Betrunkene Bäume
272 Seiten

Der über 80jährige Erich ist verlassen von Frau und Kindern und lebt nur noch für 'seine' Bäume, die er als Wissenschaftler sein Leben lang untersuchte. Katharina, die gerade einmal 17 Jahre alt ist, fühlt sich verlassen von Vater und Mutter und ist nun Erichs Nachbarin. Sie lernen sich kennen und ganz langsam entsteht eine Vertrautheit zwischen den beiden so unterschiedlichen Menschen, von denen jeder die Hilfe des Anderen braucht. Sie sind sich ähnlicher als sie denken, denn beide wollen sie unabhängig sein, was sowohl Katharina wie auch Erich nicht möglich ist - wenn auch bei jedem auf andere Weise.
Es ist kein großer Roman, den man hier auf etwas mehr als 260 Seiten liest. Erich versucht jeden Tag auf's Neue selbständig zu bleiben. Und Katharina bemüht sich, am Leben zu bleiben. Durch mehrere Erzählstränge lernt man die beiden Hauptfiguren genauer kennen, wobei aufgrund des höheren Alters meist die Vergangenheit von Erich dominiert. Was dieses Buch zu etwas Besonderem macht, ist die wunderbare Sprache der Autorin, in der ich mich sofort wohl fühlte. Es ist schwer zu beschreiben, denn weder findet man hier extrem bildhafte Darstellungen noch eine übermäßig poetische Wortwahl. Der Text ist schlicht mitfühlend und passt einfach perfekt zu den Figuren und den Geschehnissen, die er schildert. Man liest und liest und möchte nichts als weiterlesen, auch wenn man Katharina manchmal wegen ihrer Blauäugigkeit schütteln möchte oder Erich wegen seiner Sturköpfigkeit. Doch man lebt und fühlt mit ihnen und so ist es fast schon ein Gefühl der Trauer, wenn man die Beiden verlassen muss.
Und warum trotzdem nicht die volle Punktzahl? Weil manche der Beziehungen nicht wirklich überzeugend wirkten. Wolodja soll Erichs bester Freund gewesen sein? Und von ihm hat er am meisten gelernt? Obwohl sie praktisch nicht miteinander geredet haben? Seine geliebte Frau Dascha lässt er einfach ziehen? Obwohl er Sibirien auch so liebt? Noch einige solcher Sachverhalte sind mir aufgefallen, die ich mir nicht erklären kann, was meine Freude am Text damit etwas minderte. Dennoch, ein schönes Buch! Und ich bin gespannt, was die Autorin als Nächstes schreibt.
Übrigens, die 'Betrunkenen Bäume' gibt es tatsächlich, wenn auch nicht in Sibirien. Zumindest habe ich darüber nichts gefunden, doch einen Wald mit solchen Bäumen gibt es am Kurischen Haff. Auch wenn der Grund dafür offenbar ein anderer ist als im Buch.

Zorn: Kalter Rauch
384 Seiten

Es ist der erste Zorn-Krimi, den ich gelesen habe und ich bin ziemlich überrascht. Die ersten Teile dieser Reihe, die ja bereits verfilmt worden sind, habe ich schon im Fernsehen gesehen und sie gefielen mir recht gut. Was ich jedoch nicht für möglich gehalten hätte, wie genau die Hauptfiguren dieser Serie der Buchvorlage entsprechen. Insbesondere bei Schröder war der Wiedererkennungswert derart hoch, dass ich darauf gewettet hätte, dass es zuerst die Filme gab und dann die Bücher. Derart schon nach wenigen Seiten positiv eingestimmt machte ich mich ans Weiterlesen.
Überaus mysteriös fängt dieses Buch an und viel klarer wird es auch nicht auf den weiteren Seiten. Ein Starkregen aus toten Fischen geht über der Stadt nieder und bei den Aufräumarbeiten am folgenden Tag findet man zufälligerweise ein künstliches Hüftgelenk. Die Trägerin desselben ist verschwunden und das Verhalten ihres Ehemannes wirft noch mehr Fragen auf als er Antworten auf das Verschwinden seiner Frau hat. Offenbar hat er Angst - doch vor was oder wem?
Neben der Krimigeschichte nimmt das Privatleben inbesondere von Zorn recht viel Raum ein. Seine Probleme bringen ihn im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand des Abgrunds, sodass selbst der hypergutmütige Schröder an seine Grenzen kommt. Wer nicht so viel Wert auf 'Gemenschel' legt, den werden diese teilweise ausführlichen Beschreibungen von Zorns Seelenleben vielleicht langweilen. Mir hat es jedoch gefallen, denn die Figur des egozentrischen Kommissars kam mir dadurch deutlich näher. Sein sonstiges Verhalten (das ich bis dahin nur aus den Filmen kannte, war einfach nur 'bäh'.) empfand ich bisher als ausgesprochen unleidlich, insbesondere neben der so sympathischen Figur Schröders.
Der Kriminalfall selbst bleibt bis zum Schluss spannend, wobei mir die Auflösung am Ende etwas zu hollywoodhaft daherkam. Ein Showdown mit großen Getöse, ein liebendes Paar und die große Aufklärung - danach der Zusammenbruch? Etwas Weniger hätte mir hier mehr zugesagt, dennoch: Alles in Allem hat mir auch die Lektüre dieser Zorn-Folge gut gefallen. Vielleicht sollte ich die bereits Gesehenen ebenfalls noch lesen.
Ach ja, bei dem Hüftgelenk hätte es etwas Mehr sein können ;-)

Brüder: Der Älteste, der Stillste, der Echteste, der Fernste, der Liebste, der Schnellste und ich

Bart Moeyaert, der jüngste von 7 Brüdern, erzählt kurze Geschichten aus seiner Kindheit. Es sind Berichte aus dem Alltag einer Großfamilie, der für die Kinder jedoch voller Abenteuer und Aufregungen steckt. Ein ausserordentlich starkes Unwetter verwandelt sich in einen Kampf ums Überleben; ein unerlaubter Besuch in einem Privatswimmingpool endet in einer Verfolgungsjagd, in der einer der Brüder sich beinahe als Märtyrer opfert; der Kauf eines Bootes weckt 'Großfischjägerphantasien'.
Auffallend ist, dass Namen vermieden werden und die Personen stattdessen mit ihren Eigenschaften bezeichnet werden (der Älteste, der Stillste, der Echteste...). Auch die Erlebnisse selbst handeln mehr von Empfindungen und Gefühlen als von handfesten Beschreibungen, so dass man sich selbst bereits nach kurzem wieder in die Kindheit zurückversetzt fühlt.
Wunderbare Geschichten zum Lachen und ein bisschen Fürchten, zum Schmunzeln und etwas gruseln, die von Peter Sikorski in passender Art und Weise vorgetragen werden.
Doch einen Wermutstropfen gibt es: Lediglich 10 (oder waren es sogar nur 9?) kurze Stücke enthält die CD, gerade mal 51 Minuten - da hätte der Verlag von den rund 40 aus dem Buch ruhig ein paar mehr drauf packen können.

In jedem Augenblick unseres Lebens
304 Seiten

Obwohl dieses Buch gerade mal 300 Seiten hat, habe ich für meine Verhältnisse eine gefühlte Ewigkeit dafür gebraucht. Nichts mit 100 oder mehr Seiten am Stück weglesen. Das Thema, aber auch der Stil in dem das Buch geschrieben ist, machten es mir schlicht unmöglich, länger 'dran' zu bleiben.
Der Autor schreibt hier über den bisher wohl entsetzlichsten Abschnitt seines Lebens. Vermutlich damit ihm das überhaupt möglich ist, fehlen im Text praktisch sämtliche Emotionen. Völlig sachlich berichtet er, als ob es gerade geschehe, wie seine schwangere Partnerin schwerkrank ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Diagnose ist katastrophal, man beschließt das Kind sechs Wochen vor der Zeit zu holen und Tom, der Autor, ist von einem Moment auf den anderen plötzlich Vater geworden und zugleich Sterbebegleiter seiner großen Liebe Karin.
Statt das dies nun eine vor Kitsch und Rührseligkeit überbordende Geschichte wurde, ist es eine nüchterne, fast gänzlich emotionslose Tatsachenbeschreibung, die mich dennoch völlig fassungslos zurücklässt. Was Tom hier darstellt, benötigt keine gefühligen Adjektive oder Adverbien; beispielsweise allein die Beschreibung der aufgedunsenen Karin und weshalb man ihr um die 40 Liter Flüssigkeit zugeführt hat, reicht aus, um vermutlich nur ansatzweise nachzuempfinden, was in Tom vorgehen musste.
Die beinahe schon dokumentarische Schreibweise empfand ich zeitweilig recht anstrengend, da Dialoge nur mit wenig oder keinen Personalpronomen wiedergegeben werden. Ein Satz folgt dem anderen und man muss konzentriert dabei bleiben, um das Gesagte den richtigen Personen zuzuordnen. Doch es lohnt sich, denn so wirkt es, als ob man unmittelbar an den Unterhaltungen teilhat. Kein 'Ich sagte' oder 'Er antwortete', was sich besonders bei den Behördengesprächen (nach Karins Tod) als Vorteil herausstellt. Noch nie sind mir die Abstrusitäten der Bürokratie deutlicher ins Auge gesprungen als beim Lesen dieser Zeilen. Wenn Tom beispielsweise dem Finanzamt erklären muss, über welches Vermögen bzw. Schulden seine neugeborene Tochter verfügt, kann man nur noch verständnislos den Kopf schütteln. Und da sage mir noch jemand, die Deutschen wären die Weltmeister der Bürokratie. Die Schweden hätten sicherlich mindestens ein Anrecht auf den Vizetitel.
Alles in allem keine leichte Kost, sowohl im Hinblick auf das Thema wie auf den Schreibstil. Dennoch ist es lesenswert, wenn auch besser an Schönwettertagen ;-)

Die letzten Tage der Nacht
464 Seiten

Der Name Thomas Edison dürfte vermutlich den meisten Menschen geläufig sein, George Westinghouse wahrscheinlich eher weniger. Dass diese beiden Herren sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine irrsinnige Fehde lieferten, um ihre jeweiligen favorisierten Techniken der Stromversorgung als Standard durchzusetzen, dürfte vermutlich noch unbekannter sein (mir war es das zumindest). Wobei diese Schlacht, bekannt als 'Stromkrieg', alle bekannten feindseligen Übernahmen der Neuzeit locker in den Schatten stellt. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Auseinandersetzung Thema eines Romans wurde; eher schon, weshalb es nicht bereits viel früher geschah.
Erzählt wird diese Geschichte aus der Sicht des jungen Anwalts Paul Cravath, der von Westinghouse das Mandat übertragen bekommt, die Verfahren gegen Edison zu führen. Für ihn, der praktisch keine Berufserfahrung hat, ist es der Eintritt in ein neues Leben. Seine ganze Zeit widmet er diesem 'Krieg' voller Engagement und Enthusiasmus, auch wenn die Erfolge auf sich warten lassen. Er lernt das Wesen der Erfinder kennen: Menschen wie beispielsweise Nikola Tesla, die nur für ihre Arbeit leben. Es ist eine völlig andere Welt als die ihm bisher bekannte.
Graham Moore, der Autor, versteht es, eine Szenerie zu entwerfen, die ich beim Lesen buchstäblich vor Augen hatte. Das noch schwach elektrifizierte New York; das Leben auf den Straßen; die Atmosphäre bei den Dinnern der Strom-High-Society - es ist fast schon ein Film, der sich da vor mir abspielte. Kein Wunder, denn der Autor ist auch als Drehbuchautor erfolgreich und erhielt bereits für 'Ein streng geheimes Leben' einen Oscar. So dürfte es nicht überraschen, das 'Die letzten Tage der Nacht' verfilmt werden. Doch die Schilderung der historischen Ereignisse (nebst fiktiven Ergänzungen und Verfremdungen), die so spannend wie ein Krimi sind (es wird spioniert, intrigiert, bestochen undundund), machen nicht allein den Reiz des Buches aus. Ganz nebenbei wird ein Grundwissen der Elektrizität vermittelt, das wirklich für Alle (auch für mich! - und das will was heißen ;-)) verständlich ist wie auch Begrifflichkeiten der Juristerei.
Dennoch, ein Manko gibt es: So gut es Moore versteht, diese Geschichte bildhaft darzustellen - seinem Protagonisten Paul Cravath kam ich nicht nahe. Meist lebe und leide ich mit der Hauptfigur mit, aber dies gelang mir hier nicht. Die Distanz zu ihm blieb während der ganzen Lektüre. Und so las ich das Buch wie einen spannenden, lehrreichen historischen Film. Ich bin gespannt, wie der Film dann wirklich ist.

Es klingelte an der Tür
248 Seiten

Nero Wolfe alias William Conrad habe ich früher gern gesehen, diesen wohlbeleibten, orchideenliebenden Gourmet, der immer wieder die New Yorker Mordkommission düpierte, indem er Fälle auf seine unnachahmliche Weise deutlich schneller als diese löste. Nun wurde eines der Bücher dieser Reihe in einer neuen Übersetzung wieder herausgegeben und ich muss sagen, ja, auch das Lesen lohnt sich.
In diesem Fall erhält er von einer sehr vermögenden Klientin den Auftrag, ihre Überwachung durch das FBI zu beenden. Dass sich das FBI von einem Privatdetektiv sicherlich nicht vorschreiben lässt, wen es überwachen darf und wen nicht, ist sowohl Wolfes Klientin klar wie auch ihm selbst. Seine Zweifel, diesen praktisch unlösbaren Auftrag anzunehmen, verschwinden, als ihm ein 100.000 $ Scheck als Vorschuss übergeben wird, den er in jedem Fall nicht zurückzahlen muss und die Aussicht, ein Honorar zu bekommen, dass er selbst festlegen darf, wenn er Erfolg hat. Wolfe nimmt an und beginnt mit der Arbeit in diesem offenbar aussichtlosen Fall ...
Erzählt wird die Geschichte von Archie, dem Assistenten von Nero Wolfe, der für diesen die Aussenaufgaben übernimmt. Denn Wolfe ist bequem, er liebt gutes Essen und Trinken, seine Orchideen und das Lesen, während er sein Zuhause nur in seltenen Fällen verlässt. Ansonsten ist es aber wohl das typische Szenario der Krimis dieser Zeit, der 60er Jahre. Coole Männer, lässig eine Zigarette rauchend und schönen jungen Frauen hinterherblickend, die meist nur als schmückendes Beiwerk, Zeugin oder Klientin dienen. Dazu eine in gewisser Weise etwas umständliche Sprache, die mich jedoch immer wieder zum Grinsen brachte. "Als sie mich aus blauen Augen betrachtete, wies ich meine an, sämtliche Aspekte zu ignorieren, die für die anstehenden Aufgaben ohne Belang waren." Auch eventuelle Beleidigungen sind eher subtil, die ich stellenweise recht originell und amüsant finde: "Von der Grösse her war er eine Erdnuss, aber eine elegante." Überhaupt ist der gesamte Umgangsstil in diesem Privatdetektivmilieu ungewöhnlich gehoben: Es werden Bücher gelesen ;-) Diners serviert wie 'Täubchen à la Moscovite, Pilze Polonaise, Salade Béatrice und Soufflé Armenonville' und das wohl schlimmste Unmut ausdrückende Wort ist 'Pfui'. Der Fall selbst ist recht verworren, denn um das gewünschte Ziel zu erreichen, sind zahlreiche Umwege vonnöten, die sich erst nach und nach als zielführend erweisen. Wolfe löst diese Angelegenheit (wie auch eine Menge andere) durch reines Nachdenken, nachdem er durch seinen 'Aussendienstmitarbeiter' mit den entsprechenden Informationen versorgt wurde.
Es ist ein ruhiger, stellenweise amüsanter Krimi ohne Blutvergießen und große Action, der zudem auch Gewicht auf das Drumherum der handelnden Personen legt. Ob die Neuübersetzung nun schlechter oder besser gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Gehe ich jedoch vom früheren Titel aus "Per Adresse Mörder X", ist der neue auf jeden Fall deutlich gelungener (im Original: "The Doorbell Rang"). Auch wenn es ein typischer Krimi seiner Zeit ist: Das Thema ist hochaktuell. Darf der Staat um der Sicherheit willen einfach Alles? Jede/n zu jeder Zeit und überall überwachen und abhören? Manche Probleme scheinen sich nie zu ändern...

Sie werden dich finden
400 Seiten

Roger Smith hat als Krimiautor in Deutschland schon einige Preise erhalten, sodass ich vertrauensvoll zu seinem neuesten Buch griff, das er allerdings unter dem Pseudonym James Rayburn veröffentlicht hat. Ob es daran liegt, dass 'Sie werden dich finden' mich nicht so begeistert hat?
Whistleblower sind ja so etwas wie die neuen Helden unserer Zeit und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass eine solche die Hauptfigur dieses Thrillers ist. Kate Swift, eine junge Frau, versteckt sich nach ihrem 'Verrat' mit ihrer kleinen Tochter vor ihrem früheren Arbeitgeber, dem CIA. Als ihre Tarnung auffliegt, fliehen die Beiden und versuchen, Hilfe und einen sicheren Ort zu finden. Nicht so einfach, wenn der CIA hinter einem her ist und auch noch Andere ein Hühnchen mit einem zu rupfen haben...
Es ist eine Verfolgungsjagd, die durch die halbe Welt führt und eine Spur von Leichen hinter sich lässt. Das Tempo ist hoch, denn nicht nur die zahlreichen Dialoge sind durch recht knappe Sätze geprägt, auch die Kapitel sind kurz; selten mehr als vier Seiten lang und mit jedem wechselt die Perspektive. Erzählt wird überwiegend jeweils aus der Sicht von einer der vier Personen, wobei vier weitere gelegentlich hinzukommen - zumindest zu Beginn war somit etwas Konzentration gefragt.
Eigentlich wären alle Zutaten vorhanden für einen richtig spannenden Thriller, aber ich wurde beim Lesen das Gefühl nicht los, als wäre hier etwas ohne große Überlegungen schnell runtergeschrieben worden. Richtige Überraschungen gibt es kaum, die meisten Geschehnisse lassen sich ohne viel Mühe vorausahnen. Andere Ereignisse wiederum sind schlicht unlogisch (Wieso wurde sie umgebracht und er nicht? Oder weshalb fängt ein trockener Alkoholiker nach 10 Jahren einfach so das Saufen wieder an?) oder so zufällig, dass ich einfach nur den Kopf schütteln konnte. Zudem wirkten auf mich die Figuren im Buch so eindimensional, dass ich vermutlich alle spätestens nach ein bis zwei Wochen wieder vergessen haben werde. Grautöne scheint Mr. Rayburn hier nicht vorgesehen zu haben, denn entweder gehört eine/r zu den Guten oder zu den Schlechten.
Schade, denn schreiben kann der Autor, sonst hätte ich bei einer solch vorhersehbaren Handlung und derart uninteressantem 'Personal' vielleicht nicht bis zum Ende durchgehalten. Ich werde mal schauen, ob mir Roger Smith besser gefällt ;-)
PS: Findet eigentlich noch jemand, dass Harry Hook Ähnlichkeiten mit einem gewissen Harry Hole aufweist? Insbesondere dem im Band 2, Kakerlaken.

Hool
310 Seiten

Für den 27jährigen Heiko Kolbe gibt es nur wenig im Leben was ihm wichtig ist, nachdem seine Freundin ihn verlassen hat: Es sind seine Freunde, mit denen er seine Liebe zum Fußball und zur Gewalt teilen kann. Immer wieder treffen sie sich zu Matches mit Gleichgesinnten aus anderen Städten, wo es ausschließlich darum geht, sich gegenseitig zusammenzuschlagen. Den Kick, den sich Andere beim Bungeejumping oder Bergsteigen holen, erhalten diese jungen Männer durch Schlägereien bis auf's Blut, wobei die Gegnerschaft im Fußball der bereits vorhandenen Aggressivität noch einen zusätzlichen Schub verleiht.
Nach Niemand ist bei den Kälbern ist dies bereits das zweite Buch in kurzer Zeit, das mir einen Einblick in eine Welt liefert, die bei Hool zwar im wahrsten Sinne des Wortes um die Ecke liegt; doch wovon hier erzählt wird, wirkt so weit entfernt, als wäre von einem anderen Planeten die Rede. Wunstorf, Luthe, Hannover - all diese Orte, in denen Heiko sich aufhält, sind mir gut bekannt. Aber in seinem Leben gehören Alkohol und Drogen ebenso wie Gewalt und Kriminalität zum Alltag. Da werden Anabolika gehandelt, Drogen vertickt und konsumiert, Tierkämpfe mit Wettgeschäften veranstaltet; es wird gesoffen, gekifft und wenn es einem gerade danach ist, einer zusammengeschlagen. Klar weiß ich, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen (oder sowas in der Art) ist und es in unserer Gesellschaft Bereiche gibt, in denen die Uhren anders gehen. Doch was Philipp Winkler hier überzeugend durch seinen Protagonisten erzählen lässt, ist für mich eine völlig fremde Welt, obwohl sie in meiner unmittelbaren Nachbarschaft existiert.
Heiko ist kein wirklicher Sympathieträger – wie könnte es bei einem Hooligan auch anders sein? Doch auch wenn seine Sprache vulgär, brutal und derb ist, ist er ebenso wenig der Widerling und die Dumpfbacke schlechthin, wie man vermuten könnte. Er war auf dem Gymnasium (wenn auch ohne Abschluss), machte Zivildienst und lehnt Nazis ab. So wie er seine Ruhe will, lässt er die Anderen in Ruhe und wäre nicht diese ständig schwelende Wut in ihm, der er bei den Matches freien Lauf lässt, könnte er der nette junge Nachbar von gegenüber sein. In Rückblicken, die in die laufende Erzählung immer wieder eingeschoben werden, wird erkennbar, woher diese Wut letzten Endes kommt. Auch der Blick auf Heikos Freunde widerspricht dem Klischee der rechten Schläger. Sie sind ebenfalls keine Nazis: Kai ist ein lebensfroher Student; Jojo ein braver Sohn, der bei seiner Mutter lebt.
Es ist ein brutales und grausames Buch ohne Schwarz-Weiß-Malerei, das ungemein realistisch wirkt und gerade im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um das Auseinanderdriften der Gesellschaft ein wichtiger Beitrag sein kann. Ich habe auf jeden Fall einen Einblick in eine Welt erhalten, der mir sonst nicht möglich gewesen wäre. Dafür Danke!

Die Zeit der Ruhelosen
512 Seiten

Der Großteil Europas blickt voller Furcht auf Frankreich, wo am 23. April 2017 die Präsidentschaftswahlen stattfinden werden. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtspopulistin Le Pen die Wahl gewinnen könnte und das zweite Land wäre, das den Ausstieg aus der EU beschließen würde. Frankreichs Gesellschaft steht kopf und allerorts wird diskutiert, wie es soweit kommen konnte.
In einem ähnlichen Zustand befinden sich auch die Protagonisten dieses Buches der französischen Autorin Karine Tuil, die alle drei glaubten, sich in ihrem Leben eingerichtet zu haben, das ewig so weitergehen würde: Francois Vély, ein reicher brillianter Manager, dem nach einem scheinbar erst einmal eher nebensächlichen Skandal plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Osman Diboula, ein farbiger Sozialarbeiter, der in der Politik Karriere machte und plötzlich abserviert wird. Und Romain Roller, Soldat, der nach diversen Auslandseinsätzen nach seinem Afghanistanaufenthalt völlig gebrochen zurückkehrt und ein Verhältnis mit der Frau von Vély beginnt, ohne dies am Anfang jedoch zu wissen.
Es sind drei völlig unterschiedliche Konflikte, in denen diese Männer stecken; doch was sie verbindet, ist ihr jeweils einsamer Kampf, sich daraus zu befreien und immer wieder einen neuen Rückschlag zu erleiden. Denn selbst als sich Alles (mehr oder weniger) in Wohlgefallen aufgelöst hat, wird es wohl nur ein vorübergehender Ruhezustand sein. Die Unsicherheiten und Ängste werden sie ein Leben lang begleiten - die Sorglosigkeit (so der Originaltitel) ihres bisherigen Lebens ist vorbei.
Tuil stellt ein detailliertes Abbild eines Teils der Gesellschaft dar, wobei es sich bei Osman Diboula und Francois Vély um eher typisch französische 'Vertreter ihrer Art' handelt. Diboula hat sich aus den Banlieues von Paris auf die Ebene der Karrieristen der französischen Eliteuni ENA hochgearbeitet; etwas, das in dieser Form in Deutschland nicht existiert. Vermutlich ebensowenig wie dass ein Wirtschaftsboss wie Vély wegen seiner jüdischen Abstammung sozial 'hingerichtet' würde. Dennoch lässt sich dieser Roman in Vielem sicherlich auf Deutschland ebenso wie auf andere Länder übertragen: Die Fähigkeiten der modernen Medien, Menschen in kürzester Zeit zu demontieren und zu ruinieren; wie Macht Menschen korrumpiert und sie rücksichtslos alles hinter sich lassen, was ihnen einmal wichtig war; wie der Krieg Menschen zerstört - und zwar nicht nur im physischen sondern auch im psychischen Sinn. Es ist kein schönes Bild, was Karine Tuil hier entwirft - aber auf jeden Fall ein erhellendes, das vielleicht ein bisschen Licht in das Dunkel bringt: Weshalb die Welt so ist wie sie ist.
Nur eine Frage lässt mir keine Ruhe: Weshalb sind die drei Hauptfiguren dieser Autorin Männer? Kommen Frauen mit der nicht mehr vorhandenen Sorglosigkeit besser klar? Sind sie die ständige Unsicherheit schon länger gewohnt?

Die Geschichte der Bienen
512 Seiten

Eine ungewöhnliche Romankonstruktion hat Maja Lunde für 'Die Geschichte der Bienen' gewählt: Drei Erzählstränge gibt es, die in völlig unterschiedlichen Zeiten spielen. Im Jahr 1852 ereilt William, verhinderter Wissenschaftler und Familienvater von unzähligen Töchtern ;-) und einem Sohn, nach einer persönlichen Kränkung eine mysteriöse Krankheit, die ihn jeglicher Energie beraubt (heutzutage würde man vermutich Depression dazu sagen). Nach einer spontanen Erholung kehrt er in den Alltag zurück und widmet sich neben dem Gelderwerb als Samenhändler auch wieder der Wissenschaft: Bienen werden sein Forschungsobjekt. Etwas mehr als 150 Jahre später begleiten wir George in Ohio, der von der Imkerei lebt und sich nichts sehnlicher wünscht, als seinem Sohn Tom einen gutgehenden Hof zu hinterlassen - doch das gestaltet sich aus unterschiedlichen Gründen wesentlich schwieriger als gedacht. Im Jahre 2098 in China ist Tao die Protagonistin, die ihren Unterhalt damit verdient, Bäume von Hand zu bestäuben, da es keine Bienen mehr gibt. Ein hartes, ein schweres Leben, das nur durch ihre kleine Familie erträglich ist: ihren Mann Kuan und ihren kleinen Sohn Wei-Wen. Doch dann geschieht ein Unglück.
Abwechselnd werden die Geschichten dieser drei Hauptfiguren erzählt, und ich war wirklich gespannt darauf, wie sich diese zusammenfügen. Doch es dauerte und dauerte und dauerte. Nicht dass ich mich gelangweilt hätte, aber ich hatte zusehends den Eindruck, hier drei unabhängig voneinander verlaufende Erzählungen zu lesen, deren einzige, nicht allzu starke Verbindung die Bienen waren. Erst kurz vor dem Ende wurden die Zusammenhänge dann deutlich, doch nach meinem Empfinden fügte es sich nicht selbstverständlich zusammen, sondern es kam mir vor, als hätte auf den letzten Seiten etwas nachgeholt werden müssen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Buch ist gut geschrieben, doch die Unterteilung in drei Teile hätte auch als Ganzes erfolgen können und nicht aufgeteilt in Häppchen - jeweils eine Erzählung William, George und Tao wäre nicht nur genauso gut, sondern vielleicht sogar besser gewesen.
Den Titel (im Original 'Bienes Historie') empfand ich als eher irreführend, denn auch wenn die Bienen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, liegt doch das Hauptaugenmerk meiner Meinung nach bei den Protagonisten und deren jeweiligen Söhnen, auf denen Erwartungen ruhen, denen sie nicht gerecht zu werden scheinen. In diesem Sinne steht der Titel dann doch für etwas, was ein Hauptthema des Buches ist: falsche Erwartungen ;-)
Fazit: Statt einer Geschichte der Bienen sind es drei Familiengeschichten, die von den Erwartungen an den Nachwuchs und den damit verbundenen Enttäuschungen handeln - verknüpft durch die Existenz bzw. Nichtexistenz der Bienen, an denen mehr oder weniger nebenbei auch noch große Themen wie die Klimaveränderung und die Industrialisierung der Landwirtschaft abgehandelt werden. Ein bisschen viel für nur ein Buch ;-)

Mit jedem Jahr
310 Seiten

Eltern-Kind-Romane sind meist sehr gefühlvolle Lektüren, und diese hier macht keine Ausnahme. Mir war es zu Beginn fast etwas zu viel, da ich keinen roten Faden erkannte und so befürchtete, es handle sich hier nur um eine Aneinanderreihung von Sätzen in der Art wie '...stellte sich bei jedem Bissen die trockenen Münder vor, die schon lange aus dieser Welt verschwunden waren, deren Unschuld aber überlebt hatte.' Und das 300 Seiten ohne größere Handlung? Doch nach und nach tritt die eigentliche Geschichte hervor und ich verfiel regelrecht diesem melancholischen Schreibstil voller Gefühle ;-)
Harvey verliert als kleines Mächen ihre Eltern durch einen Verkehrsunfall. Einziger Verwandter ist der Bruder ihres Vaters, Jason, das schwarze Schaf der Familie: vorbestraft, aufbrausend, offenbar gewalttätig. Doch Wanda vom Sozialamt glaubt an ihn und mit einigen Tricks gelingt es ihr, dass er Harvey bei sich aufnimmt. 20 Jahre später lebt Harvey in Paris, wo ihr Vater sie besucht und sie beide sich an vergangene Zeiten erinnern.
Nach einer kurzen Vorgeschichte, in der Harvey noch bei ihren Eltern lebte, stellt Jasons Besuch bei seiner Tochter in Paris die fortlaufende Rahmenhandlung dar. Darin eingebettet sind Erinnerungen, die ausgelöst werden durch kleine Geschenke an Jason zum Vatertag, wie beispielsweise eine Peter-Hase-Tasse oder ein Baseball, was jeweils für ein bestimmtes Ereignis steht, das wiederum zu weiteren Erinnerungen in Jasons Kindheit führen kann. Dies mag sich jetzt wie Kraut und Rüben anhören, eine chaotische Geschichte der nur schwer zu folgen ist. Doch die jeweiligen Rückblicke fügen sich harmonisch zusammen und man erkennt dadurch, wie Jason der wurde der er war, als Harvey zu ihm kam.
Es ist ein trauriges, aber auch ein mutmachendes Buch: Zu lesen, wie dem jungen Jason durch seine Eltern jegliches Selbstvertrauen verwehrt wurde und er dadurch beinahe sein Dasein in permanenter Wut und ständigem Zorn vertan hätte. Dann aber durch seine Liebe zu und die Verantwortung für Harvey seinem Leben wieder einen Sinn verlieh. Einfach eine schöne Lektüre! Nur der Schluss ließ mich etwas ratlos zurück: Hätte es nicht völlig geklärt werden können? (Hier schreibt die Sehnsucht nach einem kompletten Happyend ;-) )

Ana und Zak
320 Seiten

Schon mal auf einer Sci-Fi-Comic-Convention gewesen? Ich noch nicht, aber nach dem Lesen dieses Buches hätte ich richtig Lust dazu. Denn der Autor hat dies so bilderreich und witzig beschrieben, dass ich mir am liebsten sofort eine Eintrittskarte dafür gekauft hätte. Leider ist nicht das ganze Buch so mitreißend, weshalb es nur für vergleichsweise wenig Sterne gereicht hat.
Ana und Zak, die beiden Hauptfiguren des Buches, haben nicht viel gemeinsam, wenn man davon absieht, dass sie auf dieselbe Schule gehen. Während Anas Leben nur aus Pflichten und Lernen zu bestehen scheint, genießt Zak das Leben und schenkt der Schule maximal so viel Aufmerksamkeit wie unbedingt nötig. Zufälligerweise nehmen Beide an einer Quiz-Meisterschaft in Seattle teil und als Anas kleiner Bruder verbotenerweise verschwindet, um auf die gleichzeitig stattfindende Sci-Fi-Comic-Con zu gehen, hilft Zak Ana, ihn dort wiederzufinden.
Zwei Jugendliche, die so unterschiedlich sind wie man es nur sein kann, auf der Suche nach einem 13jährigen Jungen auf einer schrägen Veranstaltung mit hunderten, wenn nicht sogar tausenden seltsamer Menschenwesen - das verspricht Verwicklungen und Chaos. Und dieses Versprechen wird gehalten, denn sie landen in einer gigantischen Schlacht, in der Ninjas, Konquistadoren, Wikinger, Kreuzritter, Orks, Zwerge undundund die Schlacht von Badon Hill nachstellen; Ana sprengt eines der wichtigsten Turniere des Festivals; Zak wird von einem wildgewordenen Wikinger gejagt - es geht drunter und drüber. Zu all dem werden beide in ein Gefühlschaos gestürzt, denn Zak findet Ana immer anziehender je weiter der Abend (bzw. die Nacht) voranschreitet und Ana muss feststellen, dass der scheinbare Hallodri ein verantwortungsbewusster und sympathischer junger Mann ist. Und dass Beide eine Vorstellung von ihrem jeweiligen Gegenüber haben, das nur in Teilen mit der Realität übereinstimmt.
Hört sich alles nicht schlecht an - und das ist es auch nicht. Wenn, ja wenn nur nicht der Anfang und das Ende wären. In einer Art erstem Teil werden die Konflikte dargestellt, die die beiden jungen Menschen mit bzw. wegen ihrer Eltern haben. Doch die Art, wie Ana und Zak damit umgehen, passt so gar nicht zu den Persönlichkeiten, die man ihm Laufe des Buches kennenlernt. Viel zu überzogen und wenig glaubwürdig handeln die Beiden; Zak wie ein pubertärer Zwölfjähriger und Ana wie ein kleines Mädchen ohne jedes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Am Ende hingegen wird diese chaotische Nacht durch eine Drogengeschichte noch derart gepusht, dass man fast glauben könnte, einen Actionthriller zu lesen. Dabei ist bereits derart viel geschehen, dass das überhaupt nicht nötig gewesen wäre.
So bleiben gemischte Gefühle: Ein toller Mittelteil mit einer Liebesgeschichte, die durchaus auch Jungs gefallen könnte - und ein Rest, bei dem weniger deutlich mehr gewesen wäre. Vielleicht beim nächsten Mal?

Skizze eines Sommers
256 Seiten

Was für ein schön zu lesendes Buch! Locker-leicht-melancholisch vermittelt es ein Lebensgefühl, wie man es nur in einem Sommer mit 16 haben kann - ok, vielleicht auch noch mit 17 oder 18 ;-)
Sommer 1985 in Potsdam, René ist gerade 16 geworden und vor ihm liegen zwei Monate ohne Schule, ohne Erwachsene und mit überraschenderweise viel Geld. Lässig-schnoddrig und auch wundervoll selbstironisch erzählt er von dieser Zeit, dem Abhängen mit seinen Freunden, seinen Erfahrungen mit Mädchen und überhaupt diesem Leben, in dem es nichts Wichtigeres zu geben scheint als Bücher, Musik, Klamotten - nicht zu vergessen der Weltfrieden. Ich las die meiste Zeit mit einem Grinsen im Gesicht, zum Einen weil der Text an sich sehr humorvoll ist ('Es herrschte bei uns ja ständig ein Überfluss an irgendwelchem Mangel'), zum Andern weil mir Vieles sehr bekannt erschien, auch wenn ich meine Jugend nicht in der DDR verbrachte (beispielsweise das Zusammenstellen von Mixtapes). "Hach! - diesen Ausruf hat man beim Lesen von André Kubiczeks «Skizze eines Sommers» ziemlich oft im Kopf." - so schrieb der Stern und ich kann dem nur zustimmen. Insbesondere auch bei der Erwähnung von Musik. Viele, schon lange nicht mehr gehörte Gruppen kehrten wieder ins Bewusstsein zurück, die ich mir endlich mal wieder zu Gemüte führen werde ;-) (The Cure, Grandmaster Flash...). Überrascht bin ich, wieviele Gemeinsamkeiten es offensichtlich damals zwischen der Ost- und West-Jugend gab, nur in wenigen Situationen schienen wirklich deutliche Unterschiede zu herrschen (beispielsweise bei der Literaturbeschaffung).
Auch wenn das Buch mehr als leichte Unterhaltung daherkommt, sind doch immer wieder schöne, tiefergehende Passagen zu finden. Beispielsweise die Lobeshymne auf ein Gedicht: 'Es war wie ein Wunder, jemanden zu treffen, der genau wusste, was man selber gern gesagt hätte. Und der es für einen in Worte kleiden konnte, die schön klangen und in einem Buch geborgen waren, das so edel wirkte wie ein Schatzkiste.' So oder so ähnlich ging es mir auch mit diesem Buch :-)

Wenn das Eis bricht
608 Seiten

Angekündigt wird dieser 600-Seiten-Wälzer als Psychothriller, "... so kalt und gewaltig wie kaum einer sonst." (Daily Mail) Wenn sich Letzteres auf das Wetter beziehen sollte, dann stimmt es vermutlich sogar, denn die Handlung spielt um Weihnachten herum, bei widerlich ekligem Wetter ;-) Ansonsten empfinde ich die Aussage aber deutlich übertrieben, denn mindestens die Hälfte der Handlung, wenn nicht sogar mehr, beschäftigt sich mit dem Innenleben zweier beteiligter Personen, das mit dem eigentlichen Fall absolut nichts zu tun hat.
Im Hause eines reichen Geschäftsmannes wird eine enthauptete Frau aufgefunden, alle Indizien deuten auf den Hausbesitzer, der spurlos verschwunden ist. Erzählt wird abwechselnd aus drei Perspektiven: Da gibt es Hanne, Verhaltenstherapeutin und Psychologin, die neben schweren Eheproblemen auch mit ihrer Diagnose Demenz zu kämpfen hat und die Mitarbeit an diesem Fall nutzt, um in ihrem Leben reinen Tisch zu machen. Und Peter, einer der verantwortlichen Kommissare, der beruflich zwar erfolgreich, im Sozialen jedoch ein völliger Versager ist. Auch für ihn wird dieser Fall eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben, in dem Hanne ebenfalls eine Rolle spielt. Die Dritte im Bunde ist Emma, deren Bericht zwei Monate vor dem Fund der Leiche beginnt. Ist sie die Tote? Ihr Erzählpart steuert nach und nach auf den Tag der Tat zu und es ist klar, dass sie eine der Hauptfiguren darin ist.
Neben den Ermittlungsschilderungen sind sicherlich mehr als die Hälfte Rückblenden der drei Personen, was in Emmas Fall durchaus zur Spannung beiträgt, da sie direkt mit dem Verbrechen verbunden ist. Bei Hanna und Peter sind es dagegen (nur) Erinnerungen an das eigene Leben; wie sie zu den Menschen wurden, die sie jetzt sind; weshalb sie jetzt so und nicht anders handeln. Camilla Grebe schreibt gut und die Psychogramme ihrer Protagonisten sind schlüssig und auch fesselnd zu lesen - nur mit dem eigentlichen Fall haben sie nichts zu tun. So könnte, wer aufgrund der Lobeshymnen auf dem Cover und dem Klappentext einen durchweg packenden Thriller erwartet, enttäuscht werden. Denn die überraschenden Wendungen beginnen erst ca. 100 Seiten vor dem Ende, aber dann haben sie es auch in sich. Bis dahin ist es ein gut geschriebener und spannend aufgebauter Krimi mit zwei Figuren, die durchaus das Potenzial für einen weiteren Fall hätten.

Paper Girls 1
144 Seiten
  1. November 1988, 4:40 Uhr. Die 12jährige Erin macht sich auf den Weg, Zeitungen auszutragen. Es ist Halloweennacht und jede Menge merkwürdige Gestalten sind noch unterwegs. Als ihr drei ältere Jungs blöd kommen, tauchen plötzlich drei ca. gleichaltrige Mädchen mit ihren Fahrrädern auf, die ebenfalls Zeitungen austragen. Sie vertreiben die Typen und Erin schließt sich den dreien an. Doch der Ärger geht jetzt erst richtig los. Von noch viel merkwürdigeren Erscheinungen wird Tiff (eines der Mädchen) eines ihrer Walkie-Talkies geklaut; auf der Suche danach entdecken sie ein seltsames Konstrukt, das zu explodieren scheint; der Strom fällt aus; die Bewohner ihres Vorortes verschwinden gen Himmel - und für absolut nichts gibt es eine Erklärung. Und dann wird es so richtig gefährlich...
    Was sich hier in Worten noch recht gewöhnlich und vielleicht sogar eher langweilig anhört, zeigt sich jedoch als Graphic Novel als völlig schräge Story mit Witz und Spannung. Die merkwürdigen Gestalten können vermutlich überhaupt nicht so genau beschrieben werden wie sie hier erscheinen. Die Hauptfiguren selbst sind klar unterscheidbar (wirken jedoch deutlich älter als zwölf), obwohl die Illustratoren auf allzu viele Details verzichten, sodass der eigenen Phantasie noch genügend Spielraum bleibt. Stimmungen und Atmosphären werden durch das Verwenden jeweils einer dominanten Farbe so deutlich, dass darüber keine großen Worte verloren werden müssen. Hinweise auf irgendwelche Zusammenhänge erfolgen fast schon beiläufig durch kleine Zeichnungen (wie der immer wiederkehrende Apfel), sodass ich das Buch nun bereits zwei- oder dreimal gelesen habe und dennoch immer wieder etwas Neues entdeckte.
    Die Geschichte um die Paper Girls läuft seit Oktober 2015 und noch immer als monatliche Fortsetzungsserie (mit Unterbrechungen), was man den diversen Cliffhangern anmerkt, die vermutlich das Ende einer Serie bilden. Sie sind derartig gut angelegt, dass man überhaupt nicht anders kann als weiterzulesen. Und am Ende dieses ersten Bandes mit den ersten fünf Folgen habe ich noch immer mehr Fragen als Antworten - im Juli kommt aber der zweite Band. Ich bin dabei ;-)