Wiener Straße
304 Seiten

Anfang der 80er Jahre in Kreuzberg: Wohin man schaut, besetzte Häuser; es herrscht ein Hauch von Anarchie. Man träumt von einem anderen Land: Weg vom Kommerz und einem unterdrückendem Staat; Freiheit für Alle und Alles, insbesondere die Kunst.
In dieser Atmosphäre spielt 'Wiener Strasse' und erzählt vom Leben und den BewohnerInnen dort während einer kurzen Zeitspanne im November 1980. Über dem Café Einfall werden vier neue BewohnerInnen einquartiert, die der Inhaber des Cafés, Erwin Kächele, aus seiner eigenen Wohnung raus haben möchte. Immerhin wird er überraschenderweise Vater und braucht für sich und die Mutter seines Kindes Platz und Ruhe. So finden sich die Extremkünstler Karl Schmidt und H.R. Ledigt, der lethargische Frank Lehmann und Kächeles Nichte Chrissie in einer Vierer-WG wieder.
Was für ein Panoptikum an schrägen Gestalten, neben denen Frank Lehmann und die auf Krawall gebürstete 18jährige Chrissie völlig normal wirken. Österreichische Aktionskünstler, die auf Befehl ihres Anführers P. Immel lebende Bilder darstellen, Punks oder als Band Dr. Votz playback spielen. Fernsehteams des ZDF (oder doch SFB?), die erst Versicherungsrechtliches klären wollen, bevor sie besetzte Häuser betreten. Erwin Kächele, der mit Schwangerembauch seinen Geschäften nachgeht. Dazu Situationen, die durch stete Wiederholungen zum Running Gag werden ('Ist schon offen? Ich dachte, ...') oder durch die genaue Beobachtung ihre Absurdität offenbaren (beispielsweise wie Chrissies Mutter durch die DDR reist).
Doch den Schwerpunkt bilden die Künstler (Künstlerinnen scheint es damals nicht gegeben zu haben) und ihre Werke, frei nach dem Motto: 'Das ist dann wohl Kunst, weil nämlich Kunst ist, wenn es einer sagt, dass es Kunst ist!' Auch wenn alles recht überzogen dargestellt ist, fand ich das Lebensgefühl des damaligen Kreuzbergs gut getroffen und habe das Buch mit einem steten Grinsen im Gesicht gelesen. Manchmal war es mir zwar etwas zuviel des Guten, aber dennoch: eine amüsante Lektüre.

Unter der Drachenwand
480 Seiten

Auch wenn dieses Buch meist nur indirekt über die Gräuel des 2. Weltkrieges berichtet - es ist mehr als genug.
Veit Kolbe, gerade einmal 24 Jahre jung, ist nach vier Jahren Kriegseinsatz verwundet nach Österreich zurückgekehrt und versucht, im kleinen Dorf Mondsee gesund zu werden und die Schrecken des Krieges etwas zu vergessen. Meist wirkt ER als Ich-Erzähler und berichtet ausführlich von den kleinen und großen Geschehnissen im Dorf, die das Leben der BewohnerInnen bestimmen. Auch sein eigenes Befinden schildert er ausführlich: die Schmerzen, seine Angstzustände und Erinnerungen über die Entsetzlichkeiten des Krieges, die Trauer über seine verlorene Jugend, seine Zukunftsängste; aber auch seine erste, sich sanft entwickelnde Liebesgeschichte mit seiner Zimmernachbarin Margot. Veit ist ein aufmerksamer und detaillierter Beobachter, dessen Niederschrift sein Tagebuch darstellt.
Dazwischen finden sich Briefe, die aus einer anderen Welt berichten: Margots Mutter schreibt von den Zerstörungen ihrer Heimatstadt Darmstadt und wie die Menschen versuchen, weiterzuleben. Und Kurt, der 17jährige Freund eines der Mädchen der Kinderlandverschickung in Mondsee, schreibt ihr Liebesbriefe und erzählt von seinem Leben in Wien.
Ein weiterer Ich-Erzähler ist der Jude Oskar Meyer, der mit seiner Familie zuerst unter falschem Namen weiterhin in Wien lebt, dann aber weiter nach Budapest flüchtet. Wie Veit notiert er sein Erleben und die Geschehnisse um ihn herum in einer Art Tagebuch.
Keine Frage, Arno Geigers Sprache ist meisterhaft. Er findet Worte, Sätze und Beschreibungen für das Entsetzen dieser Zeit, dass es kaum zum Aushalten ist:
"Krieg war ja eigentlich das einzige, was ich noch kannte. Alles andere kannte ich gar nicht mehr. Wie weit die Verzerrung des eigenen Wesens schon vorangeschritten ist, merkt man erst, wenn man wieder unter normale Menschen kommt.",
"... dabei fixierte er mich, wie man es ihm im Schnellsiedekurs für Geheimpolizisten beigebracht ... hatte.",
"Die Kindheit ist wie ein Holz, in das Nägel geschlagen werden. Die guten Nägel sind die, die nur so tief im Holz stecken, dass sie halten, sie beschützen einen wie Stacheln. Oder man kann später daran etwas aufhängen. Oder man kann die Nägel herausziehen und wegwerfen. Schlecht sind die ins Holz gedroschenen Nägel, deren Köpfe tiefer liegen als die Oberfläche des Holzes, man sieht gar nicht, dass dort etwas Hartes ist, ein vor sich hinrostender Fremdkörper."
Dennoch tat ich mich schwer mit diesem Buch, und der Grund dafür ist nicht die niederdrückende Stimmung, die während solch einer Zeit zwangsläufig herrscht und wirklich authentisch beschrieben wirkt. Die Geschichte, die hier erzählt wird, hat solche Längen, dass auch die schönste Sprache nicht darüber hinweghelfen kann. Und so musste ich mich stellenweise regelrecht zwingen, keine Seiten zu überblättern. Seitenweise werden die Befindlichkeiten und die verheerenden Zustände geschildert, ohne dass es zu irgendeiner Form von Wirkung oder Veränderung führt. Mag sein, dass dies der Realität entsprach - doch beim Lesen wirkt dies einfach sehr langatmig.
So ist mein Fazit: Eine grandiose Sprache, doch die Geschichte ist deutlich zu langatmig.

Der Vogelgott
267 Seiten

Richtig genial finde ich gruselige Romane, wenn sie nah an der Realität sind; dass die beschriebenen Schrecken eigentlich ganz nachvollziehbare Ursachen haben könnten. Eigentlich .... Denn ein paar kleine Dinge sind da immer, die doch nicht so einfach zu erklären sind. Susanne Röckel gelingt das in diesem Buch hervorragend - und nicht nur das!
Es beginnt mit dem Bericht einer bereits länger zurückliegenden Reise eines Mannes, der unvorhergesehener Weise in einem merkwürdigen Dorf Halt macht, wo er einen außergewöhnlichen Vogel sieht und beschließt, diesen gegen den Willen der DorfbewohnerInnen zu fangen, um ihn auszustopfen.
Danach gibt es einen zeitlichen Sprung und (vermutlich) die drei Kinder des Reisenden berichten von ihren eigenen Erlebnissen, die ihre Leben völlig veränderten. Geschickt bauen die drei Teile aufeinander auf: Der Jüngste (Thedor) schildert eine erlebte Begebenheit im Hier und Jetzt, die ihn in eine Klinik bringt (keine Sorge, das steht direkt am Anfang :-)). Die mittlere Schwester Dora hingegen beschäftigt sich erst aus beruflichem Interesse, dass jedoch bald den Großteil ihres Lebens bestimmt, mit der Geschichte eines Malers des 17. Jahrhunderts, dessen Erlebnisse eng mit denen ihres Bruders Thedor zusammenhängen, ohne dass sie davon weiß. Und der älteste Bruder Lorenz, der wie der Vater ein Mann des Verstandes ist und mit aller Kraft versucht, etwas aufzudecken, was nicht aufgedeckt werden und niemand wissen will. Was den Geschwistern nicht bewusst ist, ist, dass im Hintergrund aller drei Geschehnisse offenbar etwas wirkt, der auf unerklärte Art Einfluss auf ihre Leben nimmt.
Es gibt hier keinen Grusel mit Geistern oder anderen übersinnlichen Begebenheiten, sondern eher normale, unangenehme Dingen, deren Ursachen sich eigentlich leicht erklären lassen müssten: schlechte Gerüche, unsympathische Personen, Fragen ohne Antworten, die eigenen schlechten Gefühle. Alles zusammen jedoch hinterlässt ein immer stärkeres Unbehagen und die Ahnung wird zunehmend stärker, dass da etwas sein muss. Etwas, das hinter allem steht.
Am Ende gibt es eine Art Auflösung, die viele Zusammenhänge klärt (daher das Buch am besten zweimal lesen, im Zusammenhang ist plötzlich vieles verständlich), aber dennoch eine Menge an Fragen offen lässt. Und das Schaudern bleibt. Gut so, denn es soll ja noch eine Weile anhalten ;-)

Mörderische Renovierung
412 Seiten

Klappentext wie auch Umschlaggestaltung klingen vielversprechend: "Südstaaten-Gothic trifft auf europäischen Hip", dazu ein schwarzweißes Cover mit einem düsteren Gebäude, über dem ein mysteriöses Auge wacht. So startete ich mit einer gewissen Erwartungshaltung und wurde erst mal nicht enttäuscht. Der junger Student A. aus Großbritannien erbt von einem sehr entfernten, unbekannten Verwandten aus den USA eine Menge Geld und ein riesiges Gebäude: Axton House. Mit einer jugendlichen stummen Punk-Freundin, Niamh, reist er dorthin, um künftig dort zu leben und das Geheimnis um die Geister aufzuklären, die dort spuken sollen.
Es ist zwar eine chronologisch aufgebaut erzählte Geschichte, doch die Art und Weise unterscheidet sich sehr von anderen Büchern. Verschiedenste Formen von Berichten werden aneinandergereiht, die das Geschehen auf sehr unterschiedliche Weise darstellen: As Tagebucheinträge und Briefe an seine Tante; die Dialoge zwischen Niamh und A., die Niamh alle mitschreibt; Aufzeichnungen diverser Kameras, die an unterschiedlichen Standorten installiert sind; Mitschnitte einer Art Tonbandgerät und noch etliches Anderes. So wechselt ständig die Perspektive, ohne dass jedoch Wichtiges versäumt wird; stattdessen ist es häufig spannungssteigernd, wenn beispielsweise eine Kamera plötzlich nur noch einen kleinen Bildausschnitt zeigt.
Doch das hilft leider Alles nichts, denn die ersten 300 Seiten gestalten sich vergleichsweise zäh. Ja, es gruselt ein bisschen, Rätsel müssen gelöst werden (die für sich genommen wirklich interessant sind), aber für mich zeigte sich nirgendwo ein roter Faden, wo das Ganze denn hinführen sollte. Mit dem Auftauchen eines vermissten Freundes des Erblassers ändert sich das deutlich (leider sind dann bereits fast 3/4 des Buches gelesen) und es wird wirklich mysthisch, verwirrend und spannend, bis es am Ende leider in eine völlig andere Richtung wechselt.
Was das sollte, ist mir noch immer nicht klar, denn dieser Schluss passt so überhaupt nicht zu der ganzen Art dieser Geschichte. Auf mich wirkte er wie ein Fremdkörper und ich habe die letzten Seiten (die, die in den USA spielen) zweimal gelesen. Vielleicht mit der Hoffnung, dass ich etwas übersehen hätte - was leider nicht der Fall war.
Schade, denn der Autor kann wirklich witzig und unterhaltend schreiben. Und auch die Idee mit den aneinandergereihten Dokumenten hat seinen Reiz. So fehlt nur noch ein richtiger Plot, der die Spannung hält und nicht in einem zusammenhanglosen Massaker endet. Vielleicht ja beim nächsten Buch.

Der Strand bei Nacht
47 Seiten

Celina ist die Lieblingspuppe der fünfjährigen Mati, doch als diese ein Kätzchen bekommt, vergisst sie ihre Puppe in ihrer Begeisterung am Strand. Für Celina wird es eine Nacht voller Schrecken.
Eine kleine Geschichte, die in dieser Form wohl jedem Kind schon passiert ist: das Lieblingsspielzeug wird irgendwo liegengelassen und mit etwas Glück am nächsten Tag wiedergefunden. Was sich in der Zwischenzeit ereignet hat, bleibt normalerweise unbekannt. Doch von Celina erfahren wir es und das ist so erschreckend, dass auf jeden Fall Eltern diese Geschichte vorlesen sollten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Reime des Grausamen Strandwächters sich ausgesprochen seltsam anhören, für ein Kinderbuch eigentlich völlig fehl am Platz:
'Ob Mädchen, ob Junge
Raus reiß ich die Zunge
Den Namen ich stehle
Damit er dir fehle
Im Chor lasst uns schrei'n
Der Schatz hier ist fein
Spaß will ich haben
Und mich sehr laben
An Deinem Schmerz
Wenn ich stech dir ins Herz.'
Ob es sich auf etwas spezifisch Italienisches bezieht? (Die Autorin ist Italienerin). Das wäre vielleicht eine Erklärung.
Was aber Vieles wett macht, ist die liebevolle Ausstattung und Aufmachung dieses kleinen Büchleins, das nicht gerade günstig ist. Mara Cerri hat auf mehreren Seiten farbige, fast schon kleine Gemälde beigefügt, auf denen die Schrecken Celinas klar zu erkennen sind. Man sieht, dass sie eigentlich eine leblose Puppe ist, trotzdem wirkt sie (vielleicht durch ihre blauen Augen) voller Leben und man fürchtet sich mit ihr. Die Zeichnungen sind sehr gegenständlich und mit satten Farben gemalt, sodass sie vermutlich auch Kinder begeistern können.
Ein HappyEnd rundet das Ganze ab (etwas Anderes wäre wohl auch nicht zu verantworten gewesen ;-)) und so bleibt am Ende vielleicht sogar eine Geschichte mit Lerneffekt: Auf seine Sachen aufpassen ;-)

Die letzte Terroristin
362 Seiten

Zwanzig Jahre ist es her, dass die Rote Armee Fraktion (RAF) ihre Selbstauflösung verkündet hat. Doch bis heute sind nur wenige Täter und Täterinnen der Dritten Generation von 1985 bis 1993 bekannt und verhaftet worden. Viele der Morde und Attentate dieser damaligen Zeit sind noch immer unaufgeklärt und lassen somit viel Raum für Theorien jeglicher Art.
Auch André Georgi nutzt diesen Freiraum und stellt eine fiktive Terroristin in den Mittelpunkt seines neuen Thrillers, während viele der weiteren handelnden Figuren deutlich realen Personen zuzuordnen sind. Schnell lassen sich die im Buch beschriebenen Attentate den ermordeten Managern Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder zuordnen; zwei der Terroristen stellen mit großer Wahrscheinlichkeit Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams dar. Georgi hält sich bei den Beschreibungen der Tatabläufe eng an die bekanntgegebenen Ereignisse, wohingegen sich die im Hintergrund ablaufenden Geschehnisse vermutlich an dem Buch 'Das RAF-Phantom' von Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker orientieren.
Gekonnt verbindet er diese beiden Ebenen zu einem bis ans Ende spannenden Thriller, der eine Enthüllung anbietet, die unglaublich klingt, aber auf den zweiten Blick vielleicht doch überhaupt nicht so abwegig scheint. Hinzu kommt ein für ein solches Genre ungewöhnlicher Schreibstil: Manche der Sätze tropfen geradezu vor Ironie, Sarkasmus und teilweise sogar ein bisschen Bösartigkeit, dass es eine wahre Freude ist ;-) Dass sie dabei gelegentlich etwas ausufern und ein wenig zu komplex geraten - geschenkt. Ein packendes Leseerlebnis!

Kampfsterne
224 Seiten

Wie lebte es sich in der gutbürgerlichen Mitte der 80er Jahre? Alexa Hennig von Langes Darstellung verschiedener Personen, die als NachbarInnen in einer scheinbaren Vorortidylle wohnen, ist deprimierend und erschreckend. Nach außen hin wird das Bild der kultivierten, durchaus intellektuellen Menschen gehegt und gepflegt, die das Schöne und Gute zu schätzen wissen und füreinander da sind. Tatsächlich ist jede der beschriebenen Familien auf ihre Weise jedoch durchdrungen von Gewalt, Neid, Frust und jeder Menge weiterer negativer Gefühle. Oh ja, es gibt auch die Guten, die sich nach Liebe und Frieden sehnen; doch sie werden ohne jede Rücksicht physisch und psychisch klein gemacht.
Die Autorin schildert das eindrucksvoll, immer wieder gibt es einen nicht allzu langen (teilweise auch sehr kurzen) Abschnitt aus der Sicht einer der BewohnerInnen dieser Siedlung. So hört man Kindern, Teenagern und Erwachsenen zu, Frauen und Männern - fast alle hadern in irgendeiner Form mit ihrem Schicksal. Die einzige Ausnahme ist das kleine Lexchen, das einfach nicht mehr weiterwachsen will. Vielleicht weil es ihr dann besser geht?
Alexa Hennig von Lange kann gut Geschichten erzählen, daran zweifle ich nicht im Geringsten. Doch bei einer solchen Vielzahl von Erzählstimmen reichen gute Geschichten nicht, hier muss die Verschiedenheit der Stimmen erkennbar sein. Doch Alles klingt annähernd gleich, selbst die Kinder hören sich wie Erwachsene an. Beispielsweise wenn das achtjährige Lexchen erzählt: 'Das Zimmer macht Mama nervös, als würde sie gleich selbst eine Diagnose bekommen. Ihre Stimme ist brüchig, ...'. Auch die Figuren wirken nicht überzeugend. Eine der Frauen wird von ihrem Mann geschlagen, nicht nur einmal - und plötzlich scheint wieder alles eitel Sonnenschein. Keinerlei Widersprüche, die sie mit sich selbst austrägt, alles ist offenbar so, wie es sein muss.
Wären die Figuren glaubwürdiger und ihr jeweiliger Erzählstil differenzierter, wäre es eine richtig tolle Geschichte geworden, denn die Grundidee finde ich wirklich gut. So jedoch bleibt es bei einer Zwischendurchlektüre, die schnell wieder vergessen ist. Zumindest von mir.

Zärtliche Klagen
272 Seiten

Dies ist einer der älteren Romane der Autorin - und leider keiner der Besseren. Es geht um eine sich sanft entwickelnde Dreiecksbeziehung, in der jeder der Drei eine große Last der Vergangenheit zu tragen hat. Die Ich-Erzählerin Ruriko hat endlich ihren seit Jahren untreuen und auch gewalttätigen Ehemann verlassen und sucht Unterschlupf in einer einsamen Gegend, wo das Landhaus ihrer Familie steht. Dort trifft sie auf Nitta und Kaoru, die in einem Nachbarhaus Cembalos bauen. Die Drei freunden sich an und Ruriko verliebt sich in Nitta. Trotz der Affäre, die die Beiden beginnen, besteht weiterhin eine besondere und enge Beziehung zwischen Nitta und Kaoru, die Ruriko keine Ruhe lässt.
Auch in diesem Buch kommt die so typisch poetische Sprache der Autorin deutlich zum Vorschein, doch allein dadurch entsteht leider noch kein guter Roman. Bedauerlicherweise sind die Figuren dieser Geschichte derart widersprüchlich und zum Teil auch oberflächlich dargestellt, dass ich immer wieder die Lust verloren habe, weiterzulesen. Insbesondere Ruriko, die die Hauptfigur darstellt, legt ein solch törichtes Verhalten an den Tag, dass ich nur noch den Kopf schütteln konnte. Natürlich kann eine Frau um die Vierzig, die frisch verliebt ist, sich verhalten wie ein Teenager, doch ihre Reaktionen sind selbst für eine Jugendliche kaum nachzuvollziehen. Oder weshalb sie sich immer wieder von ihrem Mann schlagen ließ ohne sich zu wehren - es gibt keine Erklärungen, weshalb sie es erduldete.
Die anderen Figuren, insbesondere Nitta und Kaoru, werden trotz ihrer Bedeutung für die Geschichte nur oberflächlich dargestellt. Ich habe leider noch immer nicht verstanden, was die Ursachen für Nittas Flucht waren oder was Kaoru bei Nitta hielt. Und nein, ich muss in einem Buch nicht alles verstehen, aber zumindest möchte ich die Hauptfiguren besser kennenlernen, was mir hier bedauerlicherweise nicht gelungen ist.
Schade, von diesem Buch hatte ich mir mehr versprochen.

Bekenntnisse eines Nachtsportlers

Ich mag Wigald Boning und seine Art zu erzählen. Sein Humor und sein näselnder Sprachstil mag nicht jedermanns Sache sein, aber wer es mag, wird mit diesem Hörbuch ein paar vergnügliche Stunden erleben.
Neben seiner Transformation von der Couchpotatoe zum Extremsportler (zumindest in einigen Disziplinen) berichtet er auch allerlei Vergnügliches von seinem Alltag als Ulknudel im Deutschen Fernsehen wie auch aus seiner Jugend im niedersächsischen Oldenburg. Irgendwie fand ich es tröstlich zu erfahren, dass jemand der durch die Berge joggt und Marathon läuft, in seinen jungen Jahren eher als unsportlich zu bezeichnen war. Da bleibt ja noch Hoffnung ;-)
Boning plaudert nicht nur von seinen Erfolgen bei diversen (seltsamen) Sportarten, sondern verschweigt auch nicht, welche Strapazen und Misserfolge er davor durchlebte. Das macht er so charmant, dass er einerseits mein ganzes Mitleid hatte, andererseits konnte ich mir jedoch ein Grinsen nicht verkneifen.
Schön ist auch, dass es durchaus ein paar kleine Tipps gibt, wie man selbst wieder in Bewegung gerät. Für mich habe ich auf jeden Fall den Treppenlauf im Hotel mitgenommen ;-)
Einziger Wermutstropfen (den auch andere HörerInnen bereits genannt haben): Die Dynamik des Hörbuchs ist wirklich unterirdisch. Erst ist fast nichts zu hören, worauf man es lauter stellt, um dann kurz darauf fast einen Hörschaden zu erleiden. Das geht doch besser.

Carl Tohrbergs Weihnachten

Schon dem Talmud war klar: Kein Mensch weiß, was im Herzen seines Nächsten vor sich geht. Und die drei Geschichten von Ferdinand von Schirach zeigen dies mehr als deutlich. Alle Protagonisten führten ein völlig 'normales' Leben: unauffällig und angepasst. Doch irgendwann war es eine Kränkung oder Verletzung zuviel und ihre Wut und ihr Ärger darüber suchten sich ein Ventil, das sie aus ihrem ach so normalen Leben ausbrechen ließ. Jeder auf seine Weise.

Ferdinand von Schirach beschreibt diese weitgehend durchschnittlichen Leben auf eine so ruhige und gelassene Art, dass die plötzliche Ungeheuerlichkeit fast schon beiläufig daherkommt. In einem Fall wird sie beinahe nebenbei in einem Satz erwähnt, den man fast überhört. Der Vorleser Christian Berkel setzt diese Ruhe und Gelassenheit gelungen um, so dass diese 'Ausbrüche' umso drastischer wirken, sodass man sie beim ersten Hören kaum zu glauben mag und sich deshalb gleich nochmals anhört (zumindest erging es mir so ;-))

Es sind wirklich gute Geschichten, die nur den Nachteil haben, dass sie viel zu kurz sind. Gerade einmal 48 Minuten hat die CD und wenn man dafür den vollen Preis bezahlt, ist das schon ein recht teures Hörvergnügen. Für den halben Preis oder weniger kann ich aber dazu raten, sich die CD zuzulegen. Es lohnt sich.

Archipel
432 Seiten

Es scheint einen neuen Trend in der Literatur zu geben: Statt einer durchgehend chronologischen Familiensaga präsentiert man den Lesenden die handelnden Personen in etwas größeren Häppchen. In einzelnen Abschnitten werden vergleichsweise kurze Zeitspannen dargestellt, die mehrere Jahre, teils auch Jahrzehnte auseinanderliegen. Beispiele dafür sind 'Häuser aus Sand' von Hala Alyan (2018), 'Heimkehren' von Yaa Gyasi (2017) und auch 'Archipel' von Inger-Maria Mahlke, das ebenso aufgebaut ist.
Zu Beginn des Buches steht die Familie um Ana und Felipe im Mittelpunkt. Er stammt aus einer ehemals einflussreichen, alteingesessenen und noch immer reichen Familie, die zu Francos Herrschaft zahlreiche Privilegien genoss. Anas Eltern hingegen waren die Leidtragenden zu jener Zeit, verloren Familienmitglieder und ihren Besitz. Die Autorin bezieht in ihren Roman auch das Umfeld der beiden Familien mit ein: die Dienstmädchen, Freunde der Familie, Geliebte usw. und entwirft so ein umfassendes Panorama der damaligen Gesellschaft Teneriffas.
Die Geschichte, die vollständig auf Teneriffa spielt, umfasst die Jahre 2015 bis 1919, das Jahr, indem einer der Protagonisten geboren wird. Weshalb die Geschehnisse von der Gegenwart ausgehend rückwärts erzählt werden, kann ich auch nach dem Ende des Buches nicht nachvollziehen. Denn statt mit den Figuren ihre jeweilige Entwicklung mitzuerleben und zu erleiden ;-) betrachtete ich sie so eher von außen. Ich kam ihnen nicht nahe und hatte mehr damit zu tun, jeweils einzuordnen, um wen es sich im Einzelfall handelte. Im Nachhinein würde ich Interessierten empfehlen, das Buch lieber rückwärts zu lesen.
Womit ich ebenfalls zu kämpfen hatte, war der Sprachstil der Autorin. Sie nutzt häufig kurze Sätze, teils ohne Verb oder Subjekt und längere, die wie eine Art Aufzählung wirken. Auf mich wirkte es stellenweise so nüchtern wie eine Bedienungsanleitung - vielleicht hadere ich auch deshalb etwas mit diesem Buch.
Was ich als überaus bereichernd empfand, war, dass ich das Buch während eines Teneriffaurlaubes gelesen habe. Inger-Maria Mahlke beschreibt die Insel so exakt wie anschaulich, dass ich beim Lesen stets genau wusste, wo sich die einzelnen Figuren jeweils aufhielten. Zudem erfuhr ich praktisch nebenbei eine Menge über Teneriffas (und auch Spaniens) Geschichte und Traditionen, die so nicht im Reiseführer stehen. Oder wem ist San Borondón geläufig, die sagenumwobene achte Kanareninsel? Hat man die Stadtpläne von La Laguna, Santa Cruz oder Puerta de la Cruz neben sich liegen, kann man Felipe, Ana, Julio und den andern Straße für Straße folgen.
Alles in allem eine interessante Lektüre, die sich nicht so nebenbei lesen lässt.

Vom Ende der Einsamkeit
354 Seiten

Nach einem schweren Motorradunfall wacht Jules, der Ich-Erzähler, im Krankenhaus auf und erinnert sich an sein Leben, beginnend mit dem Zeitpunkt, als seine Kindheit ihre Unbeschwertheit verlor. Als er, 11 Jahre alt und seine Geschwister Marty, 14 und Liz, 15 Jahre, durch einen Autounfall ihre Eltern verlieren. Sie kommen in ein Internat, wo sie getrennt voneinander aufwachsen und jede/r auf ihre/seine Art versucht, damit klar zu kommen.
Es ist eine melancholische Geschichte, in der die Trauer um die Eltern sowie der indirekte Verlust der Geschwister und die damit verbundene Einsamkeit beinahe durchgängig zu spüren ist. Dennoch ist es kein deprimierendes Buch, denn immer wieder gibt es glückliche Momente, die so wunderbar beschrieben sind, dass sie das Leid der vorhergehenden Seiten fast vergessen machen. Zwar sind sie nicht von Dauer (zumindest nicht bei Jules), doch auch die dunklen Abschnitte im Leben halten nicht ewig an. Stets aufs Neue gelingt es den Geschwistern, sich aus ihren jeweiligen schwierigen Lebensphasen zu lösen und einen neuen Versuch zu wagen.
Benedict Wells schreibt dies auf eine derart eingängige und leicht zu lesende Weise, dass ich das Gefühl hatte, als stünde er neben mir und erzähle mir das Ganze wortwörtlich. Und so ganz nebenbei werden auch die großen Fragen des Lebens aufgegriffen, ohne dass es jedoch in einen philosophischen Exkurs ausartet: Was ist Zeit? Realität? Das wahre Leben? Überhaupt natürlich: der Sinn des Lebens.
Ein wundervolles Buch, das ich mit Tränen in den Augen und dennoch beglückt gelesen habe.

Herbststurm
437 Seiten

Auch der dritte Teil um den Münchner Kommissar Reitmeyer spielt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Wie überall in Deutschland ist nach dem Krieg die Armut groß und die Arbeitslosigkeit hoch. Und gerade in München machen sich dies rechte Kreise zu Nutze, um AnhängerInnen für ihre kruden Ideen zu sammeln. Als zwei Mitglieder eines Freikorps ermordet werden und eine immense Dollarsumme gefunden wird, besteht schnell der Verdacht auf interne Streitigkeiten. Doch auch die Suche nach einer verschwundenen jungen russischen Frau könnte damit in Verbindung stehen, denn einer der Toten arbeitete als Detektiv. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, denn der Freicorps hat Beziehungen bis in die obersten Ebenen.
Neben den bereits genannten Handlungsfäden gibt es noch einige weitere, die zwar im privaten Bereich beginnen, sich im Laufe der Geschichte aber als Bestandteil des Kriminalfalles heraussstellen. Mir waren dies jedoch zu viele lose Fäden, die sich durch den Großteil des Buches ziehen. Die verschwundene Russin scheint zwar von Anfang an eine wichtige Rolle zu spielen, wird jedoch immer mehr zu einer Randfigur, bei der ich mich fragte, was sie mit dem Ganzen überhaupt zu tun hat. Oder diverse einzelne Personen des Freicorps, die einen mehr oder weniger großen Auftritt erhalten, um dann wieder zu verschwinden. Oder dass Menschen sterben, offenbar eines gewaltsamen Todes, und Alles nach zwei, drei Seiten vergessen scheint. Einige Handlungsstränge weniger hätten zwar keine 430 Seiten mehr ergeben, es hätte der ganzen Geschichte vermutlich aber sehr gut getan.
Wirklich richtig gut ist in diesem Buch der geschichtliche Hintergrund, der hier nicht nur als Kulisse dient. Angelika Felenda kennt sich aus mit dem, was sie schreibt (zumindest liest es sich so. Und sie hat auch Geschichte studiert ;-)). Die damaligen Verhältnisse spiegeln sich in sämtlichen Ereignissen wider, egal ob in der Kriminalbehörde, im Nachtleben oder in den familiären Beziehungen. Ich habe wieder (wie bereits in den beiden Vorgängerbänden) eine Menge über diese Zeit der Zwanziger Jahre in München erfahren.

Sechs Koffer
208 Seiten

Ich gestehe, Maxim Biller ist mir unsympathisch. Die Kolumnen und Artikel, die ich kenne, sind voller Wut, Selbstgerechtigkeit und Arroganz. Und so war ich gespannt, was mich bei diesem Buch erwartet und habe mein Möglichstes getan, es ohne Vorurteile zu lesen. Nicht ganz einfach, gebe ich zu ;-) Doch für einen derart streitsüchtigen Autor wie Maxim Biller ist es ein unerwartet sanftes und trauriges Buch, wobei das traurig weniger überraschend ist. Irgendwoher muss seine permanente Wut ja kommen.
Aufgrund des Verrats eines Familienmitglieds wurde Großvater Tate vom KGB wegen 'Wirtschaftsverbrechen' hingerichtet; über die genaueren Einzelheiten wird nicht gesprochen. In sechs Abschnitten schildert der Enkel als allwissender Erzähler die Geschehnisse aus Sicht verschiedener Familienmitglieder, wobei man glaubt, der Lösung jeweils näher gerückt zu sein - um dann im nächsten Kapitel eines Besseren belehrt zu werden. Zeitgleich wird auch die Lebensgeschichte der jeweiligen Person beschrieben, sodass sich nach und nach eine fast vollständige Familiensaga des letzten Jahrhunderts darstellt, mit all den komplexen Verflechtungen untereinander.
Es ist kein Buch, bei dem man mit den Figuren fühlt und leidet. Nicht, dass sie nichtssagend wären, ganz im Gegenteil. Alle besitzen etwas Außergewöhnliches, doch sobald sie einen etwas zu positiven Eindruck hinterlassen könnten, werden ihre negativen Eigenschaften in den Vordergrund gestellt. Da ist die erfolgreiche, wunderschöne Natalia, die aber nur dem Geld hinterherjagt. Der liebenswerte Dima, der bedauerlicherweise etwas dumm ist. Die lebensfrohe Rada, der ihre Kinder eher eine Last sind.
Die Geschichte dieser jüdisch-tschechisch-russischen Familie jedoch ist eindringlich und sie macht deutlich, wie schwierig das Leben in einer Diktatur war. Kein Vertrauen zu niemandem, selbst nicht zu einem Kriegskameraden, dem man das Leben rettete? Wie behält man Geheimnisse in Gefangenschaft? Es sind Fragen, die sich der Enkel stellt, als er kurz davor ist, über seine Verwandten zu urteilen. Wie wäre es ihm ergangen? Was hätte er getan? Und wir?
Eine gute Geschichte, die dennoch nicht völlig frei ist von Maxim Billers Wut und Verächtlichkeit - daher zwei Sterne.

Schneesturm und Mandelduft

Kommissar Martin Molin kommt eher widerwillig mit seiner neuen Freundin zum Weihnachtsfest ihrer Familie mit. Schon bald ist klar, die einzelnen Mitglieder dieser Familie sind sich alles andere als einander zugetan. Das betagte Oberhaupt Ruben möchte sein Erbe regeln, verachtet aber bis auf einen Enkel seine Verwandten. Als er während des Essens stirbt, ist schnell klar: Es war Mord. Und es kann nur jemand aus der Familie gewesen sein.
Die Geschichte ist nett erzählt, aber schwer klischeebeladen. Jede und jeder hat seine Geheimnisse, die nun nach und nach ans Licht kommen und letztendlich gibt es wohl niemanden bis auf einen, die/der kein Motiv hatte, den Mord zu begehen. Keine allzu überraschenden Wendungen, irgendwie hat man diese Geschichte auf die ein oder andere Art schon mehrfach gesehen/gehört/gelesen. Und wäre da nicht das Ende, wäre es ein absolut durchschnittlicher Krimi, wie es ihn zu Dutzenden gibt. So aber reißt das Finale dann doch Einiges wieder raus, auch wenn es schon ein bisschen konstruiert wirkt.
Nina Petri ist eine souveräne und angenehme Vorleserin, sodass es insgesamt eine leichte zweieinhalbstündige Zwischendurchunterhaltung ist, für die jedoch als Hörbuch der normale Preis definitiv zu hoch ausfällt.