Der (hoffentlich nicht) letzte Kurzgeschichten-Sammelband von Alice Munro hat in mir zunächst gemischte Gefühle erweckt: Einerseits wollte ich nicht, dass es vorbeigeht, andererseits wollte ich alle Geschichten einfach nur verschlingen.
Alle Geschichten einfach nur hintereinander weg zu lesen, war allerdings für mich nicht möglich, denn jede hat ihre eigene, besondere Botschaft. Über jede einzelne dieser Botschaften musste ich erst mal lange nachdenken und konnte mich daher nicht sofort auf eine neue Geschichte einlassen. Dies ist auch schon das Großartige an diesen Kurzgeschichten: Sie hinterlassen einen Eindruck. Weil sie so dicht und gehaltvoll geschrieben sind. Weil Alice Munro es mit knappen Beschreibungen schafft, ganze Leben vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Weil sie es schafft, dass man auch emotional von den Geschichten mitgerissen wird. Inhaltlich erzählt sie hier, wie der Titel schon erahnen lässt, vom nackten Leben. Es gibt immer irgendein Problem, eine Krankheit, etwas, das das Leben alles andere als flawless erscheinen lässt. Und die wenigsten Geschichten haben ein Happy End. Viele sind tragisch, traurig, dabei aber traurig-schön. Wenn es dann doch mal ein glückliches Ende gibt, ist es eine unendliche Erleichterung.
Die letzten vier Kurzgeschichten in dieser Sammlung sind autobiographischer Natur. Sie zeigen Momente aus ihrem Leben, wobei ihre Kindheit und frühe Jugend im Vordergrund stehen. Diese Geschichten haben mir zwar gefallen, der Schreibstil war noch immer ansprechend, allerdings hat mir hier eine Botschaft gefehlt. Getrennt von dem fiktionalen Teil dieser Sammlung betrachtet, der mich restlos begeistern konnte, sind diese vier Geschichten dennoch beeindruckende Momente aus einem Leben.
Beeindruckend, wie jede einzelne Geschichte in dieser Sammlung. 5 von 5 Sternen.
Diese Review hat WIRKLICH Spoiler! Wenn du also das Ende noch nicht kennst, werde ich es dir hiermit eventuell versauen. ;)
Leider hat mich das Ende nun doch nicht umgehauen. Erstens gab es in diesem Buch viel zu viel Blabla und ich hatte das Gefühl, dass man erst mal 200 Seiten hinter Gwen herstolpern musste, obwohl die meisten Geheimnisse schon seit Rubinrot zumindest andeutungsweise enthüllt wurden. <spoiler>Dass Lucy und Paul Gwens wirkliche Eltern sind, wurde dort ja auch schon verraten.</spoiler> Und der Stein der Weisen? Es gibt doch bestimmt nur noch ganz wenige Personen, die nicht mehr wissen, was der bewirkt, oder? Nur Gwen kapiert natürlich gar nichts. (Und so mystisch und unverständlich fand ich die Vorhersagen auch nicht, im Grunde waren die ziemlich eindeutig.)
Als ich den dritten Band angefangen habe, habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass die beiden ENDLICH diesen Ball besuchen, der schon lange vorher angekündigt wurde. Für meinen Geschmack gab es ein wenig zu viele künstlich in die Länge gezogene Verzögerungstaktiken, sodass es für das Finale nur noch ziemlich wenig Platz gab. Und das Finale hat mir dann wirklich gut gefallen, genau davon hätte ich gern mehr gehabt. Mr Whitman und wer dann nun alles unsterblich ist, das kam für mich dann schon sehr überraschend.
Eine Sache gibt's noch, die wirklich unnötig war und die ganzen Regeln des Zeitkontinuums nicht beachtet: James. Wozu? Wozu am Ende noch mal so etwas unlogisches, obwohl alles andere so kompliziert durchdacht war?
(Hätte James überlebt, hätte es für Gwen nicht mal die Möglichkeit gegeben ihn zu retten, denn sie wäre ihm als Geist ja niemals begegnet und wäre nie auf die Idee gekommen, dass er eine Impfung nötig hätte. Da sie ihm nun mal als Geist begegnet ist, war doch alles schon vorbei. Er ist schon längste gestorben und was schon passiert ist, kann nicht mehr geändert werden. Und VOR ALLEM - angenommen, diese Rettung wäre nun doch möglich gewesen - hätte sie gar keine Erinnerung mehr an den Geist-James haben dürfen, denn der ist ja gar nicht entstanden, weil Rettung. Blörp, das ist so kompliziert. :D)
Nun ja, "trotzdem" habe ich alle drei Teile ziemlich schnell durchgelesen und sie haben mich gut unterhalten.
3,5/5
Einige Geschichten konnten mich richtig begeistern, andere eher nicht, aber das ist bei 24 verschiedenen Geschichten auch nicht verwunderlich. Insgesamt ist es eine tolle Mischung und es hat mir Spaß gemacht, jeden Tag eine Geschichte zu lesen!