Hool
310 Seiten

Für den 27jährigen Heiko Kolbe gibt es nur wenig im Leben was ihm wichtig ist, nachdem seine Freundin ihn verlassen hat: Es sind seine Freunde, mit denen er seine Liebe zum Fußball und zur Gewalt teilen kann. Immer wieder treffen sie sich zu Matches mit Gleichgesinnten aus anderen Städten, wo es ausschließlich darum geht, sich gegenseitig zusammenzuschlagen. Den Kick, den sich Andere beim Bungeejumping oder Bergsteigen holen, erhalten diese jungen Männer durch Schlägereien bis auf's Blut, wobei die Gegnerschaft im Fußball der bereits vorhandenen Aggressivität noch einen zusätzlichen Schub verleiht.
Nach Niemand ist bei den Kälbern ist dies bereits das zweite Buch in kurzer Zeit, das mir einen Einblick in eine Welt liefert, die bei Hool zwar im wahrsten Sinne des Wortes um die Ecke liegt; doch wovon hier erzählt wird, wirkt so weit entfernt, als wäre von einem anderen Planeten die Rede. Wunstorf, Luthe, Hannover - all diese Orte, in denen Heiko sich aufhält, sind mir gut bekannt. Aber in seinem Leben gehören Alkohol und Drogen ebenso wie Gewalt und Kriminalität zum Alltag. Da werden Anabolika gehandelt, Drogen vertickt und konsumiert, Tierkämpfe mit Wettgeschäften veranstaltet; es wird gesoffen, gekifft und wenn es einem gerade danach ist, einer zusammengeschlagen. Klar weiß ich, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen (oder sowas in der Art) ist und es in unserer Gesellschaft Bereiche gibt, in denen die Uhren anders gehen. Doch was Philipp Winkler hier überzeugend durch seinen Protagonisten erzählen lässt, ist für mich eine völlig fremde Welt, obwohl sie in meiner unmittelbaren Nachbarschaft existiert.
Heiko ist kein wirklicher Sympathieträger – wie könnte es bei einem Hooligan auch anders sein? Doch auch wenn seine Sprache vulgär, brutal und derb ist, ist er ebenso wenig der Widerling und die Dumpfbacke schlechthin, wie man vermuten könnte. Er war auf dem Gymnasium (wenn auch ohne Abschluss), machte Zivildienst und lehnt Nazis ab. So wie er seine Ruhe will, lässt er die Anderen in Ruhe und wäre nicht diese ständig schwelende Wut in ihm, der er bei den Matches freien Lauf lässt, könnte er der nette junge Nachbar von gegenüber sein. In Rückblicken, die in die laufende Erzählung immer wieder eingeschoben werden, wird erkennbar, woher diese Wut letzten Endes kommt. Auch der Blick auf Heikos Freunde widerspricht dem Klischee der rechten Schläger. Sie sind ebenfalls keine Nazis: Kai ist ein lebensfroher Student; Jojo ein braver Sohn, der bei seiner Mutter lebt.
Es ist ein brutales und grausames Buch ohne Schwarz-Weiß-Malerei, das ungemein realistisch wirkt und gerade im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um das Auseinanderdriften der Gesellschaft ein wichtiger Beitrag sein kann. Ich habe auf jeden Fall einen Einblick in eine Welt erhalten, der mir sonst nicht möglich gewesen wäre. Dafür Danke!

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