Nichts, was uns passiert
168 Seiten

Juli 2014: Hannes feiert bei Jonas im Garten seinen Geburtstag. Es herrscht gute Stimmung, wie so häufig wird viel zu viel getrunken. So viel, dass Anna nicht mehr richtig gehen kann und von Hannes und dem ebenfalls sehr betrunkenen Jonas in dessen Bett getragen wird, um dort ihren Rausch auszuschlafen. Als sie aufwacht, registriert sie, immer noch betrunken, dass Jonas ihr die Hose auszieht und trotz ihres Protestes in sie eindringt. Anna schläft danach wieder ein, verschwindet am Morgen lautlos aus der Wohnung und erstattet zwei Monate später gegen Jonas Anzeige wegen Vergewaltigung.
Liest man Annas Geschichte aus ihrer Sicht, scheint die Sache klar zu sein. Doch so einfach macht es sich die Autorin nicht. Sie schiebt eine dritte, unbenannte Person zwischen die Lesenden und die jeweils erzählende Figur, die wie bei einer Reportage die Beteiligten befragt. Nicht nur Anna und Jonas, der eine völlig andere Erinnerung an diese Nacht hat, sondern auch Freunde und Freundinnen, Bekannte, Verwandte usw. Dadurch entwickelt sich aus dem scheinbar klaren Tatvorwurf der Vergewaltigung ein differenziertes Bild, das beim Lesen immer wieder aufs Neue die unterschiedlichsten Gefühle und Überlegungen entstehen lässt. Hier eine eindeutige Schuldzuweisung zu formulieren, gestaltet sich mit zunehmender Seitenzahl zusehends schwieriger.
Auch das Gesetz, das wohl mehr einem Schwarz-Weiß-Denken geschuldet ist (Vergewaltigung = Einsatz von Gewalt und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr), kommt bei einem solchen Sachverhalt an seine Grenzen. Die große Grauzone, zu der auch der hier erzählte Vorfall gehört, bleibt davon ausgespart.
Eine einfache Lösung gibt es nicht, denn egal wie Gesetze formuliert werden, es steht Aussage gegen Aussage. Und das Grundproblem, dass Alkohol Schranken fallen lässt, von denen man vorher nicht einmal wusste, dass sie existieren, wäre damit immer noch nicht gelöst.
Ein sachliches, gut zu lesendes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.