Édouard Louis setzt sich in diesem autofiktionalen Roman erneut mit seiner Herkunft auseinander: Bereits im Kindesalter ist der Autor, aufgewachsen in schwierigen, von Armut geprägten Verhältnissen, aufgrund seiner Homosexualität Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt. Seine Flucht führt ihn über Amiens nach Paris, seine Transformation hinaus aus dem Arbeitermilieu hinein in das Leben eines Pariser Intellektuellen.

Der Prozess ist kein einfacher. Eindrücklich schildert er, wie schmerzhaft dieser Prozess sein kann: Da ist die Entfremdung von der eigenen Familie; von einer Freundin, die ihm den Weg für so vieles geebnet hat; die Selbstzweifel, mit denen er sich aufgrund des Klassensystems konfrontiert sieht; die Gefühle, die dieses Bewusstsein bei ihm auslöst.

Wieder und wieder drängt sich der Vergleich zu Eribon auf. Und ziemlich schnell wird klar, weshalb: Eribon erweist sich nicht nur als eine Art Mentor, sondern fungiert auch als Vorbild, dem Louis versucht, nachzueifern; vielleicht in gewissen Punkten auch versucht, eine Art Kopie von ihm zu werden.

Wenngleich Louis’ Abhandlungen oftmals sehr abgeklärt erscheinen, zeigt sich immer wieder: Louis ist ein Getriebener; einer, der vielleicht noch nicht am Ziel seiner Selbstfindung, seiner Selbstverwirklichung ist. Diese Rastlosigkeit schlägt sich auch stilistisch nieder: Er arbeitet viel mit langen, verschachtelten Sätzen, teilweise wirken seine Gedanken gehetzt, ganz als würde er noch kein Ergebnis finden können, finden wollen.

An diesem Roman wird deutlich, dass die Geschichte, die Édourd Louis zu erzählen hat, nämlich seine eigene, keinesfalls auserzählt ist.

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