Der Mauersegler
240 Seiten

Insgesamt hat mich Der Mauersegler nicht so sehr gepackt wie Jasmin Schreibers Vorgänger- und Debütroman "Marianengraben". Dafür ist dieses Buch formal spürbar komplexer angelegt und arbeitet – völlig egal, ob nun bewusst oder unbewusst – smart mit Abschnittsweise eingestreuten Rückblenden. Die tauchen schließlich immer seltener auf, bis kein Platz mehr für verklärte Vergangenheit ist und sich das schmerzliche Hier und Jetzt endgültig Bahn bricht. Und obwohl alle Puzzleteile vorher schon bereitliegen, tut das Zusammenfügen zum Schluss noch einmal besonders weh. Jasmin Schreiber gelingt es ohne auch nur einen einzigen überzogen deskriptiven Satz, sich dem Verdrängen, dem Katastrophisieren, dem Zusammenbruch während eines depressionsartigen Zustandes zu nähern und macht gleichzeitig eine wohlige Umarmung voller Hoffnung möglich, ohne kitschig zu werden.

Der Mauersegler
240 Seiten

Prometheus ist auf der Flucht – vor der Polizei, vor seiner Familie, aber vor allem vor sich selbst. Seit dem Tod seines besten Freundes Jakob wird er von massiven Schuldgefühlen geplagt und möchte am liebsten selbst sterben. Bis er auf Helle und Aslaug trifft. Sie leben nahezu abgeschottet vom Rest der Welt, zusammen mit ihren Pferden, und nehmen Prometheus bei sich auf. Doch so sehr Prometheus auch vergessen will, was passiert ist, wird er sich seiner Verantwortung nicht ewig entziehen können …

Nachdem mir der „Marianengraben“ so gefallen hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich „Der Mauersegler“ lesen würde. Und obwohl ich sagen kann, dass ich den „Marianengraben“ ein wenig mehr mochte, war ich dennoch berührt von der Geschichte, die Jasmin Schreiber hier in „Der Mauersegler“ erzählte!

Sowohl die Freundschaft zwischen Prometheus und Jakob als auch seine Zeit bei Helle und Aslaug bekommen genügend Momente, die deutlich machen, wie sehr Prometheus gehofft, gelitten und geträumt hat. Die Übergänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart waren sehr gelungen, wobei ich vor allem mit der Vergangenheit mitgefiebert habe, weil es so war, als würde man einem Zug beim Entgleisen zusehen – obwohl von Anfang an klar ist, was passieren wird (bzw. passiert ist), hatte ich trotzdem unglaubliche Angst, dabei zuzusehen.

Besonders gut war Prometheus' Gefühlswelt umgesetzt, wobei ich Jasmin Schreiber ein großes Lob dafür aussprechen muss, dass sie ihrem Protagonisten tatsächlich eine direkte Schuld an Jakobs Tod gegeben hat. In vielen anderen Geschichten, in denen sich die Protagonisten schuldig für den Tod einer geliebten Person fühlen, sind sie in der Regel nur indirekt Schuld daran (und manchmal überhaupt nicht), doch hier ist Jasmin Schreiber das Risiko eingegangen, Prometheus zwar gute Absichten, aber definitiv die Schuld an Jakobs Tod zu geben. Das fand ich um einiges effektiver als die populäre Alternative der Protagonisten, die sich zwar schuldig fühlen, es in Wirklichkeit aber nicht sind.

Die einzige Kritik, die ich habe, ist, dass die Gegenwart mit Helle und Aslaug zwar einige wertvolle Momente hatte, aber manchmal langsam zu lesen war. Deshalb gebe ich insgesamt dem „Marianengraben“ den Vorzug, bin aber trotzdem sehr begeistert davon, wie Jasmin Schreiber hier die Themen Tod und Schuld umgesetzt hat!