Irgendwann kommt ein Zeitpunkt, an dem man feststellt, dass die noch vor einem liegende Lebensspanne deutlich kürzer ist als die bereits vergangene. Es ist der Moment, ab dem man beginnt, sich öfter auf das Vergangene zu besinnen und sich Fragen stellt wie: Bin ich zufrieden mit meinem Leben? War es erfüllt? Lebte ICH oder wurde ich gelebt? Was wurde aus meinen Träumen, Wünschen, Sehnsüchten?
Tony Webster, um die 60 und im Ruhestand, geschieden, im Großen und Ganzen mit sich im Reinen, ereilt dieser Moment, als er einen Brief eines Anwaltbüros erhält, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er von der Mutter einer früheren Freundin eine kleine Erbschaft zu erwarten hat: 500 Pfund und das Tagebuch seines bewunderten Jugendfreundes Adrian. Wie diese in den Besitz des Buches kam, ist Tony völlig unklar und er beginnt mit Nachforschungen, die ihn in seine eigene Vergangenheit zurückführen und mit manchem konfrontieren, das er in völlig anderer Erinnerung hat.
Je intensiver er sich damit befasst, umso mehr muss er erkennen, dass seine Wahrheit nicht unbedingt die einzige und wahre ist und in schonungsloser Offenheit macht er sich klar, wieviel Selbsttäuschung in seinem Leben herrscht. Immer wieder kommen Fragen auf, die man sich auch selbst stellen kann und deren Beantwortung die Lesezeit des doch recht dünnen Büchleins (174 Seiten) deutlich verlängern können.
Es ist eine leise, zurückhaltende Geschichte ohne großen Spannungsbogen und vergleichsweise handlungsarm. Dennoch hat sie einen (zumindest für mich) überraschenden Schluss und es fiel mir schwer, das Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen. Es regt zum Nachdenken über das eigene Leben an - und hoffentlich, bevor es zu spät ist.
Drei Menschen, drei Leben, drei Schicksale. Allen Dreien ist gemein, dass über ihr Leben nur recht dürftige Informationen vorliegen. Geblieben sind das Wissen um ihre Existenz und bei zweien ihre Werke. Doch was ihr Leben ausmachte, liegt im Dunklen. Es handelt sich um drei Personen, die heute weitestgehend vergessen sind: Felix Bloch, Physiker; Laura d’Oriano, Sängerin und Spionin; Emile Gilliéron sen. und jun., Maler und Zeichner. Eigentlich also vier Personen, doch die Gilliérons verschmelzen nicht nur aufgrund ihrer Namensgleichheit immer mehr zu einer Person während der Lektüre.
Hier nun beginnt das Reich des Schriftstellers. Capus hangelt sich an den wenigen bekannten Fakten entlang und füllt die Lücken mit seiner eigenen Phantasie. Da sie alle zur selben Zeit lebten, lässt er zudem stets die Möglichkeit im Raum stehen, dass sie sich irgendwann unter welchen Umständen auch immer einmal begegnet sind. Doch was verbindet diese Menschen ansonst? Zwei stammten aus der Schweiz, die dritte wurde durch Heirat Schweizer Staatsbürgerin. Und die Schweiz wurde ihnen allen zu eng. Zwar wussten sie alle nicht, was genau sie vom Leben wollten, dafür umso besser was es nicht sein sollte. Der Eine wollte blaue Jacken tragen, obwohl im Dorf nur schwarze geduldet wurden. Die Andere sollte ihre Unterwäsche nicht sichtbar für die Nachbarn aufhängen. Und der Letzte fühlte sich mit seiner Leidenschaft für Atomphysik alleingelassen. So verließen sie ihre Heimat und/oder Familien und lebten ihre Leben auf ihre eigene Art.
Dies mag sich nun nicht sonderlich spannend anhören, doch die Geschichten üben eine merkwürdigen Sog aus, der mich das Buch nur schwer aus der Hand legen ließ. Zum Einen liest es sich aufgrund der schönen Sprache Capus' wundervoll (einer meiner Lieblingssätze: 'Zwar fühlte er sich noch immer wie ein Eisbär, der auf einer kleinen Eisscholle der Kenntnis über einen Ozean des Unwissens trieb;'), zum Anderen bindet der Autor das damalige Zeitgeschehen wie selbstverständlich in die drei Biographien mit ein. So bleibt es nicht bei reiner Unterhaltung, sondern man erfährt auch viel Wissenswertes aus dieser Zeit.
Einfach schön!
Rolf Narva, ein finnischer Wissenschaftler der in Nazi-Deutschland studierte, promovierte und anschließend in den USA arbeitete, reist nach Berlin um eine alte Freundin aufzusuchen und verschwindet dort spurlos. Sein Sohn Erik, ebenfalls Wissenschaftler, macht sich auf die Suche und kommt einer Vergangenheit seiner Familie auf die Spur, die ihm bis dato völlig unbekannt war und deren Auswirkungen höchst aktuelle Konsequenzen hat.
Ilkka Remes versteht es wirklich, einen äußerst packenden Thriller zu schreiben. Tatsächliche vergangene Ereignisse werden geschickt mit heutigen gegenwärtigen Entwicklungen und Geschehnissen in Verbindung gebracht, was die ganze Geschichte umso wirklicher erscheinen lässt. Selbst wenn ab und an der Gedanke in einem auftaucht:' Jetzt nehmen die Verschwörungstheorien doch etwas überhand.', lässt einen kurz darauf der Bezug zu einer realen Begebenheit oder Person sofort weiter in die Erzählung eintauchen. Denn so ganz unwahrscheinlich ist es ja doch nicht...
Kleine Mäkeleien am Rande meinerseits gibt es aber dennoch ;-) Nach meinem Empfinden wurde zu Beginn eine Hauptfigur aufgebaut, die jedoch bereits nach knapp 2/5 des Buches das Zeitliche segnet, was mich doch recht verwirrte. Wie will der Autor denn jetzt noch über 300 Seiten füllen? Natürlich gelingt es ihm und zwar mit dem Schwenk zu einer neuen Person, die nun im Mittelpunkt der Geschichte steht. Meine zweite 'Mäkelei' betrifft das Ende, mit dem ich nicht so ganz glücklich bin. Wohl werden sämtliche mysteriösen Vorkommnisse aufgeklärt, doch die Art der Darstellung wirkte auf mich etwas konstruiert, als ob der Autor auf jeden Fall jetzt alles noch unterbringen müsste (Naja klar, wann denn auch sonst :-) ?). Da die ganze Geschichte ansonsten ausgesprochen schlüssig daherkommt, fällt eine entsprechende Abweichung natürlich umso mehr auf. Vielleicht wären weniger Handlungsfäden in diesem Falle etwas mehr gewesen?
Trotzdem: Alles in allem ein überaus fesselnder Thriller in einem historischen und aktuellen Kontext, der einem zudem auch noch einiges Neues verrät (zumindest mir).
Wer sich bei diesem Buch einen spannenden Roman um eine wohlhabende Familie mit Intrigen und/oder womöglich sogar Verbrechen verspricht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich enttäuscht werden. Edith Wharton beschreibt einen relativ kurzen Zeitraum (1/2 Jahr?) im Leben einer der vermögensten Familien New Yorks, wobei die Handlung jedoch eher beiläufig bleibt. Etwaige Aufreger wie Betrug, obskure Sexveranstaltungen (?) und Affären bleiben eher Nebenschauplätze als dass sie tatsächlich in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Stattdessen sind es die mehr oder weniger alltäglichen Tages-, Handlungs- und Gedankenabläufe, die mit spitzer Feder ziemlich detailliert beschrieben werden sowie die Art und Weise, wie sich die Familie mit den verschiedenen Affären arrangiert: ignorieren oder mit Geld verhindern. Zwar ist klar, dass dies alles doch recht grell gezeichnet wird (Pauline ist beispielsweise gleichzeitig intensiv engagiert in den Kommitees für Geburtenkontrolle wie für uneingeschränkte Mutterschaft, ohne hierin einen Widerspruch zu sehen), doch irgendwie scheint die Realität nicht allzu weit entfernt... Nichtsdestotrotz kurz zum Inhalt: Pauline Manford, das (weibliche) Oberhaupt einer reichen Familie New Yorks der Zwanziger, hat einen Terminplan wie eine Vorstandsvorsitzende eines weltumspannenden Unternehmens. Doch statt Vorstandssitzungen, Geschäftsessen und/oder Aktionärstreffen wechseln sich bei Pauline sportliche Ertüchtigungen, Schönheitspflege sowie kulturelle und gesellschaftliche Verabredungen zur Errettung der Welt ab - meist im 15-Minuten-Takt. Dennoch ist sie für ihre beiden Kinder Jim und Nona die geliebte und auch bewunderte Mutter, auch wenn diese überhaupt nicht nach ihr kommen. Jim aus erster Ehe genoß das Leben wie es kam bis er Lita heiratete, eine exzentrische Künstlerin (?), der er völlig verfiel, sodass er sogar einen Bürojob annahm, um dem Bild eines anständigen Ehemannes zu genügen (was jedoch eher im Sinne Paulines als Litas war). Nona indes ist mit ihren 19 Jahren auf der Suche nach dem Sinn: Wozu das ständige Herumjagen von einem Termin zum nächsten? Treffen mit Menschen die man nicht mag, nur weil sie einem einen Kardinal als Gast bescheren können? Macht all das glücklich? Offenbar nur ihre Mutter. Jims Ehefrau ist schon nach kurzer Zeit von allem und allen zu Tode gelangweilt und will die Scheidung; Paulines Ehemann steckt in einem Gefühlschaos, an dem Lita nicht ganz unschuldig ist; Paulines momentaner Guru droht offenbar ein Prozess, in dem ihr Ehemann ermittelt undundund. Die Gesellschaft die Edith Wharton 1927 so detailliert beschrieben hat, stammt aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch es sind exakt die gleichen Phänomene, incl. des Verhaltens der Presse, die sich eins zu eins in unseren heutigen Zeiten wiederfinden. Krankheit und Tod werden verdrängt, was zählt ist das eigene Wohlbefinden und gute Aussehen: Wer krank ist oder sogar stirbt, ist selber schuld ;-) Esoterik, Okkultismus und oberflächliche Themen die die Schlagzeilen beherrschen; volle Terminkalender um der eigenen Sinnlosigkeit nicht zu begegnen - das bestimmte damals wie auch heute weite Teile der 'besseren' Gesellschaftsschichten. Obwohl Wharton dieses Buch bereits vor fast 90 Jahren schrieb, wirkt die Sprache noch immer frisch. Spöttisch und etwas affektiert - so, wie es diesem ganzen Roman entspricht. Mich hat dieses Buch fast durchweg amüsiert, wobei es durchaus seine Längen hat. Zum 10. Mal über die Lichtgestalt Lita zu lesen, die einer Vase, Lampe, Glas oder was auch immer ähnelt und von innen leuchtet, ist dann doch genug. Dennoch: Es hat sich gelohnt.
'Schneemann', der siebte Fall mit Harry Hole, ist spannend bis zum Schluss wie auch schon die anderen Bände dieser Reihe. Mit seiner neuen Kollegin Kathrine Bratt ist Harry Hole auf der Suche nach einem Serienmörder, der seit Jahren unerkannt Mütter verschwinden lässt und am Ort seiner Tat immer einen Schneemann hinterlässt. Einen Verdächtigen gibt es schnell - zu schnell, wie man anhand der Dicke des Buches sofort erkennen kann. Und so darf man auf's Neue wieder Nesbøs Fähigkeiten bestaunen, eine unerwartete Wendung nach der nächsten zu präsentieren bis zum grandiosen Finale kurz vor dem Ende, das sich ebenso logisch klar präsentiert wie bei seinen anderen Harry-Hole-Romanen. Harry hält sich trotz aller Rückschläge dieses Mal erstaunlich gut, denn der Griff zum Alkohol kommt vergleichsweise selten vor. So schöpft man Hoffnung für ihn...
Endlich habe ich nun alle Bände dieser Serie gelesen (wenn auch nicht in der richtigen Reihenfolge) und freue mich bereits auf den im November erscheinenden neuen Harry Hole. Und irgendwann, wenn ich mal richtig viiiel Zeit habe, lese ich alles noch einmal. Denn auch bei dieser Lektüre passierte es mir wie schon früher: Vieles im Buch Geschriebene versteht man erst im Zusammenhang mit der Lösung. So wird das 'Zweit-Lesen' zu einem Aha-Erlebnis :-)
Statt wie es der Tradition entspricht, sein Erbe dem achten Sohn eines achten Sohnes zu vermachen, fällt die Wahl des Zauberers Drum Billett auf die erste Tochter des Schmiedes nach sieben Söhnen. Kein leichtes Los für die kleine Eskaterina, denn Zauberinnen gibt es nicht und hat es auch noch nie gegeben. Doch mit Hilfe der Hexe Oma Wetterwachs, die, wenn auch nur widerstrebend, das Zauberinnenschicksal Esakterinas akzeptiert hat, machen sie sich auf den Weg in die Unsichtbare Universität, wo aber der Tradition gemäß nur Zauberer ausgebildet werden.
Im Gegensatz zu anderen Romanen von Pratchett läuft diese Geschichte hier eher ruhig ab. Nur wenige außergewöhnliche Figuren (die sonst immer die Scheibenwelt bevölkern) tauchen auf und die geschilderten Abenteuer bleiben bis auf das Ende eher verhalten. Auch der Wortwitz ist nicht in der Menge wie in anderen Scheibenwelt-Büchern vorhanden, aber trotzdem liest sich das Ganze ausgesprochen amüsant, unter anderem auch da die Parallelen zur 'echten' Welt unübersehbar sind. Eskaterinas und Oma Wetterwachs' Eindringen in diese jahrhundetealte Männerdomäne kommt einem ebenso wie die dazugehörigen Argumente sehr bekannt vor: Tradition steht über allem, es gibt keinen Präzedenzfall, es war schon immer so, so etwas ist noch nie geschehen.
Richtig schöne Unterhaltung!
Bei diesem Buch kann man mal wieder sehen, was Titel und Umschlag so anrichten können ;-) Was aussieht wie ein typischer Chicklit-Roman ist tatsächlich eine amüsante Familiengeschichte, die ihren Unterhaltungswert aus der Gegenüberstellung der französischen und der amerikanischen Lebensart bezieht.
Die junge aus Kalifornien kommende Isabel reist nach Paris, um dort ihrer Stiefschwester Roxy zur Seite zu stehen, die ihr zweites Kind erwartet. Doch statt eines erholsamen Frankreichurlaubes mit ein bisschen Babysitting gerät sie mitten hinein in die etwas chaotischen Familienbeziehungen ihrer Stiefschwester. Deren französischer Ehemann hat sie unmittelbar vor Isabels Ankunft verlassen, da er die Liebe seines Lebens gefunden hat, was seine Familie jedoch nicht daran hindert, die gemeinsamen Gepflogenheiten aufrechtzuhalten und das Vorgefallene diskret zu ignorieren. Isabel, neugierig und offen, registriert voller Interesse die unterschiedlichen Verhaltens- und Lebensweisen und lässt uns Lesende bis in ihr eigenes Liebesleben hinein (natürlich mit einem Franzosen!) daran teilhaben. Es geht um Gütertrennung, Geld, Essen (naturellement ;-)), Kunst, die Liebe und auch um den schlichten Alltag. Ein rundum schönes, unterhaltsames Buch, dass einem nicht nur die Franzosen sondern auch die Amerikaner näher bringt. Und manchmal, manchmal sind sie auch gar nichts so weit voneinander entfernt.
Übrigens, das Ganze wurde 2003 unter dem Titel 'Eine Affäre in Paris' mit Kate Hudson und Naomi Watts in den Hauptrollen verfilmt. Wobei der Schluss im Film offenbar wesentlich theatralischer ist als im Buch.
Auch der zweite Band um Mr. Malik, seine Freunde und den vielgerühmten Asadi Club ist wieder einfach ein einziges Vergnügen. Keine Bange: Selbst wenn man den ersten Teil noch nicht gelesen hat, wird man sich ohne Weiteres schnell zurechtfinden. Wichtige Ereignisse werden nochmal kurz angerissen und erklärt und ich wette: Wenn man die 'Kleine Tierkunde Ostafrikas' gelesen haben, will man auch die Kleine Vogelkunde Ostafrikas lesen :-)
Im Mittelpunkt stehen vorerst freudige Ereignisse: die jährliche Safari des Clubs, die Mr. Malik wie gewohnt bis ins Detail vorbereitet incl. einer Überraschung sowie die Hochzeit Petulas, Mr. Maliks geliebter Tochter. Doch leider läuft nicht alles so reibungslos wie gewünscht, denn plötzlich bringen unerwartete Geschehnisse alles ins Wanken. Petulas Heirat scheint gefährdet, dem Club kommt das unersetzliche Maskottchen abhanden und nicht zuletzt droht ihm die Schließung.
Neben all diesen Wirrnissen werden außerdem ein lange zurückliegender Mord gelöst, die Korruptionsprobleme in Kenia angesprochen und das Rätsel um das gefährlichste Tier Ostafrikas geklärt, ganz zu schweigen von den zahlreichen Beschreibungen der Fauna Kenias. Und auch die von Mr. Malik hochverehrte Rose Mbikwa ist erneut dabei, wenn auch dieses Mal eher am Rande.
Nicholas Draysons Schreibstil harmoniert in wunderbarer Weise mit der Persönlichkeit seiner Hauptfigur Mr. Malik. Etwas zurückhaltend, immer überlegt und voller Interesse und Mitgefühl für seine Mitmenschen. Und nicht zuletzt ein feiner Humor, häufig gewürzt mit einer Prise Ironie.
Und warum trotzdem 'nur' vier Sterne? Eigentlich sind es viereinhalb, aber für die volle Zahl war es mir (trotz meiner romantischen Ader :-)) doch etwas viel Happy End am Schluss.
Was für ein Buch! In den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts (das Buch wurde 1922 veröffentlicht) flüchtet ein junger Mann aus Liebeskummer nach Paris. Dort wird er mehr oder weniger zufällig Journalist und verfällt dem Kokain ebenso wie zwei Frauen, zwischen denen er hin- und hergerissen ist: Seine alte Liebe von einst, früher Maddalena, jetzt Maud, 'hatte die ganze Skala einfacher Liebe durchschritten, um sich auf die Suche nach dem Laster zu machen.' Und Kalantan, die bildschöne Armenierin, 'die durch die kompliziertesten Formen des Lasters gegangen, um die Einfachheit von Umarmungen ohne Raffinement zu suchen.'
Doch es würde diesem Buch nicht gerecht, reduzierte man es allein auf diese Liebesgeschichte. Pitigrilli hält der damaligen Gesellschaft einen Spiegel vor und stellt ihre ganze Oberflächlichkeit und Verlogenheit bloß. Das Ganze wird dazu mit Witz und Intelligenz erzählt - es ist eine wahre Freude dies zu lesen. Ein paar Beispiele hierzu:
'Man muss heiraten, um die Art der Langeweile zu verändern.'
Eine Krankenschwester tröstet einen todkranken Patienten: 'Bedenke doch,...dass dein eines Bein schon im Paradies ist, und dass du nun bald wieder mit ihm vereinigt sein wirst.'
'...erste Anzeichen nahenden Alters. Es ist das Alter, in dem die Männer anfangen, sich braun zu kleiden.'
'Das Mönchlein erklärte ihm, dass man Christus lieben müsse, weil er sich für die Menschheit geopfert habe. Und Tito erwiderte ihm, dass dann die Maulwürfe und Kaninchen, die in den physiologischen Laboratorien geopfert würden, um neue Heilmittel zum Wohle der Menschheit auszuprobieren, ebensogut Jesus Christus seien.'
Und so weiter...
Dazu kommt noch eine ganz eigene Art der Erzählung der Genesis, ein wunderbares Plädoyer für Mütter von unehelichen Kindern, eine ausführliche Diskussion weshalb Prostituierte bessere Ehefrauen sind als Witwen, Überlegungen wie man Gefühle (insbesondere Eifersucht) durch Krankheiten heilen kann, viele Gedanken zum Thema Frauen und Männer und vieles mehr. Und auch wenn ich mich wiederhole: Dieses Buch erschien 1922!
Der einzige Wermutstropfen: In diesem Buch wimmelt es von altmodischen, französischen und spanischen Ausdrücken, die zum Teil auch weder per Lexikon noch Internet zu klären waren. Ein Anhang wäre hier sehr hilfreich gewesen.
Es ist soweit: Ludwig kommt in die Schule und findet es einfach toll. Die vielen Freunde, die ihn sogar besuchen wenn er krank ist; die 'wissenschaftlerischen' Experimente, die tolle Lesenacht, der Ausflug in den Wald undundund. Und manchmal kann er sogar seinen geliebten Frosch Luis mitbringen.
Die einzelnen Geschichten wechseln vom eher Abenteuerlichen (Ausflug in den Wald incl. Verirren) über Lehrreiches (dass man Brote auch tauschen kann statt sie wegzuwerfen) bis zu Unterhaltsamen (Verkleiden gibt's auch in der Schule). Für Kinder von fünf bis sieben Jahren sind sie vermutlich schön zum Zuhören bzw. zum Selberlesen, wobei sich LeseanfängerInnen wohl noch schwer tun dürften. Obwohl sich die Autorin um einen kindgemäßen Ton bemüht (spezielle Worte werden so geschrieben wie man sie spricht), wirkt gelegentlich der Erzählstil doch recht erwachsen. Insgesamt sind die Sätze jedoch ziemlich kurz und gut verständlich.
Die begleitenden Illustrationen sind zwar nicht besonders einprägsam, aber farbenfroh und wirken fröhlich, ganz so wie es der Hauptperson Ludwig entspricht. Kurzum ein unterhaltsames Buch für die oben genannte Altersgruppe.
22 Märchen werden auf diesen drei CDs vorgelesen, jedes von jemand Anderem. Fernseh- und TheaterschauspielerInnen wechseln sich mit eher unbekannten SprecherInnen (zumindest für mich) ab und durch die Verschiedenheit der ErzählerInnen erhält jede Geschichte einen ganz eigenen Charakter.
So unterschiedlich wie die Vortragenden sind auch die Märchen selbst. Manche spielen in kleinen afrikanischen Dörfern, eines auf hoher See und wieder andere im Orient - denn auch der gehört zu Afrika. Es geht um Rätsel die gelöst werden müssen um eine Belohnung zu bekommen oder schlicht sein Leben zu retten, wieso manche Dinge so sind wie sie sind, um die Weitergabe einer bestimmten Moral und vieles mehr.
Überraschend fand ich die Ähnlichkeiten zu europäischen Märchen. Auch in Afrika sind die Zahlen drei und sieben mit einer besonderen Magie behaftet ('Die Schlange mit den sieben Köpfen', 'Der schlaue Schlangenbeschwörer'). Schöne junge Mädchen werden von tapferen Häuptlingssöhnen oder mächtigen Sultanen erlöst und geheiratet oder andersherum ('Die Wolfskönigin', 'Der Hüter des Teichs'). Und der Schlusssatz 'Die Moral von der Geschicht' kommt hier zwar so nicht vor, doch transportieren die entsprechenden Erzählungen ('Mmadipetsane', 'Der Mantis und der Mond') die gewünschten Wertvorstellungen ebenso gut wie die europäischen. Insbesondere bei 'Die Tochter des Sultans' glaube ich, dass es dieses Märchen genau in dieser Form auch bei uns gibt.
Alles in allem eine richtig schöne Auswahl von Geschichten, vorgetragen von überwiegend wirklich guten SprecherInnnen.
John le Carré, ein Name der für spannende Agenten- und Spionagethriller steht - mit dieser Erwartungshaltung machte ich mich an sein neuestes Werk. Ich las und las, amüsierte mich prächtig und ertappte mich dennoch dabei, immer oberflächlicher über den Text hinwegzugehen, bis ich bei Seite 202 (ca. der Hälfte) das Buch resigniert zuschlug. Denn von Spannung - keine Spur. Welch eine Enttäuschung!
Doch ich hatte mich selbst in die Irre geführt, denn bei genauem Hinschauen ist (außer bei der Einordung bei diversen Buchläden) nirgendwo die Rede von Krimi oder Thriller. 'Verräter wie wir' ist eine Lektüre, die zwar im Agentenmilieu spielt und gegen Ende einen eindrucksvollen Spannungsbogen aufweist, aber dennoch nicht mehr oder weniger als ein Roman. Also schickte ich meine Erwartungen in die Wüste und begann nochmal von vorn. Und siehe da....
Perry und Gail, ein wohl recht typisch britisches, linksliberales Pärchen mit einer eher skeptischen Haltung gegenüber den staatlichen Institutionen, lernen in einem Urlaub einen russischen Oligarchen kennen, der sie unversehens zu seinen Vertrauten kürt. Plötzlich finden die Beiden sich wieder in der Rolle als Mittler zwischen dem britischen Geheimdienst und einem potentiellen russischen Überläufer.
LeCarré verwendet viele Seiten auf die genaue Darstellung der einzelnen Personen, inbesondere auf die seiner beiden Protagonisten Gail und Perry. Es gelingt ihm bravourös, nicht nur sehr detailliert sondern auch voller Witz die Eigenheiten und Widersprüchlichkeiten der Handelnden darzustellen. Wie Perry beispielsweise, der ewige Kritiker und Verächter der britischen Politik, der sich plötzlich als inoffizieller Geheimdienstmitarbeiter wiederfindet - und es wider Erwarten geniesst. Oder Dima, der russische Oligarch, der England liebt und bewundert und alle britischen Literaturklassiker besitzt, ohne vermutlich einen einzigen davon gelesen zu haben. Dies alles ist zudem in einer wunderbaren Sprache verfasst, über die man sich auf jeder Seite auf's Neue freut.
Weshalb dann trotzdem nicht die volle Punktzahl? Weil bis zur ca. der Hälfte des Buches die Menge der Perspektivenwechsel etwas überhand nimmt. In einem Gespräch mit dem Geheimdienst, das bis dorthin die Rahmenhandlung darstellt, berichten Gail und Perry über ihre Begegnung mit Dima. Hierbei werden Rück- und Einblicke auf und in die Lebensläufe der Beteiligten eingeschoben, wobei der Großteil dieser einzelnen Abschnitte meist nicht mehr als 4-6 Seiten umfasst, sodass zumindest der Beginn etwas unübersichtlich wirkt .
Aber abgesehen von dieser kleinen Mäkelei: grandiose Unterhaltung mit (wahrscheinlich) durchaus realistischen Einblicken in das schmutzige Geldwäschergeschäft.
"Ich habe ihm in die Augen geschossen." Welch ein Beginn für eine Liebesgeschichte, die sich mehr und mehr als Illusion einer solchen darstellt.
Als junge Lehrerin in einer italienischen Kleinstadt lernt die Protagonistin den deutlich älteren Alberto kennen, der sich um sie zu bemühen scheint. Obwohl sie nicht in ihn verliebt ist, verbringt sie gerne ihre Zeit mit ihm. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie sich anerkannt, seine Aufmerksamkeiten und sein Interesse für sie, ihr Leben, ihre Gedanken tun ihr gut. So gut, dass sie ihn schmerzlich vermisst als er sich längere Zeit nicht bei ihr meldet. Und sie erkennt, dass sie sich in verliebt hat. Davon überzeugt, dass auch er in sie verliebt ist, gesteht sie ihm ihre Gefühle. Doch zu ihrer Überraschung empfindet er nicht ebenso, sein Herz gehört seit langem einer Anderen, die verheiratet ist. Dennoch heiraten sie: er aus dem Gefühl heraus dazu verpflichtet zu sein, weil er ihr falsche Hoffnungen machte; sie mit der Zuversicht, dass er sie noch lieben lerne, wenn sie mehr Zeit miteinander verbringen. Doch nach kurzer Zeit setzt Alberto sein Verhältnis zu der Anderen fort und seine Ehefrau begreift, dass er sich wohl nie endgültig für sie entscheiden wird. Auch das gemeinsame Kind ändert nichts an seinem Verhalten.
Bemerkenswert ist die Sprache der Autorin, in der sie die Ehefrau erzählen lässt wie es zu diesem Mord kam. Schlichte, einfache kurze Sätze mit immer wiederkehrenden Wiederholungen. Was in einem handlungsreichen Roman äußerst störend wirken würde, unterstreicht hier die Trostlosigkeit und Verzweiflung in der sich die Täterin befindet. Eva Mattes liest diese Worte in einer ebensolchen Form, so dass man ohne Weiteres glauben kann, der wahrhaftigen Gattenmörderin zuzuhören. Keine unterhaltende amüsante Hörbuch'lektüre', aber ein eindringliches und beeindruckendes Stück Literatur.
Selten habe ich den Umschlag eines Buches als so passend empfunden wie bei diesem. Bürgerliche Fassade, doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich kräftige Risse.
Stuttgart, eine gut-bürgerliche Wohngegend. Hier wohnen die Gutverdiener, Familien bei denen die Welt noch in Ordnung zu sein scheint. Judith, verheiratet mit Klaus, Universitätsprof, zwei Söhne, Nur-Hausfrau. Ihre Ängste versucht sie mit Tabletten sowie mithilfe der Anthroposophie in Griff zu bekommen - jedoch nur äußerlich erfolgreich. Leonie, berufstätig, verheiratet mit einem erfolgreichen Mann der mehr für seinen Beruf lebt und zwei kleinen Töchtern ist zerrissen zwischen der Liebe zu ihrem Job und dem Wunsch, mehr für ihre Familie dazusein. Insgeheim beneidet sie Judith um deren scheinbares Idyll. Daneben gibt es Marco, einen 13jährigen Jungen der typisch für die Unterschicht zu sein scheint. Große Klappe, Fehlzeiten in der Schule - doch in Wirklichkeit... Und es gibt Luise, seit über 60 Jahren mit demselben Mann verheiratet. Und noch immer voller Liebe füreinander.
Die Autorin lässt abwechselnd immer eine andere ihrer Hauptpersonen zu Wort kommen. Durch den Wechsel der Zeiten mischt sie geschickt Gegenwart und Vergangenheit, so dass momentane Gedanken und Überlegungen direkt durch entsprechende Rückblicke begründet werden. Die beschriebenen Personen kommen einem auf diese Weise unerhört nahe.
Für Stuttgart-KennerInnen ist das Buch noch zusätzlich ein Genuss: Es gibt eine Vielzahl von Wiedererkennungseffekten. Nicht-KennerInnen haben hingegen vielleicht gelegentlich ein Verständnisproblem. Beispielsweise wenn von einem Elefanten in der Wilhelma die Rede ist, ist der Stuttgarter Zoo gemeint. Aber das sollte der Lektüre keinen Abbruch tun, das Buch ist auf jeden Fall lesenswert.
Keine Frage, dies ist kein Unterhaltungsbuch im leichteren Sinn. Es ist der Morgen des 19. November 1975. Don José Ricart, ein erfolgreicher Möbelfabrikant, wird 75 Jahre alt. Und am Abend desselben Tages wird Franco tot sein. Doch bis dahin wird man von den Geschichten der Freunde, Verwandten, Bekannten und Angestellten der Familie Ricart gelesen und damit auch viel über das Spanien der damaligen Zeit erfahren haben. Das Spanien, das Franco bis zu seinem Tode diktatorisch regierte, dem es wirtschaftlich zunehmend besser ging, in dem jedoch Oppositionelle brutal unterdrückt und auch hingerichtet wurden.
Jeder Person ist ein Kapitel gewidmet, in dem aus deren Blickwinkel die aktuelle Situation und eine Rückschau auf die davorliegende Zeit beschrieben wird. Man begleitet den erfolgreichen, energischen Don José Ricart bis zu seinem Festtag, der trotz seines Erfolges nicht richtig glücklich ist; seinen Freund, den Geheimdienstler Arroyo, der seine Schwachstelle hinter harter Brutalität versteckt; Don Josés Enkel Quini, ein Student voll revolutionärer Gedanken und Tatkraft; Lurdita, das Hausmädchen der Ricarts, die den Revolutionär Lucio liebt. Undundund - man erhält so ein breites und sicherlich auch glaubwürdiges Panorama des damaligen Spaniens.
Doch ich fand es mühsam zu lesen. Die Seiten haben kaum Absätze, es sind häufig sehr lange Sätze und immer wieder vorkommende Aufzählungen ('Es ging ihm gegen den Strich, den Anzug, die Möbel, das Geschirr auszuwechseln...' oder '...ein abgestochenes Schwein, das Leber, Lunge, Magen zeigt...') verstärken den Eindruck, es handle sich um einen einzigen, ununterbrochenen Gedankenfluss. Man muss voller Konzentration dabeibleiben, was mir zugegebenermaßen gegen Ende immer schwerer fiel.
So fällt mein Urteil zwiespältig aus: inhaltlich informativ und interessant, aber 'lesetechnisch' betrachtet, anstrengend.