Ein Buch von 2004, das nichts an Dringlichkeit und Aktualität verloren hat. Roth nimmt uns mit auf ein dunkles Gedankenexperiment Anfang der 1940er Jahre. Schauplatz sind die USA, im Zentrum der Geschichte eine jüdische Familie in einfachen Verhältnissen. Die Erzählung führt uns ein paar wenige Jahre durch die amerikanische Geschichte mit dem Unterschied, dass nicht Roosevelt ein drittes Mal Präsident wird, sondern Lindbergh. Dieser verfolgt eine isolationistische Haltung der USA gegenüber einem Kriegseintritt gegen D, It und Jp, ausserdem wird ihm, nicht ungerechtfertigt, eine starke antisemitische Einstellung vorgeworfen. Was Roths Erzählung auch für die heutige Zeit so relevant macht, zeigt sich stark in zwei Aspekten: erstens zeigt er, wie wichtig es ist, dass Politik und Gesellschaft nicht müde werden dürfen, das Überschreiten roter Linien und das Brechen von Tabus immer und auch in der unwichtigsten Kommentarspalte scharf zu kritisieren. Es sind viele kleine Schritte, mit denen die Grenzen hin zu Diskriminierung, Rassismus und Schutz von Minderheiten jeden Tag auszudehnen versucht werden. Zweitens führt uns die Geschichte vor Augen, dass auch das Schweigen von mächtigen Menschen eine Meinungsäusserung darstellt und im schlimmsten Fall zu Gefahr für Leib und Leben führen kann. Eine düstere Geschichte, die uns lehrt, wachsam zu sein, sei es gegenüber Hass oder sei es gegenüber Falschinformation.
Eine spannende und oft auch humorvoll erzählte Geschichte, die deutlich auf eine Punkt zuläuft, aber zum Schluss trotzdem in vielen Erzählsträngen kein deutliches und schon gar kein absehbares Ende hat. Wie schon in „die Hauptstadt“ gibt uns Menasse über seine Protagonisten (nur zwei davon weiblich) verschiedene Perspektiven in und auf Europa und führt somit die Diskussion über europäische Werte und den Zusammenhalt unter den vielen Nationen fort.
Das hässliche Gesicht von Social Media ist in dieser Geschichte in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Erwachsene, die meinen, Glück zu produzieren, dabei aber die Leben ihrer Kinder langfristig schädigen und zerstören. Ein sehr spannendes Buch zu einem so aktuellen Thema, das den Zustand der Gesellschaft gnadenlos aufzeigt.
Ein sehr intensiver Roman über die Menschen in einem kleinen ungarischen Dorf während dem 2. Weltkrieg. Natürlich ist es auch ein besonderer Reiz, ein Buch zu lesen, dessen Manuskript 70 Jahre verschollen war und nur durch Zufall wiederentdeckt wurde und jetzt zum Glück erschienen ist. Um mehr darüber zu erfahren, würde ich Lesern empfehlen, mit dem Epilog zu beginnen. János Székely erzählt aus der Perspektive der armen und einfachen Leute, die ihrer Umwelt ausgeliefert sind, egal ob zu Kriegs- oder Friedenszeiten. Man könnte kritisieren, dass es Längen hat und die Geschichte zu viele Nebengeschichten hat. Der Autor versteht es aber genau dadurch, jeder Figur Farbe und Kontur zu geben. Er lässt uns in ihre Gedanken blicken und wir lernen ihre Ängste und ihre Hoffnungen, ihren Glauben und ihre Überzeugung kennen. In der Interaktion zwischen den Figuren werden lange augestaute Gefühle und diese drückende Stimmung präsent. Nur so können wir die Geschichte in ihrer bedauernswerten Wahrheit und menschlichen Grausamkeit, die in dieser einen Nacht ein Ende nimmt, begreifen.
Nino Haratischwili ist eine grossartige Erzählerin. Durch die Augen von Keto und ihren drei Freundinnen beschreibt sie das Erwachsenwerden und in Erinnerungen versunken sein, die Liebe und die Gewalt, den Alltag in der Familie und der Nachbarschaft und wie all das im Georgien Ende 80er/Anfang 90er zerbricht, neu zusammenwächst und so intensive Eindrücke erzeugt, dass es die vier Protagonistinnen nie mehr loslässt. Ein überwältigendes Buch, schonungslos, mitreissend und feinfühlig erzählt.
Eine Geschichte, die der Autor in der Welt der Wirtschaft ansiedelt und sie im Mikrokosmos einer zufällig zusammengewürfelten Gesellschaft in einem Wüstenresort Tunesiens spielen lässt. Eine Geschichte, die immer mehr Fahrt aufnimmt und auf einen überbordenden Schluss hinsteuert. Lüscher zeigt das Tempo und die Gangart in der globalisierten Wirtschaft und lässt es nicht aus, verschiedene Gruppen aus der genannten Gesellschaft bei ihrem moralischen Zerfall und auf dem Weg hin zur Barberei zu begleiten. Finanzkrise mal anders.
Menasse verwebt unterschiedliche Erzählungen zu einer spannenden Geschichte, die auf ein unerwartetes Ende zuläuft. Schauplatz ist Brüssel und die grossen Themen sind die europäische Identität und Bürokratie sowie Nationalismus und Vergangenheitsbewältigung. Dem Leser wird mit den Figuren aus den Erzählungen Einblick gewährt in europäische Generaldirektionen, in das Machtspiel innerhalb der Verwaltung und in die Interessenvertretung seitens der Mitgliedstaaten, der Wirtschaft, der Wissenschaft uvm. Ein empfehlenswerter Europa-Roman. Kleiner Makel: die Figurenauswahl ist sehr männerlastig.
Eine ungeschminkte Nahaufnahme eines einfachen Arbeiters, dessen Eltern von China nach Malaysia ausgewandert sind. Die Geschichte fokussiert auf verschiedene Lebensausschnitte von ihm, gibt Einblick in seine Gedanken und zeigt gleichzeitig viele Realitäten Malaysias. Das geht von den Lebensumständen von Wanderarbeitern über die Ausbeutung der Natur bis hin zu Alltäglichem wie Essen oder Fortbewegung. Diese Rückblicke auf sein Leben sind verwoben mit einer Nebenerzählung in der Gegenwart. Es ist eine Soziologie-Studentin aus den USA, der dieHauptfigur in unzähligen Gesprächen die gesamte Geschichte erzählt.
Fariba Vafi schildert in schnörkelloser Sprache das Erwachsenwerden zweier Freundinnen und wie sie die Polizeischule absolvieren. Sie erlaubt durch diese zwei Figuren einen Augenschein auf das Leben im Iran, auf die Realität, der junge Frauen begegnen müssen und zeigt den Graben zwischen strenger Disziplin und der Fantasie darüber, was die Zukunft bringen wird.
Mitchell ist ein grossartiger Geschichtenerzähler. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise, reiht Geschichten an verschiedensten Orten und in weit auseinanderliegenden Zeitabschnitten aneinander und verknüpft sie miteinander. Die Verbindungen zwischen den so unterschiedlichen Schauplätzen stellen „überzeitliche Geistwesen“ her, die von einem menschlichen Wirt zum nächten wandern und so auf ein Leben von Jahrhunderten oder Jahrtausenden zurückblicken können. Diese fantastische Erzählweise mündet zum Schluss in eine Dystopie in der Zukunft. Schönes Detail ist, dass Mitchell Figuren aus seinen anderen Büchern immer wieder auftauchen lässt.
Eine mexikanische Familiengeschichte über 2-4 Generationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, erzählt aus der Kinderperspektive oder wiedererzählt von Geschichten, die dem Sohn der Familie weitergegeben wurden. Eine Prise magischer Realismus und sehr typische aber liebevoll gezeichnete Charaktere prägen die Geschichte. Politik, Wirtschaft, Krieg und Fortschritt bleiben Themen am Rand und lassen so dem Menschlichen und dem Erleben der Figuren viel Platz.