"Es war ihr, als denke sie doppelt, als liefe hinter ihren Gedanken ein zweiter Strom von Gedanken ab, von dem nur dann und wann ein Bild hängenblieb und in ihr Bewusstsein drang, ein dunkles, schummriges Bild, auf dem nicht viel zu erkennen war, ein Raum, Menschen, die Dinge taten oder getan hatten, eine Erwartung oder Erinnerung."
Ab der ersten Seite liegt eine Schwere, eine Melancholie auf der Geschichte, die sich nie verzieht und hartnäckig an der Protagonistin kleben bleibt. Stamms Schreibstil liest sich flüssig und geht einem nahe, der melancholische Schleier umgibt einem schnell selbst.
"Das privatrechtliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich, das zu jener Zeit, als Heinrich mehrmals amtliche Post aus der Heimat bekam, in Kraft und massgebend war, nennt neben Ehebruch, unnatürlicher Wollust, Unfähigkeit zum Beischlaf, ausschweifender oder verschwenderischer Lebensart, unheilbarer und ekelhafter Krankheit inkl. Wahnsinn oder Blödsinn im $187 noch einen weiteren zur Scheidungs-Klage berechtigten Grund [...]"
Schöne Sprache (halt Markus Werner), aber auch sehr wirr, ich habe den Faden mehrfach verloren und irgendwann nicht mehr zurückgefunden.
"Aber warum singst oder redest du beim Teigkneten nie?" "Weisst du das nicht?", entgegnete sie erstaunt. "Singen oder reden beim Kneten macht das Brot bitter." Wirklich, ist das wahr? Hast du das ausprobiert?" "Nein, ich weiss es von meiner Mutter. Reden kann vieles verderben, was wir erst später merken."
Geschichtlich gesehen sehr interessant, sprachlich jedoch nicht überzeugend, langatmig, holprig.
"Ferien waren bis in die Zwanzigerjahre bei Jacob Rohner nicht üblich. Alfons Zünd war 27 Jahre alt, als er sich 1925 zum ersten Mal mit seinem Ferienwunsch an den Finanzchef wandte. [...] "Was, Ferien - so ein gesunder Mann?" "Muss ich denn krank sein für Ferien?" fragte der junge Entwerfer zurück. Darauf der Chef: "also dann geh, aber nur eine Woche!" Nach einer Roche kontrollierte Rohner, ob der Angestellte wieder an der Arbeit sass. Mit Jacob Rohner sei er gut gefahren, erzählte Zünd: "er hat mich sogar einmal gelobt!" " (S. 80)
Ein Buch über die Textildynastie Jacob Rohner aus St.Gallen (CH). Aus beruflichem Interesse gelesen. Das Buch gewährt mithilfe von vielen Brief- und Tagebuchausschnitten einen sehr persönlichen, nahen und privaten Einblick in das Leben einer Stickerfamilie und somit in die Ostschweizer Textilgeschichte von 1873 bis 1988.
"Kein Mensch mag Bärlauch-Pesto", sagte Urs. "Bärlauch isst man nur aus einem Grund: Weil es halt da ist." "Manche Menschen mögen Bärlauch", sagte ich. "Bärlauch ist wie Kaufhausmusik", sagte Urs. "Die gefällt auch keinem. Man hört sie nur, weil sie halt da ist." (S.20)
Durchaus unterhaltsam, seichte Kurzgeschichten. Mehr aber auch nicht.
"Das Schweigen, was Bravsein genannt wurde. Die Angst vor dem Unbekannten, was Fremdeln genannt wurde. Das Zurückhalten von Tränen, was Starksein genannt wurde. Die Angst vor dem Schlafengehen, die Angst, nie mehr aufzuwachen, und die Angst, im Dunkeln das Augenlicht zu verlieren, ohne es zu merken (denn mensch sieht ja nichts). Dies wurde mühsam genannt." (S.29)
Mitreissend, intensiv, provozierend, tief, verletzlich, zart, feinfühlig. Voller Liebe. Reich an Spiel mit der Sprache, erfrischend, oft auch anstrengend.
"Doch nur die Toten gehen verloren, solange man lebt, bleibt man nicht unbemerkt."
Ein Mann begegnet einer Frau und beginnt, ihr zu folgen. Er sieht sie nur immer von hinten, der Grund der Verfolgung ist nicht bekannt. Aus einer Laune heraus wird es ihm total ernst, seine geschäftlichen Verpflichtungen hängt er an den Nagel. In nicht mal 48h wird aus ihm ein verwahrloser Getriebener.
Bärfuss lässt die Lesenden hautnah an der Verfolgung teilhaben. Der Zerfall des Mannes wird beeindruckend bildhaft dargestellt. Mich hat das Buch sofort gepackt und nicht mehr losgelassen, die Spannung verflog nie. Viele Fragen blieben offen, das Buch verstanden habe ich nicht. Ein Grund, es irgendwann wieder zu lesen.