Die Kreuzfahrer
224 Seiten

Entspannt über die Absurditäten des Alltags zu erzählen, kann Señor Kaminer ganz wundervoll. Mit vielen, vielen anderen Menschen und seiner Frau ist er auf diversen Kreuzfahrtrouten unterwegs gewesen, hat den Unfug, den er selbst sowie die anderen dabei getrieben haben, durchaus wahrgenommen und findet unterhaltsame Anekdoten selbst da, wo wohl eigentlich eher gar keine sind.

Großartig. Und ganz sicher erheblich unterhaltsamer, als sich dieser Art des Reisens selbst hinzugeben.

(https://sr-rolando.com/2020/04/25/die-kreuzfahrer-von-wladimir-kaminer/)

Das Register
590 Seiten

Eine Welt des Untergrunds, aus der wir dann auf Verschwörungen, auf Korruption, auf Idealisten und auf Geschichten mit doppeltem Boden gucken können. Das ist futuristisch und gleichzeitig brandaktuell, es ist technologisch kühl und gleichzeitig emotional, es ist rasant spannend und gleichzeitig locker erzählt.

Oder anders gesagt: Wenn schon Science Fiction, dann so wie hier, mit einem gut durchdachten Setting und ohne kitschige Zukunftsromantik.

Gefällt. Sehr sogar. Auch wenn (Achtung: Kritik!) das Ende etwas sehr mit dem Holzhammer auf eine kommende Fortsetzung hinweist. Aber sei es drum.

Eine Empfehlung.

(https://sr-rolando.com/2020/04/19/das-register-von-marcel-mellor/)

Das Marsprojekt
317 Seiten

Andreas Eschbach erzählt mit gewohnt gesetzten Spannungsbögen, etwas wohligem Idealismus und der gesunden Fantasie für nicht all zu ferne Science Fiction. Es macht Spaß, sich der Geschichte hinzugeben. Am Ende summt man still ein Kinder an die Macht vor sich hin und es fühlt sich nur so mäßig kitschig und verkehrt an. Und obwohl das Buch laut Copyright-Vermerk knapp 20 Jahre alt ist, wirkt es damit glatt hochaktuell.

Erfrischend.

(https://sr-rolando.com/2020/03/19/das-marsprojekt-von-andreas-eschbach/)

Der Schatten
416 Seiten

Eine interessante Idee erzählt sie spannend und verpackt alles so, dass keine handwerklichen Fehler beim Lesen stören.

Wie toll, eine klare Leseempfehlung.

(https://sr-rolando.com/2020/03/08/der-schatten-von-melanie-raabe/)

Laufen
208 Seiten

Laufen ist top. Und für die Momente, in denen man dann doch mal ganz schlicht herumsitzt gibt es unter anderem dieses feine Buch in die Hand. Laufen heißt es, um Depressionen geht es, auf ersteres macht es Lust, gegen letzteres hilft es zumindest ein klein wenig. Es mag unpassend sein, aber: Dieses Buch zu lesen macht Spaß.

Eine glasklare Empfehlung.

(https://sr-rolando.com/2020/03/01/laufen-von-isabel-bogdan/)

Der Club
240 Seiten

Man kann es recht klar sagen: Boxen ist Mist, das Verhalten so mancher in elitären Clubs ist Mist. Dieses Buch ist es zum Glück nicht. Feine Lektüre.

(https://sr-rolando.com/2020/01/21/der-club-von-takis-wuerger/)

Schalttagskind
330 Seiten

Schalttagskind: Das ist der an einem 29. Februar geborene Billy Sloman. Mit vier Jahren ist dieser auf der Jungfernfahrt der Titanic mit dabei. Und sieht mit scharfem Blick den wohl berühmtesten Eisberg der Schifffahrtsgeschichte, rechtzeitig, so dass die Mannschaft den Kurs noch korrigieren und dem schwimmenden Ungetüm ausweichen kann.

Die Titanic sinkt also nicht. Der scharfe Blick von Billy bleibt jedoch. Ausgehend von einer Bekanntschaft, die er aufgrund seiner Entdeckung auf dem Boot macht, wird er später Kameramann und zwar ein verdammt guter. Dokumentationen erstellt er und es sind jene über die ganz Großen: den Ganoven John Dillinger als ersten Staatsfeind der USA, gejagt vom (heutigen) FBI, Pablo Picasso in einer innovativen Home-Story und Wojciech Jaruzelski als Verteidigungsminister Polens in Zeiten des aufkeimenden Widerstands, aus dem die Solidarność entstand. Und am Ende der Dramen gibt’s am 11. September 2001 zwar ein großes Drama, aber doch ein komplett anderes als wir es erlebt haben.

Was für ein Setting. Und die Geschichten dazwischen und drumherum sind wieder ganz wundervoll erzählt. Es ist zwar nicht so unterhaltsam komisch wie bei Wattenstadt, aber dafür kommt auch mal faustdicke Spannung auf und die erzählten Erfahrungen sind persönlicher. Und in vielen Details scheint die Leidenschaft des Autoren für die Seefahrt und Boote – Verzeihung: Schiffe! – so euphorisch durch, dass es eine Freude ist.

Ein feines Buch.

(https://sr-rolando.com/2020/01/14/schalttagskind-von-oliver-driesen/)

HERKUNFT
360 Seiten

So einen Buchpreis gibt’s wohl nicht ganz umsonst.

Inhaltlich muss man sich an dieser Stelle darauf einlassen, dass ein noch recht munterer und erfreulich lebendiger Autor seine Autobiographie abliefert. Damit kündigt er aber wohl eher nicht seinen Ruhestand an. Vollkommen transparent berichtet er nämlich unter anderem davon, dass er bei seiner regionalen Eingliederung sich ganz formal dazu verpflichten musste, seiner Autorentätigkeit möglichst lange und ausschweifend nachzukommen. Da er das wohl auch ganz gern macht und sich das Ergebnis sehen bzw. lesen lässt, ist das endlich mal ein Gewinn, zu dem sogar unsere liebe Einwanderungsbürokratie ihren kleinen Beitrag leistet. Wie schön.

Andere Teile der Geschichte sind naturgemäß erheblich weniger erfreulich. Da gibt es die Abschiebung seiner Eltern, da gibt es die voranschreitende Altersdemenz seiner Großmutter, da gibt es den Alltag im Einwanderergetto von Heidelberg mit der lokalen Araltankstelle als kulturellem Treffpunkt und da gibt es Geschichten anderer, nicht nur eingewanderter, Menschen, die am Leben, an der Gesellschaft und am Miteinander zu zerbrechen drohen.

All das, all diese Dramen, gibt es jedoch verpackt in einer lockeren Art des Erzählens, wie sie nur wenigen unter uns gelingt. Hier wird nicht billig angeprangert, hier wird nicht plumpe Larmoyanz bedient. Hier gibt’s stattdessen einen unterhaltsamen Blick auf’s Geschehen, die Gedanken dazu kann und darf man sich dann gern selbst machen.

Und dass der Autor Spaß am Spielen beim Erzählen hat, sieht man spätestens daran, dass das Buch nicht einfach schlicht endet, sondern mehrere mögliche Varianten des Fertiglesens liefert. Je nachdem, wie man sein Lesegerät bedient, steht dadurch mehrmals »Ende« dran, wo nur manchmal auch wirklich schon eines ist.

Macht Spaß. Danke dafür. So fängt das Jahr doch schon mal gut an.

Tante Julia und der Schreibkünstler
444 Seiten

Sprachlich ist die Geschichte famos erzählt und doch manchmal etwas langatmig. Sehr kleine Details werden sehr breit erzählt, zu breit manchmal, oft gelingt jedoch erst dank der epischen Ausführlichkeit der Schwenk zum Absurden, Komischen, Unterhaltsamen. Das spanische Original traut sich unsereins ja nicht zu. Die Übersetzung von Thomas Brovot macht jedoch Spaß.

Es ist ein Klassiker. Einer, der sich nicht immer ganz reibungslos anbiedert. Das ist auch ganz gut so. Und für die nächste Auflage spendiert bestimmt auch jemand ein neues Cover.

Löwenblut
464 Seiten

Die hier erzählte Geschichte wird der geschürten Erwartungshaltung vollkommen gerecht. Zumindest in Bezug auf spannende Wendungen und eine zügige Erzählweise.

Weniger geschmeidig mutet die Geschichte inhaltlich an. Das liegt recht sicher an ihrer Nähe zur geschichtlichen Realität. Die Autorin hat hier gründlich recherchiert, führt auch ergänzend zur Erzählung Beschreibungen der Personen sowie der zeitlichen Hintergründe auf. Das ist für einen Genretext möglicherweise gut und angemessen, heißt aber auch, dass einem beim Lesen u.a. ein Happy End vorenthalten bleibt. Wesentliche Hauptdarsteller werden beispielsweise im Verlauf der Erzählung ermordet. Gnadenlos.

Und doch ist das eine sehr solide erzählte Geschichte. Die Kapitel sind kurz, wechseln jeweils die handelnde Person und sind clever arrangiert. Die Spannungsbögen sind geschickt gesetzt, die Sprache ist angenehm und unaufdringlich.

(https://sr-rolando.com/2019/09/18/loewenblut-von-monika-pfundmeier/)

Lebenslauf
276 Seiten

Lutz zeigt, wie man sehr vieles sehr richtig machen kann, wie man mensch(lich) bleibt, während man täglich einen Halbmarathon absolviert und wie man seinen ganz persönlichen Wettkampf finden kann, ohne dass jemand Medaillen dafür verteilen muss.

Die Formfehler des Buches schwächen ein wenig den Genuss beim Lesen. Aber wenn man das erst mal akzeptiert hat, gibt es anregende Anekdoten. Vom Laufen, über das Leben. Und wer dafür nicht unbedingt ein Buch in der Hand braucht, liest stattdessen das Blog von Lutz. Da kommen die Texte schließlich her. Also warum nicht gleich an der Quelle lesen? Eben.

Tyll
480 Seiten

Inhaltlich gibt’s in etwa das, was der Titel verspricht: Die Lebensgeschichte von Tyll Uhlenspiegel, dem Gaukler. Und die hat es in sich.

Er fängt als Müllerssohn an. Aber der Papa ist nicht einfach nur ein schlichter Getreidesortierer, sondern ein Welthinterfrager, Denker, Grübler und genau dadurch auch Provokateur im kirchlich geprägten Umfeld des Respektierens der Obrigkeiten. Das geht natürlich schnell schief, der Papa wird an den Pranger gestellt, der Sohn darf fliehen. Die Bäckerstochter Nele kommt mit, auch sie entflieht der drohenden Langeweile des routiniert vorgeschriebenen Lebensalltags.

Beide ziehen sie durchs Land. In ihren Kunststücken sind sie gut, sehr gut, die besten. Auf ihren Wegen sehen sie alles, von allem auch das Elend. Es kommt aus der Gesellschaft, es kommt aus der Armut, es kommt aus dem Überlebenskampf aller, es kommt aus den Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs, der gerade tobt. Es ist somit eine phänomenale Kulisse, durch die sich Tyll und Nele mit phänomenaler Routine bewegen.

Und diese Geschichte ist ganz wundervoll erzählt. Es ist spannend, aus verschiedenen Sichtweisen auf das Geschehen zu gucken. Es ist anregend, verschiedene historische Schicksale aus dem Blick zweier Gaukler zu betrachten. Es ist beruhigend, dass sowohl die Kleinen als auch die Großen ihrer Zeit mit Sorgen, Nöten, stinkenden Gassen und kleinen Heldentaten kämpfen.

(https://sr-rolando.com/2019/08/08/tyll/)

Das Palais Reichenbach
300 Seiten

Darum geht’s: Die Zeit des Adels im Allgemeinen und des Hauses Reichenbach im Besonderen ist vorbei. Das Geld ist – unter anderem wegen des besagten Krieges – aufgebraucht. Die Immobilien schmelzen dahin. Ruhm und Ehre verschwinden langsam. Damit können nicht alle erhobenen Hauptes umgehen. Genau das zu beobachten ist jedoch durchaus reizvoll.

So überrascht es wohl kaum, dass die wirklich relevanten Rollen von Frauen besetzt werden. »Prinzessin Ina« klingt irgendwie harmlos, das ist sie aber nicht. Stattdessen sehen wir eine Dame, die weiß, was sie will, kann und wird. Eine Frau, die das Talent eines im Selbstmitleid gefangenen Autoren erkennt und fördert, eine Frau, die ihren Bruder aus brenzligen Szenen holt, in die er sich zielsicher manövriert, weil er zum einen schwul, zum anderen aber vor allem naiv und sturköpfig ist. Und eine Frau, die ihren anderen Bruder überlebt, weil dieser seinem eigenen Elend ein Ende setzt. Es ist ein Elend, in dem er sich mit den frühen Nationalsozialisten verbündet, deren Charakterschwächen ob aller schönen Worte zu spät erkennt. Und es ist ein Elend, bei dem er eben dadurch soweit in die Enge getrieben wird, dass er seinen besten Freund aus alten Jugendtagen verrät. Er zerbricht daran. Seine Schwester kämpft weiter.

Ebenso faszinierend ist es, dass die Jungen empor streben, die Alten hingegen eher am gewohnt ewig gestrigen festhalten. Die adlige Familie steckt in ihren finanziellen Schwierigkeiten. Was schlagen die Eltern wohl als Lösung vor? Genau: Dass die Jungen bitte passend heiraten mögen. Das hat ein paar Jahrhunderte ganz gut geklappt, das klappt auch weiterhin. Aber selbst dieser Vorschlag kommt von der Fürstin, während der Herr Fürst phlegmatisch in der Ecke sitzt und Whiskey in sich flößt.

Passenderweise ist die Jugend schlau genug, selbst mitzudenken. Man könnte schließlich auch eine Brauerei oder ähnliches Gewerbe gründen, damit schlicht das nötige Geld verdienen und letztlich beim Heiraten sogar nach persönlichen Sympathien statt Geldbeuteln entscheiden. Tja, die modernen Zeiten.

Und irgendwie so kommt es am Ende auch. An den Umständen gemessen, ist es sogar ein Happy End. Und es ist eines, bis zu dem man ruhigen Gewissens lesen kann. Dramaturgisch passt’s. Die Charaktere machen was mit und entwickeln sich dabei. Sprachlich ist’s gefällig. Hat sich die Überraschung ja gelohnt.

(https://sr-rolando.com/2019/06/23/das-palais-reichenbach-von-josephine-winter/)

Teufelsgold
511 Seiten

Andreas Eschbach erzählt auch hier spannend, ohne dabei mit blutrünstigen Leichen um sich zu werfen; er scheut sich nicht vor moralischen Fragen, ohne jedoch mit dem erhobenen Finger zu fuchteln; und er formuliert so geschickt, dass man ihm gern durch die Geschichte folgt.

Gerne wieder. Gerne mehr davon.

(https://sr-rolando.com/2019/06/04/teufelsgold-von-andreas-eschbach/)