Radikale Zärtlichkeit - Warum Liebe politisch ist
256 Seiten

Ich bin auf Kurt aufmerksam geworden, weil sie in einer Sendung, die Georg Restle über das Gendern machte, kluge Pro-Argumente brachte (was leider durchaus selten ist). Demnach dachte ich, dass ich diesem Buch eine Chance geben kann, denn allein schon der Titel irritierte mich.

In diesem Buch finden sich nicht sonderlich viele Gedanken. Das ist wahrscheinlich auch nicht das Ziel der Autorin. Vielmehr ist dieses Buch ein "So denke ich darüber, weshalb das so ist, weiß ich nicht". Demnach bleibt sie in Widersprüchlichkeiten, die sie auch freimütig zugibt.

Dass sie Karl Marx für ein an Cringe nicht zu überbietendes Interview nutzt, ist traurig. Der Meister der messerscharfen Dialektik würde dieses Buch entrüstet zu Boden werfen.

Allgemein kommt mir das Empfinden Kurts als sehr kalt, wüst und öde herüber, auch depersonalisiert und beinahe schon so wie bei einem Cotard-Syndrom. An manchen Stellen scheint sie ähnliche Gedanken zumindest zu äußern.

Watership Down
478 Seiten

Eigentlich ist es nur eine Geschichte über Hasen, die ein neues "Gehege" suchen. Doch in diesem Roman liegt noch so viel mehr. Es geht ein ganz eigener Zauber von ihnen aus, wenn sie ihre eigene Mythologie haben (der listenreiche El-ahrairah als Urvater der Hasen usw). Das eine Gehege war eine interessante Allegorie auf eine Art sozialistischen Staat, das zweite jedoch eher "Totalitarismus iwS". Ohne spoilern zu wollen kann man sagen, dass dieses Buch seine Magie daraus zieht, dass die Hasen einerseits so menschlich, andererseits so tierartig sind. Ganz zu Ende erzählt eine Mutter ihrem Wurf eine Geschichte El-ahrairahs, die sehr dem "Exodus" der Kaninchen ähnelt, die von Hazel und Fiver angeführt wurden. Und das Ende war wirklich, wirklich schön und auch traurig.

& Influencer
192 Seiten

Wenn der sympathischste Unsympath, die fleischgewordene Definition eines Salonbolschewisten (im guten Sinne), der Kritik-Kritiker, der Haarölnutzer Wolfgang M. Schmitt, sich anschickt, ein Buch über Influencer zu veröffentlichen, so will ich es natürlich lesen. Dass dieses Buch mit seinem Podcast-Kollegen Ole Nymoen ("Wohlstand für alle", empfehlenswert) verfasst wurde, merkt man kaum. Man findet viele Formulierungen und Essays, die Schmitt ansonsten in seinen Filmanalysen benutzt, allen voran Siegfried Kracauer und sein lustiges Gebashe gegen Friedman und Hayek.

Das Buch besticht durch scharfe Analysen, die etwas zu nischig sind, um sie hier zu beschreiben.

Aufgelockert wird das Ganze durch Zwischenkommentare, die auf Boomertum oder den letzten Rest intellektueller Würde schließen lassen, zum Beispiel kommt der Nebensatz vor: "Das Herzchen ersetzt den Schlusspunkt und beschließt somit den Satz". Amüsant. Lustiger war nur noch dieses hier: "Einzig der Stuhlgang bleibt der Community bislang verborgen, während das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm mit Werbespots für Produkte zur Verdauungsförderung und gegen Inkontinenz durchsetzt ist. Es bleibt spannend, ob die Influencer diesen demografischen Wandel bald auch vollziehen werden."

Die Tyrannei des Schmetterlings
736 Seiten

Frank Schätzing schätze ich für seine langen Romane, die viele Figuren haben und gemeinhin als "gut recherchiert" gelten.

Dieser Roman gehört freilich nicht dazu. In diesem Roman, der mit den diffusen Ängsten vor Künstlichen Intelligenzen und der urarchaischen Angst vor Insekten spielt, bleibt zu diffus. Die Protagonisten sind alle durch die Bank viel zu überzeichnet, der Durchschnitts-IQ dürfte bei gefühlt 150 liegen, ebenso das Gewicht der beim Bankdrücken bewegten Hantelscheiben (zu 5 Sätzen mit 10 Wiederholungen). Das ist vielleicht auch der Konzentration im Silicon Valley verschuldet; doch es ist enervierend, wenn ein Soldat mit vier B. Sc. aufwartet und selbst zierliche Frauen nach mehreren Schlägen, vollzogen mit einem Gewehrlauf, nicht k.o. gehen. Seltsam fand ich auch die Szene, in der auf einmal ein paar Charaktere in den Raum geworfen wurden, die jeweils eine Spezialeigenschaft besaßen. Es erinnerte an "Ocean's Eleven", doch eher ungewollt und bar jeder Selbsterkenntnis.

Was Schätzing schon im "Schwarm" am Ende machte, das fand sich diffus schon während des ganzen Romans, am Ende war es beinahe genau gleich wie in seinem ersten bekannten Buch. "Na hoppla, da ist so eine große und die Menschheit klein wirken lassende Intelligenz, die einem ein bisschen Angst macht". Das Ende wirkte auch nicht sonderlich zufriedenstellend.

Die wichtigste Frage war eher nebensächlich: kann eine Künstliche Intelligenz, die super-human ist, wirklich alle Menschen retten und ihnen ein würdiges Leben verleihen (wie genau das aussehen mag, bleibt ungewiss. Soll jeder leben können wie ein Influencer, dauerreisend und hedonistisch?)? Da er einem Konzern angehört, soll er im Sinne der Entwickler natürlich in kapitalistischen Bahnen handeln (was eine super-humane Elite produzierte, bei einer großen Schar von "Verlierern"). Und so kommt es, die ultimative Disruption und der erste wirkliche Umsturz des Proletariats: Ares (es ist tatsächlich amüsant, dass man seiner menschenfreundlichen KI den Namen des Kriegsgottes der imperialistischsten Kultur ever gab) vernichtet die Menschen und verwandelt den Planeten mittels seiner umgewandelten Insekten in ein einziges, riesiges "Gehirn" iwS.

Die Schwächen des Romans können von den Stärken leider nicht kaschiert werden.

Sokrates
176 Seiten

Diese Einführung, die ich vor vielen Jahren in einem Klosterladen gekauft habe (warum haben die das da drin liegen, frage ich mich rückwirkend) besteht eher aus: "Ja, also; schriftliche, wahre Aussagen gibt es von Sokrates nicht, bloß die Dialoge von Platon und er hatte sicher im Interesse, dass sein Lehrer cool dargestellt wird, Aristoteles kannte ihn gar nicht persönlich und hatte bestimmt einen besseren Blick auf ihn und seine Bildnisse stimmen wahrscheinlich auch nicht, weil man seine Physiognomie mit der des Silen vermischt hat, weil die Griechen sehr seltsame Physiognomielehren hatten, hahaha Sokrates". Die biographischen Eckdaten kannte ich schon, sie wurden ein wenig angereichert. Nicht schlecht, nicht herausragend. Es kommt ohnehin keiner an Diogenes von Sinope ran.

Der menschliche Makel
399 Seiten

Wow, wow, wow. Das war ein wahres Erlebnis. Das Schicksal verschiedener Menschen, die sich durch das auszeichnen, was der Titel verrät. Im Buch selbst wird der menschliche Makel den Tieren zugeschrieben, die den Menschen zu zutraulich wurden und sich dann nicht mehr mit den eigenen Artgenossen unterhalten können. Dass das natürlich EXTREM metaphorisch ist, tut dem keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Dass dies am Beispiel eines Raben gezeigt wird, hat im Hinblick auf das amerikanische Gedicht schlechthin eine noch größere Bedeutung.

An sich geht es um das Ich und die Verleugnung dessen und der Vergangenheit.

Sei es der Protagonist Coleman Silk (71), der als Professor "gecancelt" wurde, wie man so schön sagt (er sagte in einem Seminar über zwei schwarze Studentinnen, die er noch nicht sah und von denen er nicht wusste, dass sie schwarz sind, dass sie "dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen" seien. Dieter Nuhr hätte das sicher aufgegriffen), jedoch sein Leben auf der Lüge aufbaute, ein Jude zu sein. Er selbst ist Afroamerikaner, doch hierbei mit einem "Teint versehen, mit dem er auch als arabischer Jude hätte durchgehen können".

Die junge und aufstrebende Professorin Delphine Roux hingegen ist eine feministisch denkende und im gedankenreich prosperierenden Frankreich aufwuchs. Sie spinnt Intrigen gegen Silk; jedoch wird für den Leser ersichtlich, dass sie auf der (metaphorischen) Flucht (/Abgrenzung) vor ihrem sehr privilegierten Elternhaus (bzw ihrer Mutter) zu sehr in Paradoxa lebt. Dieses erkannte der ehemalige Dekan auch, dass sie intelligent sei, doch emotional noch nicht gefestigt genug und überdies zu blasiert. Aufgrund dieser Abneigung, die sie verspürte, weil er sie nicht in ihrem Schaffen akzeptierte (und das war das einzige, was sie an sich hatte, es war ihre Identität) oder auch aufgrund weiter zurückliegender Ereignisse gab es einen beinahe schon sehr Freud'schen Moment, bei dem Roux nach Stunden des Formulierens einer Anzeige (für einen Liebespartner, so wie man es von früher kennt) (und im Übrigen dachte sie sehr lange darüber nach, dass es nur jemand der white race sein solle) wie im Brainstorm viele Eigenschaften, innerlich und äußerlich, aufschreibt, die in Gänze nur auf eine Person zutreffen: Coleman Silk. Großes Hoppla, dass sie das dann als Rundmail schickt, in der Nacht des Todes von ihm (sie faked es dann so, dass sie einen Einbruch Silks faked, den alle gerne glauben). Wie er starb? Er hatte ein Verhältnis mit

Faunia Farley, einer 34-jährigen Putzfrau und Angestellten in einem Milchkuhbetrieb. Dieses Verhältnis aus Analphabetin und Prof. em. war natürlich ein leichter Skandal. Die Beschreibungen dieses Verhältnisses jedoch, die waren für mich ein wahres """"Literatur""" ist schon was Tolles"-Erlebnis. Farley war keine Analphabetin, wie sich nach ihrem Tod herausstellte, denn sie führte Tagebuch.

Ich will es dabei belassen. Dieser Roman war einfach großartig. Ich werde noch weiter darüber nachdenken. Könnte ich sechs Sterne geben, würde ich sechs Sterne geben.

David Copperfield
876 Seiten

Nachdem ich dieses Buch auf einem Weihnachtsmarktbücherflohmarkt gekauft hatte und 4 Kapitel gelesen hatte, habe ich nach 2 oder 3 Jahren Unterbrechung das Buch über Spotify gehört. Mehr gibt es darüber nicht zu sagen. Es ist eher etwas, um sich berieseln zu lassen.