Der Titel suggerierte bei mir eine Argumentation pro/con Kapitalismus (mit einem Kompromissvorschlag?). Das ist das Buch aber nicht wirklich. Stattdessen ist es eine Geschichte der Ökonomie mit Fokus auf Biografie und Theorien von Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes. Vor allem die Lehren Keynes scheinen sich mit denen der Autorin zu decken, sie kommen nämlich ziemlich gut weg.

Wer gar nicht gut weg kommt sind Anhänger der Neoklassik oder (noch schlimmer) des Neoliberalismus. Laut Ulrike Herrmann sind sie heute vor allem so populär, weil es nach dem 2. Weltkrieg zu einem natürlichen "Wirtschaftswunder" gekommen sei - trotz der Lehren des Neoliberalismus; nur dass es gelungen ist, den Neoliberalismus als Treiber dieses Booms zu etablieren. Sie lässt kein gutes Haar an Milton Friedman und Ludwig Erhard und ist gerade in den letzten 2 Kapiteln sehr positionsstark und kritisch. Das steht ein bisschen im Kontrast zu den ersten 80% des Buches, die sich eher historisch beschreibend lesen.

Ein bisschen unsicher bin ich noch, ob die aktuelle Wirtschaftslehre wirklich so hoffnungslos ist, wie die Autorin es klingen lässt. Die Warnung, dass sich seit den 1980ern eine "gigantische Spekulationsblase" aufbläht, klingt ungemütlich ähnlich zu der Schar der Crashpropheten der letzten Jahre. Auch an der Effizientmarkthypothese lässt sie kein grünes Haar (das ist die Grundlage meiner persönlichen Altersvorsorge, wohlgemerkt). Und gleichzeitig ist das Buch keine Brandschrift gegen den Kapitalismus, eher ein Plädoyer für eine Rückkehr zu einem Kapitalismus der Realwirtschaft, nicht einen der entkoppelten Finanzmärkte.

Ich habe sehr viel gelernt (wusste vorher eigentlich nichts über Ökonomie). Ohne Frage habe ich (noch) nicht alles aus den vielen verschiedenen Lehren verstanden, aber viel zum Nachdenken und Weiterlesen mitgenommen.

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