Guntram Lohser, Mitte 30, seit zehn Jahren als Photograph tätig, ist von der Nutzlosigkeit seiner Arbeit frustriert. Um nicht in den Berliner Winter zurückkehren zu müssen, hängt er nach einem dreimonatigen Arbeitsaufenthalt in Mexiko, an dessem Ende ihm seine Ausrüstung gestohlen wurde, noch ein paar Wochen Urlaub in Ecuador dran. Er lässt sich von momentanen Eingebungen und Launen treiben und landet kurz vor der Regenzeit in Muisne, einem Kaff am Meer. Dort trifft er auf merkwürdige Gestalten: einen Alten, der nur noch mit und für seine Ziegen lebt und auch so riecht; eine mysteriöse Französin, die auf der Suche nach etwas zu sein scheint; einen eifersüchtigen Sohn; lüsternen einheimischen Frauen; undundund.
Was wie die Sinnsuche eines übersättigten Mitteleuropäers beginnt und dann in eine Art Abenteuerroman abzugleiten scheint, ist jedoch weder das Eine noch das Andere. Auch Krimielemente tauchen auf, doch alles wird in einem derart reservierten Ton erzählt ohne jedwede Dramatik oder Spannung - man versinkt geradezu in der Trägheit und der Apathie dieses Ortes in der schwül-warmen Regenzeit, die Rothmann durch anschauliche Bilder darzustellen weiss. Und zum Schluss bleibt nur zu schreiben: Eigentlich ist alles egal.
Nach einem Angriff einer amerikanischen Drohne auf eine Pilgerstätte im Irak, die Tausende von Menschenleben forderte, häufen sich scheinbare Terroranschläge in den USA. Die Rufe nach einer Aufrüstung des Militärs durch autonome Drohnen werden lauter und eine unbekannte Gruppe versucht unter allen Umständen und offenbar mit jeder erdenklichen Methode, eine Mittelbewilligung des amerikanischen Kongresses über mehrere Milliarden Dollar zu ihren Gunsten durchzudrücken. Doch während in der Öffentlichkeit noch über das Ob und ggf. Wie gestritten wird, ist die tatsächliche Entwicklung schon wesentlich weiter: Auf der Grundlage eines Algorithmus über Schwarmintelligenz der Weberameisen, die aggressivsten ihrer Art, wurde bereits eine ganze Armee von autonomen Drohnen erstellt - mit dem Ziel, Menschen zu vernichten. Und es funktioniert...
(IT)-Technische Fachausdrücke noch und nöcher - nach den ersten beiden Büchern DAEMON: Die Welt ist nur ein Spiel und DARKNET ist bei diesem Autor etwas anderes ja auch nicht zu erwarten gewesen. Doch hier wird das Umherwerfen solcher Spezial- und Sondertermini noch einmal in neue Dimensionen geführt (Ein Beispiel einer nicht ungewöhnlichen Seite: kinetischer Krieg, BIGOT-Liste, kompartmentalisiertes Geheimprojekt, CONUS-Angriffe). Aber selbst wenn man nur teilweise versteht worum es sich dabei handelt, tut es der Spannung keinen Abbruch. Denn obwohl sich die Geschichte um ein Thema dreht, mit dem Herr und Frau MüllerMeierSchulze normalerweise nichts zu tun haben, hat man doch ständig das Gefühl: Sooo unwahrscheinlich ist das doch alles nicht. Man steckt mitten drin in Verschwörungen bis in allerhöchste Ränge, wird mit den neuesten Abhörtechniken und Manipulationsmöglichkeiten von Social-Media konfrontiert, sodass wohl niemand ganz von Ansätzen von Paranoia verschont bleiben wird ;-)
Doch etwas Kritik bleibt: Manche Erklärungsversuche diverser Fachdetails kommen schlicht unglaubwürdig daher und die Liebesgeschichte ist wohl eher einer kommenden Verfilmung geschuldet ebenso wie das für mich etwas übertriebene Finale (das im Kino wahrscheinlich recht imposant daher kommt). Glücklicherweise gehen an diese Punkte nicht allzu viele Seiten verloren, so dass es alles in allem ein wirklich spannender Thriller ist.
Mit 21 Jahren die Diagnose zu hören bekommen: Krebs, selten, aggressiv, metastasierend - sicherlich eine Horrorvorstellung für jeden. Sophie trifft dieses Schicksal, doch statt zu verzweifeln oder zu resignieren, nimmt sie auf ihre Art den Kampf gegen die Krankheit auf. Sie bewahrt sich ihre Fröhlichkeit und Lebensfreude, und den Verlust ihrer Haare nimmt sie als Gelegenheit, durch unterschiedlichste Perücken Facetten ihrer Persönlichkeit und ihrer Stimmungen auszuleben. Offen bis weit über die Schmerzgrenze hinaus berichtet sie von ihren Ängsten, Zweifeln und Befürchtungen, aber ebenso auch von der Bereicherung die die Krankheit für ihr Leben mit sich bringt.
Ein ungemein ehrliches, erschreckendes aber auch ausgesprochen Mut machendes Buch - nicht nur für an Krebs Erkrankte. Auch wenn es keine Lösung im Sinne von Heilung gibt (was auf Sophie nicht zutrifft), zeigt es, dass man das Leben dennoch genießen kann. Im Hier und Jetzt!
Erez Israel, 1947: Profus, 12 Jahre alt, hat mit zwei Freunden eine Untergrundorganisation gegründet, deren Ziel es ist, die Briten aus Israel zu vertreiben. Doch zufällig lernt er einen britischen Soldaten kennen den er immer wieder trifft, um sich gegenseitig hebräisch und englisch beizubringen. Profus' Sympathien für den Briten verwirren ihn: Es ist der Feind, ihn kann man nicht mögen, nein, man darf es nicht. Und so macht er sich vor, ihn nur zu treffen um ihn auszuhorchen.
Auch wenn durch das Alter des Protagonisten suggeriert wird, es handle sich um ein Kinderbuch, ist es wohl eher für Jugendliche und Erwachsene, denn erzählt wird es von Profus' Jahrzehnte später, der sein außergewöhnliches Interesse an Sprache, Worten und Wissen zum Beruf gemacht hat, was sich in der Schreibweise des Buches niederschlägt (beispielsweise wie er als 12jähriger überlegt, wie erschlagen, verschlagen, beschlagen und übereinanderschlagen zusammenhängen. Oder die 13seitige Beschreibung der Bibliothek seines Vaters, die wie eine Armee dargestellt wird - genial!). Trotz seiner durchaus altersgerechten Träume, Fragen und Interessen (die Untergrundorganisation baut ein U-Boot, das im Lavastrom nach London fahren und dort eine Bombe hochjagen soll ;-)), die mich stets auf's Neue schmunzeln ließen, stellt er sich immer wieder Fragen wie: Wann ist man ein Verräter? Wieso kann der britische Soldat nicht einfach bei uns am Tisch sitzen? Ganz beiläufig taucht auch das Grauen des III. Reiches auf: Wenn erwähnt wird, dass die Familien von Vater und Mutter von Hitler umgebracht wurden. Oder die Schicksale der Nachbarn, die eher am Rande erzählt werden, aber nichtsdestotrotz das Monströse dieser Zeit zeigen. So wechselt man von einer Stimmungslage in die nächste: Man hält bestürzt den Atem an, um dann eine Seite weiter über die Gedanken Profus' zu schmunzeln und im nächsten Kapitel herrliche Beschreibungen wie die über die Bibliothek zu lesen.
Unglaublich gut geschrieben und trotz des zeitweise sehr ernsten Themas einfach schön zu lesen - das war nicht mein letztes Buch von Amos Oz!
Empört Euch! ist ein 15seitiger Aufruf gegen die Gleichgültigkeit, die in weiten Teilen unserer Gesellschaft grassiert. Der Autor, der sich zeit seines 93jährigen Lebens empört hat und auch Widerstand leistete, vermisst dies heute und fordert mit seiner kurzen Streitschrift seine MitbürgerInnen auf, sich auch heute zu entrüsten und einzusetzen ("Wenn man sich über etwas empört,..., wird man aktiv, stark und engagiert."). Er räumt ein, dass es in den jetzigen Zeiten schwieriger ist klar Stellung zu beziehen als im III. Reich, wo der Gegner offensichtlich war. Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind komplexer, nicht jede scheinbar eindeutige Situation stellt sich als derart unstrittig heraus wie man es sich wünsche würde. Dennoch gibt es noch immer genügend Gelegenheiten die die Möglichkeit der Empörung bieten, wie Stéphane Hessel aufführt.
Ich habe mir wohl etwas zuviel von der Lektüre versprochen, denn Empörung allein bringt einen nicht automatisch weiter. Vielmehr erhoffte ich mir Impulse, wie ich und andere diese Empörung konstruktiv einsetzen könnten, sodass nicht nach der ersten Welle der Entrüstung gleich alles wieder verebbt. Wie könnte man die Aufregung nachhaltig kanalisieren? In Bahnen leiten um tatsächliche Veränderungen zu erreichen, ohne dass man gleich seinen Beruf und sein ganzes restliches Leben aufgeben muss? Fragen, die unmittelbar nach der Empörung kommen und noch immer nicht geklärt sind.
Freddy, der lesende und schreibende Hamster, hört durch Interanimal (eine Art tierische Telepathie) einen durchdringenden Hilfeschrei: 'Hilfe! Der Hamstermörder!'. Sofort mobilisiert er seine tierischen und menschlichen Mitbewohner (Sir William, ein schwarzer Kater, Enrico & Caruso, zwei Komiker-Meerschweine und Master John, der Versorger), um die Artgenossen zu retten. Zusammen mit Lisa, der Freundin von Master John und den Kornwölfen, einer Gruppe von Naturschützern, versuchen sie zu verhindern, dass eine Kolonie von Feldhamstern dem Bau einer Autofabrik zum Opfer fällt.
Wer schon immer mal wissen wollte wie Hamster Gottesdienste feiern, zwei Meerschweine Planierraupe und Fahrer spielen und adlige Haustiere miteinander kommunizieren, ist mit diesem Buch bestens bedient. (Unter uns: So groß sind die Unterschiede gar nicht zwischen Tier und Mensch :-))
Ein richtig schönes, witziges und auch spannendes Kinderbuch, denn: Edel sei der Hamster, hilfreich und gut. Doch muss er beissen - dann bis auf's Blut. Auch für Erwachsene geeignet :-)
Kurz vor Weihnachten wird ein Mitglied der Heilsarmee mitten in Oslo auf offener Strasse erschossen. Es gibt keinerlei Hinweise oder Indizien, wer der Täter ist oder warum diese Person ermordet wurde. Doch kurz danach wird klar, dass der Täter das falsche Opfer ausgewählt hatte, denn auf ein weiteres Mitglied der Heilsarmee wird mit derselben Waffe ein Anschlag verübt. Die Spuren führen zuerst nach Zagreb, doch von dort wieder zurück nach Oslo und man beginnt zu ahnen, dass auch in der Heilsarmee nicht alles eitel Sonnenschein zu sein scheint.
Harry Hole, Kriminalhauptkommissar, der die Trennung von Rakel, seiner großen Liebe, und deren Sohn Oleg nur mühsam zu verkraften schien, scheint dennoch langsam darüber hinweg zu kommen, ohne erneut dem Alkohol zu verfallen. Doch neue Unannehmlichkeiten sind im Anmarsch: Sein alter Chef Bjarne Mᴓller, der oft genug seine schützende Hand über Harry gehalten hat, wird nach Bergen versetzt und sein neuer Vorgesetzter, Gunnar Hagen, scheint ihm nicht allzu wohlgesonnen zu sein. Doch Harry kommt erstaunlich gut klar, was wohl auch an dem etwas tiefergehenden Flirt mit einer der Frauen aus der Heilsarmee zu liegen scheint.
'Der Erlöser' ist spannend wie alle bisherigen Harry Hole-Bücher mit einem erstaunlich stabilen Protagonisten, was seine Fans sicherlich freuen wird. Ebenso wie zuvor werden in diesem Band aktuelle gesellschaftliche Problemsituationen miteingeflochten, wenn auch nicht in der gewohnten Ausführlichkeit. Dennoch: Nichts scheint zu weit hergeholt, die Zusammenhänge wirken plausibel und glaubwürdig und auch das Ende um den Erlöser löst beim Lesenden eher Verständnis als Kopfschütteln aus. Jo Nesbᴓ ist mit dem neuen Band um seinen Helden wiederum ein wirklich gelungener Thriller geglückt und ich freue mich bereits auf das nächste noch zu lesende Buch.
Hi, ich heisse Arnold, zumindest nennnen mich die Weißen an meiner Schule so (also alle in Springdale). Daheim, im Spokane-Reservat wo ich mit meiner Familie lebe, rufen sie mich Junior, für einen Spokane-Indianer ein völlig normaler Name. Wie beinahe alle im Reservat sind wir arm, richtig arm. Damit meine ich nicht, dass ich keinen i-Pod oder nur das vorletzte Modell der Nike-Treter habe, nein, wir sind so arm dass immer wieder mal das Essen ausfällt oder ich die 35 km von der Schule zu Fuss heimgehen muss. Und wie fast alle Familien haben wir ein Alkoholproblem: Mein Vater säuft, aber immerhin verprügelt er mich nicht. Als ob das alles nicht reichen würde für ein glückliches Leben, wurde ich regelmäßig verdroschen weil ich ein 'Schwachkopf' bin (Ich seh' ein bisschen merkwürdig aus und lisple und stottere). Deshalb blieb ich meistens daheim und zeichnete Karikaturen und Comics.
Wie ich dann als einziger Indianer an eine 'weiße' Schule gekommen bin? Das habe ich Mr. P zu verdanken, meinem Mathematiklehrer dem ich in der ersten Stunde in der Highschool im Reservat mein Geometriebuch ins Gesicht geworfen hatte (er hatte danach ein gebrochenes Nasenbein). Ohne seine Hilfe hätte ich mich nie getraut nach Springdale zu gehen, ich wäre kein guter Basketballspieler geworden, hätte nie Penelope kennengelernt (das schönste Mädchen an der Highschool) und wüsste nicht, dass man auch mit Büchern einen Ständer bekommen kann (nein, nicht solche Bücher ;-)) Aber bis dahin zu kommen war nicht leicht. Wie das genau abging, kannst du in meinem Tagebuch nachlesen. Ein paar Comics und Karikaturen habe ich auch 'reingemalt. Vielleicht trifft man sich ja wieder. Und damit du dir deine Mäuse sparen kannst, schreibe ich noch ein paar Sätze für deine Eltern - dann bekommst du das Geld für das Buch bestimmt von ihnen.
Es ist kaum zu glauben, wieviel ernste Themen Sherman Alexie in diesem Buch anspricht ohne auch nur ansatzweise mit dem allseits bekannten Zeigefinger zu winken. Rassismus (und zwar sowohl Weiß gegen Rot wie Rot gegen Weiß), das Armuts- und Alkoholproblem der (Spokane-)Indianer, nichtexistente Eltern (insbesondere Väter), Magersucht undundund. All dies und noch mehr mündet immer wieder in ein Plädoyer, für seine Träume zu kämpfen, Grenzen auch gegen Widerstände zu überschreiten, sich nicht unterkriegen zu lassen egal wie hart es kommt und sich darüber im Klaren zu sein, dass Freundschaften nicht von der Hautfarbe abhängig sind. Erzählt wird dies alles in einer wunderbar schnoddrigwitzigen Form sowie durch Comiczeichnungen und Karikaturen, dass einem selbst bei den betrüblichsten Ereignissen zumindest etwas die Mundwinkel zucken.
Uneingeschränkt empfehlenswert ab ca. 12, 13 Jahren.
Mit dem Begriff Rohkost verbindet mit großer Wahrscheinlichkeit der überwiegende Teil der Deutschen: Karotten, Salat und Obst. Zwischendurch ganz nett, aber ansonsten eher langweilig und öde. Satt wird man aber von etwas Anderem.
Chantal-Fleur Sandjon hat sich nun nicht weniger vorgenommen, als diese ZweiflerInnen und SkeptikerInnen mit ihrem Buch 'Rohvolution' vom Gegenteil zu überzeugen. Und das gelingt ihr auch ziemlich gut.
Zu Beginn werden gleich Vorurteile und Ängste aus dem Weg geräumt: Von wegen langweilig und zu wenig Nährstoffe. Alles ist drin und ökologisch korrekt zudem. Selbst satt wird man davon.
Der zweite Teil widmet sich den verschiedenen Vorteilen, die der Genuss von Rohkost so mit sich bringt, wobei dies nicht wenige sind. Vom Jungbrunnen zur Fitnesskost bis zum idealen Diätmittel, und dies sind bei Weitem noch nicht die einzigen Verdienste dieser offensichtlichen Wundernahrung.
Danach geht es mit dem Praktischen weiter: Beginnend mit allgemeinen Hinweisen zum Essen an sich werden die einzelnen Rohkostarten detailliert beschrieben sowie mögliche Bezugsquellen genannt. Auch Hinweise auf benötigte Gerätschaften und worauf man beim Kauf achten sollte, fehlen nicht.
Und dann geht's los: Wie steigt man ein? Es gibt ein 'Entgiftungsprogramm' über sieben sowie ein sogenanntes Lifestyle-Programm über 21 Tage mit Ratschlägen für die Zeit danach. Macht man weiter, wird also RohköstlerIn? Oder isst einfach mehr Rohkost aber ansonsten 'normal'?
Abgerundet wird das Ganze mit Rezepten, die von Smoothies über Salate bis hin zu Käsekuchen reichen. Und die sogar überaus lecker sind - zumindest die Sachen, die ich bisher probiert habe.
Das Einzige was mich störte, war die gelegentlich etwas zu euphorische Sprache: Superhelden-Nahrung, Karma-Food, sexy Bunny usw. Wen will die Autorin damit überzeugen bzw. anlocken?
Schön fand ich, dass Frau Sandjon trotz ihrer überschäumenden Begeisterung keinerlei Verbissenheit an den Tag legt. 'Alles kann, nichts muss' beschreibt wohl am besten ihre Auffassung. Ob 100% Rohkost oder nur eine Mahlzeit am Tag oder sogar nur ein Teil davon - jede/r nach seinem/ihrem Geschmack, denn gesund ist es allemal. So können sich wirklich alle angesprochen fühlen.
Fazit: Für Rohkost-EinsteigerInnen ist 'Rohvolution' sicherlich sein Geld wert; bereits erfahrene RohköstlerInnen werden jedoch vermutlich nicht allzu viel Neues entdecken.
Unbedingt 2x lesen!
Paul Reader, berühmter Schriftsteller, seit einem Unfall blind, grauenhaft entstellt und in völliger, selbstgewählter Isolation lebend, plant ein neues Buch zu schreiben. Dafür engagiert er den wesentlich jüngeren John Ryder, der für ihn schreiben und Recherchen durchführen soll. John zieht bei ihm ein und trotz Pauls schwieriger Art zeigt die Zusammenarbeit Fortschritte, das Buch nimmt Gestalt an. Doch etwas scheint mit John nicht zu stimmen...
Fast der komplette Roman ist in Dialogform wiedergegeben, lediglich wenige Mal unterbrochen von Gedanken und Überlegungen Pauls. Paul ist ein unangenehmer, egozentrischer, überheblicher und arroganter A...., so dass es trotz seiner Blindheit und Verunstaltung schwer fällt, Mitgefühl für diese Figur zu entwickeln. Je weiter man liest desto unklarer wird die Atmosphäre zwischen den beiden Männern. Hat John finstere Absichten? Oder sind es nur Hirngespinste eines Blinden?
Weshalb nun zweimal lesen? Weil die Lösung dieses Falles im ganzen Buch immer und immer wieder angedeutet wird. Nur Kleinigkeiten, die man beim ersten Mal überliest, beim zweiten Mal jedoch mit einem 'Ach so!' kommentiert. Beispielsweise die Sache mit den Wasserspeiern oder der Hintergrund der nicht vorhandenen Leerstellen. Erst die wiederholte Lektüre erschließt einem wirklich das ganze Buch!
Was habe ich mich mit diesem Hörbuch schwer getan! Dreimal habe ich stets auf's Neue begonnen, die bereits gehörten drei, vier, fünf CDs nochmal laufen lassen, bis ich letzlich doch noch das Ende erreicht habe. Nicht dass dieses Buch schlecht wäre - ganz im Gegenteil! Aber die Vielzahl der handelnden Personen mit den für EuropäerInnen so ungewohnten Namen verlangen größte Aufmerksamkeit. Eine zu große Pause zwischen zwei CDs - und schwupps, hatte ich schon wieder keine Ahnung mehr, wer Misuko Mitsu war (oder so ähnlich). Dazu drei, vier parallel verlaufende Handlungsstränge; das fordert schon den bzw. die ganze/n ZuhörerIn :-)
Erzähler ist Inspektor Minami, der sich kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Tokio auf die Suche nach einem Serienmörder macht, der immer wieder junge Mädchen missbraucht und umbringt. Tokio liegt in Trümmern, es herrscht bittere Not und die Menschen haben kaum genug zu Essen und Trinken um zu überleben. Der Autor beschreibt das Umfeld derart präzise und detailliert, dass man die armseligen Verhältnisse in denen die Menschen hausen, deutlich vor sich sieht. Dreckige Tatamis (Reisstrohmatten), verschlissene Vorhänge, immer nur kärgliche Portionen Reis, ein Ei wird zum Festmahl. Ein weiterer Erzählstrang bildet Minamis Beziehung zu Senchu, dem Boss des Schwarzmarktes, der Minamis Schlafmittelsucht für seine eigenen Zwecke zu nutzen weiss.
In diese chronologisch berichtete Geschichte brechen immer wieder Minamis Gedanken und Erinnerungen ein, die vornehmlich mit seinen Kriegserlebnissen in China zu tun haben. Sie verfolgen ihn und lassen ihn nicht zur Ruhe kommen, weder Tags noch Nachts. An ihm wie auch an seinen Kollegen sieht man, wie tief das Ehrgefühl im japanischen Volk verwurzelt ist. Die Kapitulation wurde als die größte Schmach empfunden ebenso wie der darauf folgende Aufenthalt der Siegermächte in Japan.
Manfred Zapatka trägt das Ganze als Inspektor Minami vor und auch wenn ich zu Beginn äußerst skeptisch war (es klang recht monoton) - er ist eine hervorragende Besetzung. Die Hoffnungslosigkeit, die Resignation, die Wut, aber auch die ständige mühevolle Beherrschung und Selbsterniedrigung gegenüber Ranghöheren: Zapatka vermittelt diesen permanenten Kampf höchst überzeugend.
Auch wenn dieses Hörbuch 'nur' als Krimi deklariert ist: Tokio im Jahr Null ist ein Sittengemälde der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation - ungewöhnlich geschrieben und anstrengend zu hören, aber nichtsdestotrotz spannend und an die Nieren gehend.
Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl und der äußerst schlechten Prognosen für die SPD erinnerte ich mich an dieses Buch. Bereits 1991 erschienen, las der Autor Peter Grafe 'der alten Tante im Bonner Ollenhauer-Haus nach Strich und Faden die Leviten', wie es so schön in der damals in der ZEIT erschienenen Rezension hieß.
Grafe schildert treffsicher die Misere einer Partei, die schwer an ihrer Geschichte zu tragen hat und der es nur mit Mühen gelingt, daraus Vorteile zu schlagen. Die SPD hängt an ihren Traditionen, an ihrer Verbundenheit mit der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften. Doch ist sie nicht in der Lage, deren schwindende Bedeutung in der Gesellschaft durch Mobilisierung neuer Wählerschichten zu kompensieren. Und so scheinen auch heute, mehr als 20 Jahre später, die Probleme noch immer die gleichen zu sein. Die Beschreibungen der unterschiedlichen Schwierigkeiten wie auch der allgemeinen politischen Situation wirken jetzt ebenfalls hochaktuell in Anbetracht der momentanen Verhältnisse. Einige Beispiele:
'Die Entwicklung neuer postmaterieller Bedürfnisse und zivilisatorischer Herausforderungen entziehen sich dem sozialpolitisch-kompensatorischen Politikmodell der SPD, dem von der Schwindsucht öffentlicher Haushalte längst enge Grenzen gezogen wurde.' (S. 40f)
'Der SPD fehlt also eine interne Streitkultur, die unterschiedliche Auffassungen in konstruktiven Bahnen ordnet.' (S. 89)
'Es ist Zweck der Politik, die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung so zu steuern, dass die Gemeinschaft vor größeren Schäden bewahrt wird und jeder einzelne seine Entwicklungs- und Zukunftschancen hat.' (S. 102)
Tja, manchmal ändert sich weniger als man denkt...
Ach, war das eine schöne Lektüre! Ein Hauptdarsteller, der zwar etwas lethargisch daherkommt, aber nichtsdestotrotz so symphatisch ist, dass er kaum von dieser Welt sein kann. Ein Wettstreit, der trotz des eher friedlichen Inhalts um Leben und Tod geht. Eine überwältigende Beschreibung der Vogelwelt Kenias, sodass es einem gerade zu in den Fingern juckt, sich das alles selber anzuschauen. Undundund - eine Geschichte, die einfach rundum glückselig und zufrieden macht :-)
Herr Malik, die Hauptperson dieses Romans, ist seit Jahren in Rose, die Leiterin der örtlichen Gruppe Nairobis der Vogelbeobachter verliebt. Gerade als er seine Schüchternheit überwindet und sie zum jährlichen Nairobi Hunt Ball einladen will, taucht ein Widersacher auf: Harry Khan, ein gutaussehender Lebemensch, kommt auf die gleiche Idee. Doch um Rose die Peinlichkeit zu ersparen, einen der Herren zu enttäuschen, wird ein Wettbewerb veranstaltet. Wer in einer Woche die meisten Vögel entdeckt, darf Rose zum Ball einladen. So harmlos es klingt, so gefährlichlich entwickelt sich das Ganze. Und ganz nebenbei wird einem die unglaubliche Vielfalt der Vogelarten Kenias vor Augen geführt nebst einer Vielzahl weiterer liebenswürdiger Mitwirkenden.
Dies mag sich - nun ja, nicht gerade nach einer wirklich fesselnden Geschichte anhören. Doch der Autor bringt noch eine Reihe von Nebenhandlungen mit ein, sodass man immer weiter, weiter, weiterlesen will. Und so geht es noch um Politik, Zivilcourage, Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit und einiges mehr.
Ein richtig schönes Leseerlebnis wie ein wunderbar lauer Sommerabend ;-) zu dem Nicholas Draysons Stil sicherlich dazu beiträgt. Etwas betulich, vielleicht auch altmodisch, aber voller Zuneigung und Wärme für seine DarstellerInnen incl. der Vögel und Kenia selbst. Einfach schön!
Min, Mutter der 11jährigen Thebes und des 15jährigen Logan, bezaubernd und impulsiv, aber auch selbstzerstörerisch bis zum Selbstmord, wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach einem Notruf Thebes kommt Mins jüngere Schwester Hattie aus Paris zurück, um sich um die drei zu kümmern. Als ihr klar wird, dass Mins Aufenthalt im Krankenhaus länger dauern wird, weiß sie sich keinen anderen Rat mehr und macht sich gemeinsam mit den Kindern auf die Suche nach deren Vater quer durch die USA.
Hattie versucht während dieser Reise ihrer Aufgabe als 'Vertretung Mins' gerecht zu werden, doch zusätzlich zu ihrem eigenen Liebeskummer bringen sie die liebenswert altkluge, schräge Thebes und der pubertierende Logan an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Während die Beiden auf ihre Weise versuchen, mit der Krankheit ihrer Mutter (depressive Schübe, emotionale Instabilität) klar zu kommen, durchdenkt Hattie ihre Zeit mit Min: ihre Schwermut, die wiederholten Selbstmordversuche, ihre Lebensunlust - und dann auch wieder das genaue Gegenteil, deren überschäumende Fröhlichkeit, ihre große Liebe zu ihrer kleinen Schwester. Mit jeder Meile, die die drei (manchmal auch vier und irgendwann auch mit Hund) zurücklegen, wird ihr klar, wie wichtig ihr Min und ihre Kinder sind.
Die ganze Geschichte dieser Reise wird im Rückblick von Hattie erzählt. Und in einem so wunderbaren Stil, dass man ihre Furcht vor der Verantwortung für diese 'Familie' ebenso nachvollziehen kann wie die große Liebe, die sie für sie empfindet. Auch Thebes und Logan sind überaus lebendig beschrieben: die Angst um ihre Mutter und die Art und Weise, wie sie damit umgehen ebenso wie die ungeheuere Liebe zu ihr. Insbesondere Thebes erschien schon nach kurzer Zeit vor meinem inneren Auge mit ihrem lila verfilzten Haar und königsblauen Frotteeanzug.
Wunderschön mit viel Gefühl, aber nie kitschig!
Weshalb gibt es hier keine Neuauflage??? Und auch von seinen anderen Büchern nicht? Und weshalb werden seine Krimis seit 2003 nicht mehr ins Deutsche übersetzt? James Lee Burke ist wirklich eine Bereicherung für die Krimiszene und die zahlreichen Auszeichnungen für seine Werke sprechen für sich.
Neonregen ist das erste Buch mit dem Protagonisten Dave Robicheaux, der als Polizist in New Orleans lebt und arbeitet. Wie viele Helden seiner Art hat er ein massives Alkoholproblem (wenn auch seit einigen Jahren trocken) und neigt zur Schwermut als Folge seines Vietnameinsatzes (das Buch ist aus dem Jahre 1987). Doch im Gegensatz zu Anderen versinkt er nicht nur in Schwermut, sondern hinterfragt und analysiert das, was um ihn herum vorgeht. Es sind schon fast philosophische Ausarbeitungen, an denen uns Robicheaux teilhaben lässt ('Um uns von unserer Vergangenheit zu befreien,..., behandeln wir sie wie eine verblassende Erinnerung. Gleichzeitig ist die Vergangenheit jedoch das Einzige, was uns eine gewisse Identität verleiht.'). Und trotz aller Erfahrungen glaubt er noch immer an das Gute, die Gerechtigkeit und die Wahrheit.
Nicht ganz einfach im Süden der USA, wo Schwarze noch Nigger sind, Beziehungen das Wichtigste und Korruptheit auch der Polizei an der Tagesordnung. Als Robicheaux eine junge Schwarze tot im Fluss findet und diese ohne Obduktion als 'ertrunken' gemeldet wird, nimmt er eigene Ermittlungen auf. Er scheint in ein Wespennest gestochen zu haben, denn plötzlich findet er sich im Visier von Berufskillern und -schlägern, dem CIA, dem Schatzamt und selbst einige Kollegen scheinen sich gegen ihn zu wenden. Doch Robicheaux macht weiter...
Das alles ist klasse geschrieben, aktuelle Probleme der damaligen Zeit sind überzeugend mit eingearbeitet, wie oben bereits erwähnt finden sich fast schon philosophische Diskurse und Action und Spannung kommen ebenfalls nicht zu kurz. Glaubwürdig wirkt auch die Darstellung des damaligen Südens, man merkt hier kennt sich einer aus. Ein Krimi wie er sein sollte - einfach richtig gut!!