Bücher liest man ja mit den unterschiedlichsten Erwartungen. Sie sollen einem Gefühle vermitteln, Spannung, Lehrreiches und/oder schlicht die Zeit vertreiben. Dieses Buch entspricht wohl mehr dem Letzteren, wobei es jedoch unfair wäre, es als 'bloße' Unterhaltungsliteratur abzutun, denn dafür ist es viel zu schön geschrieben. Vielleicht ist es eher ein Jugendbuch, denn eine 13jährige erzählt hier von ihrem Leben in England während des II. Weltkrieges. Und das so unglaublich schnodderig und altklug, wie 13jährige halt mal so sind - offenbar nicht allzu viel anders als heutzutage.
Die 13jährige Jessica lebt mit ihren eher unkonventionellen Eltern in einem kleinen Ort an der Küste, wo sie ein Leben führt wie vermutlich viele andere 13jährige auch. Doch sie ist anders als die meisten ihrer gleichaltrigen Schulkameradinnen. Zum einen weiß sie stets, wann jemand lügt, zum andern muss sie immer die Wahrheit sagen - nicht unbedingt zur Freude aller Anwesenden. Doch das stört Jessica nicht, denn sie hat eine unglaubliche Abneigung gegen jede Form der Anpassung. Eine ungemein sympathische 'Heldin' - unerschrocken und neugierig, die selbst in den brenzligsten Situationen (wie beispielsweise einem Bombenangriff) nicht den Kopf verliert.
Jane Gardam trifft den Ton dieses jungen Mädchens so überzeugend, dass ich keine Minute daran zweifelte, ihr persönlich zuzuhören. Wunderbar zu lesen, auch wenn es keine großartigen Höhepunkte gibt, wie Manche bemängeln. Einfach eine schöne Geschichte!
Julia von Lucadou entwirft in ihrem ersten Roman eine Welt, in der Alles und Jedes dem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, ganz im Sinne der herrschenden Unternehmen. Die Menschen verpflichten sich (scheinbar freiwillig!), ihr Dasein in Gänze den Unternehmen zu widmen, mit denen sie einen Vertrag schließen. Dazu stehen sie unter permanenter Überwachung, ob sie auch alles dafür tun, gesund und leistungsfähig zu bleiben. Also Sport, Entspannung, gesundes Essen usw. Verstöße werden umgehend in Form von Vermerken und medizinischen Pflichtterminen geahndet, schlimmstenfalls erfolgt eine Degradierung. Da sich selbst die 'Aufzucht' der Menschen nach ökonomischen Kriterien richtet (Brutmaschinen, Internate - natürliche Familien vermindern die Leistungsfähigkeit durch Schwangerschaft, Pflege der Kinder usw.), vermissen die Leistungsträger jedoch nichts und genießen ihre scheinbaren Privilegien wie saubere Umgebung, schöne Wohnung, Ausstattung usw., leben jedoch ständig unter Druck, nicht mehr zu genügen und vielleicht absteigen zu müssen; in die Peripherien, wo die Unterschicht lebt.
Riva ist eine dieser Leistungsträgerinnen und scheint alles zu haben, wovon der Rest nur träumt. Doch eines Tages verweigert sie ohne Angaben von Gründen ihre Arbeit, das Hochhausspringen. Hitomi, eine junge, karriereorientierte Psychologin, soll Riva wieder motivieren, doch das gestaltet sich wesentlich komplizierter als erwartet. Statt Verbesserungen bei ihrer Patientin zu erreichen, geht es Hitomi immer schlechter, je mehr sie sich mit diesem Fall befasst.
Es ist eine grauenvolle Welt, die hier entworfen wird, ohne Gefühle und soziale Bindungen, denn diese haben keinen ökonomischen Nutzen. Doch sind wir tatsächlich noch so weit davon entfernt? Riva erinnert mit ihrer ständigen Verfügbarkeit auf sämtlichen Mediakanälen, sehr manchen (Pseudo-)Celebrities, die rund um die Uhr online zu sein scheinen. Und die permanente gesundheitliche Überwachung unter dem Deckmantel einer mütterlichen/väterlichen Fürsorge (Ich meine es doch nur gut mit Dir - damit Du ganz schnell auch wieder ganz viel arbeiten kannst) existiert doch heute bereits, wenn auch (noch) nicht in dieser übertriebenen Form. Noch erfolgt die Bekanntgabe der eigenen Leistungs- und Gesundheitsdaten freiwillig; man muss sich nur in den diversen Sportforen umschauen. Doch schon längst sind sie auch zu Kriterien bei der Beurteilung potentieller BewerberInnen geworden.
Julia von Lucadous Buch ist ein Warnsignal vor einer Zukunft, deren erste Anzeichen sich bereits bei uns entdecken lassen. Wehret den Anfängen!
Wer einen packenden Thriller lesen möchte, ist bei dem zweiten Band dieser Reihe definitiv falsch. Spannung baut sich hier nur langsam auf, und das große Bibbern wird man beim Lesen vermutlich auch nicht bekommen ;-)
Einige MitarbeiterInnen eines großen Finanzunternehmens machen, getrennt nach Geschlecht, eine Wochenendwanderung in einem riesigen Waldgebiet. Zum vereinbarten Treffpunkt am Ende trifft die Frauengruppe schwer mitgenommen mit deutlicher Verspätung ein - doch eine Teilnehmerin fehlt. Sofort werden aufwändige Suchmaßnahmen eingeleitet, auch vor dem Hintergrund, dass ausgerechnet diese Frau die Informantin der Steuerfahndung ist, die kurz davor steht, dem Unternehmen umfangreiche Geldwäscheaktivitäten nachweisen zu können.
SteuerfahnderInnen als Hauptfiguren in einem Thriller? Mutet erst einmal etwas seltsam an, doch auch dieses Thema kann vermutlich sehr spannend sein. In diesem Buch jedoch spielen Carmen und Aaron, beide bei der Steuerfahndung, eher schon eine Nebenrolle. In zwei sich abwechselnden Erzählsträngen wird zum einen über die Suche nach der vermissten Alice berichtet, was zumindest zu Beginn eher etwas langatmig daherkommt. Was soll man auch schon groß über eine Suchaktion berichten? Im Gegensatz dazu rollt der zweite Teil das Geschehen von hinten auf: der Aufbruch der Frauengruppe, die ersten Reibereien untereinander usw.. Diesen Part fand ich deutlich interessanter und auch spannender, denn es knirschte an allen Ecken und Ecken und ich fragte mich, wann und zwischen wem es zum großen Knall kommt.
Die Autorin legt zudem eine ganze Reihe möglicher Spuren zu eventuellen TäterInnen, von denen sich zumindest manche etwas allzu beliebig in Luft auflösen. Von den Beteiligten hat in gewisser Weise wirklich beinahe jede/r irgendwie Dreck am Stecken, aber bedauerlicherweise wird dies, ebenso wie viele der Konflikte, nur oberflächlich dargestellt. Schade, denn ich glaube, etwas mehr Tiefe hätte der Geschichte gut getan.
So bleibt es bei einer netten, mal mehr, mal weniger spannenden Unterhaltung, die in den tiefen Wäldern Australiens spielt.
Heller, 32jähriger Kommissar der Berliner Mordkommission, ermittelt im Jahre 1968 in einem Mordfall einer jungen Frau. Eigentlich eher Routine, doch von allen Seiten werden ihm bei den Ermittlungen Steine in den Weg gelegt, bis er sogar von dem Fall abgezogen wird. Doch Heller gibt nicht auf: Irgendetwas ist hier faul, oberfaul.
All dies geschieht vor dem Hintergrund der studentischen Unruhen, die die Autoren gekonnt mit dem Kriminalfall verknüpfen. Auch die Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wie die damaligen Arbeitsbedingungen der Berliner Mordkommission wirken glaubwürdig und authentisch, wenn auch kaum vorstellbar. Ermittlungen ohne Handy und DNA-Spuren? Unglaublich ;-)
Die Hauptfigur Heller ist erfreulicherweise im Vergleich zu vielen anderen KrimikollegInnen erstaunlich bodenständig und erfreut sich bester Gesundheit - keinerlei Alkohol- oder Drogenprobleme ;-) Doch er ist ausreichend komplex angelegt, um auch über sein Arbeitsgebiet hinauszudenken, was Raum für zusätzliche Spannungselemente offen lässt.
Wolf Heller als ermittelnder Kommissar gibt hier ein überzeugendes Debüt mit jeder Menge Potential für weitere Folgen. Ich würde mich freuen!
Sollte man dieses Buch in ein Genre einordnen, wird es schwierig. Denn auf diesen mehr als 500 Seiten findet sich so gut wie alles: Familiengeschichte, die mehr einem Drama ähnelt; eine Liebesgeschichte, die zu schön ist um wahr zu sein; und nicht zuletzt ein Thriller, der sich bereits auf den ersten Seiten des Buches ankündigt, denn Rachel, die Hauptfigur und Icherzählerin, erschießt ihren geliebten Mann.
Nach diesem furiosen Auftakt berichtet Rachel, wie es soweit kommen konnte: über ihre Kindheit mit einer (vermutlich) neurotischen Mutter und die Suche nach ihrem Vater; ihre Karriere als Journalistin und der bodenlose Absturz; ihre erste, glücklose Ehe. Doch dann trifft Rachel Brian, den sie Jahre zuvor kennengelernt hat und mit dem sie sehr lose per Mail in Kontakt geblieben ist. Er wird die Liebe ihres Lebens und ihr Glück scheint perfekt, als gewisse Unstimmigkeiten in ihrem gemeinsamen Leben auftauchen und schlussendlich zu Brians Erschießung führen.
Für viele AutorInnen wäre hier vermutlich das Ende schon erreicht (immerhin Seite 338 und auch bis dahin bereits eine klasse Unterhaltung), aber bei Dennis Lehane beginnt nun erst der dritte (Thriller)Teil, der mindestens ebenso viele Überraschungen zu bieten hat wie die ersten beiden.
Dieses Buch hat nicht nur eine spannende und äußerst wendungsreiche Geschichte zu bieten, sondern vermittelt zudem sehr überzeugend die Verfasstheit der Protagonistin. Wie sie über einen Parkplatz geht und überall erwartet, von Kugeln niedergestreckt zu werden - das lässt sich kaum besser schildern. Die Panikattacken, die sie in den unpassendsten Momenten überfallen - ich musste während des Lesens tief ein- und ausatmen, um sicher zu gehen, genügend Luft zu bekommen. Kein Wunder, denn Lehane, der als therapeutischer Berater geistig Behinderte und sexuell missbrauchte Kinder betreute, kennt solche Empfindungen wohl sehr genau.
Ein rundum gelungenes Buch, bei dem kleine Unstimmigkeiten (weshalb wundern sich die Gangster nicht, dass Rachel alleine ist?) nicht weiter ins Gewicht fallen.
Endlich Witwe! Nach 53 unglücklichen Ehejahren kann Frau Huber der Zukunft endlich mit Freuden entgegenblicken - mehr oder weniger. Denn die Beerdigung ihres Ehemannes Walter läuft völlig aus dem Ruder, als der Sarg fällt und bricht und statt Walter der tote Bestatter Albin herausfällt. Walter wird doch nicht ... Frau Huber lässt all dies keine Ruhe und so beginnt sie mit ihren Nachforschungen.
Fast die gesamten 370 Seiten erzählen den Verlauf eines Tages, an dem jedoch so viel geschieht, dass woanders zwei Wochen dafür nicht ausreichen dürften. Jede Menge Leichen, die jeweils dort auftauchen, wo sie nicht hingehören: In falschen Gräbern, im Moor, im Obstgarten; Verfolgungsjagden, obskure Gestalten - und zwischendrin immer wieder Frau Huber. In Glaubenthal, dem Ort dieses Geschehens, scheint es drunter und drüber zu gehen.
Es grenzt fast schon ans Slapstickhafte, wenn Leichenwagen durch die Luft fliegen und ihre Fracht ans Freie befördern, Men-in-Black-artige Gestalten rote Rosen in Gräber werfen oder Frau Huber mit Wolf durch den Wald rennt. Doch es ist nicht nur die Handlung allein, die das Besondere dieser neuen Krimireihe ausmachen: Thomas Raab, der Autor, ist ein Sprachkünstler sondergleichen, der mit Worten spielt und jongliert, dass einem beinahe schwindlig wird. Mit einem unglaublichen Gespür für Doppel- und Vieldeutigkeiten der Sprache entstehen Sätze, die fast schon kunstvoll wirken: "An jenen wenige Körperteilen, die da aus dem Schlamm ragen, dem rechten nackten Knie, rechtem Arm, einem Teil des an der Schläfe aufgeschlagenen Gesichtes, hat allerlei Getier begonnen, nicht nur am Zahn der Zeit nagen zu wollen." Und auch nicht an Gesellschaftskritik sparen: "Öxit, Dexit, Fraxit, Ixit, Grexit, Poxit, weiß der Teufel, damit sich irgendwann in diesem Jahrhundert die Menschen wenigstens wieder in Kleinkriegen ordentlich zerfleischen können, wenn sie schon kein drittes weltweites Gemetzel zusammenbringen!".
Ein klasse Auftakt zu einer neuen Krimireihe um Frau Huber, von der ich gerne mehr lesen möchte!
Vorweg: Auch wenn in den ersten zwei Zeilen dieses Buches steht: 'Dies ist eine einfache Geschichte.' - das ist es ganz sicherlich nicht. Vielleicht noch die Grundform: Ein nicht mehr ganz junger, aber auch nicht zu alter Mann erzählt, wie er zu dem wurde, der er jetzt ist. Der sich schuldig fühlt und mit diesem Bericht den Versuch unternimmt, seine Frage nach der Schuld zu klären.
Christian, der Protagonist, tritt seine erste Stelle als Butler bei einer Familie in Zürich an, die sich mit ihm und er sich mit ihr sehr wohl fühlt. Dies ändert sich, als seine Arbeitgeberin Freunde von Christian kennenlernt und sich sein Privatleben wie auch sein Beruf zu überschneiden beginnen. Ein Drama nimmt seinen Lauf.
Die Geschichte an sich ist gut bis zur Hälfte vergleichsweise unspektakulär; es ist die Beschreibung von Christians Leben mit der Familie Hobbs sowie die Zeit davor in seinem Heimatort Feldkirch mit den engsten drei Freunden Olli, Isi und Gösch. Es ist der Schreibstil der Autorin, der diesen bis dahin eher harmlosen Bericht zu etwas Besonderem macht. Verena Rossbacher lässt ihren Protagonisten in einer unglaublich exakten wie auch bildhaften Sprache alltägliche Szenen erzählen, die dadurch zu etwas Außergewöhnlichem werden: "Herr Hobbs hatte sein Jackett abgelegt, weich und wie eine fläzende, grau gemusterte Katze lungerte es auf dem großen Sessel im Erker, ..., und die Schuhe, scheinbar nachlässig von den Füssen gestreift, lagen tändelnd neben Frau Hobbs' glitzernden, eleganten Stilettos ..." Daneben gibt es wunderbare Exkurse der unterschiedlichsten Art, wie beispielsweise zu Schuld oder zu Pflichten an sich im Alltag (grandios!). Die Szenarien wechseln rasch zwischen Gegenwart und Vergangenheit und man muss mit Konzentration bei der Lektüre bleiben, um nicht den roten Faden zu verlieren.
Ab der zweiten Hälfte folgt jedoch eine Überraschung der nächsten, nichts ist mehr zu spüren von der Gleichförmigkeit, die bis dahin den Text bestimmte. Glaubt man als Lesende mehr oder weniger zu wissen, was geschah, wird allerdings die Verblüffung von Seite zu Seite zu größer. Und erst jetzt stellt man fest, wie raffiniert diese mehr als 370 Seiten miteinander verbunden sind. Denn bereits zu Beginn gibt es die ersten Andeutungen auf das, was sich erst am Ende herausstellt. Es lohnt sich, nach Beendigung der Lektüre noch einmal nach vorne zu blättern, um einzelne Passagen nochmals zu lesen.
Eine grandiose, anspruchsvolle Unterhaltung, hinter der mehr steckt als man auf den ersten Blick erkennt.
Der MI5 ist sicher den Meisten hinlänglich bekannt - DER britische Inlands-Geheimdienst. Weniger bekannt dürfte jedoch sein, dass in Misskredit geratene AgentInnen, sogenannte Slow Horses, nach Slough House versetzt werden, um dort bis zum Ende ihrer Tage deprimierende Hilfsarbeiten für ihre erfolgreichen KollegInnen in Regent's Park, der Zentrale, zu erledigen. Sie sind ein heterogener Haufen Individualisten, die nur wenig gemeinsam haben: einen Fehler, den jede/r gemacht hat; den Arbeitsort, an den sie verbannt wurden; und das Hadern mit ihrem Schicksal. Als eine Geheimdienstaktion der Zentrale aus dem Ruder zu laufen scheint, ist jedoch ihre Unterstützung gefragt - allerdings anders als gedacht.
Wie bei Spionageromanen zu erwarten, ist nichts so wie es scheint. Dies gilt auch für den Auftakt dieser Serie, die in Großbritannien bereits 2010 erschienen ist. Die Entführung eines britischen Bürgers, der geköpft werden soll, scheint klar von der islamistischen Szene auszugehen. Doch dieser Bürger heißt Hassan und es sind die Rechten, die hier vor laufender Kamera ein Exempel statuieren wollen. Geschickt spielt der Autor mit den Erwartungen der Lesenden und immer, wenn man sicher zu sein scheint zu wissen, wie was warum und weshalb geschieht und geschehen wird - passiert doch etwas völlig anderes.
Die Geschichte ist nicht nur voller verblüffender und spannender Wendungen, sondern überrascht zudem mit einem herrlich subtilem Humor, wie beispielsweise die Beschreibung, wie ein bestimmter Sitzplatz für geheime Besprechungen frei gehalten wird: "Freigehalten wurde sie durch einen ekelhaft aussehenden Flecken Vogelscheiße, der praktisch die gesamte Sitzfläche verschmierte; widerwärtiger Dreck, der garantierte, dass sich selbst der müdeste Tourist ein anderes Plätzchen zum Ausruhen suchte. Dabei handelte es sich bei dem Fleck in Wirklichkeit um einen gut angebrachten Farbklecks aus Kunststoff." Und tatsächlich scheint es beim MI5 neben solch profanen Dingen mehr um die eigenen Befindlichkeiten zu gehen als um die Sicherheit des Landes.
Ein wirklich gelungener Auftakt, der durch die schnellen Szenenwechsel ein aufmerksames Lesen erfordet; mit seinen nicht alltäglichen ProtagonistInnen aber auf jeden Fall Lust auf die weiteren Folgen der Reihe macht.
Das Zuhause der 14jährigen Pearl ist ein alter Mercury Topaz (baugleich mit Ford Tempo), in dem sie seit kurz nach ihrer Geburt mit ihrer Mutter lebt und auf dem Besucherparkplatz eines Trailerparks steht. Die Beiden bilden trotz der widrigen Umstände eine harmonische Gemeinschaft, sodass Pearls Leben zwar von Armut bestimmt, aber auch voller Liebe ist. Doch als ihre Mutter den gutaussehenden Eli kennenlernt, ebenso ein Waffenfanatiker wie auch der Großteil ihrer Umgebung, beginnt ihre innige Gemeinsamkeit aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Es ist das Bild eines Amerikas, das wohl in Europa nur die Wenigsten kennen dürften. Fernab von den Wohlstands-Gated-Communities hausen die Armen inmitten ihrer Trailerparks und stärken ihre Würde, sofern das Geld noch reicht, mit Waffen wo immer es möglich scheint. Die noch Ärmeren, denen das Geld für einen Trailer nicht reicht, leben in ihren PKWs, so wie auch Pearl und ihre Mutter. Man blickt durch die Augen der 14jährigen, der ihre zwar Armut bewusst ist, die aber trotzdem nicht mit ihrem Schicksal hadert. Weitgehend neutral schildert sie in einer teilweise fast schon poetischen Sprache ihre Lebensumstände; beschreibt ihre NachbarInnen und die überall allgegenwärtigen Waffen; das Elend der Kriegsveteranen, die verseuchte Umgebung, den Bildungsnotstand undundund. Es ist das Bild eines Staates, der für die Schwachen nichts übrig hat. Und die versuchen, ihre Schwäche mit Waffen zu kompensieren.
Keine Frage, das hört sich nach einer brutalen Lektüre an, und das Thema ist es sicherlich auch. Aber Clements Sprache vermittelt diese nicht leicht zu verdauende Geschichte auf eine sehr bildhafte, gelegentlich schon fast mystische Weise, die man nicht so einfach vergessen wird. Der amerikanische Traum - für Manche ist es wohl eher ein Alptraum.
Ein tolles, beeindruckendes Buch, das trotz des düsteren Themas ein bisschen Hoffnung lässt.
Der Suhrkamp-Verlag hat wohlweislich gut daran getan, dieses kleine Büchlein mit seinen nicht einmal 140 Seiten nicht in irgendeine Genreschublade zu stecken. Zwar ist der Protagonist (unter anderem) Tabor Süden, der frühere Polizist und Privatdetektiv, doch mit einem Kriminalroman hat dieses Buch nun wirklich nichts zu tun.
Eigentlich wollte Süden es seinen 'Fällen' gleich tun: einfach verschwinden. Doch kurz bevor es soweit ist, erwischt ihn seine frühere Chefin und gute Freundin und bittet ihn, noch einmal einen Auftrag zu übernehmen. Ein früher berühmter Schriftsteller ist verschwunden und seine Freunde sorgen sich.
Weshalb Süden den Auftrag angenommen hat, bleibt unklar - vielleicht, weil er den Autor von früher kennt (und seine Bücher gelesen hat) und es damit für ihn eine Art Reise in die Vergangenheit ist. Als LeserIn folgt man den beiden Männern: dem Schriftsteller, der auf der Suche nach seiner Vergangenheit ist; und Tabor Süden auf der Suche nach ihm. Beide ähneln sich, sowohl in ihrer Art wie auch ihren Absichten: Das bisherige Leben hat ihnen zuviel zugemutet und beide wollen verschwinden, wenn auch auf unterschiedliche Art.
Eine kleine, traurige Geschichte über zwei Menschen, die am Leben leiden und die wenig Hoffnung lässt, dass man über Tabor Süden noch einmal etwas lesen wird.
Der zweite Band um Ted Conkaffey, den Ex-Cop der unschuldig unter Verdacht steht, eine 13-Jährige vergewaltigt und beinahe getötet zu haben und Amanda Pharrell, die verurteilte Mörderin, lässt wie bereits der erste Teil an Spannung nicht zu wünschen übrig. Dieses Mal sind es praktisch zwei Fälle, um die sie sich parallel kümmern. Ted ist unter anderem durch den Vater seines vermeintlichen Opfers gezwungen, sich auf die Suche nach dem wirklichen Täter zu machen; zudem machen ihm neue Verdächtigungen das Leben noch schwerer als es eh schon ist. Amanda ist währenddessen mit dem Mord an einem jungen Pärchen beschäftigt, das an seinem Arbeitsort, einer Bar, regelrecht hingerichtet wurde.
Auch in diesem Band gibt es wieder eine Reihe von skurrilen Personen (ganz vorne dabei natürlich Amanda) und ebensolchen Örtlichkeiten: Allein diese Beschreibung der Bar, in der die Morde geschahen. Und dann dieser Freudentempel. Nichts davon ist besonders obszön oder eklig, aber es ist so eindringlich dargestellt, dass ich eine ziemlich schräge Szenerie vor Augen hatte. Ebenso gelingt Candice Fox eine derart intensive Beschreibung der Personen, sodass ich die quirlige Amanda in ihren pinken Converse beim Lesen praktisch vor mir sah. Bei Ted liegt der Schwerpunkt mehr bei seinem Innenleben. Seinen Part erzählt er in der Ich-Form und schildert dabei auch ausführlich, wie er mit seiner Situation klar bzw. nicht klar kommt. Dies war mir stellenweise doch zuviel; irgendwann dachte ich 'Ja, ich hab's kapiert, wie sch.... das ist.'
Trotzdem: Es ist ein spannender Thriller, der eher unkonventionell endet und in einem Fall eine eher profane Aufklärung bietet. Aber auch das war wirklich überraschend.
Stella und Gerry sind seit über 40 Jahren ein Paar und man spürt schnell, dass sie von großer Harmonie weit entfernt sind. Gerry trinkt viel zuviel, womit Stella, die Kümmerin und Hauptorganisatorin in dieser Ehe, verständlicherweise Probleme hat. So arrangiert sie eine kleine gemeinsame Reise nach Amsterdam, um ihrer Zweisamkeit etwas mehr Schwung und Nähe zukommen zu lassen. Doch tatsächlich scheint sie einen ganz eigenen Plan dort zu verfolgen.
Dies ist keine lebhafte Beziehungsgeschichte, in der die Fetzen fliegen, ganz im Gegenteil. Der Autor erzählt in überraschend kurzen knappen Sätzen exakt das, was den beiden Hauptfiguren widerfährt bzw. was in ihnen vorgeht. Dies wird überaus sorgfältig beschrieben, sodass an manchen Stellen eine gewisse Langatmigkeit eintritt. Doch meist zieht einen die Geschichte der Beiden in ihren Bann. Manche der kurzen knappen Sätze offenbaren fast schon Dramen und man beginnt zu ahnen, dass hier nicht nur eine langsame Entfremdung in einer langen Ehe stattgefunden hat, sondern dass die eigentlichen Konflikte viel weiter reichen. Während in kurzen Erinnerungssequenzen die Vergangenheit immer deutlicher wird, nimmt sowohl Gerrys Alkoholgenuss wie auch die Schärfe der Dialoge des Paares deutlich zu. Dennoch gibt es eine Menge zu lächeln, denn trotz aller Differenzen sind sich die Beiden noch immer sehr zugetan, was sich auch in ihren durchaus liebevollen Spötteleien zeigt.
Viel ereignet sich nicht in diesem Kurzurlaub im Winter in Amsterdam - zumindest von außen betrachtet. Doch im Inneren der beiden Hauptfiguren offenbart sich jeweils die Komplexität eines ganzen Lebens. Und die Geschichte zeigt, wie man trotz großer Differenzen noch immer respektvoll miteinander umgehen kann - dank der Liebe.
Laut Klappentext soll das Buch verfilmt werden - ich bin gespannt, wie das realisiert werden wird.
Da ich John Banville als Autor schätzen gelernt habe, dachte ich, ich versuche es mal mit einem seiner historischen Romane, die er unter dem Pseudonym Benjamin Black schreibt.
Prag, 1599: Der junge Christian Stern aus Regensburg möchte am Hofe Kaisers Rudolf II. Karriere machen. Als er direkt nach seiner Ankunft die Leiche eines jungen Mädchens findet, scheint sein Vorhaben jedoch bereits gescheitert zu sein. Er wird des Mordes verdächtigt und landet umgehend im Kerker. Doch wider Erwarten findet er sich unversehens in den hoheitlichen Gemäuern wieder und wird zum Vertrauten des Kaisers, der ihm den Auftrag erteilt, den Mörder der jungen Frau zu finden.
Wie auch in seinen nichthistorischen Büchern ist John Banville als Benjamin Black ein sehr aufmerksamer Erzähler. Er beschreibt das mittelalterliche Prag zusammen mit seiner Bevölkerung so sorgfältig und präzise, dass ich die Szenerie stets deutlich vor Augen hatte. Bedauerlicherweise kann die Spannung des Krimis nicht mit diesem Niveau mithalten. Zwar sagte er in einem Interview zu seinen historischen Kriminalromanen: "Da zählen die Figuren, der Plot und die Dialoge in einem viel höheren Maß als bei meinen anderen Büchern", doch leider spiegelt sich das in diesem Buch nicht wirklich wieder. Langsam, ganz langsam entwickelt sich die Suche nach dem Mörder, wobei die Lösung dann fast schon hopplahopp präsentiert wurde. Für meinen Geschmack wurde all den Intrigen, die am Hof herrschten, viel zu wenig Gewicht beigemessen, sodass ich lange wie im Nebel herumstocherte, was denn passiert sein könnte.
Zusammengefasst: Ein guter historischer Roman mit etwas Krimiambition - aber ich glaube, Banville kann's auch besser ;-)
Dreieinhalb Sterne.
Amandas ältere Schwester hat sich umgebracht nachdem sie vergewaltigt wurde. Doch Amanda glaubt nicht an diese Selbstmordthese und beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Ihr Verdacht bestätigt sich und um die Täter dingfest zu machen, wird sie Polizistin. Ohne Rücksicht auf Vorschriften und Moral sucht sie die Wahrheit...
Die Autorin arbeitet selbst als Polizistin und das merkt man diesem Buch an. Es geht nicht nur um Klein- und Großkriminelle, mafiöse Organisationen in allen Sparten, nein, auch die Verwicklung der Polizei in diese Bereiche ist ebenso Thema wie gewisse Probleme innerhalb der Sicherheitsbehörde. Auf den ersten Blick mögen ihre Figuren recht klischeehaft wirken, doch nach und nach entwickeln sie eine Persönlichkeit, die klare Gut-/Böse-Zuweisungen schwer machen. Beispielsweise Adnan, der gutaussehende Araber der Amandas Schwester zu Drogen offenbar verführte und für sein Leben gerne eine große Nummer wäre. Tatsächlich entpuppt er sich jedoch als ein empathischer Mensch mit Familiensinn, der nichts Anderes als ein normales Leben führen möchte (allerdings ohne allzu viel Arbeit ;-)). Oder Hajir, zu Beginn Adnans Kumpel und deutlich risikobereiter als dieser, der seine Lebenseinstellung mit Kind und Frau aber radikal ändert.
Die Geschichte ist durchweg spannend, wäre aber deutlich steigerungsfähig, da sie sich meiner Meinung nach immer wieder etwas verzettelt. Statt einem gibt es mehrere rote Fäden, die zwar zum Schluß alle logisch zusammengeführt werden, aber während der Lektüre stets auf's Neue auseinanderdriften. Der titelgebende Pavian ist zum Beispiel zeitweise durchaus das Hauptthema, verschwindet dann aber wiederholt fast vollständig in der Versenkung.
So bleibt durchaus noch Raum nach oben und wer weiß, vielleicht wird er in der Fortsetzung ja genutzt ;-)
Wer sich gelegentlich vorstellt, ob es nicht schön gewesen wäre, im 19. Jahrhundert gelebt zu haben, in der Zeit der großen Erfindungen und Neuerungen, die oder der sollte sich dieses Buch zu Gemüte führen. Ich vermute jedoch, Gedanken dieser Art werden nach dem Lesen keine Chance mehr haben ;-)
Die Autorin Lindsey Fitzharris wirft ein helles Licht auf diese dunklen Zeiten, in denen die Elektrizität noch in den Kinderschuhen steckte. Im Mittelpunkt steht Joseph Lister, der Sohn einer Quäkerfamilie, der Chirurg wurde und sich sein gesamtes Leben der Frage widmete, wie die hohe Sterberate in den britischen Krankenhäusern verringert werden könnte. Voller Hingabe und Leidenschaft beschäftigte er sich neben seinem eigentlichen Beruf, der Chirurgie, mit den wissenschaftlichen Untersuchungen, wie Infektionen nach Operationen entstehen und wie sie verhindert werden können. Mit seinem Können und seiner Überzeugungskraft gelang es ihm, nach und nach in vielen Ländern seine antiseptischen Methoden zu etablieren.
Doch dieses Buch ist keine reine Biographie, auch wenn der Umschlagtext sowie mein oben Geschriebenes dies suggerieren mögen. Denn sicherlich die Hälfte der 240 Seiten ist den Schilderungen der damaligen medizinischen Verhältnisse gewidmet. Dass es nicht schön war, ahnte ich schon vor dem Lesen - gewissen Historienfilmen sei Dank. Aber dass es sooo entsetzlich zuging! Fitzharris breitet einzelne Fälle derart präzise aus, dass ich fast das Gefühl hatte, ihre Freude am Detail zu spüren ;-) Nun gut, sie ist Medizinhistorikerin - also kein Wunder. Aber auch ihre Beschreibungen der Lebensverhältnisse der Bevölkerung ließen mich beim Lesen heftig schlucken; und bei der Darstellung damaliger Operationen habe ich zwischendurch gelegentlich eine Pause eingelegt.
Ob Lindsey Fitzharris eine gute Autorin ist, wage ich nicht zu beurteilen, denn dieses Buch ist eher eine Fleißarbeit. 23 Seiten weist der Anhang auf, äußerst kleingeschrieben, der in normaler Schriftgröße sicherlich den doppelten Platz eingenommen hätte. Es müssen Unmengen an Literatur gelesen worden sein, wovon die unzähligen Zitate im Buch zeugen.
Alles in allem eine unterhaltsam zusammengefasste Beschreibung einer Zeit und eines Mannes, der dem Überleben vieler Menschen (auch heute noch) einen großen Dienst erwiesen hat und zu Unrecht fast vergessen wurde. Zumindest bei uns. Dabei erinnert uns Listerine jeden Tag an ihn ;-)