Ich bin ohnehin ein Freund der französischen Literaten, von Houellebecq erst recht und bei dieser Essay-/Interviewsammlung ist es nicht anders. Besonders sticht einem der Titel "Donald Trump ist ein guter Präsident" ins Auge. Amüsanterweise ist einer der ersten Sätze, wie sehr er ihn verachtet und als Mensch nicht leiden kann (dass er sich Nutten (sic!) bestelle sei in Ordnung, doch nicht, dass er sich über Behinderte lustig machte. Ich denke, dass hier ein gewisser common ground gefunden werden kann). Im Prinzip geht es im Essay dann eher darum, dass es Houellebecq begrüßt, dass Amerika die Welt "in Ruhe lässt" (etwas, was mit Joe Bidens "America is back" nicht mehr der Fall sein dürfte. Menschen, die Putin, Erdogan, Bolsonaro und Orban für ihr Machogebahren kritisierten und Biden zujubelten sind mir ein Rätsel). Der Essay hätte also auch "Es ist gut, dass sich die USA aus dem Weltgeschehen zurückziehen", doch das hätte sicher für weniger Aufmerksamkeit gesorgt. Interessant fand ich, dass im selben Text die These aufgestellt wurde, dass Europa, bzw die EU gar nicht funktionieren könne, weil es keine europäisches Volk geben könne, da dieses keine Willensbildung zum Volk hätte (und demnach eine Demokratie im Wortsinn nicht stattfinden kann).
Solche Gedanken sind es, die mich MH schätzen lassen. Bei ihm ergibt sich aus der Antithese (er ist ein Atheist, der seit "Unterwerfung" zum Agnostiker wurde, jedoch wie ein christlicher Moralist schreibt) etwas völlig neues, er ist gewissermaßen durch sein Denken und/oder Schreiben jemand, der vianesk neue Perspektiven aufzeigen kann. Derlei ist selten und begrüßenswert.
Ich möchte es als Sachbuch behandeln und werde deshalb den Stil (mit interessanten Stilblüten wie „Sklav:innenfänger; wie gendert man Komposita, deren Erst- und Zweitglied Personenbezeichnungen sind? Denn für „Fänger“ gibt es eine weibliche Form, „Fängerin“. Deshalb müsste es doch „Sklav:innenfänger:innen heißen, jedoch nicht „Täter:innen-Opfer*innen-Umkehr, da es keine Opferinnen gibt. Die Sprachgesellschaften sind sich uneinig) und die Phonetik der Lesenden ignorieren.
Dieses Buch hat zwar viel, aber eine wirklich intellektuelle Auseinandersetzung sucht man vergeblich. Um einen Kalauer im Stile Denis Schecks von mir abzugeben: Das passiert, wenn man einen Twitter-Thread auf 208 Seiten ausdehnt #c=n/V. Denn Hasters gelingt es zu keinem Zeitpunkt zwischen systematischem (Strukturen in einem Land o.Ä. sind rassistisch angelegt, zB Redlining), institutionellem (in einer Institution sind Rassisten am Werk und handeln rassistisch, zB Polizeientscheidungen) und interpersonellem (das erklärt sich von selbst) Rassismus klar zu differenzieren; vielmehr spricht sie weißen Menschen rassistische Erfahrungen ab, die dem interpersonellen Rassismus zuzuordnen sind, da hier die gesellschaftliche Macht der Diskriminierenden fehlen würde. Das halte ich, vorsichtig formuliert, für intellektuell kurzgegriffen. + ist das Verknüpfen von Historie und persönlicher Erfahrung bestenfalls als schlechtes Framing zu bezeichnen. Die Diskreditierung Kants halte ich für nicht in Ordnung, da seine „Rehabilitierung“ gegen Ende seines Lebens nicht erwähnt wurde. Dass er als „Erfinder“ der Rassen dargestellt wurde ist im Übrigen auch falsch; das ganze Phänomen der irrigsten Annahme der Geschichte zu erläutern ist hier nicht meine Aufgabe, Eigenrecherche lohnt aber definitiv. Eine Sache möchte ich noch debunken. Sie echauffierte sich darüber, dass man Gründe sucht, weshalb schwarze Menschen beim Sprinten dominieren. Sie schiebt das auf Rassismus. Dabei zeigen sich zwei Dinge: erstens das Glauben an böswillige Intentionen und zweitens das völlige Unverständnis von Statistiken. Erstens ist das Herausfinden von Faktoren für ein schnelleres Sprinten wichtig, weil das so ziemlich der einzige Leichtathletiksport ist, der Geld einbringt. Faktoren sind hierbei fast-twitching muscle fibers (wegen des Fehlens von Mitochondrien spricht man auch von „weißen Muskelfasern“), ein höher sitzender Bauchnabel (Schwerpunkt) uvm. Das mag alles kleinteilig klingen, doch wenn ein Faktor einen Vorteil von 0,1 Sekunden bringt, dann hat man unter Umständen einen Platz gut gemacht (die Sprinter sind teilweise nur um 0,01 Sekunden different). Zweitens interpretiert sie böswillig (oder dumm, je nach Auslegung von Hanlon’s razor), dass alle Forscher denken würden, dass alle Sprinter wie Usain Bolt aussehen. JB Peterson hat diesen Denkfehler mit personal traits gezeigt. Wenn man in einem Paper meint, dass Männer weniger agreeable sind, dann bedeutet das nicht, dass alle Männer nicht agreeable sind. Vielmehr spiegelt sich das in den Extremen wider (sehr agreeable und 0,0 agreeable). Die Flächen der Glockenkurven teilen sich mehr als 90%; die Unterschiede zwischen Mann und Frau sind also nicht so groß; außer man schaut sich die Extrema an. Dasselbe lässt sich über gute Sprinter und Weltklassesprinter sagen. Dieser zweite Punkt/Denkfehler ist auch derjenige, der sich auf die meisten anderen Sachen beziehen lässt, die Hasters versucht zu machen. Ich würde das an einem Punkt gerne festmachen: der Vater verlässt die Mutter zugunsten einer weißen Frau. Ab diesem Punkt in ihrem Leben konnte sie nicht mehr „normal“ leben, da sie sich ihrer (Hyper-, von ihren Eltern explizit gewünschten) Individualität beraubt sah (die starke, den Konventionen trotzende Biracial-Familie). Ab diesem Zeitpunkt konnte sie ihre Identität nur mit ihrem (nun) primären Schwarz-Sein behaupten, weswegen sie bevorzugt Malintentionen unterstellt (die Story mit dem Vater war erschütternd). Der Poetry-Slam-Liebesbrief an ihren neuen Freund liest sich in dem Wissen wie ein offenes Buch. Ihn zu hören hat mich erschreckt und ich war sogar angewidert. Dass der Kapitalismus das Liebesleben zwar mit seinen markttheoretischen Prinzipien übernommen hat, war mir schon davor bewusst, jedoch war diese gedankliche Ausprägung für mich nicht denkbar.
Ich versuche aus jeder Lektüre etwas mitzunehmen; die kurzen Ausflüge in die Kolonialzeit werde ich nicht vergessen.
Ich frage mich, was die Leute an diesem Buch so gut finden. Was ist das „Gute“ daran, was das „Erschütternde“ und was das Konstruktive? Was hat sich seit der Lektüre im Verhalten geändert? Warum verfällt man bei einer positiven Kritik sofort in die Schemata, die man ganz leicht als „white saviorism“ bezeichnen kann? Darf/Soll man dieses Buch überhaupt bewerten, ist eine Auseinandersetzung gewünscht? Ist meine Kritik rassistisch? Wenn man hierbei zu „Ja“ gelangt, weshalb? Wie soll man handeln, um in einer Welt, die Alice Hasters gerecht wird, akzeptiert zu werden? Gibt es so etwas überhaupt? Wie soll man den Dialog im griechischen Sinne suchen, wenn nur eine Gesprächspartei sprechen darf?
Was treibt einen Menschen dazu, Mehrfachmörder, respektive Amokläufer zu werden? Der Fall Elliot Rodger scheint hier ein interessantes Fallbeispiel zu sein, unter anderem auch, weil er von den Medien als Incel-Führungsfigur bezeichnet wird (zu Unrecht?) Kurzantwort: weil die Welt ungerecht sei und die Frauen ihm nur Zurückweisung schenkten.
Zunächst einmal ist es sehr amüsant, dass sich Rodger an jedes noch so banale Ereignis seines Lebens erinnern kann, ebenso die Weggefährten, die ihn teilweise nur wenige Wochen begleiteten. Auch "In einem Land vor unserer Zeit" und Littlefoot finden ihren Platz. Die emotionale Instabilität zeigt sich in jedem zweiten Satz, er weint und tobt sehr viel herum. Bei der Schilderung, dass er bei jeder Heimfahrt bittere Tränen vergießt, weil er Pärchen sieht, musste ich laut auflachen. Hat Rodger Gefühle überhaupt in Tiefe wahrnehmen können? Eher nicht. Es ging ihm auch nie darum, Liebe zu finden, sondern nur um das Freundin-Haben an sich, als Statussymbol, auch wenn er dies nie richtig zugeben will. Was er auch anfasste/begann, beim kleinsten Misserfolg ließ er es fallen. So u.a Collegekurse, weil im Kurs ein Pärchen ist, ein beautiful girl mit einem brute idiot/jock; die zwei einzigen Kategorien, die für ihn Relevanz haben. Er verfiel auch in magisches Denken, er meditierte, um seinen Lotterielosen Macht zu verleihen, damit er, "intellektueller Gentleman", seine Bestimmung erfüllen kann (-> jung reich werden, damit er auch ein "hot, blonde girlfriend" haben kann).
Letztlich bleibt zu sagen, dass ich zwar auch Mitleid hatte, aber nur sehr selten. Er scheint sein Leben lang gelitten zu haben, aber aus eigener Schuld. Ein Eric Harris ist dahingehend leichter. Und der Stil ist grauenhaft schlecht. Er wollte zwischenzeitlich Autor werden, um Millionen zu scheffeln, v.a im Hinblick auf Verfilmungen, aber das ging ihm zu lang, sodass er aufgab. Ein Glück für die lesende Nachwelt!
Wenn der sympathischste Unsympath, die fleischgewordene Definition eines Salonbolschewisten (im guten Sinne), der Kritik-Kritiker, der Haarölnutzer Wolfgang M. Schmitt, sich anschickt, ein Buch über Influencer zu veröffentlichen, so will ich es natürlich lesen. Dass dieses Buch mit seinem Podcast-Kollegen Ole Nymoen ("Wohlstand für alle", empfehlenswert) verfasst wurde, merkt man kaum. Man findet viele Formulierungen und Essays, die Schmitt ansonsten in seinen Filmanalysen benutzt, allen voran Siegfried Kracauer und sein lustiges Gebashe gegen Friedman und Hayek.
Das Buch besticht durch scharfe Analysen, die etwas zu nischig sind, um sie hier zu beschreiben.
Aufgelockert wird das Ganze durch Zwischenkommentare, die auf Boomertum oder den letzten Rest intellektueller Würde schließen lassen, zum Beispiel kommt der Nebensatz vor: "Das Herzchen ersetzt den Schlusspunkt und beschließt somit den Satz". Amüsant. Lustiger war nur noch dieses hier: "Einzig der Stuhlgang bleibt der Community bislang verborgen, während das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm mit Werbespots für Produkte zur Verdauungsförderung und gegen Inkontinenz durchsetzt ist. Es bleibt spannend, ob die Influencer diesen demografischen Wandel bald auch vollziehen werden."