Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Vor allem mochte ich, wie sie ihre persönliche Biografie miteinbezieht. Dadurch lies sich das Buch sehr gut lesen und war sowohl unterhaltsam als auch lehrreich.

Rassismus, ein Thema, das einem als weißem Mann in Deutschland natürlich gar keine direkten Probleme macht, aber immer wieder besprochen wird und das ich daher verstehen lernen wollte. Es war eine Übung in Empathie, ich konnte vieles lernen, und vor allem mitnehmen, dass man hier nicht passiv sein darf, weil Rassismus systemisch ist. Zu allen Menschen nett sein, sich die größte Mühe geben, und das Richtige tun, ist nicht genug. So viel weiß ich jetzt und werde mich in Zukunft mehr damit beschäftigen.

Ich möchte es als Sachbuch behandeln und werde deshalb den Stil (mit interessanten Stilblüten wie „Sklav:innenfänger; wie gendert man Komposita, deren Erst- und Zweitglied Personenbezeichnungen sind? Denn für „Fänger“ gibt es eine weibliche Form, „Fängerin“. Deshalb müsste es doch „Sklav:innenfänger:innen heißen, jedoch nicht „Täter:innen-Opfer*innen-Umkehr, da es keine Opferinnen gibt. Die Sprachgesellschaften sind sich uneinig) und die Phonetik der Lesenden ignorieren.

Dieses Buch hat zwar viel, aber eine wirklich intellektuelle Auseinandersetzung sucht man vergeblich. Um einen Kalauer im Stile Denis Schecks von mir abzugeben: Das passiert, wenn man einen Twitter-Thread auf 208 Seiten ausdehnt #c=n/V. Denn Hasters gelingt es zu keinem Zeitpunkt zwischen systematischem (Strukturen in einem Land o.Ä. sind rassistisch angelegt, zB Redlining), institutionellem (in einer Institution sind Rassisten am Werk und handeln rassistisch, zB Polizeientscheidungen) und interpersonellem (das erklärt sich von selbst) Rassismus klar zu differenzieren; vielmehr spricht sie weißen Menschen rassistische Erfahrungen ab, die dem interpersonellen Rassismus zuzuordnen sind, da hier die gesellschaftliche Macht der Diskriminierenden fehlen würde. Das halte ich, vorsichtig formuliert, für intellektuell kurzgegriffen. + ist das Verknüpfen von Historie und persönlicher Erfahrung bestenfalls als schlechtes Framing zu bezeichnen. Die Diskreditierung Kants halte ich für nicht in Ordnung, da seine „Rehabilitierung“ gegen Ende seines Lebens nicht erwähnt wurde. Dass er als „Erfinder“ der Rassen dargestellt wurde ist im Übrigen auch falsch; das ganze Phänomen der irrigsten Annahme der Geschichte zu erläutern ist hier nicht meine Aufgabe, Eigenrecherche lohnt aber definitiv. Eine Sache möchte ich noch debunken. Sie echauffierte sich darüber, dass man Gründe sucht, weshalb schwarze Menschen beim Sprinten dominieren. Sie schiebt das auf Rassismus. Dabei zeigen sich zwei Dinge: erstens das Glauben an böswillige Intentionen und zweitens das völlige Unverständnis von Statistiken. Erstens ist das Herausfinden von Faktoren für ein schnelleres Sprinten wichtig, weil das so ziemlich der einzige Leichtathletiksport ist, der Geld einbringt. Faktoren sind hierbei fast-twitching muscle fibers (wegen des Fehlens von Mitochondrien spricht man auch von „weißen Muskelfasern“), ein höher sitzender Bauchnabel (Schwerpunkt) uvm. Das mag alles kleinteilig klingen, doch wenn ein Faktor einen Vorteil von 0,1 Sekunden bringt, dann hat man unter Umständen einen Platz gut gemacht (die Sprinter sind teilweise nur um 0,01 Sekunden different). Zweitens interpretiert sie böswillig (oder dumm, je nach Auslegung von Hanlon’s razor), dass alle Forscher denken würden, dass alle Sprinter wie Usain Bolt aussehen. JB Peterson hat diesen Denkfehler mit personal traits gezeigt. Wenn man in einem Paper meint, dass Männer weniger agreeable sind, dann bedeutet das nicht, dass alle Männer nicht agreeable sind. Vielmehr spiegelt sich das in den Extremen wider (sehr agreeable und 0,0 agreeable). Die Flächen der Glockenkurven teilen sich mehr als 90%; die Unterschiede zwischen Mann und Frau sind also nicht so groß; außer man schaut sich die Extrema an. Dasselbe lässt sich über gute Sprinter und Weltklassesprinter sagen. Dieser zweite Punkt/Denkfehler ist auch derjenige, der sich auf die meisten anderen Sachen beziehen lässt, die Hasters versucht zu machen. Ich würde das an einem Punkt gerne festmachen: der Vater verlässt die Mutter zugunsten einer weißen Frau. Ab diesem Punkt in ihrem Leben konnte sie nicht mehr „normal“ leben, da sie sich ihrer (Hyper-, von ihren Eltern explizit gewünschten) Individualität beraubt sah (die starke, den Konventionen trotzende Biracial-Familie). Ab diesem Zeitpunkt konnte sie ihre Identität nur mit ihrem (nun) primären Schwarz-Sein behaupten, weswegen sie bevorzugt Malintentionen unterstellt (die Story mit dem Vater war erschütternd). Der Poetry-Slam-Liebesbrief an ihren neuen Freund liest sich in dem Wissen wie ein offenes Buch. Ihn zu hören hat mich erschreckt und ich war sogar angewidert. Dass der Kapitalismus das Liebesleben zwar mit seinen markttheoretischen Prinzipien übernommen hat, war mir schon davor bewusst, jedoch war diese gedankliche Ausprägung für mich nicht denkbar.

Ich versuche aus jeder Lektüre etwas mitzunehmen; die kurzen Ausflüge in die Kolonialzeit werde ich nicht vergessen.

Ich frage mich, was die Leute an diesem Buch so gut finden. Was ist das „Gute“ daran, was das „Erschütternde“ und was das Konstruktive? Was hat sich seit der Lektüre im Verhalten geändert? Warum verfällt man bei einer positiven Kritik sofort in die Schemata, die man ganz leicht als „white saviorism“ bezeichnen kann? Darf/Soll man dieses Buch überhaupt bewerten, ist eine Auseinandersetzung gewünscht? Ist meine Kritik rassistisch? Wenn man hierbei zu „Ja“ gelangt, weshalb? Wie soll man handeln, um in einer Welt, die Alice Hasters gerecht wird, akzeptiert zu werden? Gibt es so etwas überhaupt? Wie soll man den Dialog im griechischen Sinne suchen, wenn nur eine Gesprächspartei sprechen darf?