Es gab Zeiten, da war ich ein richtiger Fan von Benjamin von Stuckrad-Barre, ohne jemals auch nur eine Zeile von ihm gelesen zu haben. Von Stuckrad Late Night / Stuckrad-Barre habe ich mir alles angeschaut, was ich in die Finger kriegen konnte. Warum, kann ich heute gar nicht mehr sagen. Ich erinnere es schlicht nicht mehr. Auch nicht, was ich von Auch Deutsche unter den Opfern. hielt, was ich im Zuge meines spätjugendlichen Fantums dann gelesen habe. Entsprechend befangen-unbefangen bin ich also an seinen lange erwarteten neuen Roman Noch wach? herangegangen, den ich als Mediennerd wahrscheinlich so oder so verschlungen hätte. Zurückgelassen hat er mich dann etwas ratlos, wenn nicht gar zwiegespalten.
Denn einerseits hat Stuckrad-Barre hier einfach solide und schmissig geschriebene Popcorn-Literatur abgeliefert, die sich sehr gut weglesen lässt und dabei die so wichtige Verhandlungsmasse in lockere Unterhaltung kleidet. Wer jedoch wie ich Mediennerd ist, die Feeds mehrerer Branchendienste abonniert hat und den ein oder anderen Medienpodcast hört, wird in Noch wach? jedoch schnell eine Auflistung bereits ausführlich dokumentierter Umstände und wenig mehr sehen. Denn Stuckrad-Barre kann in Interviews noch so oft unterstreichen, dass er hier in erster Linie einen Roman geschrieben hat. Aber den trotzdem über der Geschichte schwebenden Ex-Chefredakteur und den einst freundschaftlich so verbundenen Verlagschef wird er natürlich trotzdem nicht los. Denn die Deutungshoheit über sein Werk hat nur das Publikum. Und dem wird hier eben viel von der Seitenlinie aus erzählt.
Stuckrad-Barres Protagonist ist ausgemachter Stillstand. Er weiß zu Beginn der Geschichte bereits, was warum das Problem ist, muss nicht von A nach B gehen, sondern kann die Übung aus dem Stand heraus absolvieren und muss eigentlich kaum etwas ergründen. Was davon übrig bleibt, ist eine zu Recht in die Brüche gegangene Männerfreundschaft™ und damit eher wenig von wirklichem Belang. Und wenn das der Kommentar auf unseren gesellschaftlichen Umgang mit #MeToo sein soll, dann ist er vielleicht zutreffend, aber mit 384 Seiten im Hardcover doch etwas künstlich aufgeblasen 🤷♂️
Nachdem ich bereits den mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman Herkunft von Saša Stanišić gelesen habe und mich unsterblich in dessen Schreibe verliebt habe, war schnell klar, dass irgendwann auch mal seine anderen Bücher an der Reihe sein werden. Vor dem Fest ist es dann geworden, weil ich das als E-Book über meine Bibliothek leihen konnte 😅
Anyways: Auch bei diesem Roman bin ich ganz hin und weg von der Sprache – wie mit ihrer Hilfe verschiedenste Rezeptionsebenen eingezogen werden und auf super lustigen, trockenhumorigen sowie tieftraurigen Hochzeiten gleichzeitig getanzt wird. Ich habe den Weg zum Ziel – oder hier besser: zum Fest – sehr genossen, weil entlang des Pfades letztlich sehr bittersüße und melancholische Lebensgeschichten erzählt werden. Das daraus entstehende Gesamtbild beschreibt, wie hinter jedem einzelnen Leben ein regelrechtes Universum steckt. Und wie bedeutungslos das alles ist. Und wie unendlich wichtig das alles ist. Wir sind.
Durch seine Alternativweltgeschichte gelingt es McEwan durchaus, ein paar kluge Beobachtungen mit Bezug zum Verhältnis von Mensch und Technologie bzw. Menschsein und Technologie anzustellen und diese auch zu verhandeln. Insgesamt scheint er aber im Diskurs noch sehr weit zurückzuhängen und kann deshalb kaum neue Gedanken hinzufügen oder bestehende weiterdenken. Klar, ist ja auch kein Sachbuch. Trotzdem finde ich, dass sich eine literarische Betrachtung nicht dem Stand der Dinge verwehren sollte, um letztlich nicht zur Banalität zu verkommen.
Maschinen wie ich hat bei mir unterm Strich einen sehr nihilistischen Eindruck hinterlassen. McEwan hat ein Buch geschrieben, in dem alles egal ist, in dem die Menschheit mit zu unserer Realität fast gegensätzlichen Entscheidungen, trotzdem vor die Wand fährt. Es fehlt die Utopie oder wenigstens die Dystopie. Dieser pessimistisch-realistische Blick mag zwar der Menschheit angemessen, aber die große Erkenntnis blieb bei mir dann am Ende aus.
Insgesamt hat mich Der Mauersegler nicht so sehr gepackt wie Jasmin Schreibers Vorgänger- und Debütroman "Marianengraben". Dafür ist dieses Buch formal spürbar komplexer angelegt und arbeitet – völlig egal, ob nun bewusst oder unbewusst – smart mit Abschnittsweise eingestreuten Rückblenden. Die tauchen schließlich immer seltener auf, bis kein Platz mehr für verklärte Vergangenheit ist und sich das schmerzliche Hier und Jetzt endgültig Bahn bricht. Und obwohl alle Puzzleteile vorher schon bereitliegen, tut das Zusammenfügen zum Schluss noch einmal besonders weh. Jasmin Schreiber gelingt es ohne auch nur einen einzigen überzogen deskriptiven Satz, sich dem Verdrängen, dem Katastrophisieren, dem Zusammenbruch während eines depressionsartigen Zustandes zu nähern und macht gleichzeitig eine wohlige Umarmung voller Hoffnung möglich, ohne kitschig zu werden.