Muldental
229 Seiten

Jeder Abend mit diesem Buch endete für mich in einem Zwiespalt: Einerseits wollte ich diese Geschichtsfragmente einfach nicht zur Seite legen, andererseits ging mir all das zwischen den beiden elektronischen Buchdeckeln wirklich an die Nieren. Und so habe ich mehrfach die Entscheidung getroffen, bereits nach einer gelesenen Geschichte den Tolino beiseitezulegen – weil da erst einmal Dinge sacken gelassen, verarbeitet und durchdacht werden mussten.

Gepackt und fasziniert hat mich diese Geschichtensammlung nicht, weil sich für mich daraus neue Erkenntnisse zur ostdeutschen Identität ergaben, sondern weil sich diese Zeilen fast alle so extrem nah anfühlten – auch aus meiner Perspektive eines in Westdeutschland Geborenen, aber in Sachsen Lebenden. Zu einen liegt das daran, dass ich die realen Geschichten hinter der Fiktion teilweise aus den lokalen und regionalen Medien kenne. Zum anderen aber auch durch die Menschen und deren ähnliche Erfahrungen und Geschichten, die ich durch meine Arbeit für verschiedene sächsische Medien kennenlernen durfte.

Mich hat fasziniert, dass "Muldental" nicht den „einfachen“ Weg wählt und die Wende als ultimative Ursache für die bitteren Schicksale so vieler Menschen zitiert. Bei einigen mag das sicherlich trotzdem der Fall gewesen sein. Aber letztlich zeigt diese Geschichtensammlung, wie alternativlos ein Großteil dieser Schicksale war. Sicherlich hat der Systemwechsel das Tempo, mit dem sich alle auf die Wand zubewegten, noch einmal erhöht. Aber gekommen wäre die Wand auch ohne Wiedervereinigung. Die Implosion der DDR-Wirtschaft war sowieso unausweichlich. Aber genau auf dieses „Was wäre wenn?“ lässt sich Daniela Kriens Buch gar nicht erst ein. Es ist die Endgültigkeit, aus der die Kraft von "Muldental" entwächst.