Bücherregal lädt …
Geister
864 Seiten

Samuel ist schockiert, als er hört, dass seine Mutter Faye, die er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat, einen Gouverneur mit Steinen beworfen hat und deshalb vors Gericht soll. Ihr Anwalt möchte, dass Samuel ihr bei der Verteidigung hilft, während gleichzeitig sein Lektor verlangt, dass er ein Buch schreibt, das sie schlecht darstellt. Samuel selbst ist tief verletzt, weil seine Mutter ihn als Kind im Stich gelassen hat, während damals gleichzeitig seine große Liebe wegzog. Als er jedoch mehr über Fayes Vergangenheit herausfindet, ahnt er, dass die ganze Situation um einiges komplexer ist, als er es vermutete …

Nathan Hills Roman „Wellness“ hat mir ausgesprochen gut gefallen, weshalb ich unbedingt seinen ersten Roman „Geister“ lesen wollte. Doch so ganz hat er meine Erwartungen leider nicht erfüllt und stellenweise sogar enttäuscht. Dabei war der Großteil der Handlung wirklich hervorragend umgesetzt; allerdings hat das Ende mir wirklich nicht gefallen, was der ganzen Geschichte einen sehr bitteren Beigeschmack gegeben hat.

Aber fangen wir am Anfang an: Diese Geschichte ist zwar einfacher als „Wellness“ gestrickt, schafft es aber fantastisch, Samuels und Fayes Gegenwart durch die Ausführungen ihrer Vergangenheit in einen anderen Kontext zu rücken. Gerade Samuels Freundschaft mit Bishop und seine Gefühle für Bethany waren fantastisch geschrieben, und auch Fayes Kindheit und Jugend (vor allem vor den Aufständen in Chicago) konnten mich mühelos packen. Besonders effektiv war die Art und Weise, wie der Kontext von Bishops Vergangenheit Samuels Gegenwart beeinflusste, weil ich das nicht kommen sah und mich dieser „Oha!“-Moment sehr beeindruckte. Das war definitiv der stärkste Teil der Geschichte, der es schaffte, die vergangenen Ereignisse packend zu beschreiben.

Die separaten Storylines von Pwnage und Laura sind ebenfalls großartig. Leider kommen sie eher seltener vor und haben keine allzu starke Verbindung zu der Haupthandlung (beziehungsweise haben sie natürlich schon eine, aber eine vergleichsweise schwache), aber die Nebengeschichten an sich haben mir trotzdem sehr gut gefallen.

Bei Fayes Vergangenheit war ich froh, dass hier gewisse Klischees glücklicherweise vermieden wurden, aber die letzten hundertfünfzig Seiten, die sich teils den Aufständen in Chicago und teils dem Ende widmen, waren recht verwirrend, stellenweise langatmig und hatten einen vergleichsweise enttäuschenden Twist. Und dann ist da das Ende selbst, was mich überhaupt nicht zufriedenstellte, weil verschiedene Handlungsstränge entweder offen gelassen oder unbefriedigend abgeschlossen werden. Es gibt auch viele offene Fragen, die teils sogar zentral für die Handlung sind und nicht beantwortet werden. Ich habe mich am Ende gefühlt, als hätte ich gerade einen ganzen Roman gelesen, dem das Ende fehlt. So viele zentrale Handlungselemente kriegen keinen oder keinen guten Abschluss, was meine Meinung über den Roman im Gesamten leider negativ beeinflusste.

Ich persönlich würde anderen Leser:innen eher empfehlen, „Wellness“ zu lesen, das es hervorragend schafft, eine komplexe Handlung zu entwerfen, großartige Twists einzubauen und ein zufriedenstellendes Ende zu bieten.

Wellness
704 Seiten

Am Anfang beobachten Jack und Elizabeth sich nur durch ihr jeweiliges Fenster, ohne Kontakt aufzunehmen. Es scheint, als würden sie sich stets verpassen, sogar gar nicht füreinander geeignet zu sein – Jack ist ein mittelloser Fotograf, Elizabeth eine aus einem reichen Haus stammende Psychologiestudentin. Doch trotzdem werden sie ein Paar, heiraten, bekommen einen Sohn – und stellen irgendwann fest, dass ihre Ehe feststeckt. Sie wissen nicht, warum, oder wie sie ihre Ehe retten könnten. Denn zunächst müssen sie ihre eigenen Probleme bewältigen, die gewaltiger und tiefer sind, als ihr Partner je ahnen könnte …

Die Kurzbeschreibung beschreibt leider nicht mal ansatzweise, worum es in diesem Roman geht, denn er beleuchtet so viele Themen, dass es schwer ist, ihn akkurat zusammenzufassen. Natürlich sind Liebe und Ehe wichtige Themen, aber daneben spielen noch Familiengeschichten, Trauma, der Placebo-Effekt, Lebensverbesserungen und Perfektionismus, der Horror der Kindererziehung, Kunst, Verschwörungstheorien, Denkfehler, nicht-monogame Liebesbeziehungen, Selbstbetrug und noch so viel mehr eine Rolle. Ich war aufrichtig beeindruckt davon, wie viel Nathan Hill in diesen Roman gepackt hat – und noch dazu auf eine Weise, die alle Themen hervorragend miteinander verbindet, sodass sie niemals wie zu viel wirken, sondern wie eine natürliche Erweiterung der bisherigen Themen.

Aber nicht nur das: Das Foreshadowing bezüglich Elizabeths und Jacks Vergangenheiten war meisterhaft umgesetzt. Während des ganzen Romans werden mehrmals schlichte Fakten erwähnt, die ich als Leserin als gegeben annahm, ohne sie weiter zu hinterfragen; ich sah in ihnen schlicht zusätzliche Informationen zu den Hauptcharakteren und in der Regel nicht mehr. Aber dann hat Nathan Hill diese Fakten in einen anderen Kontext gesetzt, sehr viel weiter vertieft und Verbindungen zu anderen, scheinbar nicht zusammenhängenden Informationen geschaffen. Und obwohl er es schaffte, das während des ganzen Romans zu tun und mich immer wieder zu überraschen, rechnete ich trotzdem nie damit, wenn es wieder geschah. Die gesamte Geschichte von Jack und Elizabeth zu erleben, war eine Erfahrung, die mich nachhaltig beeindruckte!

Das machte es leicht, mit beiden Charakteren gleichwertig mitzufiebern, während sie ihre Probleme in verschiedenen Lebensphasen konfrontieren. Ich hatte zunächst befürchtet, dass ich mich nur für einen der beiden interessieren würde, aber letztendlich konnte ich mich mühelos in beide Charaktere hineinversetzen. Wirklich ein großes Lob an Nathan Hill dafür, wie er die Geschichte der beiden beschrieb!

Sogar einige Nebencharaktere bekommen überraschend Tiefe, doch der Fokus liegt definitiv auf Jack und Elizabeth selbst. Das ist vermutlich meine einzige Kritik: Es gibt Handlungsstränge bezüglich der Nebencharaktere, die nicht komplett aufgelöst werden (bzw. bei denen ich mir mehr gewünscht hätte) und auch kurzzeitige Obsessionen, die Elizabeth und Jack haben, die letztendlich keine Rolle für die eigentliche Handlung spielen. Im Vergleich zu der fantastisch konstruierten Handlung ist das aber eine vergleichsweise kleine Kritik, denn ich hatte selten einen Roman, von dem ich so beeindruckt war wie von diesem. Eine Rundum-Empfehlung für alle, die großartig konstruierte Geschichten lieben!