Fatma Aydemir erzählt die Migrationsgeschichte einer kurdisch-türkischen Familie und ihrem An- und Zurechtkommen in Deutschland. Sehr gelungen ist, dass die Autorin jedem der sechs Familienmitglieder ein Kapitel gibt und darin der Perspektive der jeweiligen Protagonisten Raum gibt. Daraus entsteht Seite für Seite ein schärferes Bild dieser Familie, ihren Lebensumständen, Erwartungen und Erfahrungen. Sehr lesenswert.
Eine Familiengeschichte von Tochter, Mutter und Grossmutter, die unzählige Geheimnisse um die Vaterschaft und die Vergangenheit birgt. Parallel dazu wird im Wechsel mit der Situation der Tochter, die ins Haus der Grossmutter zurückkehrt, das junge Erwachsensein der Grossmutter geschildert. Diese junge Norwegerin heiratet kurz nach Kriegsende 1945 einen deutschen Soldaten und kehrt mit ihm in seine Heimat in Ostdeutschland zurück. Mit grosser Deutlichkeit und der ganzen Härte wird das Ankommen und die Situation vor Ort im kriegsversehrten Deutschland beschrieben.
Sarr macht es uns nicht einfach, seiner Erzählung und allen Seitensträngen davon zu folgen. Er springt zwischen den Zeiten, Kontinenten und Generationen und verwebt Erlebtes und Erzähltes zur Geschichte eines geheimnisvollen senegalesischen Autors, der ein einziges und sprachmächtiges Buch geschrieben hat. Mutmassungen, lange zurückliegende Begegnungen und mystische Elemente erschweren die Verortung von Charakteren und Begebenheiten. Sarr legt mit "Die geheimste Erinnerung der Menschen" eine spannende und vielverzweigte Geschichte vor, die durch die Handlung, die gelungene Sprache sowie durch seine literarische Stärke und Tiefe überzeugt.
Ein gleichwohl wunderbare und tragische Geschichte. Delia Owens zeigt mit den Charakteren des Buches, wie hässlich sich Menschen gegenüber anderen verhalten können. Lichtblicke und die bezauberndsten Momente des Buches sind die Figuren, die unvoreingenommen und ohne Vorurteile auftreten. Zeitweise entwickelt sich die Erzählung etwas gar konstruiert weiter, was in Verbindung mit den komplizierten und starken Emotionen zu Szenen führt, die den Eindruck von Kitsch nicht ganz von sich weisen können.
Ein Buch über die Jagd, den Wert eines Lebens und das Sterben. Geschickt verschränkt Schoeters eine US-amerikanische Perspektive mit vielen anderen aus dem subtropischen Afrika. Sie lässt die Charaktere des Buches persönlichen Erfolg vs. Gemeinschaft diskutieren, stellt der Relevanz des Lebens seine verhältnismässig beschränkte Dauer, seinen monetären Wert und seine Härte entgegen und beschreitet auch ein mystische Ebene. Eine kurzweilige aber ernste Lektüre.
Everett kreiert eine dystopische Geschichte, die im gegenwärtigen Bundesstaat Mississippi verortet ist. Es geschieht eine Serie von Lynchmorden, die in Verbindung zu Fällen einer Jahrhunderte alte Praxis in den USA gebracht wird. Nur sind die Opfer jetzt Weisse. Statt einer historischen Darstellung transportiert Everett das Grauen, den Schrecken, die Brutalität und Absurdität solcher Taten in die heutige Zeit. Gleichzeitig gibt er Einblick in eine tatsächlich tief gespaltene Gesellschaft.
Eine packende und erschütternde Geschichte einer Familie in Kalifornien. Genial ist, wie Everett den US-Alltag mit seinem strukturellen Rassismus zum Thema macht und in diversen kleine Situationen und aus verschiedenen Perspektiven in die Erzählung einbaut.
Caroline Wahl nimmt uns mit ins Leben zweier Schwestern mit relativ grossem Altersabstand, die bei ihrer alkoholkranken Mutter leben. Beeindruckend ist einerseits, wie die zwei ihren Alltag meistern und wie kurze Lichtblicke und Menschen von aussen immer wieder Hoffnung und Glück in ihre Leben bringen. Andererseits zeigt Wahl mit feiner Sprache und Witz das „Erwachsenwerden“ oder den Reifeprozess der beiden Schwestern. Ein Buch voller Zuversicht und über die kleinen Dinge und Freuden des Alltags.
Jan Weiler legt zwanzig Jahre nach Nick Hornbys "High Fidelity" sein ganz eigenes "Mann rekapituliert seine Liebesbeziehungen"-Buch vor, und es gelingt ihm. Im Gegensatz zum sehr verbitterten und oft zynischen Protagonist bei Hornby stellt Weiler mit Peter Munk einen Hauptcharakter in die Welt, der fähig ist zu Selbstreflektion und nicht in Selbstmitleid versinkt. Der Schluss des Buches konnte nicht ganz das Niveau der ihm vorausgehenden Kapitel erreichen. Manche Lesende werden in Munk den immerselben nach einem Herzinfarkt geläuterten oder sich in der Midlifecrisis befindenden Mann erkennen. Weiler liegt aber diese Episodenhaftigkeit der Erzählung. Es gibt ihm Gelegenheit durch einen Einblick in sehr abseitige Gesellschaftsgruppen, das Zusammenbringen von Charakteren mit extremen bis wahnsinnigen Eigenschaften und der Schilderung von typischen bis seltsamen Situationen, die jeder Beziehung innewohnen, seine Erzählkunst mit der gesunden Prise Humor zu Papier zu bringen.