Hummers" dürfte einer der bekanntesten Texte sein und es ist einer der besten. Zwischen PETA und Gourmet liegen Welten und DFW kann sich nicht entscheiden, auf welcher er (oder der Leser der Zeitschrift "Gourmet", für die er das lustigerweise schrieb, da es um das Maine Lobster Festival ging) sein will/kann. Unfassbar gut. "Leben" (n=2, 18 Seiten): "Neues Feuerspeien" ist eine Ode an AIDS, bzw die Rückeroberung der Gefahr der Sexualität, was erst dumm klingt, tatsächlich aber im sexualhistorischen Kontext schlüssig ist. Und "Das hier ist Wasser" ist "ohne Worte", um 1 Klischeephrase zu haben.
Dieses Buch im Einzelnen: zu Beginn sperrig, doch rasant besser. Der (literarische wie für mich gefühlte) Höhepunkt war das Erdbeben mit der Auflösungs-Beschreibung Lilas. Alles Andere danach fühlte sich an, als wäre es unter einem solchen Einfluss geschrieben worden. Das Ende von "Alter" sowie "Restitution" waren für mich wie ein Hammer, der auf einen 4 Bücher perfekt zurechtgelegten Nagel schlägt. Ich bin kein Freund von offenen Enden, doch in diesem Fall finde ich es wesentlich besser als ein Erklären aller möglichen Details. Das und die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten, die sich hier und an beinahe jeder anderen Stelle in allen 4 Romanen bieten, machen den Reiz dieser Saga aus.
Mein Ranking: 4&2 > 1 > 3. Meiner Meinung nach sind die Figuren in 4&2 am stärksten gezeichnet und am farbigsten (und die Handlung ist so schön sinnestrunken wie zB bei Albert Camus), in 1 naturgemäß zwar auch, doch da noch unbekannt und 3 ist wegen der Eheprobleme uvm. enervierend und bietet einzig mit der aufstrebenden Computer- und Informationstechnologie etwas Interessantes
Denis Scheck empfahl unter Anderem dieses Buch für das Hölderlin-Jubiläum (die Entscheidung fiel für mich zwischen Saffranskis Buch und diesem). Da dieses Buch etwas ungewöhnlicher sein sollte, entschied ich mich dafür. Zuerst einmal war das Format und der Buchsatz sehr schön anzusehen und auch das Papier war auffallend gut. Das ist zwar nur indirekt wichtig, aber anzumerken. Quarch hat einen richtigen Genießerspaziergang daraus gemacht, unfassbar schön. Ich finde es sehr schade, dass ich Hölderlin nicht in der Schule hatte; ich hätte zu dem Zeitpunkt aber nichts mit ihm anfangen können. Es war auch sehr interessant eine Biographie nicht anhand der Lebensabschnitte zu lesen (auch wenn das erste Drittel annähernd so war), sondern anhand der Gedanken.
Dieser Roman H.s gefiel mir außerordentlich gut.
Amüsanterweise wurde es auf dem Klappentext als Kriminalroman beworben, doch dieser "begann" erst im dritten Teil, was ziemlich verwunderte. Das war auch komplett belanglos, eigentlich war es eine wundervolle Abhandlung über das Künstlertum, die Kunst und Frankreich. Das alles flankiert von wunderbarer Houellebecq-Nonchalance und seinen random Überlegungen und seinem unstrittigen Humor. Ich liebe diesen Schriftsteller einfach.