Siebenhunderttausend Damen können nicht irren. Siebenhunderttausend Mal verkaufte sich Lori Nelson Spielmanns Roman Morgen kommt ein neuer Himmel allein in der Bundesrepublik Deutschland. Und das sind nur die Druck- und Ebook-Exemplare. Der Argon-Verlag möchte auch ein wenig vorn der Torte „Belletristik Bestseller Nr. 1 / 2014“ mitessen und legte ein Hörbuch nach. Mit Anja Stadlober fand man zudem eine sehr gute Besetzung für dieses Sujet. Der Grundton ihrer Lesung ist ein wenig wehleidig und doch irgendwie zupackend.
Denn nichts anderes bleibt der Roman-Heldin Brett Bohlinger übrig. Ihre abgöttisch geliebte Mutter verstirbt an Krebs als Brett gerade mal 34 Jahre alt ist und somit noch gar nicht richtig im Leben steht. Im vollen Bewusstsein ihres jugendlichen Unvermögens rechnet sie damit, das zig millionenschwere Familienunternehmen zukünftig zu leiten. Natürlich hat sie davon keine Ahnung und natürlich ist sie die Einzige, die ihre Mutti wirklich geliebt hat. Deswegen liegt sie heulend in deren Bett, während unten die vollkommen beschäuerte Restfamilie versammelt ist. Und weil die Paarung dieser schrecklichen Umstände so schwer und erdrückend ist, kippt sich unser nun auch schon etwas gealtertes Girlie in der Eröffnungs-Szene erstmal eine 700-$-Pulle Champagner in die nichtsnutze Birne. Doch die Firma bekommt nicht Brett sondern deren blöde Schwägerin. Brett erbt eine Liste mit Lebenszielen, die sie zu allem Überfluss während ihrer Pubertät selbst zu Papier gerotzt hat und von der sie nun so gar nichts mehr wissen will. Darauf stehen so flauschige Dinge wie ein Köter und ein Zosse. Aber auch Gutes wollte sie – naiv wie sie war – einmal vollbringen. Letztendlich wollte sie sich dann noch in den richtigen verlieben und mit dem Thema – Sie ahnen es – lag mir Stadlober den ganzen Rest der Romanlesung andauernd in den Ohren. Ein junger Anwalt, der glücklich/unglücklich eine ältere Frau liebt, soll die Erlangung der Ziele überwachen. Immer, wenn seiner Meinung nach ein Ziel erreicht ist, bekommt die dumme Brett einen Brief von Mutti in einem rosafarbenen Umschlag.
Kürzen wir das ab: Brett erlangt fast alle Ziele. Eines wird ihr von unserem Anwalt erlassen. Sie wird eine Lehrerin, hilft gesellschaftlich vernachlässigten Menschinnen, bekommt das Sorgerecht für das Baby einer Nebenfigur, die dankenswerterweise zu diesem Zwecke aus dem Roman durch Hinschied abtritt, nennt einen Lastrami (Landstraßenmischung) ihr eigen … und verliebt sich in den Richtigen. Jedenfalls erfährt man nichts Gegenteiliges, da auch jeder noch so schöne Roman einmal sein Ende finden muss. Alles weitere lesen wir dann im Gedicht Danach von Kurt Tucholsky. Den Rest meiner Kritik hier: theiresiasweb.de/2015/04/22/der-roman-zur-debatte-regrettingmotherhood/
Engagierte Literatur - Es gibt sie noch. Und Ihr Problem bleibt das alte: Man erkennt irgendwann nach 70 Seiten die Absicht und ist darüber entweder erfreut, also folglich gelangweilt, oder verstimmt. Dave Eggers findet vielleicht für das Gehabe der amerikanischen Großkonzerne Facebook, Google und Apple eine treffende Ästhetisierung, es gelingt ihm auch auch, das Always-On-Paradigma schlüssig durchzudeklinieren, nur eine Geschichte vermag er nicht zu erzählen, Figuren nicht zum Leben zu erwecken und spannende Plots liegen ihm so was von gar nicht.
Ein zur Erzählung gewordener Literaturkanon (oder umgekehrt)? Denn die deutsche Literatur gründet auf weit mehr Schultern als Goethe und Schiller. Grass vielleicht humorreichster Text.
Ein Wochenende im Leben eines Call-Center-Teamleiters, dem alles mögliche passiert, der aber nie handelt. Der Roman wird nahezu komplett passiv personal erzählt. Wenn je jemals jemand für die Krankheiten, die die gegenwärtige Arbeitswelt hervorbringen kann, eine Sprache gefunden hat, ist es Daniel Wisser. Schwere und gute Literatur, weil sie vermutlich jede und jeden an irgend einem Punkt anficht.
Eine Komik der Spielart: Gegenüber lispelt = lustig, nach durchschwitzter Nacht erstmal einen Kalauer über Inkontinenz. Wer so was lustig findet, dem sei die Lektüre empfohlen.
Ein früh pensionierter Linguistik-Prof, dessen Gehör langsam schwindet, gerät in die Fänge einer jungen Promovierenden, die Ihre Dissertation über die Stilistik suizidaler Abschiedsbriefe schreibt. Seine acht Jahre jüngere Ehefrau erlebt mit ihrem Innenausstattungs-Fachgeschäft ihre zweite Jugend. Sie ist erfolgreich, schmiedet Pläne für die Zukunft, während der Ich-Erzähler mit seiner Hörschwäche kämpft und versucht, sich im Lebensabend einzurichten. Was erschwert wird durch die Sorge um den eigenen Vater, der hochbetagt und verwahrlost im eigenen kleinen Londoner Häuschen lebt. Ein unterhaltsamer Roman in dem es nicht nur um das Altern und den Verlust körperlicher Souveränität geht, sondern der diese unumgänglichen Umstände da verortet, wo sie hingehören: Mitten im Leben. Die Abstecher in die Linguistik geraten zu akademisch. Sie Langweilen den Kenner und werden vom Rest vermutl. als störend empfunden werden