Bücherregal lädt …
& Erzählende Affen
528 Seiten

Geschichten beeinflussen unser Leben. Solange sie gut erzählt sind, ignorieren wir gerne die Wahrheit und leben stattdessen in unserer bequemen, angenehmen Welt. In ihrem Sachbuch beschreiben Samira El Ouassil und Friedemann Karig, wie uns das Erzählen bereits in unserer frühesten Vergangenheit beeinflusst hat, wie mächtig selbst einzelne Wörter sind und wie (Lügen-)Geschichten bis heute unsere Gesellschaft prägen.

Obwohl mir natürlich schon bekannt war, wie einflussreich Geschichten sind, war es faszinierend, anhand der zahlreichen Beispiele zu lesen, wie sehr sie tatsächlich mit unserem innersten Wesen verknüpft sind, wie leicht es uns fällt, sie zu erschaffen und ihnen zu glauben. Selbst, wenn man sich in diesem Bereich gut auskennt, ist es schockierend, wie viel Schaden eine einzige Lügengeschichte anrichten kann. Viele von ihnen haben sich über hunderte, gar tausende von Jahren gehalten (Rassismus, Sexismus) und selbst junge Lügen halten sich oft hartnäckig, selbst, wenn es Leute gibt, die gegen sie kämpfen.

Deswegen war die Lektüre eine sehr ernste, oft harte Kost, die sich aber immer noch sehr interessant las; nur bei den letzten zwei Kapiteln wurde mir ein wenig langweilig, die übrigen zehn waren dagegen umso packender. Das hängt auch mit privaten Interessen zusammen, sodass andere Leser*innen sicher ihre eigenen Favoriten finden werden.

Insgesamt war es sehr verständlich, warum dieses Buch für den Sachbuchpreis nominiert wurde; es behandelt etwas, das uns seit Menschengedenken beeinflusst und bis an unser Ende beeinflussen wird: Die Macht der Worte.

Game Changer – Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen.
416 Seiten

Es passiert bei einem Football-Spiel: Ash wird in eine alternative Dimension befördert. Plötzlich sind alle Stoppschilder blau und Ampeln nicht rot, gelb und grün, sondern blau, gelb und grün. Ash hat keine Ahnung, was geschehen ist, aber beim nächsten Football-Spiel passiert es wieder und dieses Mal ist die Veränderung größer: Seine Familie ist reich und sein neues Ich dealt Drogen. Doch es ist das nächste Football-Spiel, das die Welt vollkommen verändert: Plötzlich gibt es wieder Rassentrennung. Endlich erfährt Ash, was die ganze Zeit los war: Er ist zum sogenannten Subjective Locus geworden, dem Mittelpunkt des Universums, der entscheidet, wie die Welt sich verändert und jetzt lernen muss, diese Fähigkeit zu kontrollieren, um alles wieder rückgängig zu machen. Jedoch hat er nicht mehr viele Versuche übrig – und bekanntlich gibt es unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen …

Neal Shusterman ist zugegeben nicht besonders subtil, wenn es um das Thema der Rassentrennung geht, aber mich persönlich hat das nicht gestört. Wir Menschen verstehen subtile Hinweise leider nicht immer und brauchen einen Holzhammer, um zu realisieren, wie dumm und ungerecht unsere Welt eigentlich ist. Es ist so leicht, in seiner Komfortzone zu bleiben und nichts am Status Quo zu ändern. Deshalb fand ich persönlich es sogar gut, dass Neal Shusterman recht direkt mit seinen Botschaften war, aber andererseits fühle ich mich als weiße, privilegierte Frau nicht unbedingt geeignet, um das beurteilen zu können.

Was ich dagegen beurteilen kann, war die Handlung des Romans, die mir sehr gefallen hat – vor allem, wie Ash gezwungen ist, verschiedene Perspektiven einzunehmen, als nicht nur die Welt, sondern er selbst sich verändert, war eine hervorragende Strategie, um die Botschaften des Romans zu unterstreichen. Noch besser ist, dass die Veränderungen subtil geforeshadowt werden – nicht unbedingt so, dass man sie vorher erraten kann, sondern so, dass sie im Nachhinein einen logischen Sinn ergeben. Nun, vielleicht bis auf die Entstehung der Welt mit Rassentrennung.

Im Buch wird als Erklärung dafür genannt, dass Ash einerseits einen gewissen Neid gegenüber Leo, seinen Schwarzen besten Freund, verspürt, weil dieser ein Stipendium hat, und zum anderen wünscht, sein alternatives Ich hätte nicht mit dessen Schwester geschlafen. Aus diesen Gedanken entstand die Welt mit Rassentrennung, was ich dann doch übertrieben fand. Nicht, dass ich mir wünschte, sie wäre bewusst entstanden, aber eine bessere Erklärung für diesen Konflikt hätte mir trotzdem gefallen – ein paar teils gemeine, teils verständliche Gedanken, wie sie jede*r von uns hat, sollten meiner Meinung nach nicht zu einer solch übertriebenen Konsequenz führen.

Andererseits war diese Veränderung durchaus notwendig für Ash' Charakterentwicklung. Besonders gefiel mir, dass er sich bald hin- und hergerissen fühlte, was die neue Welt betraf – sie war ohne Zweifel schrecklich, hatte aber auch einige gute Seiten, vor allem, was Ash' persönliches Leben betraf. Ich wollte am liebsten, dass sich die positiven Seiten aller Welten vereinen, aber natürlich geschah das nicht. Der Status Quo wurde aber auch nicht wiederhergestellt – mir hat das Ende, das Neal Shusterman wählte, sehr gefallen! Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil ich bald bezweifelte, dass ein zufriedenstellendes Ende möglich wäre, aber es ist Neal Shusterman glücklicherweise gelungen.

Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch!