"Die Sache mit der Liebe konnte man also nicht selbst bestimmen. Sie kam und ging wie ein Keuchhusten." (S.96)
"Was weiss man über einen Menschen, indem man seine Kleidung, seinen Look liest? Mein spontaner Gedanke: immer etwas und immer weniger als zunächst angenommen." (S.16)
Ein Buch über eine non-binäre Person, über ihr Burn-Out, über Einsamkeit und der Frage nach ihrem Geschlecht, nach Rollenbildern. Dazwischen viel über Mode, Textilien und die Lesart von Kleidung und Look.
"Dunkel ist die Kindheit, und sie winselt wie ein kleines Tier, das man in einen Keller eingesperrt und vergessen hat. Sie bildet eine Wolke vor dem Gesicht wie kalter Atem, und mal ist sie zu klein, mal zu gross. Ganz genau passt sie nie. Erst wenn man sie eines Tages abgestreift hat wie eine Haut, kann man sie in Ruhe betrachten und von ihr sprechen wie von einer überstandenen Krankheit."
Im ersten Teil der Trilogie schreibt Tove Ditlevsen über ihre Kindheit in den 1920er Jahren in Kopenhagen. Ein sehr ehrliches und emotionales Buch, sehr eingängig geschrieben, sehr fragil.
"Der Tod ist brutal, hässlich und übelriechend. Ich schlinge die Arme um mich und bin froh über meine Jugend und meine Gesundheit. Davon abgesehen ist meine Jugend aber nichts als ein Mangel und ein Hindernis, das ich nicht genug überwinden kann."
Im zweiten Buch der Trilogie geht es um die Jugendjahre von Tove Ditlevsen. Sie schafft es, mit wenigen Worten ein ausgezeichnetes Bild zu erschaffen. Aufrichtig und emotional, ehrlich und bescheiden.
"Meine Mutter kann sich wirklich gar nicht in andere Menschen hineinversetzen, was sie allerdings auch daran hindert, mir allzu nahezutreten, und das passt nur ausgezeichnet."
Hauptsächliches Thema im dritten Teil der Trilogie: ihre Medikamentensucht und die toxische Beziehung zu ihrem dritten Mann. Auch dieses Buch sehr schön geschrieben in ihrer fragilen Art.
"Sie schliefen, und ihre Gesichter waren friedlich und fern und würden erst morgen wieder gebraucht. Vielleicht hatten sie ihre Gesichter sogar sorgfältig auf ihrer Kleidung abgelegt, denn Gesichter mussten sich ausruhen und waren beim Schlafen auch nicht dringend notwendig." (S.5)
Lise ist Autorin, Ehefrau und Mutter. Sie kommt in die Klinik, weil sie Stimmen hört und Wahnvorstellungen hat. Und immer diese Gesichter, die sie sieht... Gegen sie scheinen sich alle verschworen zu haben, meint sie. Die Angst, nicht mehr schreiben zu können, ist gross. Auch die Angst, dass ihr Mann sie verlassen wird.
Auch in diesem Buch nutzt Ditlevsen eine starke Bildsprache, wenn mir auch ihre Trilogie "Kindheit-Jugend-Abhängigkeit" besser gefallen hat. Die Frage: "Was ist Realität, was Wahn?" begleitete mich durch die gesamte Geschichte. Ich fragte mich auch oft, wie viel dieser Geschichte sich (wieder) mit ihrer eigenen deckt. Ein bedrückendes Buch.